Familienrecht

Bewilligung, Bescheid, Beschwerde, Vollziehung, Vergleich, Wiedereinsetzung, Hinterlegung, Frist, Staatsanwaltschaft, Nachweis, Verwaltungsverfahren, Rechtsbehelfsbelehrung, Widerspruch, Verschulden, gerichtliche Entscheidung, Antrag auf gerichtliche Entscheidung, Antrag auf Wiedereinsetzung

Aktenzeichen  102 VA 56/21

Datum:
19.8.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 25203
Gerichtsart:
BayObLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

1. Wiedereinsetzung ist zu bewilligen, wenn die Versäumung der Frist ihre Ursache darin hat, dass die Rechtsbehelfsbelehrung inhaltlich unrichtig ist und zugunsten der anwaltlich vertretenen Partei einen Vertrauenstatbestand geschaffen hat.
2. Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung gegen einen Justizverwaltungsakt ist innerhalb eines Monats bei dem für Verfahren nach §§ 23 ff. EGGVG zuständigen Gericht (in Bayern seit dem 1. Februar 2019 dem Bayerischen Obersten Landesgericht) zu stellen; er kann in schriftlicher Form gestellt werden oder zur Niederschrift der Geschäftsstelle dieses Gerichts oder eines Amtsgerichts. Der schriftliche Antrag an ein Amtsgericht wirkt auch dann nicht fristwahrend, wenn ein Amtsgericht als Justizverwaltungsbehörde die angefochtene Justizverwaltungsmaßnahme getroffen hat.
3. Die das formelle Hinterlegungsrecht regelnden Bestimmungen des Bayerischen Hinterlegungsgesetzes stehen nicht zur Disposition der Verfahrensbeteiligten oder der materiell am hinterlegten Betrag Berechtigten.

Verfahrensgang

38 HL 32/14 — AGMUENCHEN AG München

Tenor

I. Den Antragstellerinnen wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Antragsfrist gewährt.
II. Der Antrag der Antragstellerinnen auf gerichtliche Entscheidung wird als unbegründet zurückgewiesen.
III. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
IV. Der Geschäftswert wird auf 102.211,40 € festgesetzt.

Gründe

I.
Über einen für sie auftretenden Rechtsanwalt begehrten drei von fünf möglichen Empfängern die Auszahlung eines nicht unter ihnen aufgeschlüsselten Gesamtbetrags aus der hinterlegten Geldsumme auf das Konto des Rechtsanwalts. Mit dem Antrag auf gerichtliche Entscheidung wenden sich die im Rubrum bezeichneten drei Antragstellerinnen gegen die Ablehnung des Herausgabeverlangens.
Auf Antrag der Drittschuldnerin, einer Sparkasse, vom 9. Januar 2014 hatte das Amtsgericht München – Abteilung für Hinterlegungssachen – am 10. Februar 2014 die Hinterlegung einer Geldsumme von 203.173,90 € angeordnet. Als Hinterlegungsgrund ist § 853 ZPO – mehrfache Pfändung einer Geldforderung – genannt. Die Drittschuldnerin hatte für eine Aktiengesellschaft ein Girokonto geführt. Sämtliche bestehenden und künftigen Forderungen der Kontoinhaberin aus dieser Geschäftsverbindung waren zugunsten mehrerer Gläubiger gepfändet worden, nämlich zugunsten des Freistaats Bayern mit der Drittschuldnerin am 31. Januar 2013 zugestelltem Pfändungsbeschluss der Staatsanwaltschaft M. II vom selben Tag bis zur Höhe von 490.000,00 € (ergangen in Vollziehung eines in einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahrenen angeordneten dinglichen Arrests), zugunsten der darin jeweils bezeichneten Gläubigerinnen (den möglichen Empfängerinnen zu 1] bis 3] im Hinterlegungsverfahren) mit der Drittschuldnerin am 6. März 2013 zugestellten Pfändungsbeschlüssen des Landgerichts München I vom 14. und 15. Februar 2013 bis zur Höhe von 189.300,00 €, 157.450,00 € und 142.515,00 € sowie zugunsten eines weiteren Gläubigers, des möglichen Empfängers zu 4) im Hinterlegungsverfahren, mit Pfändungsbeschluss des Amtsgerichts Weilheim i. OB vom 9. April 2013, der Drittschuldnerin zugestellt am 12. April 2013, bis zur Höhe von 190.000,00 €.
Die Einzahlung wurde geleistet. Im Hinterlegungsverfahren werden antragsgemäß alle fünf Pfändungsgläubiger als mögliche Empfänger und Verfahrensbeteiligte geführt.
Der zuletzt genannte Pfändungsgläubiger – möglicher Empfänger zu 4) – erhob beim Landgericht München I Klage gegen die übrigen Pfändungsgläubiger sowie gegen die Schuldnerin „wegen Feststellung der Verteilung“. Aus dem Protokoll über die mündliche Verhandlung vom 14. Mai 2020 geht hervor, dass der Kläger gegen einen vorläufigen Verteilungsplan des Amtsgerichts München Widerspruch eingelegt hatte. Die Kammer teilte in der mündlichen Verhandlung ihre vorläufige Einschätzung der Sach- und Rechtslage mit. Danach nehme der Freistaat Bayern – Beteiligter zu 5) im Hinterlegungsverfahren – als Folge der Zulassungsentscheidung nach § 111g StPO a. F. angesichts der fehlenden Deckung aller zugelassenen Ansprüche an einer Erlösverteilung nicht mehr teil, auch nicht mehr im Wege eines Auffangrechtserwerbs. Im Prozessrechtsverhältnis zwischen dem Kläger und den Beklagten zu 1), 3) und 4), den möglichen Empfängerinnen zu 1) bis 3) im Hinterlegungsverfahren, wurde sodann ein Vergleich geschlossen.
Der Vergleich hat folgenden Wortlaut:
“I. Der Kläger und die Beklagten zu 1, 3 und 4 sind damit einverstanden, dass der Kläger einen Betrag von 100.000,00 € erhält, aus dem Gesamtbetrag, der beim AG München, Hinterlegungsstelle, zum Aktenzeichen (…) hinterlegt ist. Der Kläger und die Beklagten zu 1, 3 und 4 beantragen eine Auszahlung in der genannten Höhe an den Kläger.
