Handels- und Gesellschaftsrecht

Armplexusparese durch die Ausübung von Zugkräften bei der Geburtshilfe

Aktenzeichen  24 U 3486/16

Datum:
5.4.2018
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 10684
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 278 S. 1, § 280 Abs. 1 S. 1, § 611 Abs. 1, § 823 Abs. 1, § 831 Abs. 1 S. 1
ZPO § 286 Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

1 Das Auftreten einer kompletten linksseitigen Armplexusparese kann den Schluss auf die Ausübung von Zugkräften im Rahmen von geburtshilflichen Maßnahmen zulassen. (Rn. 16 – 23) (redaktioneller Leitsatz)
2 Der Krankenhausträger haftet bei einem totalen Krankenhausvertrag gemäß § 278 S. 1 BGB auch für das Verschulden einer freiberuflichen Hebamme, die mit seinem Willen in seinem Pflichtenkreis tätig war. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
3 Der die Geburtsleitung innehabende Arzt hat grundsätzlich deliktisch für ein Fehlverhalten einer freiberuflichen Hebamme gemäß § 831 Abs. 1 S. 1 BGB einzustehen (ebenso BGH BeckRS 9998, 166600). (Rn. 29 – 30) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

4 O 4601/08 2016-07-19 Endurteil LGAUGSBURG LG Augsburg

Tenor

I. Auf die Berufungen des Klägers und des Beklagten zu 1) wird das Endurteil des Landgerichts Augsburg vom 19.07.2016, Az.: 4 O 4601/08, abgeändert und wie folgt neu gefasst:
1. Der Beklagte zu 1) und die Beklagte zu 2) werden verurteilt, an den Kläger gesamtschuldnerisch ein Schmerzensgeld in Höhe von 65.000,- € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit 09.12.2008 zu zahlen.
2. Es wird festgestellt, dass der Beklagte zu 1) und die Beklagte zu 2) als Gesamtschuldner verpflichtet sind, dem Kläger allen vergangenen und künftigen materiellen Schaden zu ersetzen, der ihm daraus entstanden ist und noch entstehen wird, dass er bei seiner Geburt am 30.12.2002 linksseitig eine vollständige Armplexusparase erlitten hat, soweit die Ansprüche nicht auf Dritte übergegangen sind oder übergehen werden.
3. Es wird festgestellt, dass der Beklagte zu 1) und die Beklagte zu 2) als Gesamtschuldner verpflichtet sind, dem Kläger allen künftigen, derzeit nicht vorhersehbaren immateriellen Schaden zu ersetzen, der ihm daraus erwachsen kann, dass er bei seiner Geburt am 30.12.2002 linksseitig eine vollständige Armplexusparase erlitten hat.
4. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die weitergehenden Berufungen des Klägers und des Beklagten zu 1) werden zurückgewiesen.
III. Die Gerichtskosten des Verfahrens erster und zweiter Instanz tragen der Kläger zu 1/3, die Beklagten zu 1) und 2) als Gesamtschuldner zu 2/3.
Die außergerichtlichen Kosten des Klägers tragen die Beklagten zu 1) und 2) als Gesamtschuldner zu 2/3.
Der Kläger trägt die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 3).
Im Übrigen tragen die Parteien ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
IV. Dieses Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagten zu 1) und 2) können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages leistet. Der Kläger kann die Vollstreckung wegen der Kosten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte zu 3) vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages leistet.
V. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.
1. Der Kläger begehrt von den Beklagten Schmerzensgeld und Schadensersatz wegen einer bei seiner Geburt am 30.12.2002 erlittenen linksseitigen Armplexusparese. Durch das den Prozessbevollmächtigten der Beklagten zu 1) und 2) am 20.07.2016, den Prozessbevollmächtigten des Klägers am 02.08.2016 zugestellte Urteil vom 19.07.2016 (Bl. 463/474 d.A.), auf das hinsichtlich des streitgegenständlichen Sachverhalts, der vom Landgericht getroffenen Feststellungen und des Inhalts der Entscheidung im Einzelnen gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO verwiesen wird, hat das Landgericht Augsburg der Klage gegen den Beklagten zu 1) (Krankenhausträger) stattgegeben und die Klage gegen die Beklagten zu 2) (Ärztin) und 3) (Hebamme) zurückgewiesen.
2. Mit seiner am 22.08.2016 (Bl. 489 f. d.A.) eingelegten und nach gewährter Fristverlängerung bis zum 18.10.2016 mit an diesem Tag eingegangenem Schriftsatz (Bl. 516/531 d.A.) begründeten Berufung verfolgt der Beklagte zu 1) die Abweisung der gegen ihn gerichteten Klage weiter. Er ist der Auffassung,
– das Landgericht habe zu Unrecht das Vorliegen eines schadenskausalen Behandlungsfehlers angenommen; die Äußerungen der Sachverständigen, die im Übrigen mit einem von den Prozessbevollmächtigten der Beklagten zu 1) und 2) genannten gynäkologischen Fachaufsatz hätten konfrontiert werden müssen, seien nicht so zu verstehen, dass das Verletzungsbild des Klägers mit Sicherheit auf externe Zugkräfte während des Geburtsvorgangs zurückzuführen sei;
– das Handeln der Beklagten zu 3), die als freiberufliche Hebamme tätig gewesen sei, sei dem Beklagten zu 1) nicht zuzurechnen;
– es bestehe eine teilweise Überlappung zwischen dem Leistungsausspruch (Nr. I. des Tenors des angegriffenen Urteils) und der Feststellung bezüglich immaterieller Ansprüche (Nr. III. des Tenors des angegriffenen Urteils);
– Nr. II. des Tenors des angegriffenen Urteils sei zu weit gefasst, da die vom Kläger in der mündlichen Verhandlung vom 20.05.2014 insoweit erklärte Einschränkung: „soweit die Ansprüche nicht auf Dritte übergegangen sind oder übergehen werden“, nicht berücksichtigt worden sei;
– der ausgeurteilte Schmerzensgeldbetrag (65.000,- €) sei überhöht.
Zur Ergänzung wird hinsichtlich des Berufungsvortrags des Beklagten zu 1) auf den Schriftsatz seiner Prozessbevollmächtigten vom 18.10.2016 (Bl. 516/531 d.A.) sowie auf die Ausführungen seines Vertreters in der Berufungsverhandlung vom 11.01.2018 (Protokoll Bl. 616/624 d.A.) verwiesen.
Der Beklagte zu 1) beantragt,
I. Das Endurteil des Landgerichts Augsburg vom 19. Juli 2016 wird aufgehoben, soweit der Beklagte zu 1) zur Zahlung von Schmerzensgeld verurteilt wird und festgestellt wird, dass er materiellen und immateriellen Schadensersatz zu leisten hat (Ziffern I., II. und III. des Tenors).
II.  Die Klage wird in vollem Umfang abgewiesen.
Der Kläger beantragt die Zurückweisung der Berufung des Beklagten zu 1).
Hinsichtlich seines diesbezüglichen Vortrags wird auf die Schriftsätze seiner Prozessbevollmächtigten vom 18.01.2017 (Bl. 559/573 d.A.) und vom 21.12.2017 (Bl. 598/615 d.A.) sowie auf den Vortrag seines Vertreters in der Berufungsverhandlung vom 11.01.2018 verwiesen.
