Familienrecht

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Aktenzeichen  110 F 1835/21

Datum:
27.8.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 37141
Gerichtsart:
AG
Gerichtsort:
Nürnberg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

1. Der Antrag des Antragstellers auf Rückführung der Kinder , geb. …, und zurückgewiesen.
2. Von den Kosten des Verfahrens trägt der Antragsteller 70%, die Antragsgegnerin trägt 30%
3. Der Verfahrenswert wird auf 8000.- € festgesetzt.

Gründe

Der Antragsteller begehrt von der Antragsgegnerin die sofortige Rückführung der gemeinsamen Kinder, geb. …, geb. …, und, geb. …, auf der Grundlage des HKÜ-Übereinkommens vom 25. Oktober 1980 über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung (HK- Kindesentführungsüberieonk0ommen – HKÜ) i. V. m. der Verordnung (EG) des Rates Nr. 2201/2003 vom 27. November 2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in den Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 (sogenannte Brüssel II. a – Verordnung).
I.
Die Beteiligten sind die Eltern der oben genannten Kinder.
Sie sind verheiratet; der Antragsteller hat jedoch in Großbritannien im Februar 2021 Scheidungsantrag gestellt. Ob dieses Verfahren derzeit geführt wird, ist unklar. Die elterliche Sorge für die Kinder steht den Eltern gemeinsam zu.
Die Beteiligten lebten als Familie bis kurz nach der Geburt des jüngsten Kindes in Deutschland, anschließend erfolgte der Umzug nach Großbritannien. Die Kinder besuchten dort Kinderbetreuungseinrichtungen bzw. Schulen.
Die Antragsgegnerin ist am 6.3.2021 mit den drei gemeinsamen Kindern von London nach Deutschland geflogen. Sie lebt mit den Kindern in einem in ihrem Alleineigentum stehenden Haus in N., in dem die Familie bis zu ihrem Umzug gewohnt hatte und das zwischenzeitlich vermietet war. Sie beabsichtigt, mit den Kindern in Deutschland zu bleiben und trägt vor, dies sei mit dem Antragsteller so vereinbart gewesen. Der Antragsteller bestreitet, dass eine einvernehmliche Entscheidung über einen Umzug der Mutter mit den Kindern nach Deutschland getroffen wurde. Er ist mit dem Verbleib der Kinder in Deutschland nicht einverstanden und begehrt die Anordnung der Rückführung der Kinder.
Das Gericht hat den Kindern einen Verfahrensbeistand bestellt und die Kinder in dessen Gegenwart angehört. Es hat eine mündliche Verhandlung durchgeführt und die Eltern sowie die Verfahrensbeiständin und die Vertreterin des Jugendamtes angehört.
Die Verfahrensbevollmächtigte der Antragsgegnerin hat am 22.7.2021 einen „Widerantrag“ auf Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts für die Kinder auf die Antragsgegnerin gestellt, der im Termin zurückgenommen wurde.
Ein Versuch der Eltern, sich nach Durchführung der mündlichen Verhandlung zur Vermeidung einer gerichtlichen Entscheidung über den zukünftigen Aufenthalt der Kinder zu einigen, hatte keinen Erfolg.
II.
Das Gericht lehnt die Anordnung der Rückführung der Kinder unter dem Gesichtspunkt des Art. 13 a) HKÜ ab.
Das Gericht hat keinen Zweifel, dass alle drei Kinder ihren gewöhnlichen Aufenthalt vor ihrem Verbringen nach Deutschland im Vereinigten Königreich hatten. Auch wenn die Angaben der Antragsgegnerin zutreffen sollten, dass der Aufenthalt in Deutschland von Anfang an einvernehmlich zeitlich befristet sein sollte, so war in dieser Zeit – das heißt seit spätestens Mitte 2017 – der Lebensmittelpunkt der Familie mit den Kindern im Vereinigten Königreich.
