Familienrecht

Anordnung einer Betreuung gegen den Willen des Betroffenen

Aktenzeichen  64 T 2637/19, 64 T 2733/19

Datum:
4.9.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 43830
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Landshut
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 104 Nr. 2, § 1896 Abs. 1a, § 1897 Abs. 1, § 1903 Abs. 1
FamFG § 38 Abs. 3

 

Leitsatz

1. Der Aufgabenkreis der Gesundheitsfürsorge ist einem Betreuer zu übertragen, wenn der Betroffene behandlungsbedürftig ist, eine Behandlung allerdings ablehnt; in diesem Fall fehlt ihm entweder die erforderliche Krankheitseinsicht oder er kann krankheitsbedingt jedenfalls nicht entsprechend handeln.  (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Aufgabenkreis Wohnungsangelegenheiten und der Vertretung in Arbeitsangelegenheiten ist einem Betreuer zu übertragen; der Betroffene verfügt über keinen festen Wohnsitz, er hat seine Wohnung und seine Arbeitsstelle unter dem Einfluss der psychotischen Symptomatik gekündigt. Die Folgen dieser Kündigungen, die durchaus existentielle Auswirkungen haben können, kann der Betroffene krankheitsbedingt offenbar im Moment nicht überblicken. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
3. Soweit das Amtsgericht als Aufgabenkreis noch die Vertretung gegenüber Behörden, Versicherungen und Renten- und Sozialleistungsträgern angeordnet hat, handelt es sich in Wirklichkeit um keinen eigenen Aufgabenkreis, sondern um eine automatische Folge der angeordneten Aufgabenkreise, die nur klarstellend zusätzlich aufgenommen wurde. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)
4. § 1896 Abs. 1a BGB sieht vor, dass ein Betreuer nicht gegen den freien Willen des Volljährigen bestellt werden darf. Ist der Betroffene allerdings krankheitsbedingt nicht in der Lage, seinen Willen frei zu bestimmen und entsprechend dieser Einsicht zu handeln, muss davon ausgegangen werden, dass er zu einer freien Willensbildung nicht in der Lage ist. Die Betreuung kann dann auch gegen seinen Willen angeordnet werden. (Rn. 30 – 33) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

XVII 114/19 2019-07-19 AGERDING AG Erding

Tenor

I. Die Beschwerden des Betroffenen gegen die Beschlüsse des Amtsgerichts Erding vom 19.06.2019 und 19.07.2019, Az XVII 114/19 werden zurückgewiesen.
II. Der Gegenstandswert wird auf 5000 € festgesetzt.