II. Der Kläger und die Beklagten zu 1, 3 und 4 sind sich darüber einig, dass der restliche hinterlegte Betrag zu oben genanntem Aktenzeichen an den Prozessbevollmächtigten der Beklagten zu 1, 3 und 4 zu treuen Händen und weiteren Aufteilung auf die Beteiligten zu 1, 3 und 4 ausgezahlt wird. Von diesem weiteren Betrag sind ggf. vorrangig die abzuziehenden Kosten zu entnehmen. Der Kläger und die Beklagten zu 1, 3 und 4 beantragen daher die Auszahlung des nach vorherigem Kostenabzug verbleibenden Restbetrags aus der Hinterlegung zu (… HL …) des AG München an den Prozessbevollmächtigten der Beklagten zu 1, 3 und 4, Herrn Rechtsanwalt (…). 
(…)“
Unter Vorlage des Vergleichsprotokolls gaben die möglichen Empfängerinnen zu 1) bis 3) über ihren Verfahrensbevollmächtigten mit Schriftsatz vom 22. Mai 2020 gegenüber der Hinterlegungsstelle des Amtsgerichts München mehrere Erklärungen ab. Sie erklärten die Freigabe eines Teilbetrags von 100.000,00 € zugunsten des möglichen Empfängers zu 4) sowie (wörtlich) „die teilweise Freigabe des Hinterlegungsbetrages zugunsten der Landesjustizkasse bezüglich der Kosten, die im Verteilungsverfahren AG München … entstanden sind“ und der Höhe nach nicht bekannt seien. Der restliche Hinterlegungsbetrag solle „entsprechend der Regelung in Ziff. II. des Vergleichs“ auf das Konto ihres Verfahrensbevollmächtigten überwiesen werden.
Das Amtsgericht München – Abteilung für Hinterlegungssachen – teilte mit, dass dem Auszahlungsverlangen nicht stattgegeben werden könne, weil die hinterlegungsrechtlichen Voraussetzungen nach Art. 18 ff. BayHintG nicht vorlägen. Zum Nachweis der Empfangsberechtigung der Mandanten des Verfahrensbevollmächtigten sei das Vergleichsprotokoll nicht geeignet, denn die Erklärungen in Ziffer II. des Vergleichs erfüllten aus mehreren Gründen die Erfordernisse einer Bewilligung im Hinterlegungsverfahren nicht. Außerdem seien die Mitwirkung aller übrigen Beteiligten des Hinterlegungsverfahrens erforderlich und eine Verrechnung von Kosten des Verteilungsverfahrens mit dem hinterlegten Betrag nicht zulässig.
Der mögliche Empfänger zu 4) beantragte seinerseits mit Anwaltsschriftsätzen vom 18. Juni und 3. August 2020 die Auszahlung eines „ersten“ Teilbetrags von 100.000,00 € an sich und erklärte, er stimme zu, dass „der übrige Restbetrag, eventuell nach Abzug von Kosten des Hinterlegungsverfahrens und auch Kosten des Verteilungsverfahrens, an Herrn Rechtsanwalt …, wie von diesem beantragt, ausbezahlt wird.“
Mit Erklärung vom 28. Juli 2020 stimmte der Leitende Oberstaatsanwalt München II für den Freistaat Bayern einer Auszahlung des hinterlegten Geldes „wie in der mündlichen Verhandlung vom 14. Mai 2020 im Rahmen des abgeschlossenen Vergleichs vereinbart“ zu.
Die möglichen Empfängerinnen zu 1) bis 3) äußerten mit Anwaltsschriftsatz vom 23. September 2020 ihre Ansicht, die Hinterlegungsstelle stelle in jeder Hinsicht überzogene Anforderungen. Sie meinten, die Empfangsberechtigung sei durch das vorgelegte Vergleichsprotokoll ausreichend nachgewiesen. Daraus ergebe sich der an den weiteren möglichen Empfänger auszubezahlende Betrag von 100.000,00 € sowie der Umstand, dass der Freistaat Bayern keine Auszahlung beanspruchen könne. Die Gerichtskosten des Verteilungsverfahrens habe das Amtsgericht München – Abteilung für Zwangsvollstreckung in das bewegliche Vermögen – mittlerweile bekannt gegeben (laut übersandtem Teilungsplan: 962,50 €). Die Forderung, die restliche Auszahlung sowohl von der Vorlage einer gesonderten Vollmacht abhängig zu machen als auch eine betragsmäßige Aufteilung vorzunehmen, finde keine Rechtsgrundlage im Bayerischen Hinterlegungsgesetz. Die Hinterlegungsstelle habe sich an die Einigung auf eine bestimmte Abwicklung zu halten, die die Beteiligten des Hinterlegungsverfahrens getroffen hätten. Mit der Forderung, eine Aufteilung vorzunehmen, mische sie sich unter Überschreitung ihrer Kompetenz in materiellrechtliche Fragen ein.
Mit Bescheid vom 7. Dezember 2020 lehnte das Amtsgericht München – Abteilung für Hinterlegungssachen – den Auszahlungsantrag vom 22. Mai 2020 ab. Grundsätzlich könne der Nachweis der Empfangsberechtigung zwar auch durch Vorlage eines gerichtlichen Vergleichsprotokolls geführt werden. Die darin protokollierten Erklärungen müssten aber, um im Hinterlegungsverfahren verwertbar zu sein, den allgemeinen Anforderungen an eine Herausgabebewilligung genügen und deshalb jeweils hinsichtlich des Umfangs sowie des Begünstigten genau bestimmt sein. Sie müssten zudem im Original oder in Ausfertigung sowie mit Blick auf die vereinbarte Widerruflichkeit des Vergleichs mit Rechtswirksamkeitsvermerk vorgelegt werden. Weder die formellen noch die inhaltlichen Voraussetzungen seien erfüllt. Zudem sei die Mitwirkung des Freistaats Bayern erforderlich. Der im Vergleich vereinbarte vorrangige Abzug von Kosten sei hinterlegungsrechtlich nicht umsetzbar. Allenfalls wäre ein Antrag eines Beteiligten denkbar, den ihm zustehenden Betrag teilweise zugunsten eines Dritten auszuzahlen. Schließlich sei zur Auszahlung auf ein Rechtsanwaltskonto die Vorlage einer Geldempfangsvollmacht im Original zum Nachweis der wirksamen Vertretung erforderlich.
Nach Einlegung der Beschwerde, der die Hinterlegungsstelle am 7. Januar 2021 nicht abgeholfen hat, wurde das Original der vollstreckbaren Ausfertigung des Vergleichs mit Rechtswirksamkeitsvermerk vorgelegt.
