Handels- und Gesellschaftsrecht

Anfechtung von Gesellschafterbeschlüssen über die Feststellung von Jahresabschlüssen wegen Fehlbuchungen

Aktenzeichen  1 HK O 1998/15

Datum:
3.8.2017
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 150274
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
München II
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
HGB § 166, § 246
AktG § 256 Abs.  1
GmbHG § 51a

 

Leitsatz

1 Auseinandersetzungen über die Wirksamkeit von Beschlüssen einer Kommanditgesellschaft sind zwischen den Gesellschaftern auszutragen, wenn der Gesellschaftsvertrag keine abweichende Regelung enthält. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
2 Fehlbuchungen können einen erheblichen Verstoß gegen § 246 HGB darstellen, der zur Nichtigkeit der Jahresabschlüsse und der Feststellungsbeschlüsse führt. (Rn. 30 – 31) (redaktioneller Leitsatz)
3 Einsichts- und Informationsrechte aus § 51a GmbHG und § 166 HGB korrespondieren nicht mit gleichgerichteten Verpflichtungen. (Rn. 34) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Es wird festgestellt, dass der in der außerordentlichen Gesellschafterversammlung der S. Verwaltungsgesellschaft mbH & Co. Besitz KG am 2. März 2015 zu Top 1 gefasste Beschluss mit dem Inhalt „…, dass dem Jahresabschluss 2012 in der vorgelegten Form mit Mehrheit zugestimmt wurde“ sowie der Jahresabschluss der S. Verwaltungsgesellschaft mbH & Co. Besitz KG 2012 in der Fassung vom 24. Januar 2015 nichtig sind.
II. Es wird festgestellt, dass der in der außerordentlichen Gesellschafterversammlung der S. Verwaltungsgesellschaft mbH & Co. Besitz KG vom 2. März 2015 zu Top 2 gefasste Beschluss mit dem Inhalt „…, dass dem Jahresabschluss 2013 in der vorgelegten Form mit Mehrheit zugestimmt wurde“ sowie der Jahresabschluss der S. Verwaltungsgesellschaft mbH & Co. Besitz KG 2013 in der Fassung vom 24. Januar 2015 nichtig sind. 
III. Es wird festgestellt, dass der in der ordentlichen Gesellschafterversammlung der S. Verwaltungsgesellschaft mbH & Co. Besitz KG vom 1. Juli 2015 zu Top 1 gefasste Beschluss mit dem Inhalt „…, dass der Bilanz 2014 nebst Gewinn- und Verlustrechnung 2014 in der vorgelegten Form mehrheitlich zugestimmt wurde“ sowie der Jahresabschluss der S. Verwaltungsgesellschaft mbH & Co. Besitz KG 2014 in der Fassung vom 31. März 2015 nichtig sind.
IV. Es wird gegenüber der Beklagten zu 1) festgestellt, dass der in der ordentlichen Gesellschafterversammlung der S. Verwaltungsgesellschaft mbH vom 01. Juli 2015 zu Top 1 gefasste Beschluss mit dem Inhalt „…, dass der Bilanz 2014 nebst Gewinn- und Verlustrechnung 2014 in der vorgelegten Form mehrheitlich zugestimmt wurde“ sowie der Jahresabschluss der S. Verwaltungsgesellschaft mbH 2014 in der Fassung vom 31. März 2015 nichtig sind.
V. Es wird festgestellt, dass der in der ordentlichen Gesellschafterversammlung der S. Verwaltungsgesellschaft mbH & Co. Besitz KG vom 7. Juli 2016 zu Top 1 gefasste Beschluss mit dem Inhalt „…, dass der Bilanz 2015 nebst Gewinn- und Verlustrechnung 2015 in der vorgelegten Form mit Mehrheit zugestimmt wurde“ sowie der Jahresabschluss der S. Verwaltungsgesellschaft mbH & Co. Besitz KG 2015 nichtig sind.
VI. Es wird gegenüber der Beklagten zu 1) festgestellt, dass der in der ordentlichen Gesellschafterversammlung der S. Verwaltungsgesellschaft mbH vom 07. Juli 2016 zu Top 1 gefasste Beschluss mit dem Inhalt „… dass der Bilanz 2015 nebst Gewinn- und Verlustrechnung 2015 in der vorgelegten Form mit Mehrheit zugestimmt wurde“ sowie der Jahresabschluss der S. Verwaltungsgesellschaft mbH 2015 nichtig sind.
VII. Die Beklagten tragen zu zwei Drittel samtverbindlich die Kosten des Rechtsstreits, die weiteren Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte zu 1).
VIII. Das Urteil ist in Ziffern I. bis VI. gegen Sicherheitsleistung in Höhe von je € 10.000,00 und in Ziffer VII. gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die zulässigen Klagen sind begründet, § 246 HGB, § 256 Absatz 1 AktG analog.
1. Die Beklagten sind jeweils passivlegitmiert.
Auseinandersetzungen über die Wirksamkeit von Beschlüssen einer Kommanditgesellschaft sind zwischen den (= allen) Gesellschaftern auszutragen. Die Satzung der S. Verwaltungsgesellschaft mbH & Co. B2. KG enthält dazu keine abweichende Vereinbarung.
Anspruchsgegner betreffend Gesellschafterbeschlüsse in einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung ist die Gesellschaft. Dass sich ihre diesbezüglichen Klageanträge nur gegen die Beklagte zu 1) richten sollen, hat die Klägerin nicht nur im Termin vom 16.2.2017 erklären lassen, sondern – was bis zu diesem Zeitpunkt übersehen worden war – auch schon in den Schriftsätzen vom 1.9.2015 und 7.9.2016 (mit dem offensichtlichen Schreibfehler „IV.“ statt „VI.“), allerdings jeweils gut versteckt unter den rechtlichen Ausführungen (!) auf Seite 11 bzw. Seite 16 der genannten Schriftsätze.
