Aktenzeichen XII ZB 224/21
§ 1666 Abs 4 BGB
§ 17a Abs 2 GVG
§ 17a Abs 4 GVG
§ 40 Abs 1 S 1 VwGO
Verfahrensgang
vorgehend OLG Nürnberg, 26. April 2021, Az: 9 WF 342/21vorgehend AG Kelheim, 31. März 2021, Az: 2 F 136/21
Tenor
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 9. Zivilsenats und Senats für Familiensachen des Oberlandesgerichts Nürnberg vom 26. April 2021 wird auf Kosten der weiteren Beteiligten zu 1 und 2 zurückgewiesen.
Wert: 2.000 €
Gründe
I.
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Die Beteiligten zu 1 und 2 haben mit Schreiben vom 15. März 2021 beim Familiengericht darum nachgesucht, ein Verfahren nach § 1666 BGB zu eröffnen und gegenüber den Lehrkräften und der Schulleitung der von dem seinerzeit 17jährigen Sohn besuchten Berufsschule einstweilig anzuordnen, die schulintern getroffenen Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung der Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19), insbesondere Abstandsgebote und die Verpflichtung zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung, vorläufig auszusetzen.
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Das Familiengericht hat den Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten für unzulässig erklärt und das Verfahren an das Verwaltungsgericht verwiesen. Das Oberlandesgericht hat die sofortige Beschwerde der Beteiligten zu 1 und 2 mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Verweisung an das Verwaltungsgericht aufgehoben und das Verfahren eingestellt werde. Hiergegen haben die Beteiligten zu 1 und 2 am 11. Mai 2021 die zugelassene Rechtsbeschwerde eingelegt und diese mit einem noch vor der am 16. August 2021 eingetretenen Volljährigkeit des betroffenen Kindes eingegangenen Schriftsatz begründet. Anschließend und im Hinblick auf die Volljährigkeit haben die Beteiligten zu 1 und 2 die Hauptsache für erledigt erklärt.
II.
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Die zulässige Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg.
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1. Das in Bezug auf die Rechtswegzuständigkeit zugelassene Rechtsmittel ist als Rechtsbeschwerde gemäß § 17 a Abs. 4 Satz 4 GVG statthaft. Nach dieser Vorschrift kann eine Rechtsbeschwerde auch in den Fällen zugelassen werden, in denen die jeweilige Verfahrensordnung ein Rechtsmittel an den obersten Gerichtshof des Bundes an sich nicht vorsieht, wie etwa in Verfahren des einstweiligen Rechtschutzes (vgl. BGH Beschlüsse vom 30. September 1999 – V ZB 24/99 – NJW 1999, 3785 und vom 9. November 2006 – I ZB 28/06 – NJW 2007, 1819 Rn. 5; s. auch BGH Beschluss vom 22. März 2010 – AnwZ (B) 114/09 – juris Rn. 3).
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Der Umstand, dass das betroffene Kind zwischenzeitlich volljährig geworden ist, enthebt nicht von der Beantwortung der Frage der Rechtswegzuständigkeit. Denn auch die Voraussetzungen und Rechtsfolgen einer möglichen Erledigung der Hauptsache sind in dem zuständigen Rechtsweg zu klären. Wäre das Verfahren an das Verwaltungsgericht zu verweisen, so richtete es sich nach den Vorschriften der Verwaltungsgerichtsordnung und des materiellen Schulrechts, ob durch die Volljährigkeit eine Erledigung der Hauptsache eingetreten ist oder ob das Verfahren mit dem betroffenen Schüler als nunmehr sich selbst vertretenden Antragsteller fortzusetzen wäre.
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2. Das Oberlandesgericht hat zur Begründung seiner in FamRZ 2021, 935 veröffentlichten Entscheidung ausgeführt: Die sofortige Beschwerde sei gemäß § 17 a Abs. 4 Satz 3 GVG i.V.m. §§ 567 ff. ZPO statthaft. Dem stünden die Regelungen des § 57 FamFG nicht entgegen, da die Vorschrift des § 17 a Abs. 4 Satz 3 GVG vorgehe.
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Eröffnet sei allein der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten. Denn der Sache nach griffen die Eltern Anordnungen der Schulleitung und die zugrunde liegenden Bestimmungen der Zwölften Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung vom 5. März 2021 (BayMBl. Nr. 171) sowie § 28 a des Infektionsschutzgesetzes an. Die Streitigkeit betreffe daher das Verhältnis zwischen Bürger und Staat, hier in Gestalt der Schulverwaltung, und sei somit öffentlich-rechtlicher Natur.