Die Präsidentin des Amtsgerichts München hat die Beschwerde mit Bescheid vom 16. Februar 2021 zurückgewiesen. Für den Erlass einer Herausgabeanordnung sei die Mitwirkung aller Beteiligten erforderlich. Der mittlerweile formgerecht vorgelegte Vergleich erfülle inhaltlich nicht die Voraussetzungen, die an Bewilligungen (Art. 20 Abs. 1 Nr. 2 BayHintG, Nr. 20.1 BayHiVV) zu stellen seien. Aus ihm sei weder eine gegenseitige Bewilligung der möglichen Empfängerinnen zu 1) bis 3) noch eine entsprechende Bewilligung des weiteren möglichen Empfängers zu 4) ersichtlich. Eine vorrangige Entnahme von Gerichtskosten zugunsten des Verteilungsverfahrens könne die Hinterlegungsstelle nicht vornehmen. Eine Herausgabe könne – bei Vorliegen der hierfür notwendigen Voraussetzungen – nur an die Beteiligten des Hinterlegungsverfahrens angeordnet werden. Allenfalls könne ein Beteiligter, zu dessen Gunsten nach Art. 13 BayHintG ein Herausgabeanspruch bestehe, einen Dritten als Zahlungsempfänger des Betrags benennen. Stets seien in den Herausgabebewilligungen konkret bezifferte Beträge anzugeben. Zum Nachweis der wirksamen Vertretung im Hinterlegungsverfahren könne die Hinterlegungsstelle einen schriftlichen Vollmachtsnachweis verlangen. Die Vorlage einer Geldempfangsvollmacht sei aus Gründen des Rechtsscheins (§ 172 BGB) zur Minimierung von Haftungsrisiken erforderlich.
Die Rechtsbehelfsbelehrung zu diesem Bescheid hat folgenden Wortlaut:
Gegen die Beschwerdeentscheidung ist Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach Art. 23 EGGVG möglich. Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung muss innerhalb eines Monats nach Zustellung oder schriftlicher Bekanntgabe des Bescheids schriftlich oder zur Niederschrift der Geschäftsstelle beim Bayerischen Obersten Landesgericht oder beim Amtsgericht München gestellt werden.
Gegen den den möglichen Empfängerinnen zu 1) bis 3) über ihren Verfahrensbevollmächtigten am 17. Februar 2021 zugestellten Bescheid wenden sich die drei Antragstellerinnen mit Anwaltsschriftsatz, datierend vom 16. März 2021. Bei den Antragstellerinnen zu 1) und 3) handelt es sich um die Beteiligten (möglichen Empfängerinnen) zu 1) und 3) im Hinterlegungsverfahren. Für die mögliche Empfängerin zu 2), eine Gesellschaft mit Sitz in den USA, tritt als Antragstellerin zu 2) eine Corporation mit Geschäftsadresse in Deutschland auf. Der an „Die Präsidentin des Amtsgerichts München“ adressierte Schriftsatz ist als „Antrag nach § 23 EGGVG“ überschrieben und laut Eingangsstempel auf dem Original des Schriftsatzes am 22. März 2021 eingegangen.
Die Antragstellerinnen beantragen,
im Wege einer „Gerichtliche(n) Entscheidung gemäß Art. 23 EGGVG“,
1. den Ablehnungsbescheid der Hinterlegungsstelle des Amtsgerichts München vom 7. Dezember 2020 und die Beschwerdeentscheidung der Präsidentin des Amtsgerichts München vom 16. Februar 2021 aufzuheben,
2. die Hinterlegungsstelle des Amtsgerichts München zu verpflichten, den Hinterlegungsbetrag entsprechend dem Antrag der Beschwerdeführer vom 22. Mai 2020 teilweise zugunsten der Beschwerdeführer zu Händen des Unterzeichners freizugeben.
Sie sind der Meinung, die angefochtenen Bescheide vereitelten die Umsetzung des gerichtlichen Vergleichs und verletzten die Antragstellerinnen in ihren Rechten aus diesem Vergleich. Es seien keine materiellrechtlichen Interessen der übrigen Verfahrensbeteiligten erkennbar, weder „vom Vorverfahren vor dem LG München I her, noch im Hinterlegungsverfahren“, welche die angelegten Maßstäbe rechtfertigen könnten. Ähnliches gelte für etwaige Risiken der Hinterlegungsstelle. Die Entscheidungen verkennten die besonderen Wirkungen eines gerichtlichen Vergleichs. Auf die Darlegungen im „Freigabeantrag“ und in der Beschwerdebegründung werde Bezug genommen.
Aufgrund Weiterleitungsverfügung der Hinterlegungsstelle vom 24. März 2021 ist der Antrag auf gerichtliche Entscheidung am 29. März 2021 bei dem Bayerischen Obersten Landesgericht eingegangen.
Zu dem am 5. April 2021 zugegangenen Hinweis darauf, dass der Schriftsatz erst nach Ablauf der einmonatigen Einlegungsfrist und damit verspätet bei dem zuständigen Gericht eingegangen ist, haben die Antragstellerinnen mit Anwaltsschriftsatz vom 14. April 2021 Stellung genommen. Sie meinen, der Antrag auf gerichtliche Entscheidung sei fristgerecht eingereicht worden. Die Antragsschrift sei am 17. März 2021 um 19:57 Uhr gefertigt und anschließend gemäß Aufdruck auf Seite 1 des Schriftsatzes („Per Telefax vorab“) an das Amtsgericht München unter der auf dem angefochtenen Bescheid der Präsidentin angegebenen besonderen Faxnummer (5597-3574) versandt worden. Die Einreichung des Schriftsatzes in der gewählten Art beruhe auf dem Inhalt der Rechtsbehelfsbelehrung:, deren Unrichtigkeit unverschuldet nicht erkannt worden sei.
Der Antragsgegner beantragt,
dem Antrag auf Wiedereinsetzung nicht stattzugeben und den Antrag auf gerichtliche Entscheidung als unzulässig zu verwerfen.
