Familienrecht

Verwirkung des Anspruchs auf gerichtliche Überprüfung einer erledigten vollzugsbehördlichen Maßnahme

Aktenzeichen  1 Ws 125/21

Datum:
12.3.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 5067
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
StPO § 119a
StVollzG § 113 Abs. 3
EGGVG § 27 Abs. 3

 

Leitsatz

1. Die allgemeinen Grundsätze des Rechtsschutzes im Erledigungsfall gelten auch für den Antrag auf gerichtliche Entscheidung über eine Maßnahme der Vollzugsbehörde gemäß § 119a StPO. (Rn. 14)
2. Danach kann auch bei einem aufgrund des Gewichts des Grundrechtseingriffs grundsätzlich fortbestehenden Rechtsschutzinteresse das Rechtsschutzbedürfnis entfallen, wenn der Berechtigte sich verspätet auf sein Recht beruft und unter Verhältnissen untätig bleibt, unter denen vernünftigerweise etwas zur Wahrung des Rechts unternommen zu werden pflegt. (Rn. 15)
3. Der Zeitraum, ab wann ein Untätigsein als für eine solche Verwirkung relevant gewertet werden kann, kann nicht abstrakt festgelegt werden, sondern ist durch eine einzelfallbezogene Abwägung der Umstände zu bestimmen (Anschluss an BVerfG, Beschluss vom 4. März 2008 – 2 BvR 2111/07; entgegen: OLG Frankfurt, Beschluss vom 11. März 2005 – 3 VAs 8/05; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 9. Dezember 2004 – 2 VAs 24/04). (Rn. 16)

Verfahrensgang

5 Ks 470 Js 18229/14 2021-01-11 Bes LGTRAUNSTEIN LG Traunstein

Tenor

1. Der Antrag des Verurteilten auf Bestellung eines Pflichtverteidigers wird abgelehnt.
Die Beschwerde des Verurteilten vom 31. Januar 2021 gegen den Beschluss des Landgerichts Traunstein vom 11. Januar 2021 wird auf seine Kosten als unbegründet verworfen.

