Familienrecht

Kindergeld für ein behindertes Kind

Aktenzeichen  3 K 274/19

Datum:
24.4.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 12114
Gerichtsart:
FG
Gerichtsort:
Nürnberg
Rechtsweg:
Finanzgerichtsbarkeit
Normen:
EStG § 2 Abs. 2, § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 3, § 33b Abs. 3

 

Leitsatz

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Verfahrens hat die Klägerin zu tragen.

Gründe

Die Klage hat keinen Erfolg.
Der Bescheid der Familienkasse vom 29.11.2017 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 22.01.2019 und in Gestalt des Änderungsbescheids vom 27.12.2019 sind nicht rechtswidrig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten.
K ist nach Auffassung des Gerichts aufgrund der ihm im Klagezeitraum zur Verfügung stehenden Einkünfte in der Lage selbst seinen Lebensunterhalt sicher zu stellen. Die Klägerseite hat weitere behinderungsbedingte Aufwendungen, die zum Überschreiten der finanziellen Mittel führen würden, dem Grunde und der Höhe nach nicht substantiiert dargelegt.
1. Gemäß § 62 Abs. 1, § 63 Abs. 1 Sätze 1 und 2 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG besteht für ein Kind, das das 18. Lebensjahr vollendet hat, ein Anspruch auf Kindergeld, wenn es wegen körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung außerstande ist, sich selbst zu unterhalten. Ein behindertes Kind ist dann außerstande, sich selbst zu unterhalten, wenn es seinen Lebensunterhalt nicht bestreiten kann. Ist das Kind hingegen trotz seiner Behinderung (z.B. aufgrund hoher Einkünfte oder Bezüge) in der Lage, selbst für seinen Lebensunterhalt zu sorgen, kommt der Behinderung keine Bedeutung zu (BFH-Urteil vom 24.08.2004 VIII R 83/02, BStBl. II 2007, 248, m.w.N.). Ob dies der Fall ist, ist anhand eines Vergleichs zweier Bezugsgrößen zu prüfen, nämlich des gesamten Lebensbedarfs des Kindes einerseits und seiner finanziellen Mittel andererseits (BFH-Urteile vom 12.12.2012 VI R 101/10, BStBl. II 2015, 651 m.w.N.; vom 20.03.2013 XI R 51/10, BFH/NV 2013, 1088). Zu den finanziellen Mitteln des behinderten volljährigen Kindes gehören seine Einkünfte und Bezüge. Einkünfte sind solche i.S. von § 2 Abs. 2 EStG, zu den Bezügen gehören alle Einnahmen in Geld oder Naturalleistungen, die nicht im Rahmen der einkommensteuerrechtlichen Einkünfteermittlung erfasst werden (BFH-Urteil vom 11.04.2013 III R 35/11, BStBl. II 2013, 1037). Der existenzielle Lebensbedarf des behinderten Kindes setzt sich typischerweise zusammen aus dem allgemeinen Lebensbedarf (Grundbedarf), der sich an dem maßgeblichen Jahresgrenzbetrag nach § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG (bis 2011) orientiert, und dem individuellen behinderungsbedingten Mehrbedarf. Ab dem Jahr 2012 orientiert sich der allgemeine Lebensbedarf (Grundbedarf) am Grundfreibetrag des § 32 a Abs. 1 Satz 2 EStG 2013 bis 2015 (vgl. Schmidt/Loschelder, EStG, 39. Auflage, § 32 Rz. 48; Seiler in Kirchhof, EStG, 19. Auflage, § 32 Rz. 21; Abschnitt A 19.4. Abs. 2 Satz 2 Dienstanweisung zum Kindergeld nach dem Einkommensteuergesetz -DA-KGi.d.F. vom 10.07.2018 BStBl. I 2018, 822). Der behinderungsbedingte Mehrbedarf umfasst Aufwendungen, die gesunde Kinder nicht haben. Dazu gehören alle