Familienrecht

Aussetzung der Abschiebung, rechtliche Unmöglichkeit, aufenthaltsrechtliche Vorwirkung einer Schwangerschaft, Risikoschwangerschaft, Vaterschaftsanerkennung, erforderliche Unterstützungs- und Betreuungsleistungen durch den (künftigen) Vater

Aktenzeichen  10 CE 21.1460

Datum:
25.5.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 12495
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 60a Abs. 2 S. 1
GG Art. 2 Abs. 2 S. 1, 6
EMRK Art. 8

 

Leitsatz

Verfahrensgang

M 24 E 21.2595 2021-05-19 Bes VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 1.250,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Mit seiner Beschwerde verfolgt der Antragsteller seinen in erster Instanz erfolglosen Antrag, dem Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung aufzugeben, von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen abzusehen und ihm eine Duldungsbescheinigung auszustellen, weiter.
Diesen Antrag hat das Bayerische Verwaltungsgericht München mit dem angefochtenen Beschluss vom 19. Mai 2021 abgelehnt. Eine aus Art. 6 Abs. 1 GG oder Art. 8 EMRK folgende rechtliche Unmöglichkeit der Abschiebung des Antragstellers ergebe sich zunächst nicht mit Blick auf sein Verhältnis zu Frau I. und deren beiden Kindern (mit deutscher Staatsangehörigkeit) aus einer früheren Beziehung. Denn der Antragsteller sei mit Frau I. weder verheiratet noch stehe eine Eheschließung unmittelbar bevor. Die Zuerkennung von Abschiebungsschutz gemäß § 60a Abs. 2 AufenthG komme für den ausländischen Vater eines noch nicht geborenen Kindes aber auch dann in Betracht, wenn eine Gefahrenlage für das ungeborene Kind oder die Mutter (Risikoschwangerschaft) bestehe und die Unterstützung der Schwangeren durch den Abzuschiebenden glaubhaft gemacht werde. Auch diese Voraussetzungen seien vorliegend nicht glaubhaft gemacht. Zwar belegten das fachärztliche Attest vom 6. Mai 2021 und der vorgelegte Auszug aus dem Mutterpass, dass bei der Schwangerschaft der Lebensgefährtin des Antragstellers besondere Risiken (Adipositas, Hypertonie, frühere Sectio und Fehlgeburt im Jahr 2018) bestünden. Keine Angaben mache dieses Attest jedoch darüber, welche Folgen die Risikoschwangerschaft im konkreten Fall habe und auf welche Art und Weise Frau I. auf die Unterstützung des Antragstellers angewiesen sei bzw. ob Frau I. die gegebenenfalls erforderlich werdende Hilfe auch durch die Betreuung im Mutter-Kind-Haus, wo sie mit ihren beiden Kindern untergebracht sei, erhalten könne. Jedenfalls habe der örtlich von der Lebensgefährtin getrennt lebende Antragsteller zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts weder die erforderliche (und schon vor der Geburt des Kindes mögliche) Anerkennung der Vaterschaft noch die sichere Erwartung der gemeinsamen Übernahme der elterlichen Verantwortung sowie Erziehung und Betreuung des Kindes glaubhaft gemacht.
Zur Begründung seiner Beschwerde legt der Antragsteller durch seine Bevollmächtigte eine Kopie der vor dem Standesamt E. am 25. Mai 2021 erfolgten Anerkennung der Vaterschaft (§§ 1592 ff. BGB, Art. 19 EGBGB, §§ 27 und 44 PStG) für das zu erwartende Kind (Entbindungstermin voraussichtlich 7.12.2021) vor und lässt unter Vorlage einer eidesstattlichen Versicherung u.a. seiner Lebensgefährtin vortragen, die gemeinsame Übernahme der Verantwortung für das Kind sei von beiden Eltern geplant. Frau I. benötige den Antragsteller als ihren Partner wegen der Risikoschwangerschaft in greifbarer Nähe. Diese Hilfe könne auch nicht von Sozialarbeitern des Hauses für Mutter und Kind oder der ehrenamtlichen Familienpatin geleistet werden.