Gründe

I.
Am 13.02.2019 ging beim Amtsgericht Erding für den Betroffenen eine Betreuungsanregung durch das Amt für Soziales der Stadt D. ein. Der Betroffene leide an einer Zwangserkrankung. Zudem habe der Betroffene seine Wohnung gekündigt und es drohe Obdachlosigkeit. Wegen der Einzelheiten wird auf Bl. 1/3 d.A. Bezug genommen.
Am 13.03.2019 ging die Stellungnahme der Betreuungsstelle des Landratsamtes Erding beim Amtsgericht ein. Auf Bl. 5/7 d.A. wird Bezug genommen.
Mit Beschluss vom 13.03.2019 hat das Amtsgericht die Erholung eines Gutachtens zu den medizinischen Voraussetzungen einer Betreuung angeordnet und Dr. S. zum Sachverständigen bestellt.
Dieser erstattete sein schriftliches Sachverständigengutachten am 29.03.2019. Auf Bl. 10/18 d.A. wird Bezug genommen.
Mit Beschluss vom 04.04.2019 hat das Amtsgericht dem Betroffenen einen Verfahrenspfleger bestellt. Dieser hat mit Schriftsatz vom 23.04.2019 Stellung genommen.
Am 12.06.2019 hat das Amtsgericht den Betroffenen in Anwesenheit des Verfahrenspflegers angehört. Auf die Anhörungsniederschrift Bl. 25/26 d.A. wird Bezug genommen.
Mit Beschluss vom 19.06.2019 hat das Amtsgericht die Betreuung angeordnet und als Aufgabenkreise Gesundheitsfürsorge; Entgegennahme, Öffnen und Anhalten der Post im Rahmen der übertragenen Aufgabenkreise; Vertretung gegenüber Behörden, Versicherungen, Renten- und Sozialleistungsträgern; Wohnungsangelegenheiten und Vertretung in gerichtlichen Verfahren bestimmt und als Betreuer Herrn M. bestellt. Als Überprüfungsfrist wurde der 29.03.2021 bestimmt.
Mit Beschluss vom selben Tag hat das Amtsgericht auf Anregung des Verfahrenspflegers zudem eine Gutachtensergänzung durch den Sachverständigen Dr. S. zur Frage der Erforderlichkeit eines Einwilligungsvorbehalts in anderen Aufgabenkreisen als der Vermögenssorge angefordert.
Diese ging schon am selben Tag beim Amtsgericht ein. Auf Bl. 33 wird Bezug genommen.
Mit Schreiben vom 10.07.2019 hat sich der Betroffene gegen den Beschluss vom 19.06.2019 beschwert.
Mit Schriftsatz vom 12.07.2019 hat der Verfahrenspfleger erneut Stellung genommen.
Mit Beschluss vom 19.07.2019 hat das Amtsgericht die Betreuung erweitert um den Aufgabenkreis der Vertretung in Arbeitsangelegenheiten. Zudem hat das Amtsgericht einen Einwilligungsvorbehalt für Willenserklärungen, die die Aufgabenkreise der Wohnungsangelegenheiten und der Arbeitsangelegenheiten betreffend angeordnet.
Mit Schreiben vom 07.08.2019 hat der Betroffene sich auch gegen den Beschluss vom 19.07.2019 beschwert.
Mit Beschluss vom 21.08.2019 hat das Amtsgericht den Beschwerden nicht abgeholfen und die Akten dem Landgericht vorgelegt.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
II.
Die zulässigen Beschwerden erweisen sich als unbegründet.
Das Amtsgericht hat mit Beschluss vom 19.06.2019 die Betreuung zu Recht angeordnet und mit Beschluss vom 19.07.2019 zu Recht um den Aufgabenkreis der Vertretung in Arbeitsangelegenheiten sowie um einen Einwilligungsvorbehalt für die Bereiche der Wohnungsangelegenheiten und Arbeitsangelegenheiten erweitert.
1. Die Voraussetzungen für die Anordnung der Betreuung liegen gemäß § 1896 Abs. 1 BGB vor. Nach dieser Vorschrift ordnet das Betreuungsgericht die Bestellung eines Betreuers an, wenn ein Volljähriger auf Grund einer psychischen Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung seine Angelegenheiten ganz oder teilweise nicht selbst besorgen kann.
Nach den Feststellungen des Amtsgerichts leidet der Betroffene an einer Zwangsstörung. Zudem besteht der Verdacht auf eine paranoide Psychose.
Eine Betreuung ist für die Bereiche der Gesundheitsfürsorge, der Wohnungsangelegenheiten; der Vertretung gegenüber Behörden, Versicherungen, Renten- und Sozialleistungsträgern sowie der Entgegennahme, Öffnen und Anhalten der Post, der Vertretung in gerichtlichen Verfahren und der Vertretung in Arbeitsangelegenheiten erforderlich.