mit einer Behinderung zusammenhängenden außergewöhnlichen wirtschaftlichen Belastungen, etwa Aufwendungen für zusätzliche Wäsche, Unterstützungs- und Hilfeleistungen sowie typische Erschwernisaufwendungen. Das Entstehen derartiger Aufwendungen ist dem Grunde und der Höhe nach substantiiert darzulegen und glaubhaft zu machen (BFH-Urteil vom 12.12.2012 VI R 101/10, BStBl. II 2015, 651 m.w.N.; Schmidt/Loschelder, EStG, 39. Auflage, § 32 Rz. 49f). Werden die Aufwendungen nicht im Einzelnen nachgewiesen, kann der maßgebliche Behinderten-Pauschbetrag nach § 33b Abs. 1 bis 3 EStG als Anhalt für den Mehrbedarf dienen (BFH-Urteil vom 22.10.2009 III R 50/07, BStBl. II 2011, 38).
2. Im Streitfall hat das Kind nach Ihren Angaben Arbeitslosengeld ALG I zwischen Oktober 2013 und Juni 2014 in Höhe von 842,10 € monatlich (30 x 28,07) und von Januar 2015 bis Dezember 2015 ALG II Leistungen i.H.v. 742 € monatlich erhalten. Hiervon ist eine monatliche Kostenpauschale von 15 € in Abzug zu bringen.
Der Grundbedarf beträgt 677,50 € je Monat in 2013, 696,16 € je Monat in 2014 und 706 € je Monat in 2015. Ein behinderungsbedingter Mehrbedarf wurde nicht geltend gemacht. Das Entstehen derartiger Aufwendungen ist dem Grunde und der Höhe nach substantiiert darzulegen und glaubhaft zu machen (BFH-Urteil vom 12.12.2012 VI R 101/10, BStBl. II 2015, 651 m.w.N.; Schmidt/Loschelder, EStG, 39. Auflage, § 32 Rz. 49f). Werden die behinderungsbedingten Mehraufwendungen nicht im Einzelnen nachgewiesen, könnte zwar der maßgebliche Behinderten-Pauschbetrag nach § 33b Abs. 1 bis 3 EStG als Anhalt für den Mehrbedarf dienen (BFH-Urteil vom 22.10.2009 III R 50/07, BStBl. II 2011, 38). Im Streitfall ist aber für den Klagezeitraum ein Behindertenpauschbetrag nicht anzusetzen, da ein Grad der Behinderung von der Behörde erst rückwirkend ab Oktober 2017 festgestellt wurde. Im Übrigen würde aber selbst der Ansatz eines Behindertenpauschbetrags in Höhe von 60 € monatlich (GdB 60 v.H.) für Oktober 2013 bis Juni 2014 nicht dazu führen, dass der Lebensbedarf höher wäre als die Einkünfte.
Der Ansatz einer fiktiven Ausbildungsvergütung als Rechnungsgröße ist nach der Rechtsprechung nicht vorgesehen. Eine Berücksichtigung eines Kindes über das 25. Lebensjahr hinaus ist nur bei Vorliegen einer Behinderung und wenn der gesamte Lebensbedarf höher ist als die finanziellen Mittel des Kindes möglich.
3. Berechnung für die Monate Oktober bis Dezember 2013
Bedarf
Einkommen
Grundbedarf (8.130 / 12)
677,50 €
ALG I (30 x 28,07)
./. KP (180 / 12)
842,10 €
– 15,00 €
Gesamtbedarf
677,50 €
Gesamteinkommen
827,10 €
Berechnung für die Monate Januar bis Juni 2014
Bedarf
Einkommen
Grundbedarf (8.354 / 12)
696,16 €
ALG I (30 x 28,07)
./. KP (180 / 12)
842,10 €
– 15,00 €
Gesamtbedarf
696,16 €
Gesamteinkommen
827,10 €
Berechnung für die Monate Januar bis Dezember 2015
Bedarf
Einkommen
Grundbedarf (8.472 / 12)
706,00 €
ALG II
./. KP (180 € : 12)
742,00 €
– 15,00 €
Gesamtbedarf
706,00 €
Gesamteinkommen
727,00 €
Nach alledem ist K aufgrund der ihm zur Verfügung stehenden Einkünfte in der Lage, im Klagezeitraum selbst seinen Lebensunterhalt sicher zu stellen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.


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