Familienrecht

Verfahrenskostenhilfe für Mehrvergleich bei Antragstellung nach Beendigung des Verfahrens

Aktenzeichen  10 WF 501/20

Datum:
17.6.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 15785
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
Nürnberg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
FamFG § 38 Abs. 3 S. 3, § 76 Abs. 2
ZPO § 117, § 118 Abs. 2 S. 4

 

Leitsatz

1. Die rückwirkende Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe nach Instanzende kommt grundsätzlich nur dann in Betracht, wenn der Antrag vor Abschluss der Instanz gestellt und vor Abschluss der Instanz Bewilligungsreife eingetreten ist, insbesondere die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vor Beendigung des Verfahrens vorgelegen hat. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
2. Dieser Grundsatz ist einzuschränken, wenn das Gericht es gestattet, innerhalb einer Frist fehlende Unterlagen nachzureichen oder nach Abschluss des Verfahrens eine Erweiterung des Verfahrenskostenhilfeantrages zu beantragen, und diese Frist gewahrt wird. (Rn. 13 – 14) (redaktioneller Leitsatz)
3. Hat ein Beteiligter die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe beantragt und schließen die Beteiligten einen Vergleich, dessen Gegenstand über den des Verfahrens hinaus geht, so ist das Gericht verpflichtet, den Beteiligten noch vor Abschluss des Vergleichs darauf hinzuweisen, dass es zur Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe für diesen Vergleich eines weiteren Antrages bedarf. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

001 F 796/19 2020-01-09 Bes AGSCHWANDORF AG Schwandorf

Tenor

Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Amtsgerichts Schwandorf – Abt. f. Familiensachen – vom 09.01.2020 (Az. 1 F 796/19) dahingehend abgeändert und erweitert, dass der Antragstellerin zusätzlich Verfahrenskostenhilfe für den am 13.11.2019 abgeschlossenen Vergleich zum Umgangsrecht zu den im Beschluss vom 09.01.2020 angeordneten Bedingungen bewilligt wird.

