Familienrecht

Kindergeld, Jugendamt, Kind, Schulweg, Antragsteller, Erinnerung, Unterhalt, Betrug, Eltern, Mutter, Widerspruch, Wohnsitz, Schule, Deutschland, Slowakische Republik, elterliche Sorge

Aktenzeichen  103 F 3113/21

Datum:
3.11.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 44294
Gerichtsart:
AG
Gerichtsort:
Nürnberg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

1. Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, das Kind derzeitige Anschrift, innerhalb von zwei Wochen nach Rechtskraft dieses Beschlusses in die zurückzuführen.
2. Kommt die Antragsgegnerin dieser Verpflichtung unter 1. nicht nach, so ist sie und jede andere Person, bei der sich das Kind aufhält, verpflichtet, das Kind und die ihrem Besitz befindlichen Ausweispapiere des Kindes an den Antragsteller oder eine von diesem bestimmte Person zum Zweck der Rückführung in die herauszugeben.
3. Die Antragsgegnerin wird darauf hingewiesen, dass das Gericht im Falle der Zuwiderhandlung gegen die Verpflichtung zu 2. gemäß § 44 Abs. 3 IntFamRVG i.V.m. § 89 FamFG ein Ordnungsgeld bis zu 25.000 € sowie für den Fall, dass Ordnungsgeld nicht beigetrieben werden kann oder die Anordnung von Ordnungsgeld keinen Erfolg verspricht, Ordnungshaft bis zu sechs Monaten anordnen kann.
4. Zum Vollzug von Ziffer 2. wird angeordnet:
4.1. Der Gerichtsvollzieher wird beauftragt und ermächtigt, das unter 1. aufgeführte Kind der Antragsgegnerin oder jeder anderen Person, bei der sich das Kind aufhält, wegzunehmen und es dem Antragsteller oder einer von ihm beauftragten Person an Ort und Stelle zu übergeben.
4.2 Der Gerichtsvollzieher wird beauftragt und ermächtigt, zur Durchsetzung der Herausgabe unmittelbaren Zwang gegen jede zur Herausgabe verpflichtete Person und erforderlichenfalls auch gegen das Kind nach Maßgabe des § 90 FamFG anzuwenden.
4.3 Der Gerichtsvollzieher wird zum Betreten und Durchsuchen der Wohnung der Antragsgegnerin und jeder anderen Person, bei der sich das Kind aufhält, ermächtigt.
4.4 Der Gerichtsvollzieher ist befugt, die vorgenannten Vollstreckungsmaßnahmen auch zur Nachtzeit und an Sonn- und Feiertagen vorzunehmen.
4.5 Der Gerichtsvollzieher wird zur Hinzuziehung polizeilicher Vollzugsorgane ermächtigt.
4.6 Das Jugendamt ist gemäß § 9 Abs. 1 IntFamRVG verpflichtet,
4.6.1 Vorkehrungen zur sicheren Herausgabe des Kindes … an den Antragsteller zu treffen und
4.6.2 das Kind nach Vollstreckung der Herausgabe gegebenenfalls vorläufig bis zur Rückführung in die Obhut einer für geeignet befundenen Einrichtung oder Person zu geben.
5. Eine Vollstreckungsklausel ist nicht erforderlich.
6. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der Vollstreckungskosten und Rückführungskosten.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt von der Antragsgegnerin die sofortige Rückführung des gemeinsamen Kindes, in die Slowakische Republik auf Grundlage des Übereinkommens vom 25. Oktober 1980 über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung (HK-Kindesentführungsübereinkommen, nachfolgend HKÜ).
Die Beteiligten sind die Eltern des oben genannten Kindes. Die elterliche Sorge wurde durch Entscheidung des auf den Antragsteller übertragen. Das Kind lebte einige Zeit in Deutschland bei den Großeltern väterlicherseits. Zuletzt lebte es wieder am Wohnsitz des Vaters in, Slowakische Republik, und besuchte dort auch die Schule.
