Handels- und Gesellschaftsrecht

Beginn der Verjährung von Regressansprüchen bei Organisationsverschulden des Sozialleistungsträgers

Aktenzeichen  2 O 20/17

Datum:
16.1.2018
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 53935
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Nürnberg-Fürth
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
StVG § 7, § 18
VVG § 115 Abs. 2, § 124
SGB X § 116, § 118
BGB § 195, § 199 Abs. 1, Abs. 2
EGBGB Art. 229 § 6 Abs. 1, Abs. 2

 

Leitsatz

Die Verjährung von Schadensersatzansprüchen nach einem Verkehrsunfall beginnt, wenn die Regressabteilung des Sozialleistungsträgers aufgrund eines Organisationsverschuldens keine Kenntnis von der Leistungserbringung erhält. (Rn. 54) (Rn. 61) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
III. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
BESCHLUSS:
Der Streitwert wird auf 138.330,33 € festgesetzt.

Gründe

Die Klage ist zulässig, jedoch unbegründet.
I.
Die Klage ist zulässig.
Das Landgericht Nürnberg-Fürth ist insbesondere gemäß § 32 ZPO örtlich zuständig.
Die Klage ist auch als Feststellungsklage zulässig, da die Schadensentwicklung noch nicht abgeschlossen ist und der Kläger seinen Anspruch zumindest teilweise noch nicht beziffern kann (BGH Urteil vom 21.9.1987, II ZR 20/87).
II.
Die Klage ist unbegründet, da etwaige Ansprüche jedenfalls verjährt sind.
1. Bei dem ins Streit stehenden Ansprüchen handelt es sich um solche nach §§ 7, 18 StVG im Verhältnis zum Beklagten zu 2) als Fahrer und um einen Direktanspruch aus § 115 VVG gegenüber der Beklagten zu 1). Diese Ansprüche gehen bei Gewährung von Leistungen durch einen Sozialhilfeträger auf diesen über (§ 116 SGB X).
Das Unfallereignis an sich ist zwischen den Parteien unstreitig, somit auch eine – gewisse – Haftung der Beklagten zu 1) und 2). Die Haftungsquote ist zwischen den Parteien streitig, sowie der Umfang der Leistungen, die vom Kläger an K. B. geflossen sind. Für die bestrittenen Leistungen hat der Kläger keinen Beweis angeboten., hier wäre aber § 118 SGB X zu berücksichtigen.
Diese Fragen müssen jedoch nicht geklärt werden, da etwa bestehende und auf den Kläger übergegangene Ansprüche jedenfalls verjährt sind.
2. Ansprüche des Klägers gegen die beklagten Fahrer und Versicherer sind verjährt.
a) Der Unfall datiert vom 7.5.1998. Der Kläger macht Ansprüche geltend für den Zeitraum 17.1.2007 bis 30.6.2016.
Nach der zum Unfallzeitpunkt geltenden Rechtslage verjähren Ansprüche aus unerlaubter Handlung, zu denen auch die Verursachung im Rahmen eines Verkehrsunfalls und die Gefährdungshaftung nach dem StVG zählen, in 3 Jahren von dem Zeitpunkt an, in welchem der Verletzte von dem Schaden und der Person des Ersatzpflichtigen Kenntnis erlangt, ohne Rücksicht auf diese Kenntnis in 30 Jahren von der Begehung der Handlung an (§ 852 Abs. 1 BGB a.F. bis 31.12.2001). Die Verjährung richtet sich zunächst nach der genannten Vorschrift.