3. Die Berufung des Klägers wurde nach Durchführung eines Prozesskostenhilfebewilligungsverfahrens mit am 07.11.2016 eingegangenen Schriftsatz (Bl. 538/543 d.A.) eingelegt und begründet; Wiedereinsetzung in die versäumten Fristen zur Berufungseinlegung und Berufungsbegründung wurde mit Beschluss vom 09.11.2016 (Bl. 544 f. d.A.) bewilligt. Der Kläger verfolgt mit seiner Berufung das Ziel einer Verteilung auch der Beklagten zu 2) und 3) und vertritt die Auffassung, diese seien gemäß § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB schadensersatzpflichtig. Zur Ergänzung wird hinsichtlich des klägerischen Berufungsvortrags auf die Schriftsätze seiner Prozessbevollmächtigten vom 04.11.2016 (Bl. 538/543 d.A.) und vom 21.12.2017 (Seite 16 f., Bl. 613 f. d.A.) sowie auf den Vortrag des Klägervertreters in der Berufungsverhandlung vom 11.01.2018 verwiesen.
Der Kläger beantragt,
unter Abänderung des angefochtenen Urteils hinsichtlich der Beklagten zu 2) und zu 3) nach den erstinstanzlichen Klageanträgen zu erkennen.
Die Beklagten zu 2) und zu 3) beantragen die Zurückweisung der Berufung des Klägers.
Hinsichtlich des diesbezüglichen Vortrags der Beklagten zu 2) wird auf den Schriftsatz ihrer Prozessbevollmächtigten vom 07.02.2017 (Bl. 577/581 d.A.) sowie auf die Ausführungen ihres Vertreters in der Berufungsverhandlung vom 11.01.2018 verwiesen.
Hinsichtlich des diesbezüglichen Vortrags der Beklagten zu 3) wird auf den Schriftsatz ihrer Prozessbevollmächtigten vom 24.02.2017 (Bl. 582/586 d.A.) sowie auf den Vortrag ihres Vertreters in der Berufungsverhandlung vom 11.01.2018 verwiesen.
4. Der Senat hat am 11.01.2018 mit den Parteien mündlich verhandelt und die vom Landgericht beauftragten Sachverständigen Prof. Dr. Uwe H. und Prof. Dr. Rudolf K. einvernommen. In der Berufungsverhandlung hat der Vorsitzende darauf hingewiesen, dass eine Haftung der Beklagten zu 2) als geburtsleitender Ärztin für Fehler der zu 3) beklagten Hebamme gemäß § 831 Abs. 1 Satz 1 BGB in Betracht kommt (S. 2 des Protokolls, Bl. 617 d. A.). Im Übrigen wird zum Inhalt der Berufungsverhandlung auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung (Bl. 616/624 d.A.) Bezug genommen.
II.
Die zulässige Berufung des Beklagten zu 1) führt zu einer redaktionellen Klarstellung in der Tenorierung des landgerichtlichen Urteils, bleibt in der Sache jedoch ohne Erfolg.
1. Zutreffend ist, dass der Kläger seinen ursprünglichen Antrag zu Nr. 2. (Seite 2 des Klageschriftsatzes vom 27.11.2008, Bl. 83 d.A.) in der mündlichen Verhandlung vom 20.05.2014 um die einschränkende Formulierung: „soweit die Ansprüche nicht auf Dritte übergegangen sind oder übergehen werden“ ergänzt hat (Seite 3 des Terminprotokolls, Bl. 303 d.A.). Dies findet in Nr. II. des Tenors des angegriffenen Urteils keine Berücksichtigung, weshalb der Urteilsausspruch insoweit klarstellend zu ergänzen war.
2. In der Sache bleiben die Berufungsangriffe des Beklagten zu 1) ohne Erfolg.
a) Das Landgericht ist zutreffend zu dem Ergebnis gelangt, dass der Beklagte zu 1) dem Kläger aus einer Verletzung des mit seinen Eltern geschlossenen totalen Krankenhausvertrags, der Schutzwirkung zugunsten des Klägers hatte (vgl. BGH vom 06.12.1988 – VI ZR 132/88 – juris Rn. 26), schadensersatzpflichtig ist (§ 611 Abs. 1, § 280 Abs. 1 Satz 1, § 278 Satz 1 BGB). Das Landgericht hat zu Recht angenommen, dass die komplette linksseitige Armplexusparese des Klägers nur durch die Ausübung von Zugkräften durch die Beklagte zu 2) oder die Beklagte zu 3) im Rahmen ihrer geburtshilflichen Maßnahmen entstanden sein kann (siehe zu aa)), die Anwendung dieser Zugkraft dem im Zeitpunkt der Geburt des Klägers geltenden medizinischen Standard widersprach (siehe zu bb)) und der Beklagte zu 1) hierfür unabhängig davon einzustehen hat, ob die Zugkraft durch die Beklagte zu 2) oder durch die Beklagte zu 3) ausgeübt wurde (siehe zu cc)).
aa) Von niemandem angegriffen, hat das Landgericht einen Behandlungsfehler allerdings nicht den Dokumentationen der Beklagten zu 2) und 3) (Anlagen K 3 und K 4) entnommen, in denen gerade betont wird, es sei bei der erfolgten äußeren Überdrehung des Kopfes keine Zugkraft angewendet worden. Auf diesen Aspekt hat der Sachverständige Prof. Dr. H. auch in der Berufungsverhandlung nochmals hingewiesen (vgl. Seite 6 des Protokolls, Bl. 621 d.A.).
Die Berufungsverhandlung hat jedoch die Ansicht des Landgerichts bestätigt, dass es im Rahmen ihrer geburtshilflichen Maßnahmen zur – nicht dokumentierten und daher auch keiner bestimmten Handlung zuordenbaren – Ausübung von seitlichen Zugkräften auf den Kopf des Klägers durch die Beklagte zu 2) oder die Beklagte zu 3) gekommen sein muss, weil anders der beim Kläger entstandene Schaden nicht erklärbar wäre.
Der neuropädiatrische Sachverständige Prof. Dr. K. hat zunächst ausgeführt, dass der Schaden des Klägers nicht bereits vorgeburtlich entstanden sein könne und dies verständlich und nachvollziehbar damit begründet, dass in einem solchen Fall der betroffene Arm bereits unmittelbar nach der Geburt verkümmert und verschmächtigt oder von Osteoporose betroffen gewesen wäre, was jedoch beim Kläger nicht der Fall gewesen sei. Auch werde in keiner wissenschaftlichen Publikation von einem – beim Kläger aber gegebenen – Zerreißen von Nerven durch intrauterine Kräfte berichtet. Damit müsse die komplette linksseitige Armplexusparese des Klägers im Verlauf seiner Geburt entstanden sein.
Verständlich legte der Sachverständige Prof. Dr. K. dar, dass in Anbetracht ihres Verlaufs nach Austritt aus den oberen Wirbelkörpern die betroffenen Nerven des Klägers nur durch Zugkräfte geschädigt worden sein könnten, die durch eine seitliche Wegbewegung des Kopfes von der Schulter entstanden seien, wobei aufgrund der vom Kläger erlittenen schwersten Form der Armplexusparese eine hohe Zugkraft erforderlich gewesen sei, die der Sachverständige unter Verweis auf entsprechende experimentelle Untersuchungen bei verstorbenen Feten mit 35 bis 40 kg gegeben hat (vgl. auch Seite 12 seines schriftlichen Gutachtens vom 07.05.2015, Bl. 384 d.A.).
In diesem Zusammenhang hat sich der Sachverständige, entsprechend der Berufungsrüge des Beklagten zu 1), auch mit den literarischen Arbeiten von Wieg/Vetter/Teichmann (Anlage B 1/2-1) sowie Torki u.a. (Anlage zum Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. H. vom 02.09.2013, Bl. 251/253 d.A.) auseinandergesetzt und ausgeführt, es werde in dem Aufsatz von Wieg/Vetter/Teichmann nicht dargelegt, wie es bei der Entwicklung des Kindes zu einer zur Zerreißung der Nerven erforderlichen Zugkraftausübung auf den Kopf kommen solle, wenn nicht von außen. Mit Blick auf die Arbeit von Torki u. a. legte er dar, dass diese keine Angaben zur Schwere der in den untersuchten acht Fällen aufgetretenen Armplexusparesen enthalte. Der Aufsatz bezieht sich zudem auf nicht dystokieassoziierte Armplexusparesen, wie bereits ihr Titel (“Severe Brachial Plexus Palsy in Women Without Shoulder Dystocia“) zeigt. Der Sachverständige Prof. Dr. K. erklärte jedoch, keine Studie gefunden zu haben, in der eine Nervenzerreißung ohne korrelierende Schulterdystokie nachgewiesen worden sei.
Der geburtshilfliche Sachverständige Prof. Dr. H. hat in der Berufungsverhandlung erklärt, dass es in Anbetracht der vom Kläger erlittenen Verletzung Zugkräfte auf den Plexus gegeben haben müsse, die bei einem Geburtsablauf wie in den Berichten der Beklagten zu 2) und 3) (Anlagen K 3 und K 4) beschrieben nicht erklärbar seien. Ausführlich und verständlich erläuterte der Sachverständige sodann, dass er es ausschließe, dass Zugkräfte in der für die eingetretene Nervenzerreißung erforderlichen Stärke allein durch den Geburtsvorgang selbst, also ohne die geleisteten geburtshilflichen Maßnahmen, hervorgerufen worden sein könnten. Eine Seitbewegung des Kopfes während des Geburtsvorgangs, die zu der vom Kläger erlittenen Nervenzerreißung führe, gebe es schon bei der normalen Entwicklung des Kopfes bei der Geburt nicht; im Fall des Klägers sei dies wegen der gegebenen Umschlingung der Nabelschnur um den Hals noch weniger möglich gewesen, da Seitwärtsbewegungen des Kopfes durch die Nabelschnur behindert worden seien. In Anbetracht dieser Umstände gelangte der Sachverständige Prof. Dr. H. nachvollziehbar zu dem Schluss, dass letztlich nur eine von außen zugeführte Zugkraft in Betracht komme, um die zu einer Nervenverletzung erforderliche Zugbewegung herzustellen. Auch der Sachverständige Prof. Dr. H. ging auf die bereits genannte Arbeit von Torki u.a. ein und erklärte, dass diese keine Fälle von Schulterdystokie erfasse und das genaue Verletzungsbild der Armplexusparese in den dort untersuchten Fällen nicht angegeben worden sei.
Vor diesem Hintergrund ist der Senat nach dem Beweismaß des § 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO davon überzeugt, dass es im Rahmen der Geburt des Klägers dazu gekommen ist, dass die Beklagte zu 2) oder die Beklagte zu 3) dessen Kopf seitlich von der linken Schulter wegbewegt und dadurch die zur Zerreißung der Nerven im Armplexus führende Zugkraft ausgeübt hat. Zu einem entsprechenden Ergebnis sind – sachverständig beratene – Obergerichte im Übrigen auch in anderen Fällen einer im Gefolge einer Schulterdystokie aufgetretenen Armplexusparese mit Ausrissen an Nervenwurzeln gelangt (vgl. OLG München vom 08.07.2010 – 1 U 4550/08 – juris Rn. 36; OLG Hamm vom 23.05.2012 – I-3 U 174/11 – amtlicher Umdruck [Anlage BB1] S. 7 bis 12).
bb) Dass die Ausübung einer solchen Zugkraft in der gegebenen Situation dem im Zeitpunkt der Geburt zu wahrenden medizinischen Standard nicht genügte, hat der Sachverständige Prof. Dr. H. in seinem schriftlichen Gutachten vom 14.11.2011 (Seite 7 f., Bl. 185 f. d.A.) überzeugend dargelegt und wurde zuletzt auch von niemandem mehr in Abrede gestellt.
cc) Der Beklagte zu 1) hat für die Ausübung dieser Zugkraft unabhängig davon gemäß § 278 Satz 1 BGB einzustehen, ob die Kraft durch die Beklagte zu 2) oder durch die Beklagte zu 3) ausgeübt worden ist. Aufgrund des zwischen der Mutter des Klägers und dem Beklagten zu 1) geschlossenen totalen Krankenhausvertrags schuldete der Beklagte zu 1) die standardgemäße Erbringung geburtshilflicher Leistungen bei der Geburt des Klägers. Hierfür bediente er sich der Beklagten zu 2) als angestellter Assistenzärztin, sodass, was auch von niemanden in Abrede gestellt wird, der Beklagte zu 1) ein etwaiges Verschulden ihrerseits gemäß § 278 Satz 1 BGB zu vertreten hätte. Entsprechendes gilt, wenn nicht die Beklagte zu 2), sondern die Beklagte zu 3) die standardunterschreitende Zugkraft am Kopf des Klägers ausgeübt haben sollte. Zwar war die Beklagte zu 3) nicht beim Beklagten zu 1) angestellt, sondern als freiberufliche Hebamme im Krankenhaus tätig. Da die Beklagte zu 3) jedoch mit Willen des Beklagten zu 1) in dessen Pflichtenkreis tätig war, haftet er auch für deren Verschulden gemäß § 278 Satz 1 BGB (vgl. OLG Köln vom 31.01.2005 – 5 U 130/01 – juris Rn. 53 f.) Zum selben Ergebnis gelangte man, wenn man darauf abstellte, dass die die Geburt leitende Beklagte zu 2) als Erfüllungsgehilfin des Beklagten zu 1) mit dessen Einverständnis die Beklagte zu 3) als Hilfsperson hinzugezogen hat (vgl. Grüneberg in Palandt, BGB, 77. Aufl. 2018, § 276 Rn. 9; zur Geburtsleitung durch die Beklagte zu 2) s. unten zu Nr. III. 1.).
b) Das vom Landgericht ausgeurteilte Schmerzensgeld (§ 253 Abs. 2 BGB) in Höhe von 65.000,- € ist nicht zu beanstanden. Es hält sich im Rahmen des in vergleichbaren Fällen zugesprochenen (vgl. die Nachweise zu den laufenden Nummern 2673, 2675 sowie 2677 bis 2681 bei Hacks/Wellner/Hecker, Schmerzengeldbeträge, 35. Aufl. 2017). Zu berücksichtigen ist hier insbesondere, dass der linke Arm des Klägers zeit seines Lebens praktisch funktionslos bleiben wird und ihm die ins Auge gefasste Aufnahme einer handwerklichen Ausbildung nach Abschluss der Schule voraussichtlich nicht möglich sein wird.
c) Entgegen der Ansicht des Beklagten zu 1) überlappen sich die Nummern I. und III. des Tenors des angegriffenen Urteils nicht deshalb, weil die betroffenen Aspekte nicht in zeitlicher Hinsicht gegeneinander abgegrenzt werden (vgl. Seiten 2 bis 4 der Berufungsbegründung des Beklagten zu 1), Bl. 517/519 d.A.). Im Lichte der einschlägigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH vom 20.03.2001 – VI ZR 325/99 – juris; vom 14.02.2006 – VI ZR 322/04 – juris Rn. 7 f.) sind die Aussprüche vielmehr qualitativ dahingehend gegeneinander abzugrenzen, dass das zugesprochene Schmerzensgeld alle immateriellen Schadensfolgen abgilt, die bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung entweder bereits eingetreten und objektiv erkennbar waren oder deren Eintritt jedenfalls vorhergesehen und bei der Entscheidung berücksichtigt werden konnte.
III.
Die Berufung des Klägers führt zu einer Verurteilung auch der Beklagten zu 2); hinsichtlich der erstrebten Verurteilung auch der Beklagten zu 3) ist die Berufung des Klägers hingegen erfolglos.
