Familienrecht

Anhörungsrüge wegen einer Entscheidung im Rechtsbeschwerdeverfahren ohne mündliche Verhandlung

Aktenzeichen  I ZB 90/18

Datum:
19.12.2019
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BGH
Dokumenttyp:
Beschluss
ECLI:
ECLI:DE:BGH:2019:191219BIZB90.18.1
Normen:
Art 103 Abs 1 GG
§ 128 Abs 4 ZPO
§ 321a ZPO
§ 577 Abs 6 S 1 ZPO
§ 1059 Abs 2 ZPO
§ 1063 Abs 2 Alt 2 ZPO
§ 1065 Abs 1 ZPO
Spruchkörper:
1. Zivilsenat

Verfahrensgang

vorgehend BGH, 18. Juli 2019, Az: I ZB 90/18, Beschlussvorgehend OLG Düsseldorf, 26. Oktober 2018, Az: I-4 Sch 9/17

Tenor

Die Anhörungsrüge gegen den Senatsbeschluss vom 18. Juli 2019 wird auf Kosten der Schiedsbeklagten zurückgewiesen.

Gründe

1
I. Die gemäß § 321a ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige Anhörungsrüge ist nicht begründet. Der Anspruch der Schiedsbeklagten aus Art. 103 Abs. 1 GG auf rechtliches Gehör ist durch den Senatsbeschluss vom 18. Juli 2019 (I ZB 90/18, WM 2019, 1973) nicht verletzt.
2
1. Das Gebot rechtlichen Gehörs verpflichtet ein Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen, nicht jedoch, der von den Beteiligten vertretenen Rechtsansicht zu folgen. Die Verfahrensgarantie des Art. 103 Abs. 1 GG ist erst verletzt, wenn sich im Einzelfall klar ergibt, dass das Gericht dieser Pflicht nicht nachgekommen ist. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass die Gerichte das von ihnen entgegengenommene Parteivorbringen zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen haben. Sie sind dabei nicht verpflichtet, sich mit jedem Vorbringen in den Entscheidungsgründen ausdrücklich zu befassen. Ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG kommt erst in Betracht, wenn im Einzelfall besondere Umstände die Annahme rechtfertigen, dass Vorbringen der Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist (vgl. BVerfG, NJW 2009, 1584 f. [juris Rn. 14] mwN; FamRZ 2013, 1953 Rn. 14). Ein Gericht verstößt außerdem gegen den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs, wenn es ohne vorherigen Hinweis Anforderungen an den Sachvortrag stellt oder auf rechtliche Gesichtspunkte abstellt, mit denen auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht zu rechnen brauchte (BVerfG, NJW 2003, 2524 [juris Rn. 11]).
3
2. Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs der Schiedsbeklagten liegt danach nicht vor.
4
a) Die Schiedsbeklagte macht vergeblich geltend, eine Gehörsverletzung liege darin, dass der Senat entgegen § 1063 Abs. 2 Fall 2 ZPO ohne vorherige mündliche Verhandlung entschieden habe.
5
aa) Im Vollstreckbarerklärungsverfahren ist gemäß § 1063 Abs. 2 Fall 2 ZPO eine mündliche Verhandlung erforderlich, wenn Aufhebungsgründe nach § 1059 Abs. 2 ZPO in Betracht kommen. Das ist der Fall, wenn solche Gründe begründet geltend gemacht worden sind (BGH, Beschluss vom 15. Juli 1999 – III ZB 21/98, BGHZ 142, 204, 207 [juris Rn. 7]; Beschluss vom 2. März 2017 – I ZB 42/16, SchiedsVZ 2017, 200 Rn. 24). Die Vorschrift des § 1063 Abs. 2 Fall 2 ZPO gilt für das Verfahren, in denen die Oberlandesgerichte gemäß § 1062 Abs. 1 Nr. 4 ZPO über Anträge betreffend die Vollstreckbarerklärung des Schiedsspruchs (§§ 1060 ff. ZPO) entscheiden. Das Oberlandesgericht hat im vorliegenden Verfahren seine Entscheidung über den Antrag der Schiedsbeklagten auf Vollstreckbarerklärung des Kostenausspruchs des Schiedsspruchs und den Antrag der Schiedsklägerin, diesen Antrag unter Aufhebung des Schiedsspruchs abzulehnen, aufgrund mündlicher Verhandlung getroffen.
6
bb) Der Senat war nicht gehalten, im Rechtsbeschwerdeverfahren eine mündliche Verhandlung durchzuführen. Die Vorschrift des § 1063 Abs. 2 Fall 2 ZPO ist auf das Rechtsbeschwerdeverfahren vor dem Bundesgerichtshof nicht anwendbar (aA MünchKomm.ZPO/Münch, 5. Aufl. 2017, § 1065 Rn. 16). Es gilt vielmehr § 128 Abs. 4 ZPO, der bei Rechtsbeschwerden nach § 1065 Abs. 1, § 577 Abs. 6 Satz 1 ZPO zwar grundsätzlich die Möglichkeit eröffnet, mündlich zu verhandeln (BGH, Beschluss vom 31. Oktober 2018 – I ZB 2/15, SchiedsVZ 2019, 46 Rn. 73; BeckOK.ZPO/Wilske/Markert, 34. Edition [Stand: 1. September 2019], § 1065 Rn. 16). Nachdem die Schiedsbeklagte sich im Rechtsbeschwerdeverfahren umfangreich schriftlich geäußert hatte, bestand hierfür jedoch keine Veranlassung.
7
b) Die Schiedsbeklagte macht ohne Erfolg geltend, der Senatsbeschluss stelle eine unzulässige Überraschungsentscheidung dar, weil auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessvertreter mit dieser Entscheidung nicht habe rechnen müssen.
8