Der Direktanspruch gegen den Versicherer unterliegt grundsätzlich den gleichen Regeln wie der Anspruch gegen den Versicherungsnehmer (§ 3 Nr. 3 PflVG alte Fassung), abgesehen von der absoluten Verjährungsfrist von 10 Jahren ab dem Eintritt des Schadens an, die aber einer Hemmung unterliegen kann (Prölss/Martin, VVG, 29. Auflage, § 115, Rz. 31).
Deliktische Ansprüche unterliegen ab 01.01.2002 der Regelverjährung nach § 195 BGB, verjähren also in 3 Jahren. Gemäß § 199 Abs. 1 BGB beginnt die regelmäßige Verjährungsfrist mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist, und der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste.
Daneben gilt die absolute Verjährung des § 199 Abs. 2 BGB: Schadensersatzansprüche, die auf der Verletzung des Lebens, des Körpers, der Gesundheit oder der Freiheit beruhen, verjähren ohne Rücksicht auf ihre Entstehung und die Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis in 30 Jahren von der Begehung der Handlung, der Pflichtverletzung oder dem sonstigen Schaden auslösenden Ereignis an.
Ab dem 01.01.2008 gilt für die Verjährung des Direktanspruchs § 115 Abs. 2 VVG, der aber die gleichen Regelungen trifft wie § 3 Nr. 3 PflVersG a.F. (vgl. etwa OLG Oldenburg, Urteil vom 22.03.2017 – 3 U 74/16, BeckRS 2017, 129874).
b) Der Anspruch gegen den Versicherer, die Beklagte zu 1), ist verjährt.
Gegenüber dem Versicherer verjährt der Direktanspruch gemäß § 115 Abs. 2 VVG, die Verjährung endet spätestens nach 10 Jahren von dem Eintritt des Schadens an (§ 115 Abs. 2 Satz 2 VVG). Dies betrifft nur den Direktanspruch, nicht den Deckungsanspruch des Versicherten (Prölss/Martin, VVG, 29. Auflage, § 115, Rz. 30).
Verjährungsbeginn ist der Unfalltag 07.05.1998, Ablauf wäre dann der 07.05.2008.
Es tritt zwar eine Hemmung durch Anmeldung des Anspruches beim Versicherer bis zur endgültigen Entscheidung des Versicherers ein, die auch für die genannte Zehnjahresfrist gilt (Prölss/Martin, a.a.O.). Allerdings ist diese jedenfalls durch das Schreiben der Allianz vom 02.05.2001 (Anlage K6) beendet worden. Eine Hemmung entsteht nur durch die erstmalige Geltendmachung von Ansprüchen gegenüber dem Haftpflichtversicherer (BGH, Urteil vom 05.11.2002, Az. VI ZR 416/01, VersR 2003, 99). Weitere Hemmungsgründe sind im Verhältnis Kläger – Beklagte nicht vorgetragen.
Somit war die Ablaufhemmung gegenüber dem Versicherer spätestes am 02.05.2001 beendet. Selbst wenn man die Verjährung in 10 Jahren ab diesem Zeitpunkt rechnet, wäre der Anspruch gegen den Beklagten zu 1) als Versicherer zum 03.05.2011 verjährt.
Hinzu treten die gleich folgenden Erwägungen.
c) Auch die Ansprüche gegen den Versicherten, den Beklagten zu 2), sind verjährt.
Zwar greift in der vorliegenden Konstellation § 124 VVG nicht ein.
Die Verjährung ergibt sich aber aus folgenden Erwägungen:
Nach der Rechtsprechung des BGH gilt sowohl für den Zeitraum vor und nach der Schuldrechtsreform, dass im Deliktsrecht für den Beginn der Verjährungsfrist bei den Ansprüchen der Sozialversicherungsträger auf die Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis der Mitarbeiter der für den Regress zuständigen Organisationseinheit abzustellen ist (BGH NJW 2012, 2644).
