Familienrecht

Sachliche Unzuständigkeit des sog. regionalen Inkassoservice im Bereich des steuerlichen Kindergeldes

Aktenzeichen  III R 36/19

Datum:
25.2.2021
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BFH
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:BFH:2021:U.250221.IIIR36.19.0
Normen:
§ 5 Abs 1 S 1 Nr 11 FVG
§ 16 AO
§ 17 AO
§ 125 Abs 1 AO
§ 127 AO
§ 222 S 1 AO
§ 63 Abs 1 Nr 1 FGO
§ 63 Abs 1 Nr 2 FGO
§ 65 Abs 1 S 1 FGO
Art 19 Abs 4 GG
Art 20 Abs 3 GG
§ 70 Abs 2 EStG 2009
§ 17 Abs 2 S 3 FVG
EStG VZ 2014
EStG VZ 2015
EStG VZ 2016
EStG VZ 2017
Spruchkörper:
3. Senat

Leitsatz

1. § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 Satz 4 FVG räumt dem Vorstand der Bundesagentur für Arbeit nur die Befugnis ein, innerhalb seines Zuständigkeitsbereichs die Entscheidung über den Anspruch auf Kindergeld für bestimmte Bezirke oder Gruppen von Berechtigten abweichend von den Vorschriften der AO über die örtliche Zuständigkeit von Finanzbehörden einer anderen Familienkasse zu übertragen.
2. Für die örtliche Zuständigkeit gilt der Grundsatz der Gesamtzuständigkeit, d.h. die Zuständigkeit umfasst grundsätzlich alle Verwaltungstätigkeiten der Finanzbehörde, die sich aus dem gesamten Besteuerungsverfahren ergeben (Festsetzung, Rechtsbehelfsverfahren, Erhebung und Vollstreckung). Eine abweichende Regelung über die örtliche Zuständigkeit setzt daher eine Übertragung der Gesamtzuständigkeit für bestimmte Bezirke oder Gruppen von Berechtigten voraus.
3. Werden für bestimmte Gruppen von Berechtigten nur einzelne Sachaufgaben von der örtlich und damit gesamtzuständigen Familienkasse auf eine andere Familienkasse oder Behörde übertragen, betrifft dies den Gegenstand und Inhalt der der Finanzbehörde zugewiesenen Aufgaben und damit eine Frage der sachlichen Zuständigkeit.
4. Werden in einem Besteuerungsverfahren von vorneherein unterschiedliche Behörden im Ausgangs- und im Rechtsbehelfsverfahren tätig, ist die dagegen gerichtete Klage nach § 63 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 FGO gegen die Ausgangsbehörde zu richten.

Verfahrensgang

vorgehend FG Düsseldorf, 14. Mai 2019, Az: 10 K 3317/18 AO, Gerichtsbescheid

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Finanzgerichts Düsseldorf vom 14.05.2019 – 10 K 3317/18 AO wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens hat die Beklagte zu tragen.

Tatbestand

I.
1
Streitig ist die Zuständigkeit der Beklagten und Revisionsklägerin für die Ablehnung eines Antrags auf Stundung einer Kindergeldrückforderung.
2
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) bezog bis Januar 2017 Kindergeld für seine Tochter J. J befand sich nach der Geburt ihres Kindes seit August 2014 in Elternzeit. Nachdem die Familienkasse Nordrhein-Westfalen (NRW) D hiervon Kenntnis erhalten hatte, hob sie die Kindergeldfestsetzung gegenüber dem Kläger durch Bescheid vom 10.03.2017 ab September 2014 auf und forderte das für September 2014 bis Januar 2017 gezahlte Kindergeld in Höhe von 5.464 € vom Kläger zurück. Der Kläger legte gegen diesen Bescheid Einspruch ein, über den die Familienkasse NRW D noch nicht entschieden hat.
3
Die Bundesagentur für Arbeit, Agentur für Arbeit Z Inkasso-Service Familienkasse (Agentur für Arbeit Z Inkasso-Service Familienkasse) erklärte sich mit Schreiben vom 10.01.2018 mit einer Rückzahlung des Erstattungsanspruchs nebst Säumniszuschlägen in Raten einverstanden. Da der Kläger die Ratenzahlungsvereinbarung ab März 2018 nicht mehr einhielt, forderte die Agentur für Arbeit Z Inkasso-Service Familienkasse den Kläger durch Schreiben vom 14.03.2018 auf, die Rate für diesen Monat bis zum 28.03.2018 zu zahlen. Mangels termingerechter Zahlung dieser Rate mahnte sie mit Schreiben vom 04.04.2018 die gesamte offene Forderung zur Zahlung bis zum 18.04.2018 an und drohte –weil der Kläger auch bis dahin keine Zahlungen geleistet hatte– die Vollstreckung für den Fall an, dass der Rückstand in Höhe von 5.690,50 € nicht bis zum 08.05.2018 ausgeglichen werde.
4
Mit E-Mail vom 23.04.2018 bat der Kläger im Hinblick auf seine angespannte finanzielle Lage um Aussetzung der angedrohten Vollstreckung und kündigte an, sich um weitere Ratenzahlungen zu bemühen. Die Agentur für Arbeit Z Inkasso-Service Familienkasse legte diesen Antrag als Stundungsbegehren aus. Der Aufforderung, weitere Angaben zu seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen zu machen, kam der Kläger nach. Die Agentur für Arbeit Z Inkasso-Service Familienkasse lehnte den Antrag mit Bescheid vom 14.08.2018 ab. Zur Begründung verwies sie darauf, dass die Rückforderung auf einer vom Kläger zu vertretenden Verletzung seiner Mitwirkungspflicht beruhe und deshalb von mangelnder Stundungswürdigkeit auszugehen sei. Nach der beigefügten Rechtsbehelfsbelehrung war ein Einspruch gegen diesen Bescheid bei der Familienkasse NRW A einzulegen.
5
Den gegen diese Stundungsablehnung und an die Agentur für Arbeit Z Inkasso-Service Familienkasse gerichteten Einspruch wies die Familienkasse NRW A durch Einspruchsentscheidung vom 25.10.2018 als unbegründet zurück.
6
Die daraufhin gegen die Familienkasse NRW A gerichtete Klage legte das Finanzgericht (FG) dahingehend aus, dass sie sich gegen die Behörde, die den beantragten Verwaltungsakt abgelehnt habe, und somit gegen die Agentur für Arbeit Z Inkasso-Service Familienkasse richte. Das FG gab der Klage insoweit statt, als der Kläger die Aufhebung des Ablehnungsbescheids vom 14.08.2018 und der Einspruchsentscheidung vom 25.10.2018 begehrte. Soweit der Kläger darüber hinaus die Verpflichtung der Agentur für Arbeit Z Inkasso-Service Familienkasse zur Gewährung der beantragten Stundung begehrte, wies das FG die Klage als unbegründet ab.
7
Mit der hiergegen gerichteten Revision rügt die Agentur für Arbeit Z Inkasso-Service Familienkasse die Verletzung materiellen Rechts.
8
Die Agentur für Arbeit Z Inkasso-Service Familienkasse beantragt,das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
9
Der Kläger beantragt,die Revision zurückzuweisen.
10
Das Bundesministerium der Finanzen (BMF) ist dem Verfahren beigetreten. Es unterstützt die Auffassung der Agentur für Arbeit Z Inkasso-Service Familienkasse.


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