Familienrecht

Entscheidungsbefugnis der Eltern für die Teilnahme an Covid-19-Schnelltests in Schulen

Aktenzeichen  7 UF 84/21

Datum:
26.7.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 22544
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
Bamberg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 1671 Abs. 1
BGB § 1628

 

Leitsatz

1. Allein die Ablehnung der Zustimmung zur Teilnahme eines minderjährigen Kindes an einem schulisch veranlassten COVID-19-Schnelltest vermag ein dringendes Bedürfnis für die sofortige Übertragung von Teilen der elterlichen Sorge im Rahmen einer einstweiligen Anordnung nicht zu begründen.
2. Die Teilnahme eines minderjährigen Kindes an einem schulischen COVID-19-Schnelltest ist nicht durch die Alleinentscheidungsbefugnis des betreuenden Elternteils nach § 1687 Abs. 1 Satz 2 BGB gedeckt.
3. Es handelt sich hierbei vielmehr aufgrund des möglichen Ausschlusses des Kindes vom Präsenzunterricht um eine Angelegenheit von erheblicher Bedeutung i. S. v. § 1628 Satz 1 BGB.

Verfahrensgang

001 F 103/21 2021-04-28 Bes AGLICHTENFELS AG Lichtenfels

Tenor

1. Der Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – wird auf die Beschwerde des Antragsgegners in Tenorziffern 1. und 2. aufgehoben und wie folgt neu gefasst:
Die Entscheidung über die Teilnahme des Kindes an schulischen Testverfahren zur Diagnose von COVID-19 wird auf die Antragstellerin allein übertragen. Im Übrigen wird der Antrag der Antragstellerin zurückgewiesen.
2. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
3. Die Kosten des Verfahrens erster Instanz werden gegeneinander aufgehoben. Gerichtskosten werden für das Beschwerdeverfahren nicht erhoben. Ihre außergerichtlichen Kosten im Beschwerdeverfahren tragen die Beteiligten selbst.
4. Der Beschwerdewert beträgt 2.000,00 Euro.
5. Die Rechtsbeschwerde ist gegen diesen Beschluss nicht statthaft.