Dies bedeutet, dass etwaige Ansprüche des Klägers gegen den Beklagten zu 2) zum 1.1.2002 noch nicht verjährt waren, da dieser zu diesem Zeitpunkt noch keine Kenntnis hatte oder haben konnte. Damit ist gemäß Art. 229 § 6 Abs. 1 und 2 EGBGB für die Zeit ab dem 1.1.2002 das BGB in der Fassung ab diesem Zeitpunkt maßgeblich, und zwar u.a. für den Beginn, den Ablauf und die Hemmung der Verjährungsfrist. Deliktische Ansprüche unterliegen der Regelverjährung nach § 195 BGB, also in 3 Jahren. Gemäß § 199 Abs. 1 BGB beginnt die regelmäßige Verjährungsfrist mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist, und der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste, mit den oben geltenden Maßgaben für Sozialversicherungsträger. Insofern hat sich keine Änderung zu den vor der Schuldrechtsreform geltenden Regelungen ergeben, so dass Art. 229 § 6 Abs. 3 und 4 nicht anzuwenden sind.
Die absolute Verjährungsfrist (§ 852 Abs. 1 BGB a.F. bzw. im wesentlichen gleich § 199 Abs. 2 BGB) hinsichtlich der Haftung nach Deliktsrecht bzgl. des Unfalls wäre der 7.5.2028. Diese ist noch nicht eingetreten.
Daher ist gemäß § 199 Abs. 1 BGB auf die Frage abzustellen, ob der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt hat oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen hätte müssen.
Das Gericht ist zu der Überzeugung gelangt, dass der Kläger jedenfalls ab einer gewissen Zeit nach dem Zeitpunkt der Leistungsgewährung vom 17.1.2007 an grob fahrlässige Unkenntnis aufgrund eines Organisationsverschuldens hinsichtlich der geltend gemachten Ansprüche hatte.
Zwar ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, wie bereits ausgeführt, die Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis der Mitarbeiter der für den Regress zuständigen Organisationseinheit maßgeblich (vgl. BGH a.a.O.).
Der BGH hat in der genannten Entscheidung festgehalten, dass sich die Sozialhilfeeinrichtung grob fahrlässige Unkenntnis der Mitarbeiter der Regressabteilung zurechnen lassen muss. Im Einzelnen:
„Die Obliegenheiten der Regressabteilung des Trägers der Sozialversicherung ergeben sich aus deren Aufgabe. Der Regressabteilung ist die Durchsetzung der nach §§ 116, 119 SGB X übergegangenen Schadensersatzansprüche übertragen. Sie hat diese Ansprüche im Anschluss an die Leistungen, die der Träger der Sozialversicherung dem geschädigten Versicherten gewährt hat, zügig zu verfolgen. Dazu hat sie insbesondere ihr zugegangene Vorgänge der Leistungsabteilung sorgfältig darauf zu prüfen, ob sie Anlass geben, Regressansprüche gegen einen Schädiger zu verfolgen. Ferner ist es Sache der Regressabteilung, behördenintem in geeigneter Weise zu sichern, dass sie frühzeitig von Schadensfällen Kenntnis erlangt, die einen Regress begründen könnten. Erhält die Regressabteilung aufgrund einer nachlässigen Handhabung der beschriebenen Obliegenheiten nicht in angemessener Zeit Kenntnis von einer Regressmöglichkeit, kann das im Einzelfall als eine dem Träger der Sozialversicherung nach § 199 Abs. 1 Nr. 2 Fall 2 BGB zuzurechnenden groben fahrlässige Unkenntnis zu werten sein.