Der Antragsgegner tritt der Beschwerde im Wesentlichen mit der Begründung entgegen, eine Erklärung über die Ausübung des gemeinsamen Sorgerechts für das künftige Kind sei nach wie vor nicht vorgelegt worden, weshalb nicht davon ausgegangen werden könne, dass die gemeinsame Übernahme der elterlichen Verantwortung und die gemeinsame Erziehung des Kindes sicher zu erwarten sei. Auch durch die vorgelegten eidesstattlichen Versicherungen sei nicht glaubhaft gemacht, dass Frau I. aufgrund ihrer Schwangerschaft auf die Unterstützung des Antragstellers angewiesen sei; eine gegebenenfalls erforderliche Hilfe und Unterstützung sei durch das Frauenhaus, in dem Frau I. mit ihren beiden Kindern untergebracht sei, möglich.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichts- und Behördenakten verwiesen.
II.
Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Das Beschwerdevorbringen, auf dessen Überprüfung der Senat beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), rechtfertigt im Ergebnis keine Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung.
Der Antragsteller hat auch mit seinem Beschwerdevorbringen den geltend gemachten Rechtsanspruch auf (vorübergehende) Aussetzung der für den 26. Mai 2021 geplanten Abschiebung (Duldung) nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG i.V.m. Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK in Bezug auf die aufenthaltsrechtlichen Vorwirkungen der für 7. Dezember 2021 erwarteten Geburt des gemeinsamen Kindes mit seiner schwangeren Freundin bzw. Lebensgefährtin, Frau I., nicht in einer den Anforderungen des § 123 Abs. 1 und 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO genügenden Weise glaubhaft gemacht.
In der (aufenthaltsrechtlichen) Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Verwaltungsgerichtshofs ist anerkannt, dass Art. 6 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 8 EMRK aufenthaltsrechtliche Vorwirkungen auch schon vor der Geburt des Kindes entfalten und sich daraus unter bestimmten Voraussetzungen auch ein Anspruch auf Zuerkennung von Abschiebungsschutz für den ausländischen Elternteil des (noch ungeborenen) Kindes ergeben kann (vgl. z.B. BVerfG, B.v. 22.5.2018 – 2 BvR 941/18 – juris Rn. 7 ff.; BayVGH, B.v. 8.3.2021 – 19 CE 21.233 – juris Rn. 8 ff; B.v. 28.1.2021 – 10 CE 21.313 – juris Rn. 7; B.v. 12.11.2020 – 10 ZB 20.2257 – juris Rn. 8 jeweils m.w.N.).
Der Antragsteller hat im Beschwerdeverfahren nunmehr die für die Annahme dieser aufenthaltsrechtlichen Vorwirkungen von Art. 6 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 8 EMRK unter anderem erforderliche Anerkennung der Vaterschaft (§§ 1592 ff. BGB) für das noch ungeborene Kind (voraussichtlicher Entbindungstermin: 7.12.2021) durch Vorlage der entsprechenden Urkunde (in Kopie) des Standesamts E. vom 25. Mai 2021 glaubhaft gemacht (vgl. BVerfG, B.v. 22.5.2018 – 2 BvR 941/18 – juris Rn. 8; BayVGH, B.v. 8.3.2021 – 19 CE 21.233 – juris Rn. 9).
Mit dem Verwaltungsgericht geht der Senat auch davon aus, dass bei Frau I., der schwangeren Freundin bzw. Lebensgefährtin des Antragstellers, eine Risikoschwangerschaft aufgrund der bei ihr ärztlich attestierten Risikofaktoren und damit eine Gefahrenlage für das ungeborene Kind oder die Mutter vorliegt (vgl. BayVGH, B.v. 8.3.2021 – 19 CE 21.233 – juris Rn. 11, B.v. 28.1.2021 – 10 CE 21.313 – juris Rn. 7) und deshalb neben den Schutz der Familie nach Art. 6 Abs. 1 GG auch die Schutzpflicht des Staates nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG tritt.