Er ist der Meinung, die Rechtsbehelfsbelehrung:gebe den Wortlaut des Gesetzes zutreffend wieder. Sie enthalte zwar keinen ausdrücklichen Hinweis darauf, dass ein schriftlicher Antrag innerhalb der Rechtsbehelfsfrist beim zuständigen Gericht einzugehen habe. Dieser Umstand sei jedoch nicht ursächlich für die Versäumung der Frist, denn von einem Rechtsanwalt könne erwartet werden, dass er die Verfahrensgrundzüge kenne. Aus diesem Grund sei die Versäumung der Frist zudem verschuldet, selbst wenn man die Rechtsbehelfsbelehrung:als inhaltlich falsch ansähe. Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung sei – wie die Nachforschung ergeben habe – vorab per Fax am 17. März 2021 um 17:32 Uhr beim Amtsgericht München eingegangen, allerdings aus nicht mehr zu rekonstruierenden Gründen erstmals am 17. Juni 2021 nach Ausdruck aus dem „egov-Vorgang“ zur Akte gelangt.
Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung sei jedenfalls unbegründet. Im streng formalisierten Hinterlegungsverfahren müssten Auszahlungsbewilligungen hinsichtlich des Umfangs sowie der Begünstigten genau bestimmt sein. Außerdem sei die Mitwirkung aller am Hinterlegungsverfahren Beteiligten erforderlich. Die danach notwendigen Bewilligungen jedes Beteiligten für eine Auszahlung bestimmter Beträge an die jeweils übrigen Beteiligten ergäben sich nicht aus dem Vergleich. Auch die auf den Inhalt des Vergleichs Bezug nehmende Bewilligung des möglichen Empfängers zu 5) sei deshalb untauglich. Der nach dem Vergleich vorrangig vorzunehmende Abzug von Kosten sei im Hinterlegungsverfahren nicht zulässig. Ein bestimmter Antrag eines Beteiligten, den ihm zustehenden Betrag zugunsten eines Dritten auszuzahlen, liege gleichfalls nicht vor. Es fehle außerdem die angeforderte Vollmacht des für die Antragstellerinnen auftretenden Rechtsanwalts. Die Empfangsberechtigung der Antragstellerinnen sei deshalb nicht nachgewiesen.
II.
Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung, mit dem die Antragstellerinnen zu erkennen geben, das ursprüngliche Begehren auf Erlass einer Herausgabeanordnung nach Art. 18 Abs. 2 Nr. 1 BayHintG zu ihren Gunsten weiterzuverfolgen, erweist sich nach Wiedereinsetzung in den vorigen Stand als zulässig, in der Sache jedoch als unbegründet.
1. Der Zulässigkeit des Antrags auf gerichtliche Entscheidung steht die Versäumung der Einlegungsfrist nicht entgegen, weil Wiedereinsetzung zu gewähren ist.
a) Der das gerichtliche Verfahren einleitende Schriftsatz vom 16. März 2021, der nach seiner Bezeichnung und seinem Inhalt als Antrag nach Art. 8 Abs. 3 BayHintG i. V. m. § 23 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 EGGVG zu behandeln ist, ist erst nach Ablauf der Monatsfrist des § 26 Abs. 1 EGGVG und somit verspätet bei dem in erster Instanz zuständigen Bayerischen Obersten Landesgericht eingegangen. Denn die einmonatige Frist zur Einlegung des Rechtsbehelfs war mit dem Ablauf des 17. März 2021 verstrichen. Dass die erteilte Rechtsbehelfsbelehrung:fehlerhaft ist, ändert am Fristbeginn und -ablauf nichts (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Oktober 2003, IX ZB 36/03, NJW-RR 2004, 408 [juris Rn. 7 ff.]).
b) Wiedereinsetzung ist zu bewilligen, weil die Versäumung der Frist ihre Ursache darin hat, dass die Rechtsbehelfsbelehrung:inhaltlich unrichtig ist und zugunsten der anwaltlich vertretenen Antragstellerinnen einen Vertrauenstatbestand geschaffen hat.
aa) Die dem Beschwerdebescheid beigegebene Rechtsbehelfsbelehrung:ist inhaltlich fehlerhaft, weil sie das Gericht, bei dem der Antrag auf gerichtliche Entscheidung anzubringen ist, unrichtig bezeichnet.
Die ausschließliche sachliche Gerichtszuständigkeit für Verfahren über die Anfechtung von Justizverwaltungsakten auf den in § 23 Abs. 1 EGGVG genannten Gebieten folgt aus § 25 EGGVG (vgl. Mayer in Kissel/Mayer, GVG, 10. Aufl. 2021, EGGVG § 25 Rn. 1). In Bezug auf die Justizverwaltungsbehörden des Freistaats Bayern ergibt sich aus der Bestimmung in Art. 12 Nr. 3 BayAGGVG, mit der von der Konzentrationsermächtigung des § 25 Abs. 2 EGGVG Gebrauch gemacht worden ist, die Zuständigkeit des Bayerischen Obersten Landesgerichts anstelle der Oberlandesgerichte München, Nürnberg und Bamberg.
Bei diesem Gericht ist der Antrag auf gerichtliche Entscheidung innerhalb der Monatsfrist des § 26 Abs. 1 EGGVG anzubringen.
Dass § 26 Abs. 1 EGGVG für die Form der Einlegung zwei Möglichkeiten zur Verfügung stellt, nämlich „schriftlich“ oder „zur Niederschrift der Geschäftsstelle des Oberlandesgerichts oder eines Amtsgerichts“, ändert daran nichts. Danach kann der Antrag schriftlich gestellt werden; daneben ist eine mündliche Antragstellung möglich, und zwar zur Niederschrift der Geschäftsstelle des zuständigen Gerichts oder auch eines jeden Amtsgerichts. In beiden Fällen ist der Antrag an das zuständige Gericht, in Bayern mithin an das Bayerische Oberste Landesgericht, zu richten. Wird der Antrag schriftlich gestellt, so wird im Fall einer falschen Adressierung die einmonatige Antragsfrist des § 26 Abs. 1 EGGVG somit nur gewahrt, wenn der Schriftsatz noch innerhalb der Frist beim zuständigen Gericht eingeht (vgl. Mayer in Kissel/Mayer, GVG, EGGVG § 26 Rn. 19 bis 21).