Gründe

I.
Das Landgericht Traunstein hat den Beschwerdeführer nach fünf Hauptverhandlungstagen am 5. März 2015 wegen Mordes in zwei tateinheitlichen Fällen u. A. zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe als Gesamtstrafe verurteilt und die besondere Schwere der Schuld festgestellt. Der Beschwerdeführer, der sich in Untersuchungshaft befunden hat, ist in der Zeit zwischen dem 22. Januar und dem 5. März 2015 in einem besonders gesicherten Haftraum ohne gefährdende Gegenstände untergebracht worden. Die gegen das Urteil eingelegte Revision des Beschwerdeführers ist vom Bundesgerichtshof am 1. September 2015 verworfen worden.
Mit Schreiben vom 16. August 2018 hat der Beschwerdeführer unter der Überschrift „Übersehenes Verfahrenshindernis“ beim Landgericht Traunstein „gemäß § 33a StPO“ beantragt, das Verfahren in die Lage zurückzuversetzen, die vor dem Erlass des Urteils bestand (Bl. 2412 ff. d. A.). Seinen Antrag hat er damit begründet, dass er aufgrund seiner Unterbringung in einem besonders gesicherten Haftraum in der Zeit zwischen dem 22. Januar und dem 5. März 2015 verhandlungsunfähig gewesen sei. Gegen die Unterbringung als solche hat er sich nicht gewandt; er hat sie vielmehr selbst als rechtmäßig angesehen (Bl. 2415 u. 2418 d. A.). Diesen Antrag hat das Landgericht Traunstein mit Beschluss vom 19. September 2018 zurückgewiesen.
Mit Schreiben vom 8. Juli 2019 hat der Beschwerdeführer beim Bundesgerichtshof „gemäß § 356a StPO die Nachholung rechtlichen Gehörs“ beantragt (Bl. 2439 d. A.). Auch in diesem Antrag hat er seine Unterbringung in einem besonders gesicherten Haftraum ausdrücklich als rechtmäßig bezeichnet (Bl. 2461 d. A.). Sein Antrag ist durch Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 26. August 2019 zurückgewiesen worden.
Mit Schreiben vom 24. Oktober 2019 (Bl. 11 ff. d. SH) und 24. November 2019 (Bl. 21 d. SH) hat sich der Beschwerdeführer an die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Regensburg gewandt und mehrere Anträge gestellt. Das Landgericht Regensburg hat einen der Anträge so ausgelegt, dass sich der Beschwerdeführer gegen seine Unterbringung in einem besonders gesicherten Haftraum wende, hat das Verfahren mit Beschluss vom 3. Dezember 2019 insoweit abgetrennt und an das Landgericht Traunstein verwiesen.
Hiergegen hat der Beschwerdeführer mit Schreiben vom 12. Dezember 2019 sofortige Beschwerde eingelegt (Bl. 45 ff. d. SH). In seiner Stellungnahme vom 12. Januar 2020 an das Oberlandesgericht Nürnberg zum Vorlagebericht der Generalstaatsanwaltschaft hat der Beschwerdeführer erneut ausdrücklich erklärt, seine Unterbringung in einem besonders gesicherten Haftraum sei nicht rechtswidrig gewesen; er wolle dies daher nicht festgestellt haben (Bl. 64 ff. d. SH). Das Oberlandesgericht Nürnberg hat die sofortige Beschwerde mit Beschluss vom 20. Januar 2020 verworfen.
Mit Schreiben vom 29. Januar 2020 an das Landgericht Traunstein hat der Beschwerdeführer erstmals behauptet, seine Unterbringung in einem besonders gesicherten Haftraum sei rechtswidrig gewesen und hat entsprechende Feststellung begehrt (Bl. 87 ff. d. SH). Diesen Antrag hat das Landgericht Traunstein mit Beschluss vom 11. Januar 2021 als unbegründet zurückgewiesen.
Hiergegen wendet sich der Beschwerdeführer mit seiner Beschwerde vom 31. Januar 2021, der das Landgericht mit Beschluss vom 9. Februar 2021 nicht abgeholfen hat. Mit Schreiben vom 28. Februar 2021 hat er seine Beschwerde ergänzend begründet und die Beiordnung eines Rechtsanwalts beantragt.
II.
1. Der Antrag des Beschwerdeführers auf Bestellung eines Pflichtverteidigers war abzulehnen.
wird ausgeführt.
2. Die zulässige Beschwerde ist unbegründet, weil der Antrag des Beschwerdeführers, die Rechtswidrigkeit seiner Unterbringung in einem besonders gesicherten Haftraum in der Zeit vom 22. Januar bis 5. März 2015 festzustellen, unzulässig ist.
a) Die statthafte Beschwerde (vgl. § 119a Abs. 3 StPO; LR/Gärtner, StPO, 27. Aufl., § 119a Rn. 28; KK-StPO/Schultheis, 8. Aufl. § 119a Rn. 11) ist auch im Übrigen zulässig. Sie führt zur vollumfänglichen Überprüfung der Entscheidung des Landgerichts (KK-StPO/Zabeck, 8. Aufl., § 309 Rn. 6; MüKoStPO/Neuheuser, § 309 Rn. 8).
