Familienrecht

Mehraktige Ausbildung im Kindergeldrecht; Öffentlich-rechtlich geordneter Ausbildungsgang; Zäsur

Aktenzeichen  III R 14/19

Datum:
18.2.2021
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BFH
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:BFH:2021:U.180221.IIIR14.19.0
Normen:
§ 63 Abs 1 S 1 Nr 1 EStG 2009
§ 32 Abs 4 S 1 Nr 2 Buchst a EStG 2009
§ 32 Abs 4 S 1 Nr 2 Buchst c EStG 2009
§ 32 Abs 4 S 2 EStG 2009
§ 32 Abs 4 S 3 EStG 2009
EStG VZ 2013
EStG VZ 2014
EStG VZ 2015
EStG VZ 2016
EStG VZ 2017
Spruchkörper:
3. Senat

Leitsatz

1. NV: Eine einheitliche Erstausbildung i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG scheitert nicht daran, dass nur der erste nicht hingegen der zweite Ausbildungsabschnitt öffentlich-rechtlich geordnet ist.
2. NV: Hat ein Kind eine Ausbildung zum “Sozialversicherungsangestellten” erfolgreich abgeschlossen und wird es zum weiteren Ausbildungsabschnitt “AOK-Betriebswirt” erst zugelassen, wenn es mindestens ein Jahr in dem Beruf gearbeitet und weitere Leistungsnachweise erbracht hat, bewirkt die zwischen den Ausbildungsabschnitten durchgeführte Berufstätigkeit eine Zäsur, die den zeitlichen Zusammenhang zwischen den Ausbildungsabschnitten ausschließt. Die Ausbildungsabschnitte lassen sich daher nicht mehr zu einer einheitlichen Erstausbildung zusammenfassen.

Verfahrensgang

vorgehend FG Münster, 13. Dezember 2018, Az: 3 K 577/18 Kg, Urteil

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Finanzgerichts Münster vom 13.12.2018 – 3 K 577/18 Kg wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens hat die Klägerin zu tragen.

Tatbestand

I.
1
Streitig ist der Kindergeldanspruch für den Zeitraum Juli 2013 bis Dezember 2017 im Hinblick auf die Frage, ob eine Ausbildung zum “Sozialversicherungsangestellten” und eine Ausbildung zum “AOK-Betriebswirt” zu einer einheitlichen erstmaligen Berufsausbildung i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) zusammengefasst werden können.
2
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist die Mutter eines im April 1994 geborenen Sohnes (L). L beendete im Juni 2013 die Ausbildung zum “Sozialversicherungsfachangestellten” erfolgreich mit der Note “ausreichend”. Nachdem er im Juli 2013 ebenfalls erfolgreich an einem Potenzialanalyseverfahren der Allgemeinen Ortskrankenkasse (AOK) teilgenommen hatte, begann er im Oktober 2014 eine Ausbildung im Studiengang “AOK-Betriebswirt/-in”. Bei dem Studiengang handelt es sich um ein betriebsinternes Studium, an dem nur Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der AOK teilnehmen können. Zugelassen werden können Sozialversicherungsfachangestellte, die ihre Befähigung zum Studium in einem bundeseinheitlichen Potenzialanalyseverfahren nachgewiesen und die geforderten Leistungsnachweise “Basiskenntnisse” erfolgreich erbracht haben. Dabei können diese Leistungsnachweise im Regelfall frühestens ein Jahr nach Bestehen der Abschlussprüfung zum “Sozialversicherungsfachangestellten” erbracht werden. Sozialversicherungsfachangestellte, die die Abschlussprüfung mit der Note “sehr gut” oder “gut” bestanden und im bundeseinheitlichen Potenzialanalyseverfahren ihr Potenzial nachgewiesen haben, werden auf ihren Antrag von der Teilnahme an den Leistungsnachweisen befreit. Das Studium umfasst die Themenschwerpunkte Betriebswirtschaftslehre, Recht, Gesundheitswissenschaften, Management und Marketing. Der Abschluss “AOK-Betriebswirt/-in” ist nach den Feststellungen des Finanzgerichts (FG) staatlich nicht anerkannt und kann auch nicht im Rahmen anderer staatlich anerkannter Studiengänge angerechnet werden. Das Studium wurde von der AOK ohne Beteiligung staatlicher Stellen konzipiert. Im Dezember 2017 bestand L die Prüfung zum “AOK-Betriebswirt”. Nach Beendigung der Ausbildung zum “Sozialversicherungsfachangestellten” und während des Studiums war er bei der AOK durchgängig mit einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 38,5 Stunden beschäftigt.
3
Die Klägerin beantragte –noch im Jahr 2017– die rückwirkende Festsetzung von Kindergeld.
4
Die Beklagte und Revisionsbeklagte (Familienkasse) lehnte den Antrag auf Kindergeld ab Oktober 2014 mit Bescheid vom 28.12.2017 ab und wies den hiergegen gerichteten Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 30.01.2018 als unbegründet zurück. Zur Begründung führte sie an, L habe mit Bestehen der Prüfung zum “Sozialversicherungsfachangestellten” eine erstmalige Berufsausbildung abgeschlossen. Da er einer Erwerbstätigkeit nachgegangen sei, sei der Kindergeldanspruch nach § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG ausgeschlossen. Zwar könne nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) eine weiterführende Ausbildung noch als Teil der Erstausbildung angesehen werden. Eine mehraktige Berufsausbildung in diesem Sinne setze aber einen engen sachlichen und zeitlichen Zusammenhang zwischen den Ausbildungsabschnitten voraus. Ein enger zeitlicher Zusammenhang könne nur dann angenommen werden, wenn die Bewerbung oder Ausbildungsplatzzusage aus dem Monat nach Abschluss des ersten Ausbildungsabschnittes stamme oder das Kind in diesem Monat eine Absichtserklärung abgebe. Diese Voraussetzungen seien im Streitfall nicht erfüllt, da die erste Ausbildung am 28.06.2013 abgeschlossen und die Weiterbildung “AOK-Betriebswirt/-in” erst zum 01.10.2014 –mithin 15 Monate später– begonnen worden sei. Zudem liege lediglich eine interne Weiterbildung vor. Der Sohn erlange keinen staatlich anerkannten Abschluss und es sei nicht bekannt, ob andere Unternehmen diesen internen Abschluss anerkennen würden.
5
Mit weiterem Bescheid vom 24.01.2018 lehnte die Familienkasse den Antrag auf Kindergeld für den Zeitraum ab Juli 2013 mit der Begründung ab, L habe mangels zeitlichen Zusammenhangs der beiden Ausbildungsabschnitte keine mehraktige Berufsausbildung im Sinne der Rechtsprechung des BFH durchlaufen. Den dagegen gerichteten Einspruch wies die Familienkasse mit Einspruchsentscheidung vom 07.03.2018 als unbegründet zurück.
6
Das FG wies die gegen beide ablehnenden Entscheidungen gerichtete Klage als unbegründet ab.
7
Mit der Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts.
8
Die Klägerin beantragt,das angefochtene Urteil aufzuheben, und die Familienkasse unter Aufhebung des Bescheids vom 28.12.2017 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 30.01.2018 sowie des Bescheids vom 24.01.2018 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 07.03.2018 zu verpflichten, Kindergeld für den Sohn der Klägerin für den Zeitraum Juli 2013 bis Dezember 2017 festzusetzen.
9
Die Familienkasse beantragt,die Revision zurückzuweisen.


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