Nicht glaubhaft gemacht hat der Antragsteller jedoch, dass bei seiner Freundin bzw. Lebensgefährtin und werdenden Mutter infolge der Risikoschwangerschaft eine besondere Hilfsbedürftigkeit bzw. ein Unterstützungs- und Betreuungsbedarf vorliegt, aufgrund dessen sie gerade auf die Hilfe und den Beistand des Antragstellers angewiesen ist. Die im Anwendungsbereich von Art. 6 Abs. 1 GG geltende Erwägung, dass Unterstützungs- und Betreuungsleistungen eines nahen Familienangehörigen grundsätzlich nicht durch dritte Personen ersetzt werden können, greift vorliegend nicht, da der Antragsteller und die (werdende) Kindesmutter nicht verheiratet sind (vgl. BVerfG, B.v. 22.5.2018 – 2 BvR 941/18 – juris Rn. 9; BayVGH, B.v. 8.3.2021 – 19 CE 21.233 – juris Rn. 12).
Zu Recht hat diesbezüglich das Verwaltungsgericht festgestellt, dass sich zum Unterstützungs- und Betreuungsbedarf weder das vorgelegte ärztliche Attest über die Risikoschwangerschaft verhält noch den in der Behördenakte enthaltenen Unterlagen tragfähige Hinweise entnehmen lassen. Auch durch die Freundin bzw. Lebensgefährtin des Antragstellers, Frau I., wird eine entsprechende Hilfebedürftigkeit nicht nachvollziehbar dargelegt.
Eine solche Glaubhaftmachung ergibt sich auch nicht aus der mit der Beschwerde vorgelegten eidesstattlichen Versicherung der Freundin bzw. Lebensgefährtin, Frau I., vom 21. Mai 2021, welche die Wohn- und Lebensverhältnisse in dem Mutter-Kind-Haus zum Gegenstand hat. Darin stellt sich diese zwar auf den Standpunkt, dass sie einerseits eine verlässliche Person brauche, die sie jederzeit erreichen könne, falls sie plötzlich ins Krankenhaus müsse, und die ihre vierjährigen Zwillinge betreuen könne, und andererseits dass eine durchgängige Betreuung während der Schwangerschaft in der Einrichtung nicht möglich sei. Frau I. beschreibt allerdings selbst, dass – neben den mehr als 60 Frauen, die in der Einrichtung untergebracht sind – von Montag bis Freitag tagsüber ein sozialpädagogisches Team arbeiten würde, wenngleich aufgrund der Corona-Einschränkungen derzeit auch häufig im Homeoffice. Laut des Internetauftritts der Einrichtung sind im Erdgeschoss des Hauses die Büros der Hausleitung, des sozialpädagogischen Teams, der Verwaltung und der Hauswirtschaftsleitung und die Zentrale. Letztere wiederum ist rund um die Uhr besetzt (vgl. Paritätische Haus für Mutter und Kind M. GmbH, abrufbar unter: https://www.mutter-kind-haus.org/unser-haus/: „Die Zentrale im Eingangsbereich ist als wichtige Schnittstelle im Haus rund um die Uhr besetzt, so dass die Bewohnerinnen (und die Kinder) zu jeder Zeit eine Ansprechperson vorfinden.“), so dass der Lebensgefährtin für den von ihr geltend gemachten Hilfebedarf eine Vielzahl von unterstützenden Personen zur Seite stehen kann. Zudem trägt die Lebensgefährtin selbst vor, dass sie bereits seit Jahren durch eine ehrenamtliche Familienpatin am Wochenende unterstützt wird.
Abgesehen davon ist weder substantiiert vorgetragen noch gar glaubhaft gemacht, dass der Antragsteller den von der Lebensgefährtin reklamierten Hilfebedarf überhaupt decken könnte. Er wohnt nicht in M., sondern in K., und ist demzufolge nicht sofort erreichbar. Sein Aufenthalt in der Einrichtung war und ist offensichtlich auf nicht näher dargelegte „regelmäßige“ Besuche, also zeitlich begrenzte Anwesenheiten, beschränkt. Der Antragsteller hat auch nicht vorgetragen, dass er die Kinder der Lebensgefährtin jemals allein betreut hätte oder dass ihm dies – etwa in seiner Unterkunft – möglich wäre. Dass er sich entsprechend seiner im Beschwerdeverfahren vorgelegten eidesstattlichen Versicherung, „manchmal“ mit den Kindern beschäftigt (sie abgeholt, auf den Spielplatz gebracht bzw. andere Aktivitäten unternommen habe) hat, genügt dafür nicht.
