Aktenzeichen XII ZB 443/13
§ 1772 Abs 1 S 1 BGB
Leitsatz
§ 1755 Abs. 2 iVm § 1772 Abs. 1 Satz 1 BGB findet keine Anwendung, wenn der Annehmende die Annahme des Kindes seines geschiedenen Ehegatten begehrt.
Verfahrensgang
vorgehend OLG Köln, 30. Juli 2013, Az: II-4 UF 107/13, Beschlussvorgehend AG Siegburg, 28. Februar 2013, Az: 350 F 18/12
Tenor
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 4. Zivilsenats – Familiensenat – des Oberlandesgerichts Köln vom 30. Juli 2013 wird auf Kosten des weiteren Beteiligten zu 1 zurückgewiesen.
Beschwerdewert: 5.000 €
Gründe
I.
1
Der Beteiligte zu 1 erstrebt die Volladoption seiner volljährigen, leiblichen Tochter (im Folgenden: Anzunehmende).
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Die Ehe der Eltern der im Jahr 1978 geborenen Anzunehmenden wurde 1981 geschieden. Ihre Mutter, die Beteiligte zu 2, hat daraufhin Herrn B. geheiratet. Dieser hat die Anzunehmende im Januar 1985 als Kind angenommen. Die Eheleute trennten sich bereits wieder im September 1985; ihre Ehe wurde 1987 geschieden. Herr B. und die Anzunehmende haben keinen Kontakt mehr. In den Jahren 1994 bis 1996 lebte die Anzunehmende als Pflegekind in der Familie des Beteiligten zu 1, der ebenfalls erneut geheiratet hatte. Aus der späteren Ehe des Beteiligten zu 1 ist eine weitere Tochter hervorgegangen, zu der er nach der Scheidung dieser Ehe keinen Kontakt mehr unterhält.
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Durch notarielle Urkunde vom September 2012 hat der Beteiligte zu 1 die Annahme der Anzunehmenden als Kind beantragt, und zwar mit den Wirkungen der Annahme nach den Vorschriften über die Annahme eines Minderjährigen, hilfsweise mit den Wirkungen einer Erwachsenenadoption. Die Anzunehmende hat diesem Antrag zugestimmt, die Beteiligte zu 2 und die Beteiligte zu 3 (jetzige Ehefrau des Beteiligten zu 1) haben in derselben Urkunde ihr Einverständnis erklärt. Durch weitere notarielle Urkunde vom Oktober 2012 hat auch der Adoptivvater der Anzunehmenden sein Einverständnis mit der Adoption erklärt.
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Das Amtsgericht hat beschlossen, dass die Anzunehmende vom Beteiligten zu 1 als Kind angenommen wird. Den weitergehenden Antrag, die Adoption mit den Wirkungen einer Minderjährigenadoption auszusprechen, hat es zurückgewiesen, weil keine der Voraussetzungen des § 1772 Abs. 1 BGB vorlägen. Mit seiner Beschwerde hat der Beteiligte zu 1 neben der nach wie vor erstrebten Volladoption die Feststellung begehrt, dass durch diese Adoption das Verwandtschaftsverhältnis zur leiblichen Mutter der Anzunehmenden nicht erlösche. Das Oberlandesgericht hat die Beschwerde zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich der Beteiligte zu 1 mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde.
II.
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Die Rechtsbeschwerde ist unbegründet. Das Oberlandesgericht hat die Beschwerde zu Recht zurückgewiesen.
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1. Das Beschwerdegericht hat seine Entscheidung damit begründet, dass die vollständige Wiederherstellung des Zustandes, der vor der im Jahr 1985 erfolgten Adoption der Anzunehmenden durch Herrn B. bestanden habe, nach geltendem Recht nicht möglich sei. Eine Wiederherstellung durch Aufhebung des Annahmeverhältnisses sei mangels Vorliegens der Voraussetzungen der §§ 1760, 1763 BGB nicht möglich.