Demgegenüber besagt die Rechtsbehelfsbelehrung:, der Antrag auf gerichtliche Entscheidung müsse innerhalb der Monatsfrist beim Bayerischen Obersten Landesgericht „oder beim Amtsgericht München“ gestellt werden. Dies ist – wie ausgeführt – insofern falsch, als der Antrag fristwahrend nicht beim Amtsgericht München gestellt werden kann. Er war beim ausschließlich zuständigen Bayerischen Obersten Landesgericht zu stellen, sei es schriftlich durch Einreichen eines Schriftsatzes zu diesem Gericht oder mündlich zur Niederschrift der Geschäftsstelle entweder des Bayerischen Obersten Landesgerichts oder eines Amtsgerichts (allerdings nicht zwingend des Amtsgerichts München).
bb) Der erforderliche ursächliche Zusammenhang zwischen Belehrungsmangel und Fristversäumung (vgl. BVerfG, Beschluss vom 4. September 2020, 1 BvR 2427/19, NJW 2021, 915 Rn. 31; BGH, Beschluss vom 21. Februar 2020, V ZR 17/19, NJW 2020, 1525 Rn. 10; Beschluss vom 9. März 2017, V ZB 18/16, NZM 2017, 481 Rn. 9; Beschluss vom 12. Januar 2012, V ZB 198/11, V ZB 199/11, NJW 2012, 2443 Rn. 8; Beschluss vom 18. Dezember 2013, XII ZB 38/13, NJW-RR 2014, 517 Rn. 19; Beschluss vom 12. Januar 2012, V ZB 198/11, V ZB 199/11, NJW 2012, 2443 Rn. 8 und 10; Sternal in Keidel, FamFG, 20. Aufl. 2020, § 17 Rn. 37) ist im Streitfall gegeben.
Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung im Verfahren nach §§ 23 ff. EGGVG ist per Fax am letzten Tag der Frist beim Amtsgericht München auf einem TelefaxEmpfangsgerät dieses Gerichts eingegangen. Maßgeblich ist der Zeitpunkt, an dem die gesendeten technischen Signale vom Telefaxgerät des Gerichts vollständig empfangen, das heißt gespeichert, worden sind; auf den Zeitpunkt des Ausdrucks oder gar der Zuordnung zur Verfahrensakte kommt es nicht an (vgl. BGH, Beschluss vom 8. Mai 2007, VI ZB 74/06, NJW 2007, 2045 Rn. 12; Beschluss vom 25. April 2006, IV ZB 20/05, BGHZ 167, 214 Rn. 18 ff.). Damit befand sich der Antrag unbeschadet des Umstands, dass der gewählte Anschluss der Verwaltungsabteilung und nicht der Posteingangsstelle des Gerichts zugeordnet ist (vgl. BGH, Beschluss vom 6. Juni 2018, IV ZB 10/17, NJW-RR 2018, 957 Rn. 10 f.), noch vor Ablauf der Frist im Verfügungsbereich des Amtsgerichts. Die Adressierung an „die Präsidentin“ des Gerichts ist gleichfalls unschädlich, weil sie mit Blick auf den Inhalt des Schriftsatzes in Zusammenschau mit dem angefochtenen Bescheid und der darin erteilten Rechtsbehelfsbelehrung:ohne weiteres auslegungsfähig ist. Nach nächstliegendem Verständnis ist hier nicht die von der Präsidentin vertretene Justizbehörde, sondern das Amtsgericht als Rechtsprechungsorgan Adressat des Antrags auf gerichtliche Entscheidung.
Demnach hat sich der Verfahrensbevollmächtigte der Antragstellerinnen bei der Einlegung des Rechtsbehelfs vom fehlerhaften Inhalt der Belehrung leiten lassen.
cc) An der Versäumung der Frist trifft die Antragstellerinnen kein Verschulden.
Fehlendes Verschuldens hinsichtlich der Fristversäumung wird gemäß § 26 Abs. 2 Satz 2 EGGVG vermutet, wenn die Fristversäumung ihren Grund darin hat, dass in dem Bescheid der Justizverwaltung eine Belehrung über die Zulässigkeit des Antrags auf gerichtliche Entscheidung sowie über das Gericht, bei dem er zu stellen ist, dessen Sitz und die einzuhaltende Form und Frist unterblieben oder unrichtig erteilt ist.
Durch die unzutreffende Rechtsbehelfsbelehrung:ist ein Vertrauenstatbestand dahin geschaffen worden, dass der (schriftliche) Antrag beim Amtsgericht München wirksam und unter Einhaltung der Frist gestellt werden könne.
Dass die Antragstellerinnen anwaltlich vertreten sind und sich ein anwaltliches Verschulden nach § 11 Satz 5 FamFG i. V. m. § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen müssten, ändert daran nichts. Auch ein Rechtsanwalt darf grundsätzlich auf die Richtigkeit einer (gerichtlich) erteilten Rechtsbehelfsbelehrung:vertrauen, ohne dass es darauf ankommt, ob die Belehrung gesetzlich vorgeschrieben ist oder nicht; denn durch eine Rechtsbehelfsbelehrung:, deren Unrichtigkeit für einen Rechtsanwalt nicht ohne weiteres, das heißt nicht ohne nähere Rechtsprüfung erkennbar ist, wird auch für ihn ein Vertrauenstatbestand geschaffen (vgl. BVerfG NJW 2021, 915 Rn. 36 f.; BGH, Beschluss vom 25. November 2020, XII ZB 256/20, NJW 2021, 784 Rn. 7; Beschluss vom 24. Januar 2018, XII ZB 534/17, NJW-RR 2018, 385 Rn. 7; NJW 2012, 2443 Rn. 10 f.). Der inhaltlich fehlerhaften, aber nicht offensichtlich unrichtigen Belehrung darf ein Rechtsanwalt vertrauen, so dass er sich mangels konkreter entgegenstehender Umstände nicht veranlasst sehen muss, sich mit der einschlägigen gesetzlichen Regelung und ihrer Interpretation durch Rechtsprechung und Literatur näher zu befassen (vgl. BVerfG NJW 2021, 915 Rn. 36; BGH NJW 2021, 784 Rn. 8).