Dies folgt aus dem Ergebnis der gerichtlichen Ermittlungen, insbesondere aus dem Gutachten des Sachverständigen Dr. med. S. 29.03.2019 sowie der Ergänzung vom 13.06.2019. Die Ausführungen des Sachverständigen halten einer kritischen Überprüfung stand.
Der Sachverständige stellte bei dem Betroffenen eine Zwangsstörung mit Folgen Zwangshandlungen fest (F42.1). Zudem besteht der Verdacht auf eine paranoide Psychose (F20.0). Dies stellen psychische Erkrankungen im Sinne des § 1896 Abs. 1 BGB dar. Das Gutachten ist glaubhaft. Der Sachverständige bezog sich auf die von ihm am 26.03.2019 durchgeführte Untersuchung des Betroffenen. Die Sachkunde des Gutachters steht außer Zweifel. Der Gutachter ist glaubwürdig und hat kein eigenes Interesse am Ergebnis der Begutachtung. Er ist der Kammer als langjähriger und erfahrener Sachverständiger bekannt.
Die vom Amtsgericht angeordneten Aufgabenkreise sind für die Kammer nachvollziehbar.
Der Aufgabenkreis der Gesundheitsfürsorge liegt auf der Hand. Der Behandlungsbedürftigkeit des Betroffenen ist offensichtlich. Eine Behandlung lehnt der Betroffene allerdings ab. Entweder fehlt dem Betroffenen die erforderliche Krankheitseinsicht oder er kann krankheitsbedingt jedenfalls nicht entsprechend handeln. Zudem strebt der Betroffene geprägt vom Einfluss der psychotischen Symptomatik eine Sterilisation an, für die es keinen vernünftigen Grund gibt. Den Bereich der Gesundheitsfürsorge kann der Betroffene daher nicht mehr selbst besorgen.
Auch der Aufgabenkreis Wohnungsangelegenheiten und der Vertretung in Arbeitsangelegenheiten ist nicht zu beanstanden. Der Betroffene verfügt über keinen festen Wohnsitz. Seine Wohnung hat er – wie seine Arbeitsstelle ebenfalls – geprägt vom Einfluss der psychotischen Symptomatik gekündigt. Die Folgen dieser Kündigungen, die durchaus existentielle Auswirkungen haben können, kann der Betroffene krankheitsbedingt offenbar im Moment nicht überblicken. Deshalb kann er diese Aufgabenbereiche momentan nicht selbst besorgen.
Der Betreuer benötigt, um die ihm übertragenen Aufgabenkreise ordnungsgemäß wahrnehmen zu können, Kontrolle über die Post des Betroffenen. Der Betroffene ist der Meinung, dass er seine Angelegenheiten selbst besorgen kann. Es ist deshalb nicht davon auszugehen, dass der Betroffene eingehende Briefe von sich aus dem Betreuer aushändigen wird.
Soweit das Amtsgericht als Aufgabenkreis noch die Vertretung gegenüber Behörden, Versicherungen und Renten- und Sozialleistungsträgern angeordnet hat, handelt es sich in Wirklichkeit um keinen eigenen Aufgabenkreis, sondern um eine automatische Folge der angeordneten Aufgabenkreise, die nur klarstellend mitaufgenommen wurde.
Der Betroffene betreibt derzeit ein Gerichtsverfahren beim Sozialgericht, so dass der Aufgabenkreis der Vertretung in gerichtlichen Verfahren für die Kammer ebenfalls nachvollziehbar ist.
2. Die Betreuung kann auch gegen den Willen des Betroffenen angeordnet werden.
a) § 1896 Abs. 1a BGB sieht vor, dass gegen den freien Willen des Volljährigen ein Betreuer nicht bestellt werden darf. Wenn der Betroffene der Einrichtung einer Betreuung nicht zustimmt, ist neben der Notwendigkeit einer Betreuung stets zu prüfen, ob die Ablehnung durch den Betroffenen auf einem freien Willen beruht. Das Gericht hat daher festzustellen, ob der Betroffene trotz seiner Erkrankung noch zu einer freien Willensbestimmung fähig ist. Dabei ist der Begriff der freien Willensbestimmung im Sinne des § 1896 Abs. 1a BGB und des § 104 Nr. 2 BGB im Kern deckungsgleich. Die beiden entscheidenden Kriterien sind dabei die Einsichtsfähigkeit