Das Vorbringen des Antragstellers zu erforderlichen psychischen Hilfeleistungen ist wenig substantiiert bzw. bleibt im Vagen. Dies gilt auch dann, wenn man die vorgelegte eidesstattliche Versicherung der ehrenamtlichen Familienpatin G.N. vom 9. Mai 2021 (Anlage K 4 zum Eilantrag des Antragstellers: „Seit Frau … Herrn … kennen- und lieben gelernt hat, geht es ihr meiner Einschätzung nach psychisch deutlich besser.“ und „Doch momentan überwiegen ihre Ängste um Herrn …“) mit eher allgemeinen und wenig aussagekräftig gehaltenen Angaben zur Person und dem Verhalten des Antragstellers („…freundlich, aufmerksam, zugewandt und hilfsbereit“) berücksichtigt. Auch der (in der Anlage K 5 zum Eilantrag des Antragstellers) vorgelegte Psychologische Befundbericht der Diplompsychologin und Psychologischen Psychotherapeutin K.M. ändert an dieser Bewertung nichts. Unabhängig davon, dass es sich dabei nach Einschätzung des Senats eher um einen Gefälligkeitsbericht auf Veranlassung „durch einen besorgten Freund der Patientin“, handelt, ist auch der Inhalt dieses Berichts diesbezüglich wenig aussagekräftig. Er übernimmt offensichtlich in unkritischer Weise Einschätzungen „des besorgten Freundes“ und gibt bei den „Angaben zur Symptomatik“ und dem „Psychopathologischen Befund“ im Wesentlichem subjektive Schilderungen der Lebensgefährtin, Frau I., wieder. Unabhängig davon stützten die Ausführungen unter “Psychopathologischer Befund“, die als Diagnose zu werten sind, eine derartige Glaubhaftmachung ohnehin nicht.
Zu Recht hat das Verwaltungsgericht im Übrigen auch festgestellt, dass der Antragsteller und die werdende Mutter, Frau I., nicht in Verhältnissen leben, welche die gemeinsame Übernahme der elterlichen Verantwortung und eine gemeinsame Erziehung und Betreuung des Kindes sicher erwarten lassen (vgl. BayVGH, B.v. 8.3.2021 – 19 CE 21.233 – juris Rn. 9). Eine Erklärung der künftigen Eltern über die Ausübung des gemeinsamen Sorgerechts ist im Gegensatz zur inzwischen erfolgten Vaterschaftsanerkennung (noch) nicht erfolgt. Die Ausführungen zu den nunmehr im verwaltungsgerichtlichen Verfahren erstmalig vorgetragenen Bemühungen um eine gemeinsame Wohnung (vgl. Eidesstattliche Versicherung der Frau I. vom 21.5.2021, Anlage K 4: „Herr … und ich wollen gerne gemeinsam wohnen“ u. „Herr … hat sich ebenso in K. und Umgebung um eine Wohnung für uns bemüht.“ sowie: „Herr … hat auch keine Umverteilung in die Nähe von mir, also in M. beantragt, weil er dies von Anfang an als aussichtslos eingeschätzt hat.“) bleiben ebenso vage wie eine mögliche künftige gemeinsame Wohnung und eine spätere Heirat. Dazu hat der Antragsgegner zutreffend darauf hingewiesen, dass sich Nachweise über eine bereits länger dauernde feste Beziehung und Bemühungen des Antragstellers und seiner Lebensgefährtin zur Begründung einer familiären Lebensgemeinschaft aus den Akten nicht nachvollziehen lassen.
Nach alledem stellt die beabsichtigte Aufenthaltsbeendigung keinen unzumutbaren Eingriff in Grundrechte des Antragstellers dar.
Die Kostenfolge ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht aus § 63 Abs. 2 Satz 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1 und § 52 Abs. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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