Nach diesem auch im Streitfall anzulegenden Maßstab durfte der Verfahrensbevollmächtigte der Antragstellerinnen auf den Inhalt der Belehrung vertrauen. Deren Unrichtigkeit ist nicht offenkundig, denn die Rechtsbehelfsbelehrung:ist aus sich heraus verständlich und erinnert an die Möglichkeit, eine gerichtliche Überprüfung der Ausgangsentscheidung durch Einlegung des Rechtsbehelfs sowohl beim iudex a quo als auch beim iudex ad quem zu veranlassen. Deshalb drängte sich die Unrichtigkeit der Belehrung nicht auf, wenngleich die Ausgangsentscheidung nicht von einem Gericht, sondern von einer Justizverwaltungsbehörde erlassen worden ist. Dass von einem Anwalt, der ein Mandat annimmt, Kenntnis der Grundzüge des jeweiligen Verfahrensrechts erwartet werden kann und muss (vgl. BayObLG, Beschluss vom 12. Mai 2021, 101 VA 44/21, juris Rn. 32 m. w. N.), rechtfertigt keine andere Bewertung. Die Sachverhalte einer nicht offensichtlich unrichtigen Belehrung einerseits und einer gänzlich fehlenden Belehrung andererseits können in rechtlicher Hinsicht nicht gleichgesetzt werden (BGH NJW 2012, 2443 Rn. 10). Im Streitfall war die erteilte Rechtsbehelfsbelehrung:geeignet, auch ausgehend von dem bei einem Rechtsanwalt vorauszusetzenden Kenntnisstand den Anschein der Richtigkeit zu erwecken. Das zeigt sich bereits darin, dass weder der Justizverwaltungsbehörde noch dem Antragsgegner die Diskrepanz zwischen der gesetzlichen Regelung in § 26 Abs. 1 EGGVG und dem Inhalt der Belehrung aufgefallen ist.
dd) Auch die weiteren Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sind gegeben.
Zwar haben sich die Antragstellerinnen darauf berufen, der Antrag sei rechtzeitig gestellt worden und zugleich die Meinung vertreten, ein Verschulden im Sinne der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 24. Januar 2018 (Az. XII ZB 534/17) liege nicht vor. Ob dies als konkludenter Antrag auf Wiedereinsetzung gewertet werden kann, kann aber dahinstehen, denn Wiedereinsetzung ist jedenfalls von Amts wegen zu bewilligen.
Im Zeitpunkt des Eingangs des Antrags auf gerichtliche Entscheidung beim hierfür zuständigen Gericht war die Einlegungsfrist abgelaufen, die Wiedereinsetzungsfrist jedoch noch nicht, denn das Hindernis – der durch die fehlerhafte Rechtsbehelfsbelehrung:hervorgerufene Irrtum – war bis dahin nicht beseitigt. Da somit die versäumte Rechtshandlung innerhalb der Frist zur Beantragung der Wiedereinsetzung gegenüber dem zuständigen Gericht vorgenommen worden ist und sich das Vorliegen von Wiedereinsetzungsgründen sowie der Fortsetzungswille der Antragstellerinnen aus dem Akteninhalt ergeben, kann auch ohne Antrag von Amts wegen Wiedereinsetzung gewährt werden, § 26 Abs. 3 Sätze 3 und 4 EGGVG (vgl. zu § 236 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 ZPO: BGH, Urt. v. 17. Januar 2013, III ZR 168/12, NJW-RR 2013, 692 Rn. 19; Beschluss vom 29. September 1986, AnwZ [B] 26/86, juris Rn. 4; Grandel in Musielak/Voit, ZPO, 18. Aufl. 2010, § 236 Rn. 8; Hüßtege in Thomas/Putzo, ZPO, 42. Aufl. 2021, § 236 Rn. 9).
c) Nach Wiedereinsetzung erweist sich der Antrag auch im Übrigen (vgl. dazu BayObLG, Beschluss vom 24. Februar 2021, 101 VA 151/20, NJW-RR 2021, 509 Rn. 22 – 24 [juris Rn. 32 – 34]) als zulässig. Der Frage, ob die Antragstellerin zu 2) mit der möglichen Empfängerin zu 2) personenidentisch ist oder durch Rechtsnachfolge in deren Rechtsposition nachgerückt ist, muss im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung nicht nachgegangen werden. Deren Rechtsposition nimmt die Antragstellerin zu 2) nach ihrem Auftreten im gerichtlichen Verfahren jedenfalls konkludent für sich in Anspruch, wenngleich sie zu der geänderten Firmierung und Anschrift keine Erklärungen vorbringt. Weil sie – wie auch die Antragstellerinnen zu 1) und 3) – behauptet, durch die ablehnende Entscheidung in eigenen Rechten verletzt zu sein, sind die Voraussetzungen des § 24 Abs. 1 EGGVG erfüllt. Ob die Behauptung zutrifft, wäre eine Frage der Begründetheit.
2. In der Sache ist der Rechtsbehelf unbegründet, weil die Voraussetzungen einer Herausgabeanordnung mangels tauglicher Verfahrenserklärungen der am Hinterlegungsverfahren Beteiligten nicht vorliegen. Deshalb ist für den Erlass der begehrten Herausgabeanordnung (von den Antragstellerinnen als „Freigabe“ bezeichnet) kein Raum. Ob die Antragstellerin zu 2) in die Rechtsposition der möglichen Empfängerin zu 2) eingetreten ist, ist daher auch im Rahmen der Begründetheit nicht zu prüfen. Selbst wenn dies als zutreffend unterstellt wird, hat der Rechtsbehelf keinen Erfolg.
a) Für die Hinterlegung als Dienstleistung der Justizbehörde stellt das Bayerische Hinterlegungsgesetz in seinem räumlichen Anwendungsbereich ein spezifisches Verwaltungsverfahren zur Verfügung. Die dieses Verfahren regelnden Bestimmungen des Bayerischen Hinterlegungsgesetzes (formelles Hinterlegungsrecht; vgl. Wiedemann/Armbruster, Bayerisches Hinterlegungsgesetz, 2012, Einleitung Rn. 2) stehen nicht zur Disposition der Verfahrensbeteiligten oder der materiell am hinterlegten Betrag Berechtigten. Die materielle Berechtigung am hinterlegten Betrag wird im formellen Verwaltungsverfahren nicht geprüft (vgl. BayObLG, Beschluss vom 25. Juni 2020, 1 VA 43/20, juris Rn. 36). Streit zwischen den Prätendenten, die für sich den hinterlegten Betrag oder einen Teilbetrag daraus beanspruchen, ist außerhalb des Hinterlegungsverfahrens auszutragen. Mit Blick auf den dadurch vorgegebenen beschränkten Prüfungsumfang im Hinterlegungsverfahren darf eine Herausgabeanordnung zugunsten eines Beteiligten, Art. 18 Abs. 2 BayHintG, nur erfolgen, wenn die hierfür mit Art. 19, 20 BayHintG statuierten formellen Voraussetzungen erfüllt sind.
