Familienrecht

Voraussetzungen der Anordnung einer freiheitsentziehenden Unterbringung durch ein Betreuungsgericht

Aktenzeichen  4 T 688/21

Datum:
5.7.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 35869
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 1906 Abs. 1 Nr. 1
FamFG § 68 Abs. 3 S. 2, § 319 Abs. 1

 

Leitsatz

Eine Unterbringung nach § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB kann nicht mit Schäden oder Gefährdungen anderer Rechtsgüter als Leben und Gesundheit des Betroffenen begründet werden und die Selbstschädigungsgefahr muss in der psychischen Krankheit bzw. geistigen oder seelischen Behinderung des Betroffenen liegen, welcher zuletzt aufgrund der Krankheit seinen Willen nicht frei bestimmen kann. (Rn. 3) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

17 XVII 1006/11 (2) 2021-05-03 Bes AGANSBACH AG Ansbach

Tenor

1. Die sofortige Beschwerde der Betreuten gegen den Beschluss des Amtsgerichts Ansbach vom 03.05.2021, Az. 17 XVII 1006/11 (2), wird zurückgewiesen.
2. Von der Erhebung der Kosten wird abgesehen.

Gründe

I.
Die Betroffene leidet aktenkundig seit Jahren an einer paranoiden Schizophrenie mit Verfolgungs-, Vergiftungs- und anderen Beeinträchtigungsideen und wurde deshalb mehrfach stationär psychiatrisch behandelt. Sie steht unter Betreuung von Frau …. Diese stellte mit Schreiben vom 13.04.2021 einen Antrag auf weitere Unterbringung der Betroffenen in der beschützenden Abteilung einer Pflegeeinrichtung. Mit Beschluss vom 03.05.2021 hat das Amtsgericht Ansbach, Abteilung für Betreuungssachen, die Unterbringung der Betreuten durch die Betreuerin in der geschlossenen Abteilung eines psychiatrischen Krankenhauses bis längstens 01.04.2023 genehmigt, Herrn Rechtsanwalt … zum Verfahrenspfleger bestellt sowie die sofortige Wirksamkeit der Entscheidung angeordnet. Der Beschluss wurde der Betroffenen am 07.05.2021 zugestellt. Mit Schreiben vom 17.05.2021, eingegangen beim Amtsgericht Ansbach am selben Tag, legte die Betroffene Beschwerde gegen den Beschluss ein, weil sie eine Überprüfung wünsche; sie wolle nicht eingesperrt werden und wolle wieder nach Hause. Am 17.06.2021 hörte das Amtsgericht Ansbach die Betroffene in Anwesenheit ihres Verfahrenspflegers zum psychiatrischen Fachgutachten vom 21.04.2021 (Bl. 265 ff. d. A.) des Dr. … an. Hier äußerte die Betroffene wiederholt, mit dem Gericht nichts zu tun haben zu wollen. Das Amtsgericht Ansbach hat sodann der Beschwerde der Betroffenen nicht abgeholfen und diese dem Beschwerdegericht zur Entscheidung vorgelegt.
II.
Die zulässige Beschwerde ist nicht begründet.
1. Nach § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB ist die freiheitsentziehende Unterbringung durch den Betreuer nur zulässig, wenn auf Grund der psychischen Krankheit bzw. geistigen oder seelischen Behinderung des Betroffenen die Gefahr besteht, dass er sich selbst tötet oder erheblichen gesundheitlichen Schaden zufügt. In diesem Zusammenhang müssen objektivierbare, konkrete Anhaltspunkte für eine akute Suizidgefahr oder den Eintritt eines erheblichen Gesundheitsschadens bestehen (BGH NJW-RR 2010, 291; 2010, 1370; OLG München BeckRS 2005, 11854). Nicht erfasst sind dagegen grundsätzlich Schäden oder Gefährdungen anderer Rechtsgüter als Leben und Gesundheit des Betroffenen, wie zum Beispiel Vermögensschäden. Ferner muss die Ursache für die bestehende Selbstschädigungsgefahr in der psychischen Krankheit bzw. geistigen oder seelischen Behinderung des Betroffenen liegen. Hiermit soll klargestellt werden, dass Gesundheitsgefährdungen oder -schädigungen, die auch bei Nichtbetreuten üblich sind, keine freiheitsentziehende Unterbringung des Betroffenen rechtfertigen (BT-Drucks. 11/4528, S. 146). Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung setzt die Unterbringung zur Verhinderung einer Selbstschädigung infolge psychischer Erkrankung in verfassungskonformer Auslegung des Gesetzes weiterhin voraus, dass der Betroffene auf Grund der Krankheit seinen Willen nicht frei bestimmen kann (BayObLG, FamRZ 1993, 600; NJW-RR 1998, 1014; NJWE-FER 2001, 150).