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Eine Rechtswegverweisung komme aber nicht in Betracht, wenn ein Verfahren nicht antragsabhängig sei, sondern es sich – wie hier – um ein nur von Amts wegen einzuleitendes Verfahren handle. Amtsverfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit könnten nicht in einen anderen Rechtsweg verwiesen werden. Sie würden durch eigene Entschließung des zuständigen Gerichts von Amts wegen eingeleitet und dürften nicht einem anderen Gericht aufgedrängt werden. Sie seien vielmehr, wenn das Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit unzulässig sei, einzustellen.
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3. Die angefochtene Entscheidung hält einer rechtlichen Nachprüfung stand.
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a) Zu Recht hat das Oberlandesgericht den eigenen Rechtsweg gemäß § 17 a Abs. 2 GVG für unzulässig erklärt. Es hat die an das Familiengericht gerichteten Schreiben der Beteiligten zu 1 und 2 vom 15. März 2021 in rechtlich nicht zu beanstandender Weise dahin ausgelegt, dass gegen die Schule gerichtete Unterlassungsverlangen durchgesetzt werden sollen. Über derartige Unterlassungsansprüche hätten gemäß § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO die Verwaltungsgerichte zu entscheiden. Sie betreffen das Schulverhältnis als Rechtsverhältnis zwischen dem Schüler und einer öffentlichen, von einer Gebietskörperschaft getragenen Schule, deren Handeln in inneren Schulangelegenheiten einschließlich der Schulordnungsmaßnahmen der öffentlichen Gewalt zugerechnet wird (BVerwG NJW 2021, 2600 Rn. 7). Davon erfasst werden auch von der Schule angeordnete Infektionsschutzmaßnahmen (BVerwG NJW 2021, 2600 Rn. 7; OLG Jena FamRZ 2021, 1043, 1047 f.; OLG Bamberg FamRZ 2021, 1539, 1540; OLG Brandenburg Beschluss vom 27. Juli 2021 – 13 UF 80/21 – juris Rn. 10; OLG München FamRZ 2021, 1538, 1539; BeckOK VwGO/Reimer [Stand: 1. April 2021] § 40 Rn. 71a; vgl. auch Senatsbeschluss vom 12. Mai 2021 – XII ZB 34/21 – FamRZ 2021, 1402 Rn. 13 zur verwaltungsgerichtlichen Zuständigkeit für die Untersagung von Maßnahmen des Jugendamts).
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Eine daneben parallel bestehende Regelungskompetenz auf Grundlage des § 1666 BGB ist den Familiengerichten nicht eröffnet. Diese Vorschrift ermöglicht es den Gerichten in erster Linie, Maßnahmen zu ergreifen, die geeignet sind, die Personensorgeberechtigten zur Einhaltung ihrer Schutzpflichten gegenüber dem Kind anzuhalten (vgl. BT-Drucks. 16/6815 S. 14 f.); als ultima ratio kommt hierbei die Entziehung der elterlichen Sorge in Betracht (§ 1666 Abs. 3 Nr. 6 BGB). Zwar kann in besonders gelagerten Fällen bei Angelegenheiten der Personensorge auch eine Maßnahme gegen einen Dritten erfolgen (§ 1666 Abs. 4 BGB), wenn von dessen Verhalten eine Gefahr für das Kindeswohl ausgeht. Eine Befugnis des Familiengerichts zum Erlass von Anordnungen zur Durchsetzung des Kindeswohls gegenüber Behörden ist damit aber nicht verbunden. Denn Dritte im Sinne der Vorschrift sind nicht Behörden und sonstige Träger der öffentlichen Gewalt. Auf Grundlage des § 1666 BGB können die Familiengerichte auch die Jugendämter nicht zur Unterlassung von Maßnahmen der Jugendhilfe wie etwa einer Inobhutnahme verpflichten (Senatsbeschluss vom 12. Mai 2021 – XII ZB 34/21 – FamRZ 2021, 1402 Rn. 13 mwN; vgl. auch BVerwG FamRZ 2002, 668 f.). Umso weniger sind sie befugt, andere staatliche Stellen in ihrem Tun oder Unterlassen anzuweisen. Dies würde nämlich einen Eingriff in das Gewaltenteilungsprinzip bedeuten (OLG Jena FamRZ 2021, 1043, 1048; MünchKommBGB/Lugani 8. Aufl. § 1666 Rn. 181; Johannsen/Henrich/Althammer/Jokisch Familienrecht 7. Aufl. § 1666 a BGB Rn. 17; Meysen FamRZ 2008, 562, 563), für den es an der erforderlichen Rechtsgrundlage fehlt. Insbesondere legitimieren die §§ 1666, 1666 a BGB i.V.m. dem staatlichen Wächteramt einen solchen Eingriff nicht. Im Rahmen des schulischen Sonderrechtsverhältnisses sind die zuständigen Behörden ihrerseits an die das Kindeswohl schützenden Grundrechte gebunden. Die gerichtliche Kontrolle dieses Behördenhandelns – auch hinsichtlich Infektionsschutzmaßnahmen in den jeweiligen Schulen – obliegt hierbei allein den Verwaltungsgerichten; insoweit haben auch die §§ 23 b GVG, 111 Nr. 2, 151 Nr. 1 FamFG nicht die Bedeutung einer abdrängenden Sonderzuweisung im Sinne des § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
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b) Ebenfalls zu Recht hat das Oberlandesgericht die vom Familiengericht ausgesprochene Verweisung an das Verwaltungsgericht aufgehoben.