Die Herausgabeanordnung nach Art. 18 BayHintG bestimmt den Empfangsberechtigten hinsichtlich des in ihr bezeichneten Gegenstands. Dem in der Anordnung genannten Berechtigten wächst erst mit deren Erlass der Anspruch auf Herausgabe dieses Gegenstands gegenüber dem Freistaat Bayern zu, Art. 13 BayHintG (vgl. Wiedemann/Armbruster, Bayerisches Hinterlegungsgesetz, Art. 18 Rn. 2).
Die Meinung der Antragstellerinnen, die Abteilung für Hinterlegungssachen des Amtsgerichts habe den im Zivilprozess geschlossenen Vergleich umzusetzen und sich an die Einigung der Beteiligten auf eine bestimmte Abwicklung zu halten, geht deshalb fehl. Der Vergleich mag materiellrechtliche Wirkungen erzeugen. Ist es aber zur Umsetzung des Vergleichs erforderlich, dass Verfahrenserklärungen im Hinterlegungsverfahren abgegeben werden, weil sie im Vergleich nicht oder mit unzulänglichem Inhalt enthalten sind, ist die Hinterlegungsstelle nicht befugt, sich über den Mangel der Erklärungen hinwegzusetzen, die durch den Vergleich möglicherweise gestaltete materielle Rechtslage zu prüfen und das Ergebnis zur Grundlage ihrer Entscheidung zu machen; vielmehr können die Parteien aus dem Vergleich materiellrechtlich verpflichtet sein, taugliche Verfahrenserklärungen abzugeben. Auf die Frage, ob vorliegend eine entsprechende Verpflichtung der Beteiligten aufgrund des Prozessvergleichs besteht, kommt es für die Entscheidung nicht an. Denn hierüber ist weder im Hinterlegungsverfahren noch im Verfahren nach §§ 23 ff. EGGVG, sondern gegebenenfalls in einem gesonderten Erkenntnisverfahren zwischen den Parteien des Vergleichs zu entscheiden.
b) Der Antrag auf Herausgabe eines nicht näher aufgeschlüsselten Gesamtbetrags an die Antragstellerinnen durch Auszahlung auf das bezeichnete Anwaltskonto erfüllt die Voraussetzungen der Art. 19, 20 BayHintG nicht.
aa) Im Antrag auf Herausgabe sind der Empfänger und der herauszugebende Gegenstand anzugeben, Art. 19 Abs. 2 Nr. 1 und 2 BayHintG.
Bereits daran fehlt es.
Die drei Antragstellerinnen bezeichnen lediglich einen (nach Mitteilung der im Verteilungsverfahren angefallenen Kosten errechenbaren restlichen) Gesamtbetrag, der auf das Konto ihres Bevollmächtigten ausbezahlt werden soll. Der für sie im Hinterlegungsverfahren auftretende Rechtsanwalt soll die Summe als (angeblich) Bevollmächtigter der drei Antragstellerinnen entgegennehmen; er ist in dem Antrag vom 22. Mai 2020 jedoch nicht selbst als Empfänger i. S. d. Art. 19 Abs. 2 Nr. 1 BayHintG bezeichnet. Er ist mithin auch nicht Beteiligter nach Art. 5 Abs. 1 Nr. 4 BayHintG geworden. Empfängerinnen sollen nach dem Inhalt dieses Antrags vielmehr die Antragstellerinnen als je selbständige natürliche und juristische Personen sein. Weil dem Auszahlungsersuchen nicht zu entnehmen ist, welcher Betrag jeweils welcher Empfängerin zuzuordnen ist, fehlt es an der gemäß Art. 19 Abs. 2 Nr. 2 BayHintG erforderlichen Bezeichnung des der jeweiligen Empfängerin herauszugebenden Gegenstands.
bb) Der Herausgabeantrag muss weiter die (hinterlegungsrechtliche) Empfangsberechtigung des jeweiligen Antragstellers darlegen und die Umstände, aus denen sie sich ergibt, nachweisen, Art. 19 Abs. 2 Nr. 3 BayHintG.
Auch diese Voraussetzung ist nicht erfüllt.
Die Tatbestände, aus denen sich im Hinterlegungsverfahren die Empfangsberechtigung ergeben kann, sind in Art. 20 BayHintG abschließend geregelt. Eine materiellrechtliche Prüfung der „Berechtigung zum Empfang“ findet im Hinterlegungsverfahren – wie dargelegt – hingegen nicht statt (vgl. auch Wiedemann/Armbruster, Bayerisches Hinterlegungsgesetz, Art. 20 Rn. 2 – 4, auch mit Nachweisen zur früheren Rechtslage). Im Streitfall kommt nur Art. 20 Abs. 1 Nr. 2 BayHintG in Betracht. Danach kann die Empfangsberechtigung dargelegt und nachgewiesen werden durch schriftliche oder zu Protokoll der Geschäftsstelle erklärte Herausgabebewilligungen der übrigen Beteiligten. Dies erfordert im Streitfall Bewilligungen aller jeweils übrigen Beteiligten zur Herausgabe an den jeweiligen Antragsteller (vgl. Wiedemann/Armbruster, Bayerisches Hinterlegungsgesetz, Art. 20 Rn. 9, 11) oder an den von einem Beteiligten im Herausgabeantrag bezeichneten Dritten.
Bewilligungen können auch in einem Prozessvergleich enthalten sein und in einem solchen Fall durch Vorlage einer Ausfertigung nachgewiesen werden (vgl. Wiedemann/Armbruster, Bayerisches Hinterlegungsgesetz, Art. 20 Rn. 32). Der Begriff der „Bewilligung“ muss in der Erklärung zudem nicht wörtlich enthalten sein. Ausreichend, aber auch erforderlich ist vielmehr, dass sich aus der Erklärung die Zustimmung zur Auszahlung an die antragstellende Person zweifelsfrei ergibt; demzufolge kann auch eine als „Antrag“ formulierte Erklärung als Bewilligung auszulegen sein (vgl. Wiedemann/Armbruster, Bayerisches Hinterlegungsgesetz, Art. 20 Rn. 19).
Die in Ziff. II. Satz 3 des Vergleichs als Antrag bezeichneten Erklärungen des Klägers und der Beklagten zu 1), 3) und 4), mithin der am Hinterlegungsverfahren Beteiligten zu 1) bis 4), können danach zwar grundsätzlich verfahrensrechtlich auch als Bewilligungen verstanden werden. Zum Nachweis der Empfangsberechtigung gemäß Art. 19 Abs. 2 Nr. 3, Art. 20 Abs. 1 Nr. 2 BayHintG taugen sie im Hinterlegungsverfahren allerdings nur, wenn sich aus ihrem Inhalt mit der erforderlichen Klarheit ergibt, an welchen Beteiligten des Hinterlegungsverfahrens welcher Betrag zur Auszahlung gelangen soll.
