Aktenzeichen XII ZB 212/09
§ 1564 BGB
§ 114 S 1 ZPO
§ 115 ZPO
§ 118 Abs 2 S 1 ZPO
§ 118 Abs 2 S 2 ZPO
Leitsatz
1. Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für eine Klage auf Aufhebung der mit einem Ausländer zum Zwecke der Erlangung eines Aufenthaltstitels eingegangenen Scheinehe ist nicht rechtsmissbräuchlich .
2. Eine Partei, die rechtsmissbräuchlich die Ehe geschlossen und hierfür ein Entgelt erhalten hat, trifft grundsätzlich die Pflicht, hiervon Rücklagen zu bilden, um die Kosten eines Eheaufhebungsverfahrens finanzieren zu können (im Anschluss an den Senatsbeschluss vom 22. Juni 2005, XII ZB 247/03, FamRZ 2005, 1477) .
3. Die Behauptung der Partei, das für die Eingehung der Scheinehe versprochene Entgelt nicht erhalten zu haben, ist dem Gericht auf Verlangen glaubhaft zu machen .
Verfahrensgang
vorgehend OLG Koblenz, 20. April 2009, Az: 11 WF 274/09, Beschlussvorgehend AG Bingen, 5. Februar 2009, Az: 9 F 1/09
Tenor
Der Antragstellerin wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Fristen zur Einlegung und zur Begründung der Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 11. Zivilsenats – 3. Senat für Familiensachen – des Oberlandesgerichts Koblenz vom 20. April 2009 gewährt.
Auf die Rechtsbeschwerde der Antragstellerin wird der vorgenannte Beschluss aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Behandlung und Entscheidung an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.
Gerichtskosten werden für das Rechtsbeschwerdeverfahren nicht erhoben, außergerichtliche Kosten nicht erstattet.
Beschwerdewert: bis 600 €
Gründe
I.
1
Die Antragstellerin begehrt Prozesskostenhilfe für ein Verfahren auf Aufhebung der mit dem Antragsgegner geschlossenen Ehe.
2
Die 1968 geborene Antragstellerin schloss am 7. März 2008 vor dem Standesamt A. (Türkei) eine Scheinehe mit dem Antragsgegner, einem türkischen Staatsangehörigen. Hierfür versprach ihr der Antragsgegner einen Betrag von 10.000 €, den die Antragstellerin nach ihrer Darstellung jedoch nicht erhalten hat. Eine eheliche Lebensgemeinschaft wurde nicht begründet.
3
Das Amtsgericht – Familiengericht – hat der Antragstellerin die nachgesuchte Prozesskostenhilfe versagt. Ihre sofortige Beschwerde blieb erfolglos. Mit der vom Oberlandesgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt sie ihr Begehren weiter.
II.
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Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg und führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Oberlandesgericht.
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Für das Verfahren ist gemäß Art. 111 Abs. 1 FGG-RG noch das bis Ende August 2009 geltende Verfahrensrecht anwendbar, weil das Verfahren vor diesem Zeitpunkt eingeleitet worden ist (vgl. Senatsurteil vom 16. Dezember 2009 – XII ZR 50/08 – FamRZ 2010, 357 – Rn. 7 mwN).
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1. Die Rechtsbeschwerde ist zulässig, weil das Beschwerdegericht sie gemäß § 574 Abs. 1 Nr. 2 ZPO wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache zugelassen hat. Daran ist der Senat gebunden (§ 574 Abs. 3 Satz 2 ZPO).
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Zwar kommt eine Zulassung der Rechtsbeschwerde bei der Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter dem Gesichtspunkt der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 574 Abs. 2 Nr. 1 ZPO) oder der Fortbildung des Rechts oder der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO) nur in Betracht, wenn es um Fragen des Verfahrens der Prozesskostenhilfe oder der persönlichen Voraussetzungen ihrer Bewilligung geht (Senatsbeschluss vom 22. Juni 2005 – XII ZB 247/03 – FamRZ 2005, 1477 mwN). Das ist hier indessen der Fall, da die Antragstellerin geltend macht, die personenbezogene Beurteilung ihrer Rechtsverfolgung als rechtsmissbräuchlich sei nicht gerechtfertigt.
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2. Die Rechtsbeschwerde hat auch in der Sache Erfolg und führt zur Zurückverweisung an das Beschwerdegericht.
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a) Das Beschwerdegericht (OLG Koblenz NJW-RR 2009, 1308) hat die Auffassung vertreten, die nachgesuchte Prozesskostenhilfe sei wegen Rechtsmissbrauchs zu versagen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Die Rechtsverfolgung sei mutwillig, wenn die Ehe nur zu dem Zweck geschlossen wurde, einem Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis zu verschaffen. In diesem Fall könnten die Erschleichung der Aufenthaltserlaubnis, die Heirat und das Scheidungsbegehren nicht voneinander isoliert betrachtet, sondern müssten als Gesamtplan gewürdigt werden. Die Antragstellerin habe eine Ehe geschlossen, die nach den Vorstellungen beider Parteien nie vollzogen werden sollte. Sie habe daher das Rechtsinstitut der Ehe in Erwartung eines finanziellen Vorteils missbraucht. Dass dieser Vorteil nicht eingetreten sei, weil das versprochene Entgelt nach ihrer Darstellung nicht bezahlt wurde, ändere hieran nichts. Auch einer Partei, die nur aus Gefälligkeit eine Ehe mit einem Ausländer schließe, um diesem zu einer Aufenthaltserlaubnis zu verhelfen, könne Prozesskostenhilfe nicht bewilligt werden.
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b) Dagegen wendet sich die Rechtsbeschwerde mit Erfolg.
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Eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, erhält auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint (§ 114 Satz 1 ZPO). Ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen nach dieser Bestimmung Prozesskostenhilfe für ein auf Aufhebung einer Scheinehe gerichtetes Verfahren zu gewähren ist, wird in Rechtsprechung und Schrifttum nicht einheitlich beantwortet (vgl. die Darstellung im Senatsbeschluss vom 22. Juni 2005 – XII ZB 247/03 – FamRZ 2005, 1477).
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Das Bundesverfassungsgericht hat die Frage, welche Auswirkungen die Rechtsmissbräuchlichkeit des Eingehens einer Scheinehe auf das Prozesskostenhilfebegehren für die anschließende Scheidung der Ehe hat, offen gelassen (BVerfG FamRZ 1984, 1206, 1207). Nach Ansicht der Richter, deren Auffassung die vorgenannte Entscheidung nicht getragen hat, ist Prozesskostenhilfe zu bewilligen, wenn die erforderlichen wirtschaftlichen Voraussetzungen gegeben sind. Die Ablehnung des Prozesskostenhilfegesuchs mit der Begründung, wegen des Missbrauchs des Rechtsinstituts der Ehe dürfe der Steuerzahler nicht mit den Kosten des Scheidungsverfahrens belastet werden, finde im Gesetz keine Stütze. Eine solche Entscheidung führe dazu, dass die bedürftige Partei unter Verletzung des Grundsatzes der Rechtsanwendungsgleichheit schlechter gestellt werde als die nicht bedürftige. Da rechtsmissbräuchlich zwar die Eingehung einer Scheinehe, nicht aber deren Scheidung sei, wäre eine reiche Partei nicht gehindert, im Wege des gesetzlich vorgeschriebenen Verfahrens die Aufhebung einer Scheinehe zu erreichen. Die arme Partei werde hingegen an der Scheinehe festgehalten (BVerfG aaO).
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Dieser Betrachtungsweise schließt sich der erkennende Senat an (vgl. bereits Senatsbeschluss vom 22. Juni 2005 – XII ZB 247/03 – FamRZ 2005, 1477; dem folgend OLG Frankfurt FamRZ 2006, 1128; OLG Köln FamRZ 2008, 1260; OLG Saarbrücken FamRZ 2009, 626; OLG Hamm Beschluss vom 5. Oktober 2010 – II-2 WF 218/10 – Juris; Johannsen/Henrich/Jaeger Familienrecht 5. Aufl. § 1565 BGB Rn. 18; Staudinger/Rauscher BGB [2010] § 1564 Rn. 141). Wenn die Rechtsordnung die zu ehefremden Zwecken geschlossene Ehe als wirksam ansieht, stellt ein Eheaufhebungs- oder Scheidungsbegehren die einzige Möglichkeit zur Auflösung einer solchen Ehe dar. Bereits das spricht dagegen, das Prozesskostenhilfegesuch als rechtsmissbräuchlich anzusehen. Auch eine bemittelte Partei könnte die Auflösung einer Scheinehe nicht auf anderem Weg erreichen. Als rechtsmissbräuchlich kann daher grundsätzlich nur die Eingehung der Scheinehe als solche gesehen werden, nicht aber die Beseitigung der dadurch eingetretenen Rechtsfolgen durch die Eheaufhebungsklage.
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c) Ob Prozesskostenhilfe wegen Mutwillens versagt werden könnte, wenn die Parteien schon bei der Heirat die Scheidung beabsichtigt und gewusst hätten, dass sie diese nicht würden bezahlen können (so OLG Hamm Beschluss vom 4. Februar 2000 – 11 WF 407/99 – Juris; OLG Koblenz FamRZ 2004, 548; OLG Naumburg FamRZ 2004, 548, 549; OLG Rostock FamRZ 2007, 1335; Philippi FPR 2002, 479, 484; Johannsen/Henrich/Markwardt Familienrecht 5. Aufl. § 114 ZPO Rn. 19) bedarf hier keiner Entscheidung. Denn der Antragstellerin wurde nach eigener Darstellung ein Entgelt für die Eingehung der Scheinehe versprochen, von dem sie eine Rücklage für das Eheanfechtungsverfahren hätte bilden können und müssen (vgl. Senatsbeschluss vom 22. Juni 2005 – XII ZB 247/03 – FamRZ 2005, 1477). Es kann daher nicht festgestellt werden, dass ihr Gesamtplan von vornherein darauf angelegt war, die spätere Eheaufhebungsklage unter Inanspruchnahme von Prozesskostenhilfe zu führen. Allein der Umstand, dass die Antragstellerin das versprochene Entgelt nach ihrer Darstellung nicht erhielt und sie die Prozesskostenrücklage somit nicht bilden konnte, begründet keinen Mutwillen in ihrer Person.
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d) Danach hat das Oberlandesgericht der Antragstellerin die nachgesuchte Prozesskostenhilfe jedenfalls zu Unrecht wegen rechtsmissbräuchlicher Inanspruchnahme versagt. Die Sache ist daher an das Oberlandesgericht zurückzuverweisen (§ 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO), um diesem eine abschließende Prüfung der wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe zu ermöglichen (§ 115 ZPO). Diese Prüfung kann der Senat nicht selbst vornehmen, da es hierzu noch weiterer Aufklärung bedarf.
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e) Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:
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aa) Eine Partei, die rechtsmissbräuchlich eine Ehe geschlossen und hierfür ein Entgelt erhalten hat, trifft die Verpflichtung, hiervon Rücklagen zu bilden, um die Kosten eines – regelmäßig absehbaren – Eheaufhebungsverfahrens finanzieren zu können (Senatsbeschluss vom 22. Juni 2005 – XII ZB 247/03 – FamRZ 2005, 1477). Nur wenn die Partei zur Bildung von Rücklagen nicht imstande war, können die wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe erfüllt sein. Dass die Partei nach diesen Grundsätzen hilfsbedürftig ist, hat sie im Einzelnen darzulegen. Sie muss deshalb angeben, welche Beträge sie erhalten und wie sie die Mittel verwendet hat.
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Behauptet die Partei, das für die Eingehung der Scheinehe versprochene Entgelt nicht erhalten zu haben, hat sie dieses dem Gericht auf Verlangen glaubhaft zu machen. Das Gericht kann dazu Erhebungen anstellen, insbesondere die Vorlegung von Urkunden anordnen und Auskünfte einholen (§ 118 Abs. 2 Satz 1, 2 ZPO). Wie weit die Glaubhaftmachung verlangt wird, steht grundsätzlich im Ermessen des Gerichts (Zöller/Philippi ZPO 28. Aufl. § 118 Rn. 16). Allerdings besteht bei einer Partei, die sich bereits durch die Eingehung der Scheinehe gegen die Rechtsordnung gestellt hat, regelmäßig Veranlassung, ihre weitere Darstellung, das dafür versprochene Entgelt nicht erhalten zu haben, einer genaueren Überprüfung zu unterziehen.
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bb) Ferner hat sich die Bedürftigkeitsprüfung darauf zu erstrecken, dass ein Unterhaltsanspruch oder ein Anspruch auf Prozesskostenvorschuss gegen den Ehemann nicht besteht (OLG Celle FamRZ 2007, 762) oder nicht durchzusetzen ist (OLG Köln FamRZ 1994, 1409). Die Darlegungen hierzu, die die Antragstellerin bereits von sich aus hätte erbringen müssen (Zöller/Philippi ZPO 28. Aufl. § 117 Rn. 14), kann das Oberlandesgericht nachfordern.
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