Handels- und Gesellschaftsrecht

Geschäftsunfähigkeit – Behinderung im Sinne einer leichten Intelligenzminderung

Aktenzeichen  2 O 5195/15

Datum:
29.11.2019
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 55162
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
München II
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 104 Nr. 2, § 105 Abs. 1
ZPO § 130,§ 256, § 304 Abs. 1, § 404a Abs. 4§ 411a

 

Leitsatz

Nach der Rechtsprechung des BGH ist das Feststellungsinteresse erhalten, wenn der Feststellungsrechtsstreit entscheidungsreif oder im Wesentlichen zur Entscheidungsreife fortgeschritten und die Leistungsklage noch nicht entscheidungsreif ist (Rn. 27). (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Widerklage ist dem Grunde nach gerechtfertigt.
III. Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlussurteil vorbehalten.

Gründe

Die Klage ist unbegründet.
Die Widerklage ist dem Grunde nach begründet. Hinsichtlich der Höhe der vom Beklagten beantragten Zug-um-Zug-Leistung besteht zwischen den Parteien Streit, sodass gemäß § 304 Abs. 1 ZPO über den mit der Widerklage geltend gemachten Anspruch dem Grunde nach entschieden werden konnte.
I. A. Zur Klage
Die positive Feststellungsklage ist trotz der auf Leistung bzw. Rückabwicklung gerichteten Widerklage zulässig. Denn die Klage ist im Gegensatz zur Widerklage voll entscheidungsreif.
Nach der Rechtsprechung des BGH bleibt das Feststellungsinteresse dann erhalten, wenn der Feststellungsrechtsstreit entscheidungsreif oder im wesentlichen zur Entscheidungsreife fortgeschritten und die Leistungsklage noch nicht entscheidungsreif ist (RG, JW 1909, 417 (418); Warn 1916 Nr. 106; BGHZ 18, 22 (42) = NJW 1955, 1437 = LM § 256 ZPO Nr. 30, sowie BGH, NJW 1973, 1500 = LM § 256 ZPO Nr. 102 m. w. Nachw.; BGH NJW 1987, 2680, beck-online)
Die Klage ist unbegründet.
Die streitgegenständlichen Verträge sind nach § 105 BGB unwirksam. Der Beklagte ist geschäftsunfähig.
1. Nach § 104 Nr. 2 BGB ist geschäftsunfähig, wer sich in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befindet, sofern nicht der Zustand seiner Natur nach ein vorübergehender ist.
a. Der Ausschluss der freien Willensbestimmung ist zu bejahen, wenn der Betroffene nicht mehr in der Lage ist, seine Entscheidung von vernünftigen Erwägungen abhängig zu machen (Palandt/Ellenberger, BGB, 78. A., § 104 Rz. 5). Bloße Willensschwäche oder leichte Beeinflussbarkeit genügen nicht, ebenso wenig das Unvermögen, die Tragweite der abgegebenen Willenserklärung zu erfassen. Bei Debilität kommt eine Anwendung von § 104 Nr. 2 in der Regel erst bei einem IQ unter 60 in Betracht (OLG Düsseldorf, VersR 1996, 1493; Palandt/Ellenberger, BGB, 78. A., § 104 Rz. 5).
b. Ein Ausschluss der freien Willensbestimmung liegt vor, wenn jemand nicht imstande ist, seinen Willen frei und unbeeinflusst von der vorliegenden Geistesstörung zu bilden und nach zutreffend gewonnenen Einsichten zu handeln. Abzustellen ist dabei darauf, ob eine freie Entscheidung nach Abwägung des Für und Wider bei sachlicher Prüfung der in Betracht kommenden Gesichtspunkte möglich ist oder ob umgekehrt von einer freien Willensbildung nicht mehr gesprochen werden kann, etwa weil infolge der Geistesstörung Einflüsse dritter Personen den Willen übermäßig beherrschen (BGH, NJW 1996, 918 f). Im Rahmen des § 104 Nr. 2 BGB kommt es auf die freie Willensbestimmung, nicht auf die Möglichkeit der Willenskundgabe an.
c. Der Ausschluss der Fähigkeit zur freien Willensbildung aufgrund einer krankhaften Störung ist zu bejahen, wenn jemand sämtliche Entscheidungen unter dem Einfluss von anderen trifft und dabei einem Rat nicht infolge einer freien Willensbildung folgt, sondern weil er – wie ein Kind – dem Ratenden vertraut, und wenn, nachdem er aus einem spontanen Entschluss heraus eine Entschließung gefasst hat, aber so suggestive ist, dass er jederzeit zu einem Meinungswechsel bewegt werden kann (OLG München, Urteil vom 06.04.2016, 20 U 2996/15, Rz. 16).
2. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist das Gericht davon überzeugt, dass beim Beklagten eine leichte Intelligenzminderung (ICD-10: F70.0) vorliegt. Er befand sich zum Zeitpunkt der Vertragsschlüsse in einem seine freie Willensbildung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit.
a. Nach den Ausführungen der Sachverständigen Prof. Dr. med. N2. N1. und Dr. med. A. T. vom 01.06.2016 ergab die Diagnose eine angeborene oder zumindest in der frühen Kindheit erworbene leichte Intelligenzminderung (ICD-10: F70.0), die beim Beklagten schon zu einer deutlichen Beeinträchtigung seiner schulischen, beruflichen und sozialen Entwicklung geführt hat. Die typischen Erscheinungsmerkmale dieses Krankheitsbildes, die Verzögerung des Spracherwerbs, Sprechprobleme im Erwachsenenalter, Auffälligkeiten in der Schulausbildung, insbesondere beim Lesen und Schreiben (in der Regel Sonderschule) waren beim Beklagten für die Sachverständigen klar nachvollziehbar. Der Kläger hat von 1966 bis 1975 die Sonderschule besucht. Er fiel dabei in der 1., 3. und 5. Jahrgangsstufe der Sonderschule ein Mal durch. Er ist schon damals nach dem Schulbogen aufgefallen durch unsaubere, schlecht riechende Kleidung und mangelhafte Körperhygiene, gestörte/gehemmte Bewegungen, mangelhafte Leistungen, fehlendes schulisches Interesse, Ehrgeiz oder Fleiß, kaum lesbare Schrift, unvollständig und schlecht geführte Hefte, geistige Überforderung sowie leichte Unterrichtsstörungen. Bei der Untersuchung des Beklagten am 22.04.2016 durch die Sachverständigen zeigten sich deutliche Einschränkungen bei der Konzentration und im Abstraktionsvermögen. Selbst Fragen mit geringem Abstraktionsgrad konnte der Kläger nicht beantworten, blieb an konkreten Inhalten haften. