Familienrecht

Fragen einer bestehenden Erwerbsobliegenheit, der Berücksichtigung von Fahrtkosten und bestehender Schulden bei der Prüfung der Erfolgsaussichten eines Abänderungsantrags

Aktenzeichen  7 WF 121/21

Datum:
12.5.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 41675
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
Bamberg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
FamFG § 113 Abs. 1
ZPO § 114 Abs. 1

 

Leitsatz

1. Die Frage, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang dem Antragsteller aufgrund der bestehenden Erwerbsobliegenheit nach § 1603 Abs. 2 BGB fiktive Einkünfte aus einer Nebenbeschäftigung in der Freizeit zugerechnet werden können mit der Folge, dass er im Hinblick auf den titulierten Unterhalt weiterhin als leistungsfähig anzusehen ist, kann nicht im VerfahrenskostenhilfeVerfahren beantwortet werden. (Rn. 11)
2. Gleiches gilt im Ergebnis für die Frage, in welcher Höhe Fahrtkosten und bestehende Schulden das Einkommen des Pflichtigen mindern. Auch insoweit müssen im Rahmen einer Entscheidung in der Hauptsache stets die besonderen Umstände des Falles berücksichtigt werden. (Rn. 14)
An die Prüfung der Erfolgsaussicht im Verfahrenskostenhilfeverfahren dürfen grundsätzlich keine überzogenen Anforderungen gestellt werden. Die Rechtsverfolgung ist bereits dann hinreichend erfolgversprechend, wenn nach vorläufiger summarischer Prüfung der Standpunkt des Antragstellers zumindest vertretbar ist. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

001 F 827/20 2020-12-07 Bes AGSCHWEINFURT AG Schweinfurt

Tenor

1. Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – Schweinfurt vom 07.12.2020 aufgehoben und die Sache an das Amtsgericht Schweinfurt zur erneuten Entscheidung zurückverwiesen.

Gründe

I.
Der Antragsteller ist der Vater der minderjährigen Antragsgegner, die im Haushalt ihrer Mutter leben. Der Unterhaltsanspruch der Antragsgegner ist tituliert. Aufgrund von Jugendamtsurkunden vom 17.05.2018 ist der Antragsteller verpflichtet, beiden Kindern Barkindesunterhalt zu bezahlen in Höhe des gesetzlichen Mindestunterhalts der jeweiligen Altersstufe abzüglich des jeweils hälftigen staatlichen Kindergelds.
Mit Schriftsatz vom 30.10.2020 beantragte der Antragsteller die Abänderung der bestehenden Titel sowie die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe.
Nach seiner Ansicht haben sich die tatsächlichen Verhältnisse seit Mai 2018 erheblich verändert. Damals habe er allein gelebt und sei nur den Antragsgegnern gegenüber zum Unterhalt verpflichtet gewesen. Sein nach Unterhaltsrecht relevantes Einkommen habe bei Berücksichtigung von Fahrtkosten 1.715 € betragen. Inzwischen sei er bei etwa gleich hohem Einkommen verheiratet und zudem seit dem xx.xx.2020 Vater von zwei weiteren Kindern.
Mit Beschluss vom 07.12.2020 lehnte das Familiengericht die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe ab mit der Begründung, die beabsichtigte Rechtsverfolgung biete keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die Gründe der Entscheidungen vom 07.12.2020 verwiesen.
Gegen die ihm am 07.12.2020 zugestellte Entscheidung legte der Antragsteller mit Schriftsatz vom 07.01.2021, beim Familiengericht eingegangen am 07.01.2021, Beschwerde ein. Seiner Meinung nach hätte Verfahrenskostenhilfe bewilligt werden müssen. Sein nach Unterhaltsrecht relevantes Einkommen betrage unter Berücksichtigung von Fahrtkosten und Schulden monatlich 1.659 €. Zudem sei er nun vier Kindern gegenüber zum Unterhalt verpflichtet.
Das Familiengericht half der Beschwerde mit Beschluss vom 06.05.2021 nicht ab und legte die Sache dem Oberlandesgericht zur Entscheidung vor. Der Antragsteller könne pro Woche weitere 10 Stunden in der Freizeit arbeiten und so zusätzlich 397,10 € verdienen. Fahrtkosten könnten nur in Höhe von 5% berücksichtigt werden, die Schulden überhaupt nicht.
II.
Die gemäß §§ 113 Abs. 1 FamFG, 127 Abs. 2 Satz 2, 567 ff ZPO zulässige, insbesondere form- und fristgerecht erhobene Beschwerde ist begründet und führt zur Aufhebung der Entscheidung des Familiengerichts vom 07.12.2020.
Entgegen der Auffassung des Familiengerichts bietet die vom Antragsteller beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg.
1) An die Prüfung der Erfolgsaussicht dürfen grundsätzlich keine überzogenen Anforderungen gestellt werden (BVerfG NJW 2013, 1727). Die Rechtsverfolgung ist bereits dann hinreichend erfolgversprechend, wenn nach vorläufiger summarischer Prüfung der Standpunkt des Antragstellers zumindest vertretbar ist (vgl. Zöller / Schultzky, ZPO, 33. Auflage, 2020, § 114 ZPO Rn. 19 ff).
2) Von diesem Maßstab ausgehend kann dem Antrag auf Abänderung eine hinreichende Erfolgsaussicht sicherlich nicht abgesprochen werden.
a) Die Frage, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang dem Antragsteller aufgrund der bestehenden Erwerbsobliegenheit nach § 1603 Abs. 2 BGB fiktive Einkünfte aus einer Nebenbeschäftigung in der Freizeit zugerechnet werden können mit der Folge, dass er im Hinblick auf den titulierten Unterhalt weiterhin als leistungsfähig anzusehen ist, kann nicht im Verfahrenskostenhilfe-Verfahren beantwortet werden.
Denn in diesem Zusammenhang muss stets eine umfassende Prüfung der besonderen Lebensund Arbeitssituation des Pflichtigen stattfinden. „Unmögliches“ darf nicht verlangt werden (FA-FamR / Fuchs, 11. Auflage 2018, 6. Kapitel Rn. 401 m.w.N.)
Einzelne Gesichtspunkte, die für die Unzumutbarkeit sprechen, können beispielsweise unregelmäßige Arbeitszeiten, besonders hohe Fahrzeiten zur Arbeit, körperlich belastende Arbeit oder Schichtarbeit des Pflichtigen sein. Daneben kommen zahlreiche weitere Kriterien in Betracht (zum Beispiel der Gesundheitszustand und das Alter des Pflichtigen, ein zeitintensives Umgangsrecht, die Betreuung weiterer Kinder, die im Haushalt des Pflichtigen leben oder die fehlende Zustimmung des Arbeitgebers).
b) Gleiches gilt im Ergebnis für die Frage, in welcher Höhe Fahrtkosten und bestehende Schulden das Einkommen des Pflichtigen mindern. Auch insoweit müssen im Rahmen einer Entscheidung in der Hauptsache stets die besonderen Umstände des Falles berücksichtigt werden.
3) Ob die wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe vorliegen (§§ 113 Abs. 1 FamFG, 115 ZPO), wurde vom Amtsgericht nicht geprüft. Die Sache wird insoweit zur erneuten Entscheidung an das Familiengericht zurückverwiesen (Zöller / Schultzky, ZPO, 33. Auflage, 2020, § 127 Rn. 41).
III.
Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst (§ 127 Abs. 4 ZPO).


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