Gründe

I.
Mit Beschluss vom 28.04.2021 hat das Amtsgericht – Familiengericht – im Wege der einstweiligen Anordnung der Antragstellerin die elterliche Sorge für das Kind K in den Teilbereichen Regelung der gesundheitlichen und schulischen Angelegenheiten auf der Grundlage von § 1671 Abs. 1 BGB allein übertragen und die Kosten des Verfahrens dem Antragsgegner auferlegt.
Zur Begründung führt das Amtsgericht im Wesentlichen aus, eine Einigung der Eltern zur Frage der Teilnahme ihres Kindes an von der Schule durchgeführten Coronatestungen sowie über eine mögliche Teilnahme des Kindes an einer Corona-Impfung sei nicht erzielbar. Es entspreche dem Wohl des Kindes am besten, die gemeinsame elterliche Sorge in den Bereichen Regelung der gesundheitlichen und schulischen Angelegenheiten der Antragstellerin allein zu übertragen.
Gegen den ihm zugestellten Beschluss hat der Antragsgegner Beschwerde eingelegt.
Er führt insbesondere aus, seine Bedenken hinsichtlich der von der Schulbehörde beabsichtigten Selbsttestung des Kindes seien berechtigt. Die enthaltenen Chemikalien könnten das Kind gefährden. Es wäre möglich, dass diese verschüttet werden und Haut oder Schleimhäute in Mitleidenschaft ziehen. Bei der Selbsttestung sei nicht ausgeschlossen, dass sich Kinder verletzen.
Eine gerichtliche Sorgerechtsentscheidung sei im Übrigen nicht erforderlich gewesen, nachdem die Mutter die erforderlichen Einwilligungen im Rahmen des § 1687 BGB allein erklären könne.
Der Senat hat Stellungnahmen des Verfahrensbeistandes und des zuständigen Jugendamtes eingeholt:
Das Jugendamt verteidigt, ebenso wie die Antragstellerin, die erstinstanzliche Entscheidung. Der Verfahrensbeistand vertritt die Auffassung, ein COVID-19-Schnelltest sei möglicherweise durch die Alleinentscheidungsbefugnis des betreuenden Elternteils auf der Grundlage von § 1687 Abs. 1 Satz 2 BGB gedeckt.
Zur Ergänzung wird auf den erstinstanzlichen Beschluss vom 28.04.2021, die hiergegen erhobene Beschwerde nebst Beschwerdebegründung, die Beschwerdeerwiderung sowie auf die im Beschwerdeverfahren vorgelegten Schriftsätze und Berichte Bezug genommen.
II.
Die gem. §§ 57 Satz 1, Satz 2 Nr. 1, 58 ff., 63 Abs. 2 FamFG zulässige Beschwerde des Kindsvaters führt zur Aufhebung der gerichtlichen Entscheidung und zur aus dem Tenor ersichtlichen Neufassung des erstinstanzlichen Beschlusstenors.
Der Senat hat von einer mündlichen Erörterung der Sache in der Beschwerdeinstanz nach § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG abgesehen, da hiervon bei den gegebenen Umständen auch im Hinblick auf § 26 FamFG keine weitergehenden Erkenntnisse zu erwarten waren.
1.
Hinsichtlich der Übertragung von Teilen der elterlichen Sorge allein auf die Antragstellerin im Wege der einstweiligen Anordnung fehlt es an dem gem. § 49 Abs. 1 FamFG erforderlichen Anordnungsgrund, einem dringenden Bedürfnis für ein sofortiges Tätigwerden.
Denn allein die Ablehnung schulischer COVID-19-Schnelltest durch den Antragsgegner vermag ein dringendes Bedürfnis für die sofortige Übertragung von Teilen der elterlichen Sorge nicht zu begründen.
Gleiches gilt für die derzeitige Positionierung des Antragsgegners gegen eine Coronaimpfung für seine Tochter, zumal eine derartige Impfung für Kinder ihres Alters derzeit noch nicht vorgesehen ist.
2.
Bedingt durch die Weigerung des Antragsgegners, einer schulischen Coronatestung seines Kindes K zuzustimmen (Bl. 13 d. A.) ergibt sich jedoch ein dringendes gegenwärtiges Bedürfnis für ein sofortiges Tätigwerden i. S. v. § 49 Abs. 1 FamFG im Hinblick auf die Übertragung der Entscheidungskompetenz hinsichtlich der Teilnahme an schulischen Coronatestungen gemäß § 1628 Satz 1 BGB auf die Antragstellerin allein.
a) Die Eltern haben sich in der Vergangenheit nicht darüber einigen können, ob ihr Kind K an den schulischen Selbsttests teilnimmt, die zur Feststellung einer etwaigen Infektion mit dem Coronavirus durchgeführt werden. Diese Uneinigkeit der Eltern betrifft nicht eine Angelegenheit des täglichen Lebens, in welcher die Antragstellerin gemäß § 1687 Abs. BGB Satz 2 und 3 BGB allein entscheiden könnte, weil das Kind bei ihr lebt.
Die Abgrenzung zwischen Alltagsangelegenheiten und Angelegenheiten von erheblicher Bedeutung hat sich an der Legaldefinition des § 1687 Abs. 1 Satz 3 BGB zu orientieren. Danach sind Entscheidungen in Angelegenheiten des täglichen Lebens in der Regel solche, die häufig vorkommen und die keine schwer abzuändernden Auswirkungen auf die Entwicklung des Kindes haben. Im Umkehrschluss dazu sind Angelegenheiten von erheblicher Bedeutung diejenigen, die nicht diesen Anforderungen entsprechen. Maßgeblich ist eine an den Belangen des Kindes orientierte objektive Betrachtungsweise unter Berücksichtigung der sozialen Bedeutung des Entscheidungsgegenstands, wobei auch die Erziehungsvorstellungen der Eltern von Bedeutung sein können (vgl. Palandt/Götz, BGB, 80. Auflage, § 1687 BGB Rn. 4; BeckOK BGB/Veit, 58. Ed. 1.5.2021, BGB § 1687 Rn. 17; Bundestags-Drucksache 13/8511, 67).
Im vorliegenden Fall führt eine Weigerung, an der Testung teilzunehmen, zum Ausschluss des Kindes vom Präsenzunterricht. Anders als beim Distanzunterricht werden Kinder in dieser Zeit nicht online beschult, sondern verpassen den aktuellen Unterricht. Lediglich die Hausaufgaben werden übermittelt. Dies ist ein erheblicher Nachteil für den Lernerfolg, die Eingebundenheit im Klassenverband und der Freude an der Schule. Zudem wird das Kind gegenüber anderen Kindern schlechter gestellt. Das Kind besucht die erste Klasse der Grundschule. Es muss daher noch die Schulstrukur erlernen, braucht die sozialen Kontakte und muss den Klassenverband kennenlernen. Es kann auch zu einer Stigmatisierung des Kindes führen, wenn es wegen der verweigerten Teilnahme an den Testungen nicht am Unterricht teilnimmt.
Die schulische Testung des Kindes ist somit keine Angelegenheit von untergeordneter Bedeutung, die von der Antragstellerin kraft der ihr nach § 1687 Abs. 1 S. 2 BGB zustehenden Entscheidungskompetenz allein entschieden werden darf.
b) Infolgedessen bedarf die von der Antragstellerin beabsichtige Teilnahme des Kindes an den Covid 19 – Testungen in der Schule der Zustimmung des Antragsgegners, die dieser gestützt auf die aus seiner Sicht getroffenen Gefahreneinschätzung jedoch nicht zu erteilen vermag, weshalb die Antragstellerin das Kind nur an den Testungen teilnehmen lassen darf, wenn ein Gericht ihr hierzu die Entscheidungsbefugnis gemäß § 1628 BGB überträgt und sie dann diese Befugnis dahingehend ausübt.
Nach § 1628 Satz 1 BGB kann das Familiengericht, wenn sich die Eltern bei gemeinsamer elterlicher Sorge in einer einzelnen Angelegenheit oder in einer bestimmten Art von Angelegenheiten, deren Regelung für das Kind von erheblicher Bedeutung ist, nicht einigen können, auf Antrag eines Elternteils die Entscheidung einem Elternteil übertragen.
Die aufgrund § 1628 BGB zu treffende Entscheidung des Familiengerichts richtet sich gemäß § 1697 a BGB nach dem Kindeswohl. Die Entscheidungskompetenz ist dem Elternteil zu übertragen, dessen Lösungsvorschlag dem Wohl des Kindes besser gerecht wird. Wenn eine Bewahrung des gegenwärtigen Zustands als die bessere Konfliktlösung erscheint, genügt es, den Antrag zurückzuweisen. Ob und inwiefern das Kindeswohl berührt ist, ist nach der Eigenart der zu regelnden Angelegenheit zu beurteilen, aus der sich auch die konkreten Anforderungen an die für die Entscheidung nach § 1628 BGB zu treffende Prüfung ergeben (vgl. BGH, Beschluss vom 3. Mai 2017 – XII ZB 157/16 -, Rn. 14 f. m.w.N.). Handelt es sich um eine Angelegenheit der Gesundheitssorge, so ist die Entscheidung zugunsten des Elternteils zu treffen, der im Hinblick auf die jeweilige Angelegenheit das für das Kindeswohl bessere Konzept verfolgt (vgl. BGH, Beschluss vom 03. Mai 2017 – XII ZB 157/16 -, Rn. 15).
Auf dieser Grundlage entspricht es nach dem Erkenntnisstand des einstweiligen Anordnungsverfahrens dem Wohl des Kindes, die alleinige Entscheidungsbefugnis über die Durchführung von Corona-Selbsttests in der Schule der Antragstellerin zu übertragen. Grundsätzlich gilt eine Präsenzpflicht für die Schülerinnen und Schüler in den bayerischen Schulen. Diese Schulpflicht ist ein Rechtsgut und hat ein hohes Gewicht. Die Vermittlung von Schulstoff gelingt mithilfe des Präsenzunterrichts am besten und nachhaltigsten. Die Grundschule in verlangt derzeit aufgrund der gesetzlichen Regelungen als Bedingung für die Teilnahme am Präsenzunterricht einen negativen Coronatest und eine Erklärung beider sorgeberechtigten Elternteile über ihr Einverständnis an der Teilnahme ihrer Kinder an Coronatests. Diese Coronatests finden zweimal in der Woche statt. Das Bayerische Staatsministerium für Unterricht und Kultus informierte zudem alle Eltern und Sorgeberechtigten der Schülerinnen und Schüler an bayerischen Schulen mit Schreiben vom 21.04. 2021 und 21.06.2021 über die neuen gesetzlichen Vorgaben und wies auf die Testpflicht für alle Schülerinnen und Schüler hin. In diesem Schreiben wird u. a. ausgeführt, dass die Teilnahme am Präsenzunterricht ohne die Teilnahme an einem Selbsttest oder eines negativen Testnachweises nicht möglich ist.
Nach dem aktuellen Stand der Corona-Pandemie, kann nicht sicher vorausgesagt werden, wann ein Präsenzunterricht ohne die Durchführung von Coronatests möglich sein wird. Da der Antragsgegner seine Einwilligung zu Durchführung der Coronatests verweigert, erscheint es möglich, dass das Kind bis zum Beginn der Sommerferien 2021 des Landes Bayern und im Falle einer vierten Corona-Welle auch im Schuljahr 2021/2022 keinen Präsenzunterricht wahrnehmen kann.
Die Beschwerdewertfestsetzung beruht auf §§ 40, 41, 45 Abs. 1 Nr. 1 FamGKG.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 81 Abs. 1 FamFG. Weil der Antrag der Antragstellerin nur in erheblich eingeschränkter Form Erfolg hat und die Beschwerde des Antragsgegners teilweise erfolgreich ist, entspricht es billigem Ermessen, von der Auferlegung von Gerichtskosten für die zweite Instanz ebenso wie von der Anordnung der Erstattung außergerichtlicher Auslagen in beiden Instanzen abzusehen.
Gegen diesen Beschluss ist ein Rechtsmittel gem. § 70 Abs. 4 FamFG nicht statthaft.


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