Das Gericht geht jedoch davon aus, dass die Kinder im Sinne des Artikels 3 HKÜ nicht widerrechtlich nach Deutschland verbracht worden sind bzw. sich nunmehr nicht widerrechtlich in Deutschland aufhalten.
Zur Überzeugung des Gerichts steht fest, dass die Beteiligten spätestens seit Anfang 2021 zu dem Entschluss gekommen waren, dass jedenfalls die Mutter mit den Kindern im Verlauf des ersten Halbjahres 2021 mit den Kindern nach Deutschland zurückkehren sollte, um dort dauerhaft zu leben.Die Ehe der Eltern befand sich schon zu Beginn des Jahres 2021, wohl schon seit 2020, in einer tiefen Krise. Der Antragsteller hat im Februar 2021 Scheidungsantrag gestellt. Er hat versucht, dies damit zu erklären, dass dies auf Drängen der Antragstellerin geschehen sei, damit das im Alleineigentum der Antragsgegnerin stehende Haus in N. dem Zugriff der deutschen Finanzbehörden entzogen wird, mit denen der Antragsteller offensichtlich schon seit Jahren erhebliche Schwierigkeiten hat. Er hat vorgetragen, der Scheidungsantrag“ sei fingiert gewesen, und er habe gar nicht gewusst, dass eine Ehe in einer Krise sei. Gleichzeitig erklärte er in der mündlichen Verhandlung, er habe zuhause „die Hölle“ gehabt, man habe permanent gestritten, und es sei „immer laut“ gewesen, auch in Anwesenheit der Kinder. Nachdem die Streitereien immer heftiger wurden, sei ihm auch bewusst geworden, dass die Scheidung ernst gemeint sei.
Der Antragsteller hat bereits am 27.5.2020 eine schriftliche Erklärung abgegeben, in der er sich unter anderem dazu verpflichtet, die Kosten für die Rückkehr der Antragsgegnerin und die Instandsetzung des Hauses sowie Unterhalt für die Kinder und für die Finanzierung von deren Hobbies zu bezahlen. Die einzige Bedingung, die der Antragsteller dabei gestellt hat war, dass die Antragsgegnerin in die Scheidung einwilligt.
Der Antragsteller hat hierzu erklärt, die Erklärung habe er wegen des ständigen Streits „aus Verzweiflung“ abgegeben. Tatsächlich habe er mehrere solche Schriftstücke abgefasst. Ein Umzug sei nicht konkret geplant gewesen und er habe zwar die Antragsgegnerin nicht am Umzug mit den Kindern hindern wollen, aber einen „rechtlichen Rahmen“ gewollt. Wie dieser hätte aussehen sollen, hat er nicht angegeben.
Die Antragsgegnerin hat erklärt, sie hätte einem Umzug nach England nie zugestimmt, wenn nicht von Anfang an klar gewesen sei, dass es sich um einen befristeten Zeitraum handelt. Man habe das Haus in N. zunächst nur für zwei Jahre vermietet, für den geplanten Zeitraum ihrer Elternzeit mit . Sie habe dann die Elternzeit auf drei Jahre verlängert. Der erste, fest geplante, Umzugstermin im Frühjahr 2020 sei wegen der Corona-Pandemie nicht zustande gekommen, gleichzeitig habe der Mieter Interesse an einer Verlängerung des Mietvertrages gezeigt. Nachdem sich auch herausgestellt habe, dass sie ihre Elternzeit auf vier Jahre verlängern könne und sie auch den Eindruck gehabt habe, dass dies den Kindern, insbesondere, gut tue, habe sie sich damit einverstanden erklärt, noch bis zum Frühjahr 2021 zu bleiben. Sie hätten dies gemeinsam besprochen und es sei klar gewesen, dass sie spätestens mit dem Auszug des Mieters im April 2021 nach Deutschland zurückkehren würden, da sie sonst auch ihre Arbeit verlieren würde. Es sei zumindest bis zu dem letzten heftigen Streit Anfang März 2021 auch klar gewesen, dass auch eine gemeinsame Rückkehr der gesamten Familie einschließlich des Antragstellers eine Option sei.
Als Flugtermin habe sie den 29.3.2021 geplant, wobei nach den letzten Planungen zunächst nur sie und die beiden jüngeren Kinder fliegen sollten und der älteste Sohn zunächst mit dem Vater in England bleiben sollte, um dort noch die Klasse zu beenden. Man habe bereits die Umzugskartons gepackt. Diese seien wohl nach wie vor in der Garage des Hauses in England eingelagert. Der Antragsteller hätte einen anderen Termin als den 29.3. gewollt, weil er an diesem Tag einen wichtigen beruflichen Termin gehabt habe. Er habe aber die Flüge buchen und bezahlen wollen.
Zu der Abreise bereits am 6.3.2021 sei es nach einem heftigen Streit gekommen, in dessen Verlauf sie vom Antragsteller körperlich angegriffen und gewürgt worden sei. Der Antragsteller sei verhaftet und für eine Nacht inhaftiert worden. Sie selbst habe eine Nachbarin gebeten, die Flüge für sie und alle drei Kinder zu buchen und ihr das Geld einstweilen vorzustrecken, da sie kein geld gehabt habe. Es sei klar gewesen, dass unter diesen Umständen sie mit den Kindern sofort fliegen würden und auch der älteste Sohn mitfliegen und nicht das Schuljahresende abwarten werde.
Der Antragsgegner hat dazu vorgetragen, dass er von der Abreise völlig überrascht worden sei.
Das Gericht folgt im Ergebnis der Einlassung der Antragsgegnerin. Danach steht für das Gericht fest, dass der Umzug jedenfalls der Antragsgegnerin mit den jüngeren Kindern für das Frühjahr 2021 einvernehmlich geplant war. Dies ist in Anbetracht des Auslaufens des Mietvertrages für das Haus in N. und insbesondere in Anbetracht des Auslaufens der Elternzeit der Antragsgegnerin im Frühjahr 2021 für das Gericht völlig nachvollziehbar. Es gab auch eine konkrete Planung für den Umzug des ältesten Sohnes, nämlich, wie dieser angegeben hat, in der Weise, dass er nach Schuljahresende vom Vater und einem Freund des Vaters mit dem Auto nach N. gebracht wird. hat auch angegeben, für ihn sei es klar gewesen, dass er das folgende Schuljahr in N. absolvieren werde. Den durchaus aufwendigen Aufnahmetest an einer englischen Grammar School habe er sowieso nur im Hinblick darauf absolviert, dass er sich und seinen Eltern beweisen wollte, dass er den Test schaffe, was trotz Fernunterricht auch geklappt habe. Man habe in der Familie immer wieder über eine Rückkehr nach Deutschland gesprochen. Es sei immer klarer geworden, dass letztendlich wohl nur seine Mutter mit den Kindern nach Deutschland zurückkehren werde. Er habe den Eindruck gehabt, dass dies seinem Vater wohl nicht so gut gefalle, er habe aber mit ihm () darüber gesprochen, wie man das Haus in Deutschland für die Familie aufteilen könne und dass er in der U-Bahn aufpassen solle.
… machte bei seiner Anhörung einen sehr intelligenten und reifen Eindruck. Er hat wohl auch die letzte, sehr heftige und gewalttätige Auseinandersetzung der Eltern miterlebt, und es wurde deutlich, dass seine letzten Eindrücke vom Zusammenleben der Familie und insbesondere vom Verhalten seines Vaters nicht besonders gut waren. Das Gericht hat aber keine Anhaltspunkte dafür, dass der Junge eine so „umständliche“ Geschichte wie die Modalitäten der geplanten Fahrt im Sommer und Hinweise seines Vaters wegen der Aufteilung des Hauses und erforderlicher U-Bahn-Fahrten erfinden würde.
Die Einlassungen des Antragstellers waren hingegen in mehreren Punkten widersprüchlich. Der Antragsteller hat im Februar einen Scheidungsantrag gestellt, dazu vorgetragen, er habe nicht gewusst, dass seine Ehe in einer Krise sei, der Scheidungsantrag sei „Fake“ gewesen, gleichzeitig aber angegeben, er habe zu Hause „die Hölle“ gehabt man habe nur noch geschrien und gestritten. Er hat mindestens einmal, nach seinen Worten mehrfach, schriftlich Konditionen für die finanzielle Unterstützung der Mutter und der Kinder bei einem Umzug nach Deutschland niedergelegt, beruft sich aber jetzt darauf, dies sei nur geschehen, um kurzfristig Ruhe zu haben.
Er hat angegeben, er sei der Auffassung, dass er einen Umzug der Mutter mit den Kindern letztendlich nicht verhindern könne, wolle aber, dass dies einen rechtlichen Rahmen habe. Welcher Art dieser rechtliche Rahmen sein solle, gab er nicht an.
Das Gericht geht daher davon aus, dass der konkrete Termin der Abreise am 6.3.2021 zwar nicht zwischen den Eltern vereinbart war bzw. der Vater eine Zustimmung zu einer Übersiedelung nach Deutschland der Mutter mit allen drei Kindern zu diesem konkreten Datum nicht erteilt hat. Der konkrete frühere Termin ist das Ergebnis eines heftigen Streits, während dessen der Antragsteller die Antragsgegnerin angegriffen und gewürgt hat und in Polizeigewahrsam genommen wurde. Nach der gemeinsamen Planung der Eltern waren die Voraussetzungen für eine einvernehmliche Übersiedelung aller Kinder nach Deutschland jedoch spätestens zum Entscheidungsdatum dieses Verfahrens gegeben. Danach hätten die Antragsgegnerin und die beiden jüngeren Kinder bereits im Frühjahr ihren Wohnsitz nach Deutschland verlegen sollen, der älteste Sohn wäre mit dem Vater und einem Freund des Vaters im August nachgekommen, wobei wohl durchaus noch die Option bestand, dass auch der Antragsteller – der in England keine eigene Immobilie besitzt und auch früher bereits in verschiedenen europäischen Ländern nicht in Form eines festen Angestelltenverhältnisses, sondern im Rahmen von Werkverträgen gearbeitet hat und somit grundsätzlich kein Problem mit erhöhter beruflicher Mobilität zu haben scheint – seinen Wohnsitz nach N. verlegt.
Das Gericht ordnet unter diesen Umständen nicht die Rückführung der Kinder an, obwohl für das konkrete Flugdatum nicht die Zustimmung des Antragstellers zu einer Übersiedelung der Kinder nach Deutschland vorlag. Denn das Gericht kann nicht eine Rückführung in das Herkunftsland anordnen, wenn feststeht, dass sich am Tag der Entscheidung die Kinder unter gewöhnlichen Umständen mit Zustimmung des anderen Elternteils in Deutschland aufhalten würden. Dies würde im Ergebnis auch nicht die tatsächlich bestehende Vereinbarung der Eltern widerspiegeln.
Das Gericht kann und darf an dieser Stelle nicht entscheiden, ob es dem Kindeswohl besser dient, wenn die Kinder mit der Mutter in Deutschland leben oder mit dem Vater in England beziehungsweise im Vereinigten Königreich. Dies ist eine typisch sorgerechtliche Entscheidung, die das Familiengericht des Staates des nunmehrigen gewöhnlichen Aufenthaltes im dazu bestimmten Verfahren über das Sorgerecht zu treffen hat, wenn entsprechende Anträge gestellt werden Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 FamFG. Das Gericht hat berücksichtigt, dass die Antragsgegnerin einen Widerantrag auf Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts gestellt hat, der schon aufgrund der Besonderheiten des HKÜ-Verfahrens von vorneherein keinen Erfolg haben konnte, diesen aber zu Beginn der Anhörung zurückgenommen hat, so dass dieser keine besonderen Kosten ausgelöst hat. Der Verfahrenswert war zu erhöhen, da zwei unterschiedliche Anträge aus unterschiedlichen Verfahrensarten gestellt wurden.


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