Im Rahmen eines Ferienumganges vom 8.8.2021 bis 15.8.2021 verbrachte die Antragsgegnerin das Kind ohne Wissen und Zustimmung des Antragstellers nach Deutschland in der Absicht dort zukünftig mit dem Kind zu leben. Das Kind besucht inzwischen die 6. Klasse einer Mittelschule in Der Antragsteller ist mit dem verbleib des Kindes in Deutschland nicht einverstanden.
Das Gericht hat dem Kind einen Verfahrensbeistand bestellt und die Eltern sowie das Kind persönlich angehört. Das Jugendamt … hat einen schriftlichen Bericht erstattet.
II.
Gemäß Art. 12 HKÜ ordnet das Gericht die Rückgabe des Kindes an.
Das Kind hatte seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Sinne des Art. 3 1 a) HKÜ vor dem widerrechtlichen Verbringen nach Deutschland in der Slowakischen Republik. Dies ist unter den Eltern unstreitig.
Das Gericht geht auch davon aus, dass das Kind im Sinne des Art. 3 HKÜ widerrechtlich nach Deutschland verbracht wurde, da dies der gerichtlichen Sorgerechtsregelung widersprach, nach der der Antragsteller die elterliche Sorge alleine ausübt. Demnach hätte der Antragsteller dem Verbringen nach Deutschland und der Wohnsitzbegründung dort zustimmen müssen. Dies hat er unstreitig nicht getan. Die Mutter ist der Auffassung, die damalige Entscheidung sei aus „wirtschaftlichen Gründen“ getroffen worden, bzw. der Antragsteller habe sie sich durch Lüge und Betrug erschlichen. Was sie genau damit meint, konnte das Gericht trotz wiederholter Nachfragen nicht herausfinden. Es steht der Mutter jedoch frei, beim zuständigen Gericht der Slowakischen Republik einen Abänderungsantrag zu stellen, wenn sie davon ausgeht, dass die damalige Entscheidung dem Wohl des Kindes heute nicht mehr entspricht.
Das Gericht geht auch nicht davon aus, dass entsprechend Art. 13 Abs. 1 b HKÜ die Rückgabe mit der schwerwiegenden Gefahr eines körperlichen oder seelischen Schadens für das Kind verbunden ist oder das Kind auf andere Weise in eine unzumutbare Lage bringt.
Um die Voraussetzungen des Art. 13 Abs. 1b HKÜ bejahen zu können, muss die Rückgabe mit einer besonders erheblichen konkreten und aktuellen Gefahr verbunden sein und eine ungewöhnlich schwerwiegende Beeinträchtigung des Kindeswohls darstellen.
Eine solch schwerwiegende Gefahr sieht das Gericht hier nicht. Bei einer Rückführung in die Slowakische Republik wird lediglich der Zustand wieder hergestellt, der bis Anfang August 2021 bestanden hat. Das Kind hat zwar angegeben, lieber bei der Mutter in Deutschland leben zu wollen. Es hat dem Gericht erzählt, dass der Antragsteller „starken Alkohol“ trinke, streng sei und oft schreie und er sich mit der Freundin des Vaters nicht gut verstehe, da diese ihn beleidige. Außerdem habe er beim Vater einen viel längeren Schulweg und die Schule in gefalle ihm besser.
Inwieweit diese Angaben den Tatsachen entsprechen, kann das Gericht an dieser Stelle nicht detailliert überprüfen. Die Angaben des Kindes wechselten im Lauf der Anhörung von einer eher kindlichen Argumentation (die Schule ist schöner, kürzerer Schulweg) mit der Aufzählung auch positiver Elemente des Wohnens beim Vater (er habe Zeit zum Spielen und Freunde gehabt, er sei in den Judo-Verein gegangen) zum Vortrag stark belastender Erlebnisse, jedoch ohne selbst dabei besonders belastet zu wirken. Seine Erzählung über die angeblich schlimmen Dinge, die der Vater irgendwann früher gemacht habe, wirkte angelernt. kann an Vorgänge, bei denen es z.B. um