Gründe

I.
Mit seiner Beschwerde wendet sich die Antragstellerin gegen die Versagung von Verfahrenskostenhilfe für einen zwischen den Beteiligten vor dem Amtsgericht geschlossenen Vergleichs.
Die Antragstellerin beantragte am 17.10.2019 für das einstweilige Anordnungsverfahren elterliche Sorge Verfahrenskostenhilfe zu bewilligen.
Im Anhörungstermin am 13.11.2019 schlossen die Beteiligten einen Vergleich über das Umgangsrecht.
Mit Beschluss vom 09.01.2020 bewilligte das Gericht Verfahrenskostenhilfe für das einstweilige Anordnungsverfahren elterliche Sorge.
Mit Verfügung vom 30.04.2020 wies das Amtsgericht darauf hin, dass bezüglich des abgeschlossenen Vergleichs noch kein Verfahrenskostenhilfeantrag gestellt worden sei und ob beabsichtigt sei, eine Erweiterung der Verfahrenskostenhilfe zu beantragen.
Mit Beschluss vom 06.05.2020 hat das Gericht den Antrag auf Erweiterung von Verfahrenskostenhilfe zurückgewiesen mit der Begründung, der Antrag sei zu spät gestellt worden. Eine nachträgliche Erweiterung der Verfahrenskostenhilfe sei nicht möglich; das sei auch den Beteiligten am Ende der Anhörung mitgeteilt worden.
Gegen diesen formlos zugesandten Beschluss wendet sich die Antragstellerin mit ihrer am 13.05.2020 eingegangenen sofortigen Beschwerde. Die Antragstellerin wendet ein, zum Zeitpunkt des Abschlusses des Vergleichs sei über die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe noch nicht entschieden worden. Erst zwei Monate später sei über den Antrag auf Verfahrenskostenhilfe entschieden worden. Das Gericht wäre in Zweifelsfällen verpflichtet gewesen für Klarstellung zu sorgen. Komme es zu einem Mehrvergleich, sei davon auszugehen, dass die finanziell unbemittelte Partei auch für die weiteren durch den Vergleich miterledigten Streitpunkte Verfahrenskostenhilfe begehre. Es sei überwiegende Auffassung, dass im Verfahrenskostenhilfeverfahren eine konkludente Antragstellung möglich sei. In einem solchen Fall sei die Beantragung von Verfahrenskostenhilfe so zu verstehen, dass sie auch einen Mehrvergleich erfassen solle.
Auf die Begründung der Beschwerdeschrift des Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin vom 13.05.2020 wird Bezug genommen.
Das Amtsgericht hat mit Beschluss vom 18.05.2020 der Beschwerde nicht abgeholfen.
II.
Die gemäß § 76 Abs. 2 FamFG, 3 127 Abs. 2 Satz 2, §§ 567 ff. ZPO zulässige sofortige Beschwerde hat in der Sache Erfolg.
Das einstweilige Anordnungsverfahren war am 13.11.2019 abgeschlossen.
Die rückwirkende Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe nach Instanzende kommt grundsätzlich nur dann in Betracht, wenn der Antrag vor Abschluss der Instanz gestellt und vor Abschluss der Instanz Bewilligungsreife eingetreten ist, insbesondere die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vor Beendigung des Verfahrens vorgelegen hat. Ist die Instanz bereits beendet, ist eine erfolgversprechende Rechtsverfolgung oder -verteidigung nicht mehr möglich.
Dieser Grundsatz ist jedoch zum einen einzuschränken, wenn das Gericht gestattet, fehlende Unterlagen innerhalb einer Frist nachzureichen und diese Frist gewahrt wird (Zöller/Geimer, ZPO, 32. Aufl., § 117 ZPO, Rn. 2b; OLG Karlsruhe, FamRZ 2011, 1608: OLG Nürnberg, FamRZ 2002, 759). Gibt das Gericht durch Einräumung einer solchen Frist zur Vorlage der Unterlagen die Bereitschaft zur Prüfung des Gesuchs ohne Rücksicht auf die Beendigung der Instanz zu erkennen, schafft es einen Vertrauenstatbestand dahingehend, dass die nachträgliche Belegvorlage noch gestattet wird (vgl. OLG Karlsruhe, FamRZ 2011, 1608).
Im vorliegenden vergleichbaren Fall hat das Gericht (Rechtspfleger) mit Verfügung vom 30.04.2020 dem Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin die Gelegenheit gegeben, innerhalb einer Frist eine Erweiterung des Verfahrenskostenhilfeantrags zu beantragen. Das Gericht hat damit einen Vertrauenstatbestand dahingehend geschaffen, die nachträgliche Beantragung werde noch gestattetOh (s. OLG Karlsruhe a.a.O.).
Darüber hinaus hat das Gericht seiner Hinweispflicht nicht Genüge getan.
In der Literatur und insbesondere in der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung wird zum anderen in analoger Anwendung von § 118 Abs. 2 Satz 4 ZPO die Auffassung vertreten, wegen mangelnder Mitwirkung eines Antragstellers (zur Verfahrens- bzw. Prozesskostenhilfe) bei der Ermittlung der Bewilligungsvoraussetzungen sei die Ablehnung des Gesuchs nur dann zulässig, wenn vorher ein entsprechender Hinweis und eine wirksame Fristsetzung durch das Gericht erfolgt seien. Daher dürfe das Gericht nach Eingang eines Prozess- bzw. Verfahrenskostenhilfegesuchs nicht bis zur Instanz- bzw. Verfahrensbeendigung warten und dann den Antrag wegen Nichtvorlage des Vordrucks und/oder Unvollständigkeit der Unterlagen zurückweisen. Das Gericht müsse die bedürftige Partei/Beteiligte zwar nicht unverzüglich, wohl aber so rechtzeitig unter Fristsetzung auf die Mängel ihres Gesuchs hinweisen, dass diese vor dem nächsten Termin und damit vor der möglichen Instanz- oder Verfahrensbeendigung behoben werden könnten (LAG Köln, Beschluss vom 10.12.2013, Az. 4 Ta 326/13; LAG Hamm, Beschluss vom 30.12.2005, Az. 4 Ta 555/05 – Rn. 8; OLG Saarbrücken, FamRZ 2012, 806; Zöller/Geimer, a.a.O., § 117 ZPO Rn. 17).
Das Gericht ist in diesem Fall verpflichtet, noch vor Abschluss des Vergleichs die Beteiligten auf die Antragstellung hinzuweisen und nicht, wie geschehen, erst nach Ende der Anhörung und Abschluss der Instanz.
Ob ein konkludenter Antrag auf Verfahrenskostenhilfe seitens des Bevollmächtigten vorliegt, kommt es nicht an. Das Gericht hat einen Vertrauenstatbestand geschaffen und damit die Voraussetzungen dafür, dass die Verfahrenskostenhilfe noch nachträglich bewilligt werden muss.
Erlass des Beschlusses (§ 38 Abs. 3 Satz 3 FamFG):
Übergabe an die Geschäftsstelle am 25.06.2020.


Ähnliche Artikel

Die Scheidung einer Ehe

War es bis vor etlichen Jahren noch undenkbar, eine Ehe scheiden zu lassen, so ist eine Scheidung heute gesellschaftlich akzeptiert. Die Zahlen der letzten Jahre zeigen einen deutlichen Trend: Beinahe jede zweite Ehe wird im Laufe der Zeit geschieden. Was es zu beachten gilt, erfahren Sie hier.
Mehr lesen


Nach oben