Familienrecht

Erkrankung, Beschwerde, Unterbringung, Wohnung, Gutachten, Pflegeeinrichtung, Rechtsmittel, Pflegedienst, Umzug, Betreuer, FamFG, Epilepsie, Pflegeheim, Kostenentscheidung, psychische Erkrankung, geschlossene Unterbringung, nicht ausreichend

Aktenzeichen  3 T 1561/21

Datum:
23.12.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 52950
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Verfahrensgang

26 XVII 1107/20 2021-07-08 AGWUERZBURG AG Würzburg

Tenor

1. Die Beschwerde des Betroffenen gegen den Beschluss des Amtsgerichts Würzburg vom 08.07.2021 (Az. 26 XVII 1107/20) wird zurückgewiesen.
2. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

Mit Beschluss des Amtsgerichts Würzburg vom 08.07.2021 wurde die Unterbringung des Betroffenen in einer geschlossenen Abteilung eines psychiatrischen Krankenhauses bzw. der beschützenden Abteilung einer Pflegeeinrichtung bis längstens 17.06.2023 betreuungsrechtlich genehmigt (Bl. 57 ff.).
Der Betroffene ist chronisch alkoholabhängig. Zudem erlitt er im Jahr 1986 ein Schädel-Hirn-Trauma, nach dem er nicht mehr arbeitsfähig war und an symptomatischen Anfällen litt (s. Bl. 21 d.A.: Arztbrief aus …).
Der Betroffene wurde in der Vergangenheit bereits mehrfach sowohl vorläufig als auch langfristig untergebracht, erstmalig im Jahr 1993 und bis zum Jahr 2008 gemäß eingesehener Betreuungsakte des Amtsgerichts Würzburg, Az. 26 XVII 1107/20 und gemäß den Arztbriefen und Darstellungen der psychiatrischen Vorgeschichte des Gutachtens des … vom 18.06.2021 (Bl. 51 f.) über 20 mal, durchlief mehrere Entgiftungen in … und in … sowie ab 2008 anschließende langfristige Unterbringungen in der AWO …, AWO … sowie eine mehrjährige (geschlossene) Soziotherapie in …, aus der er im Juli 2020 nach Hause entlassen wurde.
Daran schlossen sich wieder folgende vorläufige Unterbringungen an:
– 13.-14.09.2020 und 17.-18.09.2020 …
– 09.-11.12.2020 …
– 01.-03.02.2021 und 06.-07.02.2021 …
– 08.-12.03.2021 …
Am 09.12.2020 stellte der Betreuer … des Betroffenen Antrag auf geschlossene Unterbringung (Bl. 1 f.), da sich der Betroffene in seiner Wohnung eingeschlossen und den Schlüssel im Schloss abgebrochen habe, die ambulante Unterstützung, Zutritt des Pflegepersonals und Übergabe der Lebensmittel verweigere. Nach gewaltsamer Öffnung der Tür habe sich ein akuter psychotischer Zustand des Betroffenen gezeigt; zudem sei er abgemagert und die Wohnung verwahrlost gewesen. Da der Betroffene die ambulante Pflege boykottiere und regelmäßig Alkohol konsumiere, sei eine dauerhafte Unterbringung notwendig.
Diesen Antrag wiederholte der Betreuer am 02.02.2021 (Bl. 17 f.), da sich nach Entlassung des Betroffenen aus einer vorläufigen Unterbringung am 08.01.2021 das gleiche Bild zeige, die Unterstützung durch den Pflegedienst, die Medikamenteneinnahme verweigert würde. Ebenso würde die freiwillige Aufnahme in eine stationäre Pflegeeinrichtung verweigert.
Laut Pflegebericht des Pflegeteams … vom 01.02.2021 (Bl. 24 d.A.) habe der Betroffene nur am 18. und 28.01.21 die Tür geöffnet bzw. über den Balkon geantwortet und einen Einkaufswunsch geäußert, sodass der gesundheitliche Zustand nicht mehr beurteilt werden könne.
Gemäß erneutem Bericht des Pflegedienstes … (Bl. 35) habe der Betroffene im März 2021 nur an 4 Tagen den Kontakt zu ihm gestattet und ansonsten weder Tür noch Balkon geöffnet, im April (s. Schreiben Bl. 42) an 5 Tagen.
Mit Schreiben vom 04.06.2021 (Bl. 39 d.A.:) teilte der Betreuer mit, dass die Wohnung des Betroffenen erhebliche Verschmutzungen aufweise, der Boden im Bad mit Fäkalien beschmiert sei, der Betroffene der Körperpflege nicht nachkomme und dem Pflegedienst den Zutritt zur Wohnung verweigere.
Am 14.06.2021 ordnete das Amtsgericht die vorläufige Unterbringung des Betroffenen bis 24.07.2021 an (Bl. 44 f.).
Das vom Amtsgericht in Auftrag gegebene Gutachten des … vom 18.06.2021 (Bl. 49 ff.) attestierte dem Betroffenen ein hirnorganisches Psychosyndrom nach Schädel-Hirn-Trauma und langjährige Alkoholabhängigkeit mit paranoider Verfärbung sowie Epilepsie.
Der vom Amtsgericht bestellte Verfahrenspfleger gab am 15.07.2021 eine die Unterbringung befürwortende Stellungnahme ab (Bl. 62 f.).
Mit Beschluss vom 08.07.2021 ordnete das Amtsgericht Würzburg die Unterbringung des Betroffenen für 2 Jahre an (Bl. 57 ff.).
Der Beschluss wurde dem Betroffenen am 09.07.2021 zugestellt.
Mit am 27.07.2021 eingegangenem Schriftsatz legte der Verfahrensbevollmächtigte des Betroffenen hiergegen Beschwerde ein (Bl. 73 f.), die er mit Schriftsatz vom 09.08.2021 nochmal wiederholte (Bl. 77 f.).
Das Amtsgericht half der Beschwerde mit Beschluss vom 14.09.2021 nicht ab (Bl. 84) und legte sie dem Landgericht zur Entscheidung vor.
Das Landgericht holte ein Gutachten nebst Ergänzung der psychiatrischen Sachverständigen … ein, das am 25.10.2021 (Bl. 99 ff.) bzw. 28.11.2021 (Bl. 124 ff.) einging, und hörte den Betroffenen am 09.12.2021 an.
Mit Beschluss vom 10.12.2021 (Bl. 127) wurde die Sache mit Einverständnis des Verfahrensbevollmächtigten und des Betreuers auf die Einzelrichterin übertragen.
II.
Die zulässige Beschwerde erweist sich in der Sache als unbegründet.
1. Die Beschwerde ist zulässig. Gegen Entscheidungen der Amtsgerichte, mit denen die geschlossene Unterbringung genehmigt wird, ist die Beschwerde das statthafte Rechtsmittel, § 58 FamFG. Dieses wurde form- und fristgerecht eingelegt, §§ 63, 64 FamFG.
2. Die Beschwerde ist aber unbegründet.
Zu Recht hat das Amtsgericht die Unterbringung des Betroffenen genehmigt.
Gemäß § 1906 Abs. 1 BGB kann, wer aufgrund einer psychischen Krankheit sich selbst gesundheitlich erheblich gefährdet oder zu töten droht, ohne oder gegen seinen Willen untergebracht werden, es sei denn seine Einsichts- und Steuerungsfähigkeit sind nicht erheblich beeinträchtigt.
Diese Voraussetzungen liegen hier vor.
a) Bei dem Betroffenen besteht eine psychische Krankheit.
Nach den Ausführungen sowohl des erstinstanzlich eingeholten Gutachtens der psychiatrischen Sachverständigen … als auch nach dem durch die Beschwerdekammer erholten Gutachten der psychiatrischen Sachverständigen … leidet der Betroffene an einem hirnorganischen Psychosyndrom nach Schädel-Hirn-Trauma (ICD10:F07.9) und langjährigem Alkoholkonsum. Ebenso haben sich durch letztgenannten bereits Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen ergeben, die ihrerseits die Voraussetzungen einer psychischen Erkrankung (nach ICD10:F10.8) erfüllen, sodass die psychische Erkrankung nicht allein in der Alkoholabhängigkeit besteht, was nicht ausreichen würde (BGH, FamRZ 201.1, 1725).