1. Die Beklagte zu 2) ist dem Kläger entweder – falls sie selbst die standardunterschreitende Zugkraft ausgeübt haben sollte – aus § 823 Abs. 1 BGB oder – falls die Beklagte zu 3) diese Zugkraft ausgeübt haben sollte – aus § 831 Abs. 1 Satz 1 BGB schadensersatzpflichtig. Ersteres bedarf keiner näheren Ausführungen, Letzteres ergibt sich daraus, dass die Beklagte zu 2) von Beginn ihrer Anwesenheit im Kreissaal an (22.00 Uhr) die Geburtsleitung innehatte und damit deliktisch für ein etwaiges Fehlverhalten der Beklagten zu 3) gemäß § 831 Abs. 1 Satz 1 BGB einstehen musste (vgl. BGH vom 14.02.1995 – VI ZR 272/93 – juris Rn. 17 f.). Dass im vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall ein nicht nur deliktisch, sondern auch vertraglich haftender Belegarzt tätig wurde, während im vorliegenden Fall ein totaler Krankenhausvertrag geschlossen wurde, begründet keinen rechtlich erheblichen Unterschied, da sich die deliktische Haftung des Arztes in beiden Fällen nicht unterscheidet.
Aus dem Urteil des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 08.07.2003 (1 U 104/02 – juris) ergibt sich nichts anderes. In dieser Entscheidung wurde die Geburtsleitung einer unerfahrenen Assistenzärztin, die bis dahin noch nie eine Geburt eigenverantwortlich geleitet hatte und neben einer erfahrenen Hebamme tätig wurde, verneint. Ein solcher Fall liegt hier jedoch nicht vor. Vielmehr war die Beklagte zu 2) bei der Geburt des Klägers zwar noch keine Fachärztin; jedoch erfüllte sie nach eigenem Vortrag zu diesem Zeitpunkt die Voraussetzung des Facharztstandards mit über 500 Geburtsleitungen entsprechend den Vorgaben der Weiterbildungsordnung für die Ärzte Bayerns in der damals gültigen Fassung (Seiten 2 f. der Klageerwiderung, Bl. 43 f. d.A.). Unter diesen Umständen war die Beklagte zu 2) entsprechend der zuletzt genannten Entscheidung des Bundesgerichtshofs rechtlich für die Leitung der Geburt des Klägers verantwortlich.
2. Keinen Erfolg hat die Berufung des Klägers, soweit er auch eine Verurteilung der Beklagten zu 3) erstrebt.
a) Da der Behandlungsfehlervorwurf nicht an das in den Anlagen K 3 und K 4 dokumentierte Drehen am Kopf des Klägers durch die Beklagte zu 3) anknüpft, sondern an eine nicht dokumentierte Zugkraftausübung durch die Beklagte zu 2) oder die Beklagte zu 3), lässt sich eine Haftung der Beklagten zu 3) nicht allein auf § 823 Abs. 1 BGB stützen. Für ein mögliches Fehlverhalten der Beklagten zu 2) hätte die Beklagte zu 3) jedoch weder gemäß § 831 Abs. 1 Satz 1 BGB noch aus einem anderen Rechtsgrund einzustehen. Der klägerische Verweis auf eine wechselseitige Remonstrationspflicht ändert daran nach Auffassung des Senats schon deshalb nichts, weil nicht unterstellt werden kann, dass die Beklagte zu 3) eine etwaige fehlerhafte Maßnahme der Beklagten zu 2) rechtzeitig wahrgenommen hätte.
b) Eine Anwendung des §§ 830 Abs. 1 Satz 2 BGB setzte voraus, dass sich (bei Ungewissheit hinsichtlich der Schadensursächlichkeit einer einzigen Handlung) sowohl die Beklagte zu 2) als auch die Beklagte zu 3) fehlerhaft verhalten hätten (vgl. BGH vom 20.06.1989 – VI ZR 320/88 – juris Rn. 14), was jedoch nicht feststeht.
IV.
1. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1, § 92 Abs. 1, § 97 Abs. 1 und § 100 Abs. 4 ZPO.
2. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 708 Nr. 10 Satz 1 und § 711 ZPO.
3. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO) liegen nicht vor.


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