Als grob fahrlässige Unkenntnis kann weiter zu werten sein, dass die Mitarbeiter der Regressabteilung des Sozialversicherungsträgers erkennen mussten, dass Organisationsanweisungen notwendig sind oder vorhandene Organisationsanweisungen von den Mitarbeitern der Leistungsabteilung nicht beachtet wurden und es deswegen zu verzögerten Zuleitungen von Vorgängen kam. Um solche, den Regress gescheiterten Fallgestaltungen zu vermeiden, ist es naturgemäß Aufgabe der Regressabteilung, darauf hinzuwirken, dass eine zeitnahe Information sichergestellt ist.“
Das Gericht ist nach den glaubhaften Aussagen der vernommenen Zeugen, insbesondere der Frau Keybe, zu der Überzeugung gelangt, dass diese tatsächlich erst am 24.10.2013 von dem streitgegenständlichen Vorgang Kenntnis genommen hat. Die Zeugin war nach Auffassung des Gerichts glaubwürdig, es bestehen auch im einzelnen keine Anhaltspunkte, an ihrer Aussage zu zweifeln. Sie war sichtlich um eine korrekte Beantwortung der ihr gestellten Fragen bemüht. Ihre Aussage passt auch zur vorgelegten Notiz Anlage K5.
Leistungsgewährung erfolgte allerdings nach Klägervortrag ab 17.01.2007, somit erreichte der Vorgang über sechs Jahre lang die Regressabteilung nicht.
In der Sitzung vom 8.11.2017 hat der Kläger entsprechend der ihm insofern obliegenden Darlegungslasten (vgl. BGH a.a.O.) zwei Rundschreiben übergeben (02/2014 und 15/2002 nunmehr Anlage zum Protokoll), die den streitgegenständlichen Sachverhalt regeln sollten. Das erste Rundschreiben galt ab 1.8.2002, das zweite ab 1.1.2014.
In dem Rundschreiben 2.2014 ist als Leitsatz geregelt: „Sofern sich in der Akte Anhaltspunkte für das Bestehen von Ansprüchen nach § 116 SGB X befinden, ist der Vorgang unverzüglich, ohne weitere vorbereitende Ermittlungen, dem zuständigen Sachbearbeiter des Rechtsarbeitsgebiets zuzuleiten.“
Eine vergleichbare Regelung ist in dem Rundschreiben 15/2002, das den maßgeblichen Zeitraum bis Geltungsbeginn des anderen Rundschreibens am 1.1.2014 betrifft, nicht inbegriffen. Dort ist nur geregelt, dass die Regressabteilung zuständig für die Bearbeitung ist. Eine Maßnahme oder Anweisung, die sicherstellt, dass diese auch tatsächlich Kenntnis von etwaigen Vorgängen erhalten, ist dem Schreiben nicht zu entnehmen.
Damit ist festzuhalten, dass für den Zeitraum vor der Geltung des neuen Rundschreibens vom 1.1.2014 keinerlei Maßnahmen durch den insofern darlegungs- und beweisbelasteten Kläger dargetan wurden, die sicher stellen, dass eine Kenntnis der Mitarbeiter der Regressabteilung zügig erfolgt. Auch der glaubhaften Aussage des Zeugen St., der erst ab 2011 beim Kläger tätig war, und damit erst ab diesem Zeitpunkt aus eigener Anschauung Angaben machen konnte, ist insofern nichts zu entnehmen. Insbesondere konnte er auch auf Nachfrage nicht von weitere Maßnahmen wie Schulungen etc. berichten. Die klagende Behörde hat für diesen Zeitraum folglich schon keine konkreten Maßnahmen oder Anweisungen vorgetragen, die dafür Sorge tragen, dass die zuständigen Sachbearbeiter auch tatsächlich Kenntnis von diesen Vorgängen erlangen. Erst mit der Überarbeitung des Rundschreibens ab 1.1.2014 ist eine dahingehende Anweisung ersichtlich.
Daher ist jedenfalls für diesen Zeitraum eine grobe fahrlässige Unkenntnis der Mitarbeiter der Regressabteilung anzunehmen ab dem Zeitpunkt der Leistungserbringung zuzüglich einer gewissen Bearbeitungsfrist. Somit ist die dreijährige Verjährungsfrist zum Zeitpunkt der Klageerhebung jedenfalls abgelaufen.
Insofern kann offenbleiben, ob eine bloße Abspeicherung des Rundschreibens 02/2014 im Intranet des Klägers ausreichend ist um eine Weitergabe der Informationen zu gewährleisten. Insbesondere ist vom Kläger nicht dargestellt worden, dass und ob (neue) Mitarbeiter auf diese Anweisung gesondert hingewiesen werden oder diese ihnen anderweitig zur Kenntnis gegeben wird.
Weiter kann offenbleiben, ob nicht ohnehin eine Zurechnung der Kenntnisse des Bezirks Mittelfranken zum Kläger aufgrund eines Anspruchsüberganges im Sinne der Grundsätze der Entscheidungen des BGH vom 01.07.2014 und vom 14.03.2017 (NJOZ 2016, 384 und r+s 2017, 387) erfolgt.
Eine Beiziehung der Sozialversicherungsakten war als unzulässiger Ausforschungsbeweis nicht angezeigt (vgl. OLG Frankfurt FamRZ 2015, 518), stellt für die Beklagten aufgrund der vorliegenden Rechtsprechung zu den Darlegungslasten ohnehin jedoch keinen Nachteil dar.
3. Die Klage war daher insgesamt abzuweisen.
II.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 91 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 709 ZPO.
III.
Der Streitwert bei positiver Feststellungsklage bemisst sich auf 80 % der Leistungsklage (Zöller-Herget, ZPO, § 3 Rz. 16 Stichwort Feststellungsklage).


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