den verweigerten Kauf eines Autos für die Mutter durch den Antragsteller oder um die Frage der Überweisung von Kindergeld oder Unterhalt durch den Antragsteller ging, praktisch keine eigene Erinnerung haben und hat auch gesagt, das wisse er von der Mutter. hatte bereits zu Beginn der Anhörung erklärt, es gehe um die „schlimmen Sachen“, die der Vater gemacht habe. Das Gericht konnte nach der Anhörung feststellen, dass die Mutter in Gegenwart des Kindes – trotz mehrfacher Aufforderung durch Gericht und Verfahrensbeistand, dies zu unterlassen – vehement über den Antragsteller schimpfte und versuchte, ihre Sicht des Verfahrens darzulegen. hingegen wirkte gegen Ende der Anhörung erleichtert, als ihm erklärt wurde, dass – egal wo er zukünftig leben wird – es jedenfalls für seine Zukunft vorteilhaft sei, dass er so sprachbegabt sei und schnell und gut lernen könne, und dass er in absehbarer Zeit Entscheidungen selbst treffen könne, ohne in den Streit seiner Eltern hineingezogen zu werden.
… hat zumindest das letzte Schuljahr beim Vater verbracht, ohne dass es zu besonderen Auffälligkeiten gekommen ist.
Das Verhalten der Mutter im Verfahren war hingegen teilweise kaum nachvollziehbar, es wirkte, als hätte sie den Zweck und die Zielsetzung des Verfahrens höchstens ansatzweise verstanden. Ihr Vortrag, habe vehement darum gebeten, bei ihr in Deutschland sein zu können, und sei beinahe zusammengebrochen, steht bereits im Widerspruch zu den Angaben, die Mutter habe ihm erst am Bahnhof erklärt, dass sie jetzt nach Deutschland fahren würden. Auch eine angeblich von der Mutter erwirkte abändernde Entscheidung eines slowakischen Gerichts zur elterlichen Sorge konnte die Mutter nicht vorlegen. Auf mehrfache Nachfrage erklärte sie, sie habe einen Antrag gestellt, sei aber aus Angst nicht zum Gerichtstermin gegangen. Der Antragsteller konnte hingegen eine Entscheidung des Gerichts in vorlegen, in der der Antragsgegnerin im Hinblick auf einen Versuch der Antragsgegnerin im Mai 2021, das Kind ohne Erlaubnis des Antragstellers aus der Slowakischen Republik zu verbringen, und im Hinblick auf die Tatsache, dass die Antragsgegnerin das Kind im Sommerumgang 2021 an einen dem Antragsteller nicht bekannten Ort verbracht hat und sich weigerte, das Kind zurückzubringen oder dem Vater auch nur zu sagen, wo sich das Kind aufhält, nur noch begleiteter Umgang zugesprochen wurde.
Auch die Verfahrensbeiständin konnte keine Anhaltspunkte für eine tatsächliche Gefährdung des Kindes bei einer Rückführung in die Slowakische Republik feststellen.
Nach Auffassung des Gerichts handelt es sich um einen typischen Sorgerechtsstreit mit Einbeziehung und Instrumentalisierung des Kindes. Diesen Sorgerechtsstreit zu entscheiden, ist jedoch nicht das Gericht im Rückführungsverfahren nach dem HKÜ berufen sondern das für den bisherigen Wohnsitz des Kindes zuständige Gericht der Slowakischen Republik.
Die Entscheidung in Ziffer 2 des Beschlusses richtet sich nach § 40 Abs. 1 IntFamRVG.
Die Kostenentscheidung richtet sich nach § 81 FamFG.
Die Androhungen von Ordnungsmitteln Ziffer 3 des Beschlusses richtet sich nach §§ 44 Abs. 1 IntFamRVG, 89 Abs. 3 FamFG, 913 ZPO. Anordnungen unter Ziffer 4 haben ihre Rechtsgrundlage in den §§ 90 Abs. 1 Nr. 3, 92 Abs. 1 Satz 2 FamFG. Die Anordnung unter Ziffer 4.3 hat ihre Grundlage in § 91 Abs. 1 FamFG.


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