Familienrecht

(Befugnis von Rechtspflegern zur Anordnung des Aufgabenkreises Widerruf der Vorsorgevollmacht)

Aktenzeichen  7 T 352/21

Datum:
20.1.2022
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
LG Gera 7. Zivilkammer
Dokumenttyp:
Beschluss
ECLI:
ECLI:DE:LGGERA:2022:0120.7T352.21.00
Normen:
§ 1896 Abs 3 BGB
§ 47 FamFG
§ 15 Abs 1 S 1 Nr 1 RPflG
§ 15 Abs 1 S 2 RPflG
Spruchkörper:
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Leitsatz

Rechtspflegern steht die Befugnis zur Anordnung einer Betreuung mit dem Aufgabenkreis des Widerrufs der Vorsorgevollmacht nicht zu, dies auch nicht nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Satz 2 RPflG i.V.m. § 1896 Abs. 3 BGB.(Rn.24)

Verfahrensgang

vorgehend AG Rudolstadt, 6. Oktober 2021, 2 XVII 195/20

Tenor

1. Die Beschwerde der Frau S. gegen den Beschluss des Amtsgerichts Rudolstadt vom 06.10.2021, Az. 2 XVII 195/20, wird zurückgewiesen.
2. Die Beschwerdeführerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
3. Der Geschäftswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Das Amtsgericht bestellte mit Beschluss vom 10.09.2020 einen sogenannten Kontrollbetreuer im Rahmen einer von der Betroffenen an deren Enkeltochter S. erteilten Vorsorgevollmacht (Bl. 53 – 54).
In seinem drittem Bericht bat der Kontrollbetreuer, die Ausübung der Vorsorgevollmacht durch Frau S. zu überprüfen und ihr diese ggf. zu entziehen, weil diese die Betroffene nach Angaben eines anonymen Zeugen mehrfach lautstark beschimpft, genötigt und wie eine Gefangene gehalten haben soll. Die Klingel sei abgestellt worden, weswegen der Hausarzt den Vertrag bzw. die hausärztliche Versorgung gekündigt habe. Der helfende Pflegedienst sei ebenfalls durch Frau S. abbestellt worden (Bl. 77/78).
Die Rechtspflegerin beim Amtsgericht erweiterte daraufhin mit Beschluss vom 23.06.2021 den Aufgabenkreis des Kontrollbetreuers um den des Widerrufs der erteilten Vorsorgevollmachten (Bl. 79/80), wobei es zudem den Hinweis erteilte, bei der Erweiterung handele es sich lediglich um eine Klarstellung und keine wesentliche Änderung (Bl. 85).
Auf die hiergegen gerichtete Beschwerde der Betroffenen (Bl. 87, 91, 92) hob die Rechtspflegerin mit Beschluss vom 27.07.2021 diesen Beschluss auf (Bl. 94 – 95).
Nach Eingang einer Sachverhaltsermittlung der Betreuungsbehörde vom 30.07.2021 (Bl. 97 – 98) erweiterte die Rechtspflegerin mit Beschluss vom 26.08.2021 erneut den Aufgabenkreis des Kontrollbetreuers um den des Widerrufs der erteilten Vorsorgevollmachten (Bl. 99 – 100).
Mit Schreiben vom 01.09.2021 widerrief der Kontrollbetreuer daraufhin die an Frau S. erteilte Vorsorgevollmacht (Bl. 101). Er regte mit Schreiben vom 06.09.2021 die schnellstmögliche Einsetzung eines Betreuers für die Betroffene an, da viele Dinge ungeklärt seien (Bl. 102 – 105).
Die gegen die erneute Erweiterung des Aufgabenkreises gerichtete Beschwerde der Enkeltochter der Betroffenen und ehemaligen Vorsorgebevollmächtigten ging am 14.09.2021 bei Gericht ein (Bl. 111). Die Betreuungsbehörde nahm mit Schreiben vom 15.09.2021 Stellung und regte die Bestellung des ehemaligen Kontrollbetreuers zum Betreuer an (Bl. 113 – 114).
Die Beschwerdeführerin teilte am 01.10.2021 mit, die Betroffene sei derzeit ohne Betreuung. Sie selbst möchte weiter für ihre Oma sorgen und sei auch als Pflegerin bestellt (Bl. 126 ff.)
Nach Erteilung eines rechtlichen Hinweises am 04.10.2021 durch die Rechtspflegerin (Bl. 125) hob der Richter am Amtsgericht mit Beschluss vom 06.10.2021 den angefochtenen Beschluss der Rechtspflegerin wegen Kompetenzüberschreitung auf (Bl. 134 – 135) und bestellte durch einstweilige Anordnung vom 06.10.2021 einen vorläufigen Betreuer mit umfassenden Aufgabenkreisen für die Betroffene (Bl. 137 – 138).