Gemäß sachverständiger Stellungnahme zeige sich die Erkrankung des Betroffenen in kognitiven Beeinträchtigungen, verminderter Kritik- und Urteilsfähigkeit sowie unzureichender Realitätsbeurteilung. So sei er zu einer eigenständigen selbstbestimmten Lebensweise nicht mehr in der Lage und mangels Absprachefähigkeit auch unfähig, Termine mit Pflege- und Reinigungspersonal einzuhalten.
Hieraus resultiere wiederum, dass sich der Betroffene kaum ernährt – so auch laut Mitteilung des Betreuers, dergemäß in der Wohnung des Betroffenen bei keinem seiner mindestens alle 2 Wochen stattfindenden Besuche Lebensmittel vorhanden gewesen seien außer alkoholischen Getränken -, seine Wohnung vermüllt und verwahrlost bis hin zu im Bad verschmierten Fäkalien – auch insoweit durch vom Betreuer gefertigte und in der Anhörung in Augenschein genommene Lichtbilder verifiziert -, mit denen eine entsprechende Infektionsgefahr einhergeht. Trotz seines Aufenthaltes in der Unterbringung seit Juli dieses Jahres wirke der Betroffene geschwächt und stark vorgealtert.
Die Richterin schließt sich diesen Ausführungen an, insbesondere unter dem Eindruck, den der Betroffene in seiner persönlichen Anhörung vom 09.12.2021 hinterlassen hat. Hier zeigte sich seine verminderte Realitätswahrnehmung im Abstreiten seines Alkoholproblems und seiner Defizite in der Bewältigung des Alltags und Leugnen mangelnder Zusammenarbeit mit dem Pflegepersonal.
b) Der Betroffene gefährdet aufgrund seiner Erkrankung sich selbst.
Gemäß dem amtsgerichtlich eingeholten Gutachten der Sachverständigen … und dem des landgerichtlich eingeholten … liegt beim Betroffenen aufgrund seiner Erkrankung und der daraus resultierenden Realitätsverkennung und geminderten Kritikfähigkeit eine globale Hilflosigkeit vor, sodass er zur eigenständigen Lebensführung nicht mehr in der Lage ist. Der Betroffene sei mehrfach an der Grenze der Dekompensation gewesen, entweder psychisch wegen Suizidalität oder somatisch wegen Verwahrlosung, Unterernährung und Deprivation. Im Falle einer Entlassung drohe laut der Sachverständigen … erneuter Alkoholkonsum mit Fortbestehen der Verwahrlosung, der Unterernährung sowie des Risikos der Aspiration in alkoholisiertem Zustand bei bestehender Refluxerkrankung.
Zudem sei der Betroffene nicht ausreichend absprachefähig hinsichtlich regelmäßiger Medikamenteneinnahme. Diese brauche er aber im Hinblick auf sein Anfallsleiden. So habe er bereits eine Wirbelsäulenfraktur nach Krampfanfall erlitten. Ein Anfall könne gemäß der Sachverständigen … auch tödliche Folgen haben (Blutung durch Sturz). Daneben bestehe das durch paranoides Erleben verstärkte Risiko eines Suizids.
c) Der Betroffene ist nicht in der Lage, seinen Willen frei zu bilden.
Die Sachverständige … stellte insoweit fest, dass die kognitiven Beeinträchtigungen des Betroffenen insoweit zu einer verminderten Urteilsfähigkeit und unzureichender Realitätsbeurteilung geführt hätten. Auch die Sachverständige … bestätigte, dass der Betroffene krankheitsbedingt zu keiner freien Willensbildung in der Lage sei.
Dies deckt sich im vollem Umfang mit dem Eindruck, den der Betroffene bei der Anhörung hinterlassen hat.
Das Gericht verkennt nicht, dass allein die bestehende Alkoholabhängigkeit und die daraus resultierende Einengung des Denkens auf den Alkoholkonsum nicht ausreicht zur Verneinung der freien Willensbildung. Vorliegend tritt hierzu aber noch die verminderte Realitätswahrnehmung und Kritikfähigkeit aufgrund des hirnorganischen Psychosyndroms hinzu, sodass auch das Gericht von fehlender Fähigkeit zur Bildung eines freien Willens überzeugt ist.