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Der von den Beteiligten beschrittene Weg einer Rückadoption könne nicht zu dem mit der Beschwerde erstrebten Ergebnis führen. Eine Adoption durch einen leiblichen Elternteil nach einer vorangegangenen Adoption sei grundsätzlich möglich, so dass die (rechtliche) Verwandtschaft eines Elternteils mit dem Kind, die durch die Erstadoption beendet worden sei, durch die Zweitadoption wiederhergestellt werden könne.
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Die nunmehr von den Beteiligten noch gewünschte Erweiterung auf eine Annahme mit den Wirkungen der Minderjährigenannahme unter gleichzeitiger Feststellung, dass das Verwandtschaftsverhältnis der Anzunehmenden mit ihrer Mutter aufrechterhalten bleibe, sei mit dem Gesetz nicht vereinbar, so dass die vom Amtsgericht verneinte Frage, ob die Voraussetzungen des § 1772 BGB vorlägen, keiner Entscheidung bedürfe. Der Gesetzgeber habe in § 1755 Abs. 1 Satz 1 BGB, auf den § 1772 Abs. 1 BGB ausdrücklich verweise, angeordnet, dass mit der Annahme als Kind das Verwandtschaftsverhältnis des Kindes zu seinen bisherigen Verwandten erlösche. Diese Anordnung erfolge ohne Differenzierung danach, ob die Annahme durch ein Ehepaar oder eine einzelne Person erfolge. Nach den Gesetzesmaterialien sei dies bei der Volladoption “unerlässlich”, obwohl Fälle gesehen worden seien, in denen auch nach der Adoption weiterhin enge Beziehungen zu den leiblichen Eltern bestünden.
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Vor diesem Hintergrund bestehe keine Möglichkeit zu der von den Beteiligten gewünschten Volladoption bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung der Verwandtschaft zur leiblichen Mutter. Dadurch würde eine “Hybridform” von Voll-adoption und schwacher Volljährigenadoption geschaffen, obwohl in den Gesetzesmaterialien ausdrücklich ein Bedürfnis für weitere Adoptionsformen verneint worden sei. Möge diese Frage heute anders zu beurteilen sein, sei es jedoch Sache des Gesetzgebers, hierüber zu entscheiden.
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Der Fall der Beteiligten lasse auch nicht erkennen, dass dadurch ein erheblicher Nachteil entstehe. Durch die inzwischen erfolgte Adoption sei die Anzunehmende nunmehr wieder mit ihrem leiblichen Vater verwandt. Durch eine Annahme mit der Wirkung der Minderjährigenannahme würde sich für den Beteiligten zu 1 rechtlich kaum etwas ändern. Er sei bereits aufgrund der Erwachsenenadoption wieder mit seiner Tochter und deren möglichen künftigen Abkömmlingen verwandt, allenfalls könnte er noch eine Verschwägerung mit einem künftigen Ehe- oder Lebenspartner seiner Tochter erreichen. Für die Anzunehmende brächte eine Annahme mit der Wirkung der Minderjährigenannahme lediglich eine Verschwägerung mit der jetzigen Ehefrau des Beteiligten zu 1 sowie eine Verwandtschaft mit seinen Verwandten, also insbesondere dessen Eltern, falls diese noch lebten, und seiner weiteren Tochter aus einer anderen Ehe. Es sei weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass hieran bei den Beteiligten ein besonderes Interesse bestehe.
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2. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung sowie den Angriffen der Rechtsbeschwerde stand.
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a) Im Rechtsbeschwerdeverfahren ist zwar – worauf die Rechtsbeschwerde zu Recht hinweist – zugunsten des Beteiligten zu 1 zu unterstellen, dass die Voraussetzungen des § 1772 BGB für eine Annahme der volljährigen Anzunehmenden mit den Wirkungen der Minderjährigenannahme erfüllt sind, weil das Beschwerdegericht diese Frage offengelassen hat. Da der Beteiligte zu 1 sein ursprüngliches Rechtsschutzbegehren, also die Volladoption gemäß § 1772 BGB, der Sache nach aber von der gleichzeitigen Feststellung abhängig gemacht hat, dass durch diese Adoption das Verwandtschaftsverhältnis zu der leiblichen Mutter der Anzunehmenden nicht erlösche, kommt es für den Erfolg der Rechtsbeschwerde maßgeblich auf die – hier zu verneinende – Frage an, ob eine solche Feststellung gerechtfertigt wäre.