b) Die Beschwerde erweist sich als unbegründet, weil das Landgericht den Feststellungsantrag des Beschwerdeführers im Ergebnis zu Recht zurückgewiesen hat. Denn dieser ist nicht nur – wie das Landgericht zutreffend entschieden hat – unbegründet (Ziffer II.2.b) bb)), sondern bereits unzulässig (Ziffer II.2.b) aa)).
aa) Der Feststellungsantrag des Beschwerdeführers ist mangels Rechtschutzbedürfnisses unzulässig.
(1) Der gerichtliche Rechtsschutz gegen behördliche Entscheidungen oder Maßnahmen im Untersuchungshaftvollzug ist in § 119a StPO geregelt, der mit Wirkung zum 1. Januar 2010 durch das Gesetz zur Änderung des Untersuchungshaftrechts vom 29. Juli 2009 eingeführt worden ist. Dieser ersetzt die bis dahin gegebene Möglichkeit eines Antrages gemäß § 23 ff. EGGVG (BT-Drucks. 16/11644, S. 31).
Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung gemäß § 119a StPO unterliegt zwar keiner Frist (KK-StPO/Schultheis StPO § 119a Rn. 3); eine entsprechende Initiative des Bundesrats im Gesetzgebungsverfahren hat im Gesetz keinen Niederschlag gefunden (BT-Drucks. 16/11644, S. 41 u. 46; LR/Gärtner, StPO, 27. Aufl., § 119a Rn. 15). Jedoch gelten für Fälle wie dem vorliegenden, in denen sich die behördliche Maßnahme vor dem Antrag auf gerichtliche Entscheidung erledigt hat – auch nach der Vorstellung des Gesetzgebers (BT-Drucks. 16/11644, S. 32) – die allgemeinen Grundsätze des Rechtsschutzes im Erledigungsfall gemäß der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (LR/Gärtner, StPO, 27. Aufl., § 119a Rn. 14 u. 32, § 119 Rn. 147; KK-StPO/Schultheis, § 119a Rn. 3, § 119 Rn. 82).
Danach kann – auch bei einem wie hier aufgrund des Gewichts des Grundrechtseingriffs grundsätzlich fortbestehenden Rechtsschutzinteresse (vgl. hierzu BVerfG, Beschluss vom 17. Oktober 2012 – 2 BvR 736/11, juris Rn. 21 f.) – das Rechtsschutzbedürfnis entfallen, wenn der Berechtigte sich verspätet auf sein Recht beruft und unter Verhältnissen untätig bleibt, unter denen vernünftigerweise etwas zur Wahrung des Rechts unternommen zu werden pflegt. Das öffentliche Interesse an der Wahrung des Rechtsfriedens kann in derartigen Fällen verlangen, die Anrufung des Gerichts nach langer Zeit untätigen Zuwartens als unzulässig anzusehen, so dass auch ein an sich unbefristeter Antrag nicht nach Belieben hinausgezogen oder verspätet gestellt werden kann, ohne unzulässig zu werden (BVerfG, Beschlüsse vom 26. Januar 1972 – 2 BvR 255/67, juris Rn. 18 u. 20; vom 18. Dezember 2002 – 2 BvR 1660/02, juris Rn. 6; vom 14. Dezember 2004 – 2 BvR 1451/04, juris Rn. 22; vom 6. März 2006 – 2 BvR 371/06, juris Rn. 5; vom 30. Mai 2006 – 2 BvR 1520/05, juris Rn. 4; vom 16. April 2007 – 2 BvR 463/07, juris Rn. 3 u. 6; vom 4. März 2008 – 2 BvR 2111/07, juris Rn. 25).
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts lässt sich der Zeitraum, ab wann ein Untätigsein als für eine Verwirkung relevant gewertet werden kann, nur bei einzelfallbezogener Abwägung der Umstände ermitteln; die Festlegung auf eine abstrakte Frist, ab der stets von dem Vorliegen des Zeitmoments für die Verwirkung auszugehen wäre, ist nicht möglich (BVerfG, Beschluss vom 4. März 2008 – 2 BvR 2111/07, juris Rn. 31). Die entsprechende Anwendung der in § 27 Abs. 3 EGGVG bzw. § 113 Abs. 3 StVollzG geregelten Jahresfrist (so für den Antrag auf gerichtliche Entscheidung gemäß § 23 EGGVG vor der Einführung des § 119a StPO: OLG Frankfurt, Beschluss vom 11. März 2005 – 3 VAs 8/05, juris Rn. 18; vgl. auch die Rechtsprechung zu § 115 Abs. 3 StVollzG: OLG Frankfurt a.M., Beschluss vom 18. Juli 2003 – 3 Ws 606/03, NStZ-RR 2004, 29; KG Berlin, Beschluss vom 25. September 2007 – 2/5 Ws 189/05 Vollz, juris Rn. 18), dürfte daher genauso fraglich sein, wie die regelmäßige Annahme einer Verwirkung nach Ablauf eines Jahres (so für den Antrag auf gerichtliche Entscheidung gemäß § 23 EGGVG vor der Einführung des § 119a StPO:
OLG Karlsruhe, Beschluss vom 9. Dezember 2004 – 2 VAs 24/04, juris Rn. 3; ähnlich auch: Kissel/Mayer, GVG, 10. Aufl., § 26 EGGVG Rn. 4; BeckOK GVG/Köhnlein, 9. Ed., § 26 EGGVG Rn. 13; KK-StPO/Schultheis, § 119a Rn. 3, § 119 Rn. 82).
(2) Dies zugrunde gelegt fehlt dem Antrag des Beschwerdeführers, die Rechtswidrigkeit seiner besonderen Unterbringung festzustellen, das Rechtsschutzbedürfnis.
(a) Der erstmals mit Schreiben vom 29. Januar 2020, also mehr als vier Jahre und zehn Monate nach dem Ende seiner besonderen Unterbringung gestellte Antrag ist verspätet (Zeitmoment).
Soweit der Beschwerdeführer in seinem Schreiben vom 16. August 2018 seine besondere Unterbringung erstmals gegenüber einem Gericht zur Sprache gebracht hat, geschah dies nicht mit der Intention der Feststellung ihrer Rechtswidrigkeit, sondern um sich erneut gegen seine – seit 1. September 2015 rechtskräftige – Verurteilung zu wenden. Der für die Antragstellung maßgebliche Zeitpunkt bleibt damit der 29. Januar 2020, wobei der Senat auch eine etwaige Antragstellung am 16. August 2018, also fast dreieinhalb Jahren nach Ende der besonderen Unterbringung als verspätet ansehen würde.
(b) In dieser Zeit ist der Beschwerdeführer unter Verhältnissen untätig geblieben, unter denen vernünftigerweise etwas zur Wahrung des Rechts unternommen worden wäre (Umstandsmoment).
Es ist bereits schwer nachvollziehbar, dass sich der Beschwerdeführer, hätte er seine besondere Unterbringung tatsächlich als „krass rechtswidrig“ angesehen, nicht bereits während ihrer Dauer gegen sie gewandt hat. Ausweislich des Hauptverhandlungsprotokolls ist am ersten Verhandlungstag (29. Januar 2015) festgestellt worden, dass sich der Beschwerdeführer seit dem 12. Juni 2014 in Untersuchungshaft befunden habe. Hierzu sind keine Erklärungen abgegeben worden. Auch an den folgenden vier Hauptverhandlungstagen bis 5. März 2015, an denen genauso wie am ersten Verhandlungstag durchgängig eine psychiatrische Sachverständige zugegen gewesen ist, die keine Auffälligkeiten festgestellt hat, hat der Beschwerdeführer bei der – gemäß § 126 Abs. 2 Satz 1 StPO zuständigen – Strafkammer des Landgerichts Traunstein keinen Antrag auf gerichtliche Entscheidung gestellt. Soweit der Beschwerdeführer in seinen Schreiben vom 28. Februar 2021 (dort. S. 14 f.) angedeutet hat, er sei während der Dauer seiner besonderen Unterbringung aufgrund deren Ausgestaltung nicht in der Verfassung gewesen, diese zu rügen, erklärt dies nicht seine weitere Untätigkeit seit der Beendigung seiner Unterbringung ab 6. März 2015.
Abgesehen davon, dass dies angesichts der darauffolgenden viereinhalbjährigen Untätigkeit des Beschwerdeführers als Umstandsmoment ausreichen dürfte (siehe zum Verhältnis zwischen Zeit- und Umstandsmoment: BVerfG, Beschluss vom 4. März 2008 – 2 BvR 2111/07, juris Rn. 1 Ws 125/21 – Seite 7 – 30), kommt im vorliegenden Fall hinzu, dass er in der Zeit zwischen 16. August 2018 und 12. Januar 2020 in mehreren an verschiedene Gerichte gerichteten Schreiben erklärt hat, dass seine Unterbringung in einem besonders gesicherten Haftraum nicht rechtswidrig gewesen sei. Auch dieses Verhalten hat zur Annahme berechtigt, der Beschwerdeführer würde sich nicht (mehr) gegen seine Unterbringung wenden und ist insofern vertrauensbildend gewesen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 4. März 2008 – 2 BvR 2111/07, juris Rn. 29 u. 31).
bb) Im Übrigen ist die Beschwerde auch deswegen unbegründet, weil die besondere Unterbringung des Beschwerdeführers aus den in den Beschlüssen des Landgerichts Traunstein vom 11. Januar 2021 (angegriffener Beschluss) und 9. Februar 2021 (Nichtabhilfebeschluss) sowie im Beschluss des Landgerichts Regensburg vom 7. November 2018, Az.: 23 O 1378/18, genannten Gründen gemäß Art. 27 BayUVollzG i.V.m. Art. 96 Abs. 2 Nr. 5 BayStVollzG rechtmäßig gewesen ist. Soweit der Beschwerdeführer in seinem Schreiben vom 28. Februar 2021 rügt, die Mitteilung gemäß Art. 7 Abs. 2 BayUVollzG sei verspätet gewesen, vermag dies an der (inhaltlichen) Rechtmäßigkeit der (vorher angeordneten) Unterbringung nichts zu ändern.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.


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