Die gleichzeitig vom Richter bestellte Verfahrenspflegerin nahm mit Schreiben vom 10.10.2021 Stellung und hält die Voraussetzungen für die Betreuerbestellung für gegeben (Bl. 141 – 142).
Am 15.10.2021 erhob die Enkeltochter der Betroffenen Frau S. Beschwerde gegen den die vorläufige Betreuung anordnenden Beschluss vom 06.10.2021, weil aus ihrer Sicht das Handeln des vorläufigen Betreuers nicht dem Willen der Betroffenen entsprach und diese von der Frau S. betreut werden wolle (Bl. 153 ff.).
Das Amtsgericht half der Beschwerde nicht ab und legte die Sache dem Landgericht Gera zur Entscheidung vor (Bl. 157 – 158).
Die Kammer hat am 11.11.2021 einen rechtlichen Hinweis erteilt (Bl. 159 – 162), auf den die Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 01.12.2021 reagierte (Bl. 169).
Am 10.11.2021 ging das vom Richter am Amtsgericht angeforderte Gutachten des Dr. C. vom 08.11.2021 bei Gericht ein (Bl. 172 – 174).
Die beauftragte Richterin der Kammer hat die Betroffene am 19.01.2022 im Beisein der Verfahrenspflegerin persönlich angehört. Hinsichtlich des Ergebnisses wird auf die Niederschrift vom 19.01.2022 verwiesen.
II.
Die zulässige Beschwerde der Enkeltochter der Betroffenen und ehemaligen Vorsorgebevollmächtigten führt in der Sache nicht zum Erfolg. Das Amtsgericht hat zu Recht gemäß § 300 FamFG die vorläufige Betreuung mit umfassenden Aufgabenkreisen für die Betroffene angeordnet und dabei den bisherigen Kontrollbetreuer zum vorläufigen Betreuer bestellt.
Das Gericht kann gemäß § 300 FamFG durch einstweilige Anordnung einen vorläufigen Betreuer bestellen, wenn u.a. der Betroffene persönlich angehört worden ist und dringende Gründe für die Annahme bestehen, dass die Voraussetzungen für die Bestellung eines Betreuers (gemäß § 1896 BGB) gegeben sind und ein dringendes Bedürfnis für ein sofortiges Tätigwerden besteht.
Hier liegen dringende Gründe dafür vor, dass die Betroffene ihre Angelegenheiten nicht mehr selbst wahrnehmen kann und einen Betreuer mit umfänglichen Aufgabenkreisen benötigt, wobei auch ein dringendes Bedürfnis für ein sofortiges Tätigwerden besteht.
Hiervon ist die Kammer aufgrund der nachvollziehbaren und überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Dr. C. in seinem Gutachten vom 08.112021 mit der für eine einstweilige Anordnung gebotenen Sicherheit überzeugt.
Die Ausführungen der Sachverständigen werden bestätigt durch den Eindruck, den die beauftragte Richterin der Kammer von der Betroffenen im Anhörungstermin am 19.01.2022 gewonnen hat.
Der Bestellung eines vorläufigen Betreuers steht auch die Vorsorgevollmacht vom 20.06.2019 nicht entgegen, nachdem diese durch den damaligen Kontrollbetreuer mit Schreiben vom 01.09.2021 wirksam widerrufen worden ist.
Die Rechtspflegerin beim Amtsgericht hat mit Beschluss vom 26.08.2021 (erneut) dem Kontrollbetreuer auch den Aufgabenkreis „Widerruf der erteilten Vorsorgevollmachten“ übertragen. Dieser Beschluss ist gemäß § 40 Abs. 1 FamFG mit Bekanntgabe an den Betreuer am 31.08.2021 wirksam geworden.
Dieser Beschluss der Rechtspflegerin war trotz erheblicher verfahrensrechtlicher Mängel zum Zeitpunkt des Widerrufs der Vollmacht auch nicht nichtig. Eine Nichtigkeit kommt nur in extremen Ausnahmefällen in Betracht, in denen die Entscheidung jeder gesetzlichen Grundlage entbehrt und inhaltlich dem Gesetz fremd ist. Allein eindeutige Verstöße des Betreuungsgerichts gegen die anzuwendenden Rechtsvorschriften genügen nicht (vgl. u.a. BGH, Beschluss vom 17.06.2015 – XII ZB 730/12 – Rn. 28, juris).