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b) Zu Recht ist das Beschwerdegericht von dem Grundsatz ausgegangen, dass mit der Annahme eines Volljährigen dessen Verwandtschaftsverhältnis zu den leiblichen Verwandten erlischt, wenn das Gericht bei der Annahme bestimmt, dass sich die Wirkungen der Annahme nach den Vorschriften über die Annahme eines Minderjährigen richten (§ 1772 Abs. 1 Satz 1 iVm § 1755 Abs. 1 Satz 1 BGB; Volljährigenadoption mit “starker Wirkung” – Senatsbeschluss vom 11. November 2009 – XII ZR 210/08 – FamRZ 2010, 273 Rn. 9).
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Eine Ausnahme hiervon sieht § 1755 Abs. 2 BGB vor, der gemäß § 1772 Abs. 1 Satz 1 BGB ebenfalls auf die Volljährigenadoption Anwendung findet. Danach tritt das Erlöschen nur im Verhältnis zu dem anderen Elternteil und dessen Verwandten ein, wenn ein Ehegatte das Kind seines Ehegatten annimmt. Mit dieser Regelung hat der Gesetzgeber bezweckt, dass das Verwandtschaftsverhältnis des Ehegatten des Annehmenden zu seinem Kind nicht erlischt, sondern zum ehelichen Eltern-Kind-Verhältnis erstarkt. Erlöschen soll nur das Verwandtschaftsverhältnis zu dem anderen Elternteil und dessen Verwandten (BT-Drucks. 7/3061 S. 43). Damit unterliegt die Stiefkindadoption einer Sonderregelung, weil die Verwurzelung in dessen Familie durch die Adoption gerade gestärkt werden soll (juris PK-BGB 6. Aufl./Heiderhoff § 1755 Rn. 7;s. auch BT-Drucks. 7/3061 S. 22). Mit der Regelung des § 1755 Abs. 2 BGB, dessen tatbestandliche Voraussetzungen hier aber nicht vorliegen, soll mithin die Stieffamilie in ihrem Zusammenhalt geschützt und damit dem besonderen Schutz der Familie gemäß Art. 6 Abs. 1 GG Rechnung getragen werden (vgl. auch LG Düsseldorf NJWE-FER 2001, 9, 10). Geschiedene und damit getrennt lebende Eheleute bedürfen demgegenüber eines solchen Schutzes nicht, weshalb es entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde insofern an einer ungerechtfertigten Ungleichbehandlung i.S.d. Art. 3 Abs. 1 GG fehlt.
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Sofern die Rechtsbeschwerde meint, die Wirkungen des § 1755 Abs. 2 BGB könnten auch dadurch erreicht werden, dass sich die leiblichen Eltern der Anzunehmenden jeweils von ihren Ehegatten scheiden ließen und erneut miteinander die Ehe eingingen, ist diese rechtliche Möglichkeit im Hinblick auf die Wirkung der neuen Ehe der Eltern mit der vorliegenden Konstellation nicht vergleichbar.
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Würde man dem Begehren des Annehmenden Folge leisten, würde dies zudem auch eine Umgehung der – restriktiv zu handhabenden – Aufhebungsvorschriften des Adoptionsrechts darstellen, weil auf diesem Wege letztlich der Zustand wiederhergestellt würde, der vor der Annahme der Anzunehmenden durch Herrn B. bestanden hat.
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c) Schließlich hat das Beschwerdegericht zutreffend aufgezeigt, dass die Beteiligten durch die gesetzliche Regelung im vorliegenden Fall keinen erheblichen Nachteil erleiden. Durch die vom Amtsgericht ausgesprochene Volljährigenadoption nach §§ 1767, 1770 BGB ist das natürliche Verwandtschaftsverhältnis zwischen dem Beteiligten zu 1 und der Anzunehmenden in statusrechtlicher Hinsicht wiederhergestellt worden (vgl. LG Düsseldorf NJWE-FER 2001, 9, 11 f.; s. auch BT-Drucks. 12/2506 S. 6 f.).
Dose Weber-Monecke Schilling
Nedden-Boeger Guhling