Dem Verfahrensbevollmächtigten ist recht zu geben, dass die Gesellschaft auch Mitbürger aushalten muss, die sich nicht pflegen und deren Umgangsformen nicht den allgemeinen Konventionen entsprechen oder gar lästig sein können. Die Unterbringung erfolgt vorliegend aber nicht aufgrund des mürrischen bis aggressiven Umgangstons des Betroffenen, aufgrund etwaiger Animositäten des Pflegepersonals oder aufgrund der in der Vergangenheit stattgehabten wiederholten unnötigen Notrufe oder etwaigen Diebstahls- und Beleidigungstaten, sondern zu seinem gesundheitlichen Schutz.
Auch hier hat zwar jeder mündige Erwachsene die Freiheit, seine Gesundheit selbst zu ruinieren bis hin zum Suizid. Dies gilt aber dann nicht mehr und ruft die staatliche Fürsorge auf den Plan, wenn diese Gesundheits- und Lebensgefährdung gerade nicht auf einem freien Willen beruht, sondern krankheitsbedingt erfolgt. Und so liegt der Fall hier nach dem Dafürhalten des Beschwerdegerichts.
d) Die Gefährdung kann nicht durch weniger einschneidende Maßnahmen abgewendet werden und ist deswegen verhältnismäßig.
Zwar wäre es wünschenswert, dem Betroffenen in seiner eigenen Wohnung Hilfe zur Verfügung zu stellen oder ihn zumindest in ein offenes Heim umzusiedeln. Indes lehnt der Betroffene ambulante Hilfe entweder ab oder macht sie durch sein Verhalten unmöglich; ebenso verweigert er den Umzug in ein offenes Pflegeheim. Auch in der Anhörung machte er deutlich, dass er unbedingt nach Hause wolle; dem alternativen Szenario eines Umzugs auf die offene Station erteilte er keine Zusage, sondern beharrte darauf, allein zurecht zu kommen. Auch eine definitive Zusage einer Alkoholabstinenz war ihm – unabhängig davon, wie belastbar eine solche gewesen wäre – nicht abzuringen. Eine offene „Unterbringung“ kann zudem nicht als Minus zur geschlossenen genehmigt werden. Somit ist die Unterbringung des Betroffenen das mildest mögliche Mittel. Es ist auch verhältnismäßig im engeren Sinne, da bei einer Abwägung des Freiheitsrechts des Betroffenen mit dessen Lebensschutz vorliegend letzterer überwiegt. Dies setzt nicht voraus, dass der Betroffene durch die Unterbringung geheilt oder therapiert werden kann. Letztlich kann eine Unterbringung zum Schutz des Betroffenen auch genehmigt werden, wenn sie eventuell letztlich zu einem dauerhaften Freiheitsentzug führt.
e) Auch die Verfahrensvorschriften der §§ 312 ff. FamFG wurden beachtet: Der Betreuer hat Antrag auf Unterbringung gestellt, es liegen psychiatrische Gutachten zu den medizinischen Voraussetzungen der Unterbringung vor, es wurde in erster Instanz ein Verfahrenspfleger bestellt, dessen Stellungnahme jedenfalls bis zur Abhilfeentscheidung einging, und der sich im die Unterbringung befürwortenden Sinne geäußert hat und auch in der 2. Instanz Gelegenheit zur Stellungnahme hatte, und der Betroffene wurde angehört.
Die Voraussetzungen des § 1906 Abs. 1 BGB für die Unterbringung des Betroffenen liegen somit vor. Zu Recht hat das Amtsgericht daher die Unterbringung genehmigt. Die Beschwerde des Betroffenen war daher als unbegründet zurückzuweisen.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 FamFG.


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