Zwar ist Rechtspflegern gemäß § 3 Nr. 2 b i.V.m. § 15 Abs. 1 Nr.1 RPflG die Bestellung eines Betreuers mit dem Wirkungskreis der Geltendmachung von Rechten gegenüber seinem Bevollmächtigten übertragen. Diese sind jedoch nicht zur Anordnung einer Betreuung mit dem Aufgabenkreis des Widerrufs der Vorsorgevollmacht befugt, nachdem dies für den Betroffenen einen schwerwiegenden Grundrechtseingriff bedeutet, der zumeist irreversibel ist (vgl. BGH, Beschluss vom 08.07.2020 – XII ZB 68/20 – Rn. 14, juris; BGH, Beschluss vom 11.01.2017 – XII ZB 305/16 – Rn. 13, juris; BGH, Beschluss vom 28.07.2015 – XII ZB 674/14 -, FamRZ 2015, 1702 – 1706; Nedden-Boeder, Die Vorsorgevollmacht in der gerichtlichen Praxis, BtPrax 2019, 87 – 91). Die Rechtspflegerin hat vorliegend auch keinen Verfahrenspfleger für die Betroffene bestellt, die Sache entgegen § 5 Abs.1 Nr. 2 RPflG nicht dem Richter vorgelegt, nachdem die Anordnung des Aufgabenkreises Widerruf der Vorsorgevollmacht und Bestellung eines Betreuers in Betracht kam und dabei auch die Betroffene entgegen § 278 FamFG nicht persönlich angehört.
Die getroffene Entscheidung – Anordnung des Aufgabenkreises Widerruf der Vorsorgevollmacht – an sich ist dem Gesetz jedoch nicht fremd und grundsätzlich existiert auch eine gesetzliche Grundlage für die Anordnung einer Betreuung mit diesem Aufgabenkreis in § 1896 BGB.
Der daraufhin unverzüglich erfolgte Widerruf der Vorsorgevollmacht bleibt deshalb gemäß § 47 FamFG auch nach Aufhebung dieses Beschlusses durch den Richter mit Beschluss vom 06.10.2021 wirksam.
Die Auswahl des vorläufigen Betreuers erfolgt gemäß § 1897 BGB und begegnet keinen Bedenken.
Gemäß § 1897 Abs. 1 BGB bestellt das Gericht zum Betreuer eine natürliche Person, die geeignet ist, in dem gerichtlich bestimmten Aufgabenkreis die Angelegenheiten des Betreuten rechtlich zu besorgen und ihn in dem hierfür erforderlichen Umfang zu vertreten. Schlägt der Volljährige eine Person vor, ist diesem Vorschlag zu entsprechen, wenn es dem Wohl des Volljährigen nicht zuwiderläuft (§ 1897 Abs. 4 FamFG). Schlägt der Betroffene niemanden vor, der zum Betreuer bestellt werden kann, ist bei der Auswahl des Betreuers auf die verwandtschaftlichen und sonstigen persönlichen Bindungen des Volljährigen sowie auf die Gefahr von Interessenkonflikten Rücksicht zu nehmen (§ 1897 Abs. 5 BGB).
Die Betroffene hat (auch am 19.01.2022) keinen im Sinne von § 1897 Abs. 4 BGB verbindlichen Vorschlag gemacht.
Im Rahmen der persönlichen Anhörung ist jedoch deutlich geworden, dass die Betroffene die Beschwerdeführerin sehr gerne mag und diese gut zu ihr gewesen sei. Sie ginge sofort wieder zu ihr hin. Die Beschwerdeführerin, die ihre Bereitschaft zur Ausübung dieses Amtes bekundete, ist deshalb grundsätzlich bei der Betreuerauswahl zu berücksichtigen.
Es bestehen jedoch begründete Zweifel an der Geeignetheit der Beschwerdeführerin im Sinne von § 1897 Abs. 1 BGB, die im Hauptsacheverfahren zunächst weiter aufgeklärt werden müssen und die dazu führen, dass im Rahmen der einstweiligen Anordnung zunächst der bisherige Kontrollbetreuer zu bestellen ist. Auf die zutreffenden Gründe im angefochtenen Beschluss und im Nichtabhilfebeschluss vom 20.10.2021 wird insofern verwiesen. Der Richter am Amtsgericht kündigt darin ausdrücklich an, die Bestellung der Enkeltochter S. zur Betreuerin zu prüfen und nach eingehender Prüfung zu bescheiden.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 84 FamFG.
Der Geschäftswert für das Beschwerdeverfahren entspricht dem Wert der Hauptsache (vgl. BGH, NJW 1968, 796). Da es vorliegend an hinreichenden tatsächlichen Anhaltspunkten für eine Schätzung fehlt, ist dieser gemäß § 36 Abs. 2 und 3 GNotKG auf 5.000 € festzusetzen.


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