Aktenzeichen XII ZB 376/21
Leitsatz
Der Betroffene ist auch im Fall der Ablehnung einer betreuungsgerichtlichen Unterbringungsgenehmigung in seinen Rechten beeinträchtigt, sodass der Betreuer in seinem Namen eine zulässige Beschwerde einlegen kann (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 2. Februar 2022 – XII ZB 530/21, FamRZ 2022, 726).
Verfahrensgang
vorgehend LG Berlin, 2. August 2021, Az: 83 T 216/21vorgehend AG Schöneberg, 1. Juli 2021, Az: 54 XVII P 424/11
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss der 83. Zivilkammer des Landgerichts Berlin vom 2. August 2021 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Landgericht zurückverwiesen.
Gründe
I.
1
Die Beteiligte ist für den Betroffenen unter anderem hinsichtlich der Aufenthaltsbestimmung zum Zweck der Heilbehandlung und Gesundheitssorge zur Betreuerin bestellt. Sie hat die Genehmigung einer weiteren Unterbringung des Betroffenen beantragt. Das Amtsgericht hat die Genehmigung abgelehnt.
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Dagegen hat die Beteiligte Beschwerde eingelegt. Das Landgericht hat die Beschwerde verworfen, weil der Betreuerin weder aus eigenem Recht noch namens des Betroffenen ein Beschwerderecht zustehe. Dagegen richtet sich die zugelassene Rechtsbeschwerde des Betroffenen.
II.
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Die Rechtsbeschwerde führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht.
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1. Das Landgericht hat die Verwerfung der Beschwerde unter Verweis auf eine frühere, veröffentlichte Entscheidung (FamRZ 2018, 1859) mit der mangelnden Beschwerdeberechtigung des Betreuers begründet. Zwar sei eine nicht ausdrücklich im eigenen Namen eingelegte Beschwerde aufgrund der mangelnden Beschwerdeberechtigung des Betreuers regelmäßig dahin auszulegen, dass diese im Namen des Betroffenen eingelegt sein solle. Auch eine im Namen des Betroffenen eingelegte Beschwerde sei aber unzulässig, weil der Betroffene durch die Ablehnung der Genehmigung nicht beschwert sei. Diese Frage sei vom Bundesgerichtshof bisher nicht ausdrücklich entschieden worden. Allerdings habe er im Beschluss vom 29. Juli 2020 (XII ZB 173/18 – FamRZ 2020, 1868) hinsichtlich der Versagung der Genehmigung bezüglich einer ärztlichen Zwangsmaßnahme eine durch den Betreuer im Namen des Betroffenen eingelegte Beschwerde als zulässig angesehen. In jenem Verfahren habe die Vorinstanz dagegen die zutreffende Ansicht vertreten, im deutschen Recht gebe es keinen Rechtsanspruch des Betroffenen auf Beeinträchtigung seiner körperlichen Unversehrtheit gegen seinen Willen.
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2. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
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a) Die Auslegung des Landgerichts, dass die Beteiligte die Beschwerde im Namen des Betroffenen eingelegt hat, ist nicht zu beanstanden. Dementsprechend hat das Landgericht auch (nur) die so verstandene Beschwerde des Betroffenen verworfen. Das steht im Einklang damit, dass es die Rechtsbeschwerde einschränkungslos zugelassen und den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache wegen der von ihm verneinten Frage der Beschwer des Betroffenen bei Ablehnung der Unterbringungsgenehmigung angenommen hat.
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b) Entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts ist der Betroffene durch die Ablehnung einer Unterbringungsgenehmigung aber beschwert.
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aa) Wie der Senat nach Erlass des angefochtenen Beschlusses entschieden hat, ist die zivilrechtliche Unterbringung – wie das Betreuungsrecht insgesamt – ein Institut des Erwachsenenschutzes als Ausdruck der staatlichen Wohlfahrtspflege, deren Anlass und Grundlage das öffentliche Interesse an der Fürsorge für den schutzbedürftigen Einzelnen ist. Bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen besteht daher auch ein Recht des Betroffenen auf die staatliche Maßnahme. Die §§ 1896 ff. BGB haben nicht nur einen in die Grundrechte eingreifenden Gehalt, sondern dienen insbesondere der Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechts und der Menschenwürde des Betroffenen, der wegen seiner Krankheit oder Behinderung nicht eigenverantwortlich entscheiden kann, sowie dem Schutz seines Lebens und seiner Gesundheit (Senatsbeschluss vom 2. Februar 2022 – XII ZB 530/21 – FamRZ 2022, 726 Rn. 11 mwN).
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Dementsprechend stellen sich zivilrechtliche Unterbringung und ärztliche Zwangsmaßnahmen nicht nur als Grundrechtseingriffe, sondern vor allem auch als den Betroffenen begünstigende Maßnahmen der staatlichen Fürsorge dar. Ihr Zweck besteht neben ihrer die Eingriffsvoraussetzungen festlegenden und damit Grundrechtseingriffe beschränkenden Funktion insbesondere darin, den Anspruch des Betroffenen auf Schutz und Behandlung umzusetzen, wenn er krankheitsbedingt keinen freien Willen bilden kann und sich ohne medizinische Behandlung erheblich schädigen würde. Dass diese nur mittels schwerwiegender Eingriffe in die Grundrechte des Betroffenen möglich ist, ändert an dem begünstigenden Charakter nichts. Im Regelfall ist die Unterbringung nach § 1906 Abs. 1 BGB dementsprechend dadurch gekennzeichnet, dass den Betroffenen die notwendige Krankheitseinsicht fehlt und mithin allein die Unterbringung, erforderlichenfalls ergänzt durch medizinische Zwangsmaßnahmen, die Voraussetzungen dafür schaffen kann, dass die Krankheit des Betroffenen behandelt werden kann (Senatsbeschluss vom 2. Februar 2022 – XII ZB 530/21 – FamRZ 2022, 726 Rn. 12 f. mwN).
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bb) Entsprechend seinem subjektiven Recht auf den staatlichen Erwachsenenschutz ist der Betroffene durch die Ablehnung der jeweiligen Maßnahme materiell beschwert. Der entgegenstehende (natürliche) Wille des Betroffenen beseitigt die Beschwer für ein in seinem Namen eingelegtes Rechtsmittel nicht. Ob ein die Betreuung oder Unterbringung ausschließender freier Wille vorliegt, ist erst im Rahmen der Begründetheit zu prüfen. Da die Vertretungsbefugnis des Betreuers im Rahmen des ihm übertragenen Aufgabenkreises grundsätzlich unbeschränkt ist, kann dieser sämtliche Rechte des Betroffenen in dessen Namen geltend machen, um damit seinem Amt entsprechend dem gebotenen Erwachsenenschutz gerecht zu werden (Senatsbeschluss vom 2. Februar 2022 – XII ZB 530/21 – FamRZ 2022, 726 Rn. 14 f. mwN).
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c) Die Beschwerdeentscheidung ist daher aufzuheben und die Sache ist an das Landgericht zurückzuverweisen (§ 74 Abs. 5, Abs. 6 Satz 2 FamFG).
12
Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen (§ 74 Abs. 7 FamFG).
Dose
Klinkhammer
Günter
Botur
Krüger