2. Der Ansicht der Beklagten, der Beklagten zu 1) stehe, da ihr einziger Zweck die Geschäftsführung der S. Verwaltungsgesellschaft mbH & Co. B2. KG sei, gegen diese in allen von der Klägerin monierten Fällen, sei es aus unmittelbarem oder mittelbarem Bezug zu ihrer Geschäftsführertätigkeit, ein Aufwendungsersatzanspruch aus § 7.1 des Gesellschaftsvertrags zu, ist nicht zu folgen.
Zutreffend sind der Beklagten zu 1) Aufwendungen und Lasten zu ersetzen, die durch die Geschäftsführung der S. Verwaltungsgesellschaft mbH & Co. B2. KG entstehen. Auch wenn der einzige Zweck der Beklagten zu 1) diese Geschäftsführung ist, ist nicht jede Verbindlichkeit (Anwaltskosten für Rechtsstreitigkeiten), die sie eingeht, geschäftsführende Tätigkeit für die Beklagte. Auseinandersetzungen mit ihren Gesellschaftern, z. B. über die Einziehung von Ge schäftsanteilen oder über die Geschäftsführerstellung betreffen Fragen der Existenz der Beklagten oder ihrer Vertretung. In diesem Zusammenhang führt sie kein Geschäft für die S. Verwaltungsgesellschaft mbH & Co. B2. KG.
Wäre gewollt gewesen, der Beklagten zu 1) alle Kosten zu ersetzen, nur weil ihr Gesellschaftszweck die Geschäftsführung für die S. Verwaltungsgesellschaft mbH & Co. B2. KG ist, wäre die Einschränkung in § 7.1 „die durch die Geschäftsführung entstehen“ überflüssig und unverständlich. Wären automatisch alle Kosten und Aufwendungen ohnehin durch die Geschäftsführung veranlasst, hätte es dieses Zusatzes nicht bedurft, da es nach dieser Logik gar keine anderen Kosten gegeben hätte. Ganz offensichtlich sollte aber unterschieden werden zwischen Kosten, die durch die Geschäftsführung verursacht werden und solche, die das nicht tun.
3. In diesem Sinne konnten die Beklagten zu keinem von der Klägerin zu einem Betrag von € 89.425,39 addierten Einzelpunkte (Klage Seite 32, 33 mit Ausnahme der später revidierten Ziffer 22) schlüssig einen Aufwendungsersatzanspruch der Beklagten zu 1) gegen die S. Verwaltungsgesellschaft mbH & Co. B2. KG darlegen. Eine tatsächliche Geschäftsführertätigkeit der Beklagten zu 1) ergibt sich aus dem Vorbringen der Beklagten nicht.
Die Beträge hätten also bei der S. Verwaltungsgesellschaft mbH & Co. B2. KG als Forderungen und bei der Beklagten zu 1) als Verbindlichkeiten gebucht werden müssen,§ 246 HGB. Ob allerdings, wie die Klägerin meint, neben Ansprüchen aus § 812 BGB auch solche nach § 823 Absatz 2 BGB, § 266 StGB in Betracht kommen, erscheint eher fraglich, kann aber dahinstehen.
Die Beklagten bestreiten die von der Klägerin geltend gemachten Fehlbuchungen als solche. Dass deren geldwerte Summe allerdings geeignet ist, einen erheblichen Verstoß gegen
§ 246 HGB darzustellen, der demgemäß zur Nichtigkeit der Jahresabschlüsse und der Feststellungsbeschlüsse führt, stellen auch die Beklagten nicht ernsthaft in Abrede.
4. Die Klägerin ist auch nicht gehindert, die Fehlbuchungen als Nichtigkeitsgrund der Jahresabschlüsse ab 2012 geltend zu machen. Die diesbezüglichen Bedenken der ursprünglich für das Verfahren zuständigen 4. Handelskammer werden nicht geteilt.
Die rechtlichen Ausführungen der Klägerin zur Feststellung eines Jahresabschlusses als mehrseitiges Rechtsgeschäft sind zutreffend und zutreffend ist auch, dass die Jahresabschlüsse bis einschließlich 2011 bestandskräftig festgestellt sind. Auswirkungen auf die folgenden Jahresabschlüsse dahingehend, dass die Klägerin die Verstöße gegen § 246 HGB nicht mehr geltend machen könnte, könnte das jedoch nur dann haben, wenn sie der Klägerin bei den Feststellungen der Jahresabschlüsse bis 2011 bekannt gewesen wären und sie sie gebilligt hätte.
Dass sie ihr positiv durch die Einsicht in Unterlagen am 11.9.2014 bekannt wurden, ist nicht streitig. Ob sie sie früher hätte kennen können, ist nicht relevant. Einsichts- und Informationsrechte aus § 51 a GmbHG und § 166 HGB korrespondieren nicht mit gleichgerichteten Verpflichtungen, gegen die verstoßen werden könnte (vergleichbar mit grob fahrlässiger Nichtkenntnis im Verjährungsrecht) mit der Folge des Ausschlusses der Geltendmachung von Fakten, die bei (früherer) Einsicht hätten erkannt werden können.
5. Auf weitere, von der Klägerin geltend gemachte Nichtigkeitsgründe kommt es nicht mehr an.
6. Kosten: §§ 91 Absatz 1, 100 Absatz 4 ZPO.
Vorläufige Vollstreckbarkeit: § 709 ZPO.


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