des Betroffenen und dessen Fähigkeit, nach dieser Einsicht zu handeln. Fehlt es an einem dieser beiden Elemente, liegt kein freier, sondern nur ein natürlicher Wille vor. Einsichtsfähigkeit setzt die Fähigkeit des Betroffenen voraus, im Grundsatz das für und wider eine Betreuerbestellung sprechenden Gesichtspunkte zu erkennen und gegeneinander abzuwägen. Dabei dürfen jedoch keine überspannten Anforderungen an die Auffassungsgabe des Betroffenen gestellt werden. Der Betroffene muss Grund, Bedeutung und Tragweite einer Betreuung intellektuell erfassen können. Die Einsichtsfähigkeit in den Grund der Betreuung setzt dabei denknotwendig voraus, dass der Betroffene seine Defizite wenigstens im Wesentlichen zutreffend einschätzen kann. Nur dann ist es ihm nämlich möglich, die für und gegen eine Betreuung sprechenden Umstände gegeneinander abzuwägen. Ist der Betroffene danach zur freien Willensbestimmung fähig, darf gegen seinen ausdrücklich erklärten Willen keine Betreuung angeordnet werden. Das gilt auch dann, wenn eine Betreuung für den Betroffenen objektiv vorteilhaft wäre (BGH, Beschluss vom 14.03.2012, Az.: XII ZB 502/11; BGH, Beschluss vom 09.02.2011, FamRZ 2011, 630).
b) Der Sachverständige stellte fest, dass der Betroffene im Rahmen seiner Erkrankung unter psychopathologischen Beeinträchtigungen leidet. Es bestehen inhaltliche Denkstörungen, Ich-Störungen, Zwangshandlungen, ein zum Teil ausgeprägtes Wahngebilde sowie in Teilen eine eingeschränkte Urteils- und Kritikfähigkeit sowie ein eingeschränkter Realitätsbezug. Der Betroffene ist krankheitsbedingt nicht in der Lage, seinen Willen frei zu bestimmen und entsprechend dieser Einsicht zu handeln. Seine Entscheidungen sind geprägt vom Einfluss psychotischer Symptomatik.
Die Kammer hat keinen Zweifel an den Ausführungen des Sachverständigen.
Vor diesem Hintergrund muss davon ausgegangen werden, dass der Betroffene zu einer freien Willensbildung nicht in der Lage ist. Die Betreuung kann deshalb auch gegen den Willen des Betroffenen angeordnet werden.
3. Gegen die Auswahl des Betreuers bestehen keine Bedenken.
Nach § 1897 Abs. 1 BGB bestellt das Betreuungsgericht eine natürliche Person, die geeignet ist, in dem gerichtlich bestimmten Aufgabenkreis die Angelegenheiten des Betreuten rechtlich zu besorgen und ihn in dem hierfür erforderlichen Umfang persönlich zu betreuen.
Es gibt vorliegend keine objektiven Anhaltspunkte dafür, dass der Berufsbetreuer Herr M., für die hier maßgeblichen Aufgabenkreise ungeeignet sein sollte.
3. Es liegen auch die Voraussetzungen für die Anordnung eines Einwilligungsvorbehaltes nach § 1903 Abs. 1 BGB vor. Nach dieser Vorschrift ordnet das Betreuungsgericht an, dass der Betreute zu einer Willenserklärung, die den Aufgabenkreis des Betreuers betrifft, dessen Einwilligung bedarf, soweit dies zur Abwendung einer erheblichen Gefahr für die Person des Betreuten erforderlich ist.
Vorliegend ist ein Einwilligungsvorbehalt für die Aufgabenkreise der Wohnungsangelegenheiten und Arbeitsangelegenheiten erforderlich. Wie bereits ausgeführt hat der Betroffene unter dem Einfluss der bestehenden psychotischen Symptomatik sowohl seine Wohnung als auch seine Arbeitsstelle gekündigt. Der Betroffene neigt offenbar im derzeitigen Zustand zu nicht nachvollziehbaren und objektiv schädlichen Kündigungen, die sogar existentielle Folgen haben können, was der Betroffene aber krankheitsbedingt nicht erkennt.
III.
Die Kammer konnte ohne Anhörung des Betroffenen entscheiden. Der Betroffene wurde vom Amtsgericht angehört. Von einer erneuten Anhörung durch die Kammer sind keine zusätzlichen Erkenntnisse zu erwarten.
IV.
Der Wert des Beschwerdeverfahrens folgt aus §§ 36, 79 GNotKG.


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