aa) Die Schiedsbeklagte rügt als überraschend die Auffassung des Senats, das Oberlandesgericht habe sich nicht in der zur Wahrung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör gebotenen Weise erkennbar mit dem Vorbringen der Schiedsklägerin befasst, das Schiedsgericht habe ihre Kernargumentation zum Hauptantrag 1 a außer Acht gelassen und über ihn stattdessen auf der Grundlage eines nicht von der Schiedsklägerin gehaltenen Vortrags entschieden. Damit kann die Anhörungsrüge keinen Erfolg haben.
9
bb) Ein kundiger Prozessbeteiligter musste im Rechtsbeschwerdeverfahren zu dieser Frage Stellung nehmen. Die Schiedsbeklagte macht auch nicht geltend, sie habe hierzu vor der Entscheidung durch den Senat keine Gelegenheit gehabt. Sie verweist vielmehr darauf, dass sie in der Rechtsbeschwerdeerwiderung dazu vorgetragen habe, weshalb ihrer Ansicht nach weder das Oberlandesgericht noch das Schiedsgericht den Anspruch der Schiedsklägerin auf rechtliches Gehör verletzt hätten. Der Sache nach macht sie mithin geltend, der Senat habe die Frage, ob eine Gehörsverletzung auf Seiten des Schiedsgerichts und des Oberlandesgerichts vorgelegen habe, anders beurteilen müssen. Darin liegt kein Gehörsverstoß.
10
cc) Die Schiedsbeklagte rügt außerdem ohne Erfolg, es sei überraschend, dass der Senat angenommen habe, die Wiedergabe des Hauptantrags 1 a oder einzelner Erwägungen der Schiedsklägerin als Parteivortrag schlössen einen Gehörsverstoß durch das Schiedsgericht und das Oberlandesgericht nicht aus. Ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG könne nur dann festgestellt werden, wenn sich aus besonderen Umständen ergebe, dass das Gericht seiner Pflicht zur Berücksichtigung des Vortrags einer Partei nicht nachgekommen sei.
11
Der Senat hat im Beschluss vom 18. Juli 2019 in den Randnummern 16 bis 30 im Einzelnen begründet, warum im vorliegenden Fall solche besonderen Umstände vorlagen, die darauf hindeuten, dass entgegen der Ansicht des Oberlandesgerichts der wesentliche Kern des Tatsachenvortrags der Schiedsklägerin bei der Entscheidung des Schiedsgerichts nicht in Erwägung gezogen worden ist und dass es in einem solchen Fall ohne Belang ist, dass das Gericht oder Schiedsgericht einen Klageantrag in seiner Entscheidung zutreffend wiedergegeben hat.
12
Der Senat hat den Schiedsspruch damit entgegen der Ansicht der Anhörungsrüge nicht einer révision au fond unterzogen, sondern ist angesichts der besonderen Umstände des Falls zu dem Ergebnis gelangt, dass die Wiedergabe von Parteivorbringen der Annahme eines Gehörsverstoßes nicht entgegensteht.
13
dd) Die Schiedsbeklagte macht vergeblich geltend, der Senatsbeschluss vom 18. Juli 2019 stelle sich als Überraschungsentscheidung dar, weil der Senat im Rahmen seiner Erwägungen zur Entscheidungserheblichkeit der angeblichen Gehörsverletzung zu Lasten der Schiedsklägerin von einem Leistungsbestimmungsrecht des Schiedsgerichts ausgegangen sei, zu dem die Schiedsklägerin nichts vorgetragen habe. Der Senat hat auch in diesem Zusammenhang keine das Grundrecht der Schiedsbeklagten auf rechtliches Gehör verletzende Überraschungsentscheidung getroffen. Er ist auch nicht von einem Leistungsbestimmungsrecht des Schiedsgerichts ausgegangen.
14
(1) Von einer Entscheidungserheblichkeit einer Gehörsverletzung ist auszugehen, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Gericht ohne die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör zu einer anderen Entscheidung gekommen wäre (BGH, Beschluss vom 3. Dezember 2013 – XI ZR 301/11, NJW-RR 2014, 381 Rn. 12). Das war hier nach dem Vorbringen der Schiedsklägerin der Fall.
15
(2) Der Senat hat in Randnummer 39 des Beschlusses vom 18. Juli 2019 die Gehörsverletzung durch das Schiedsgericht und durch das Oberlandesgericht im Hinblick auf den Vortrag der Schiedsklägerin als entscheidungserheblich angesehen, nach der im finnischen Vertragsrecht geltenden allgemeinen Vermutung der Entgeltlichkeit habe der Besteller eine angemessene, unter Berücksichtigung aller Umstände marktgerechte Vergütung zu zahlen, wenn für eine tatsächlich erbrachte Leistung eine Vergütung nicht ausdrücklich vereinbart sei. Es sei Aufgabe des Leistungsempfängers, hier der Beklagten, nachzuweisen, dass die betreffende Leistung ausnahmsweise ohne Vergütung oder für eine geringere als die angemessene Vergütung erbracht werden sollte. Der Senat hat diese Auslegung des finnischen Rechts, die einen vertraglichen Anspruch der Schiedsklägerin gemäß Hauptantrag 1 a ganz oder teilweise begründen könnte, als möglich und nicht fernliegend angesehen und eine Entscheidungserheblichkeit des Gehörsverstoßes des Schiedsgerichts und des Oberlandesgerichts deshalb als gegeben angesehen.
16
II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO analog.
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Schaffert     
        
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