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Zwar ist auch im Bereich der freiwilligen Gerichtsbarkeit eine Verweisung auf einen anderen Rechtsweg nicht generell ausgeschlossen. So kommt beispielsweise die Verweisung einer beim allgemeinen Zivilgericht anhängig gewordenen Klage an das für Wohnungseigentumssachen zuständige Gericht der freiwilligen Gerichtsbarkeit in Betracht, weil das für Wohnungseigentumssachen als sogenannte echte Streitsache ausgestaltete Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit ähnlichen Verfahrensgrundsätzen folgt (vgl. BGH Beschluss vom 13. Oktober 1983 – I ARZ 408/83 – NJW 1984, 740). Umgekehrt kann ein beim Gericht für Notarsachen (§ 111 BNotO) anhängig gemachtes Verfahren, das als ein streitiges Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit anzusehen ist, an die Zivilgerichte verwiesen werden (BGHZ 115, 275 = MDR 1992, 185). Auch konnte ein Zuständigkeitsstreit zwischen dem für Kindschaftssachen zuständigen Familiengericht und dem für Vormundschaftssachen zuständigen Gericht der allgemeinen freiwilligen Gerichtsbarkeit durch Verweisung gelöst werden (Senatsbeschluss BGHZ 78, 108 = FamRZ 1980, 1107).
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Die Vorschrift des § 17 a GVG ist jedoch einschränkend dahin auszulegen, dass eine Verweisung von Amts wegen betriebener Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit mangels „Beschreitung eines Rechtswegs“ durch einen Antragsteller oder Kläger nicht in Betracht kommt, sondern diese bei fehlender Zuständigkeit einzustellen sind (BVerwG NJW 2021, 2600 Rn. 11; OLG Karlsruhe NJW 2021, 2054; OLG Frankfurt FamRZ 2021, 1383, 1384; OLG Jena FamRZ 2021, 1043, 1048; OLG Brandenburg Beschluss vom 27. Juli 2021 – 13 UF 80/21 – juris Rn. 5, 10 f.; vgl. auch OLG Köln Beschluss vom 12. Juli 2021 – 14 UF 90/21 – juris Rn. 10 f.). Aufgrund der Eingabe der Beteiligten zu 1 und 2 vom 15. März 2021 hätte beim Familiengericht kein kontradiktorischen Regeln folgendes Antragsverfahren eröffnet werden können, das einer Verweisung an das Verwaltungsgericht zugänglich gewesen wäre (vgl. BVerwG NJW 2021, 2600 Rn. 11 f.), sondern allenfalls ein Verfahren von Amts wegen. Ein Verfahren von Amts wegen mit dem Ziel der Aufhebung schulischer Anordnungen ist der Verwaltungsgerichtsbarkeit jedoch wesensfremd.
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c) Da sich der Gegenstand der Rechtsbeschwerde nicht durch die eingetretene Volljährigkeit des Kindes erledigt hat, richtet sich die Kostenentscheidung nicht nach den im Falle einer Hauptsachenerledigung anzuwendenden §§ 83 Abs. 2, 81 FamFG (vgl. Keidel/Zimmermann FamFG 20. Aufl. § 84 Rn. 27, 29), sondern nach § 84 FamFG. Die Kosten des erfolglos gebliebenen Rechtsmittels sind daher den Beteiligten aufzuerlegen, die es eingelegt haben.
Dose
Schilling
Nedden-Boeger
Guhling
Krüger