Die Auslegungsfrage muss im Streitfall nicht abschließend beurteilt werden.
Sind die Erklärungen inhaltlich auf die Auszahlung eines unter den Antragstellerinnen nicht aufgeschlüsselten Gesamtbetrags zu Händen deren Prozessbevollmächtigten gerichtet, so leiden sie unter demselben aus dem Verfahrensrecht folgenden inhaltlichen Mangel wie der für die Antragstellerinnen gestellte „Gesamtantrag“. Denn welchen Anteil an der hinterlegten Geldsumme die vom Bevollmächtigten (angeblich) vertretenen Antragstellerinnen nach den Erklärungen der übrigen Beteiligten jeweils zur Auszahlung erhalten sollen, geht aus dem Vergleich nicht hervor. Die Bewilligungen sind – sollten sie in der geschilderten Weise zu verstehen sein – danach nicht geeignet, die Empfangsberechtigung der jeweiligen Antragstellerinnen hinsichtlich eines jeweils konkreten Gegenstands darzutun. Die pauschale Bewilligung hinsichtlich eines Gesamtbetrags reicht nicht, weil die Antragstellerinnen am Hinterlegungsverfahren nicht in gemeinschaftlicher Verbundenheit, sondern als selbständige Personen beteiligt sind.
Ist hingegen der gemeinsame Prozessbevollmächtigte der Antragstellerinnen nach den protokollierten Erklärungen in eigener Person als berechtigter dritter Empfänger (mit materiellrechtlicher Treuhandauflage) benannt, so decken sich die im Prozessvergleich protokollierten Erklärungen der Beteiligten zu 1) bis 4) nicht mit dem Inhalt des Auszahlungsantrags vom 22. Mai 2020 (zur Bewilligung der Herausgabe an eine dritte, bislang nicht am Hinterlegungsverfahren beteiligte Person: Wiedemann/Armbruster, Bayerisches Hinterlegungsgesetz, Art. 20 Rn. 12).
In Bezug auf die von der Beteiligten zu 4) und des weiteren Beteiligten zu 5) im Hinterlegungsverfahren abgegebenen Bewilligungserklärungen gilt nichts anderes, denn sie stellen wegen ihres Inhalts auf den Antrag der Antragstellerinnen bzw. auf den Prozessvergleich ab.
cc) Zu Recht sieht es die Hinterlegungsstelle zudem als erforderlich an, dass in Bezug auf die gewünschte Entnahme von Gerichtskosten des Verteilungsverfahrens Erklärungen gemäß Art. 19, 20 BayHintG abgegeben werden. Dass es dem übereinstimmenden Willen der Vergleichsparteien entspricht, den – nach Herausgabe eines Teilbetrags von 100.000,00 € an den Beteiligten zu 4) verbleibenden – Rest unter anderem für die Kosten des Verteilungsverfahrens zu verwenden, mag sich aus dem Vergleich ergeben. Die Hinterlegungsstelle prüft jedoch die materielle Rechtslage nicht. Zudem begründet der Vergleich kein eigenes Recht der Staatskasse zum Zugriff auf einen Teil des hinterlegten Geldes. Auf welchem Weg die Auskehr an einen Dritten von den Beteiligten des Hinterlegungsverfahrens erreicht werden kann, hat die Hinterlegungsstelle zutreffend aufgezeigt.
dd) Schließlich ist es grundsätzlich nicht zu beanstanden, dass die Hinterlegungsstelle einen Nachweis einer auf das Hinterlegungsverfahren bezogenen Vollmacht fordert (vgl. Wiedemann/Armbruster, Bayerisches Hinterlegungsgesetz, Art. 19 Rn. 7, 18). Der Rechtsgedanke des im Justizverwaltungsverfahren nicht unmittelbar geltenden Art. 14 Abs. 1 Satz 3 BayVwVfG findet auch hier Anwendung.
Erst recht besteht Anlass dazu, einen Nachweis für die Bevollmächtigung zum Geldempfang zu verlangen, wenn die Auszahlung nicht an den Empfänger persönlich, sondern zu Händen dessen (angeblichen) Vertreters erfolgen soll. Dass die Hinterlegungsstelle hierfür die Vorlage der Vollmacht im Original verlangt und darauf hinweist, dass eine von einer juristischen Person erteilte Vollmacht vom vertretungsberechtigten Organ unter Angabe von Name und Funktion unterschrieben sein müsse, hat seinen berechtigten Grund darin, dass der gute Glaube an den gemäß §§ 171, 172 BGB gesetzten Rechtsschein geschützt wird. Gemäß Art. 20 Abs. 3 Satz 1 BayHintG kann die Hinterlegungsstelle auch verlangen, dass ihr Erklärungen durch öffentliche oder öffentlich beglaubigte Urkunden nachgewiesen werden.
III.
Ein Ausspruch zur Kostentragung ist nicht veranlasst, weil die im gerichtlichen Verfahren nicht erfolgreichen Antragstellerinnen bereits nach dem Gesetz verpflichtet sind, die gerichtlichen Kosten des Verfahrens als Gesamtschuldnerinnen zu tragen (§ 1 Abs. 2 Nr. 19, § 22 Abs. 1, § 32 Abs. 1 GNotKG). Eine anteilige Aufteilung der Kosten erscheint mit Blick auf das einheitlich von allen Antragstellerinnen verfolgte Verfahrensziel nicht angezeigt.
Die gesetzlichen Voraussetzungen, unter denen die Rechtsbeschwerde zuzulassen ist (§ 29 EGGVG), liegen nicht vor.
Die Festsetzung des Geschäftswerts beruht auf § 36 Abs. 1 GNotKG und entspricht dem wirtschaftlichen Interesse der Antragstellerinnen an der Durchführung des gerichtlichen Verfahrens (103.173,90 € abzgl. 962,50 €).


Ähnliche Artikel

Die Scheidung einer Ehe

War es bis vor etlichen Jahren noch undenkbar, eine Ehe scheiden zu lassen, so ist eine Scheidung heute gesellschaftlich akzeptiert. Die Zahlen der letzten Jahre zeigen einen deutlichen Trend: Beinahe jede zweite Ehe wird im Laufe der Zeit geschieden. Was es zu beachten gilt, erfahren Sie hier.
Mehr lesen


Nach oben