2. Diese Voraussetzungen liegen hier vor.
Der Facharzt für Neurologie, Psychiatrie, Geriatrie Dr. med. … hat in seinem Gutachten vom 21.04.2021 festgestellt, dass bei der Betroffenen eine psychische Krankheit in Form einer paranoiden Psychose und eines Redisidualsyndroms (ICD 10 F20.0, F20.5) vorliege. Die medizinischen Voraussetzungen für eine freiheitsentziehende Unterbringung lägen weiterhin vor. Ohne eine beschützende Unterbringung wäre die Medikamenteneinnahme nicht mehr gewährleistet und es bestünde die Gefahr einer Exazerbation der Psychose, die Betroffene würde verwahrlosen; es bestünde die Gefahr, dass sie die Einrichtung verlasse, sich verirre, nicht mehr zurückfinde, vor ein Kraftfahrzeug laufe, stürze, hilflos liegen bleibe oder Ähnliches und so ihre Gesundheit und/oder ihr Leben in erheblichem Maße gefährde. Die freiheitsentziehende Unterbringung sei für mindestens zwei weitere Jahre erforderlich.
Die Betroffene könne ihren Willen bzgl. der freiheitsentziehenden Maßnahmen auf Grund dieser krankheitsbedingten Defizite nicht frei bestimmen. Weniger einschneidende Maßnahmen seien nicht ausreichend; Heilbehandlungen sowie Maßnahmen, die die bestehenden Defizite bessern würden, existierten ebenso wenig wie Alternativen zur Unterbringung in einer beschützenden Einrichtung.
Die Kammer hat keinen Zweifel an der Richtigkeit der gutachterlichen Stellungnahme des Sachverständigen. Sein Gutachten ist schlüssig, nachvollziehbar, widerspruchsfrei und orientiert sich an den zutreffenden Anknüpfungstatsachen. Aus diesen ist eindeutig erkennbar, dass die Betroffene auf Grund ihrer Krankheit ihren Willen in Bezug auf die freiheitsentziehenden Maßnahmen nicht frei bestimmen, sie die Notwendigkeit der Maßnahme nicht erkennen und auch nicht danach handeln kann.
Die Betreuerin hat sich für die Verlängerung der Unterbringung ausgesprochen. Der Verfahrenspfleger hat sich zu der Frage, ob die materiellen Voraussetzungen der Verlängerung der Unterbringung bestehen, nicht geäußert.
Unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände ist die seitens des Amtsgerichts Ansbach angeordnete Unterbringung bis längstens 01.04.2023 zum Wohle der Betroffenen unabdingbar. Das Gericht ist bzgl. der Dauer der Unterbringung den Überlegungen des Sachverständigen gefolgt.
3. Das Gericht teilt die mit Schreiben vom 05.07.2021 mitgeteilten förmlichen Bedenken des Verfahrenspflegers nicht. Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist der Unterbringungsbeschluss vom 03.05.2021, den das Amtsgericht dem Beschwerdegericht mit Nichtabhilfebeschluss vom 17.06.2021 vorgelegt hat. Zwar hatte das Amtsgericht die gemäß § 319 Abs. 1 FamFG erforderliche Anhörung der Betroffenen zum Sachverständigengutachten zunächst nicht durchgeführt. Es hat diese aber sodann im Abhilfeverfahren am 17.06.2021 wirksam nachgeholt und sich einen persönlichen Eindruck von der Betroffenen in deren üblicher Umgebung verschafft.
4. Eine Anhörung der Beschwerdeführerin im Beschwerdeverfahren ist nicht geboten, da diese erst am 17.06.2021 vom Amtsgericht Ansbach angehört wurde. Neue Erkenntnisse sind infolge einer weiteren Anhörung – auch und gerade unter Berücksichtigung des wiederholten Vorbringens in der persönlichen Anhörung, wonach die Betroffene mit dem Gericht nichts zu tun haben will – nicht zu erwarten, § 68 Abs. 3 S. 2 FamFG.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 84, 81 Abs. 1 Satz 2 FamFG. Nach § 84 FamFG soll das Gericht die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels dem Beteiligten auferlegen, der es eingelegt hat. Die Fassung als Sollvorschrift ermöglicht es jedoch, bei Vorliegen besonderer Umstände ausnahmsweise ganz oder teilweise von der Kostenbelastung des Rechtsmittelführers abzuweichen. Ein besonderer Umstand besteht vorliegend darin, dass das Rechtsmittel eine Angelegenheit der staatlichen Fürsorge (Betreuung, Unterbringung) betrifft und vom Fürsorgebedürftigen selbst eingelegt wurde (MüKoFamFG/Schindler, 3. Aufl. 2018, FamFG § 84 Rn. 15; Schulte-Bunert/Weinreich/Keske, FamFG, § 84 Rn. 5).


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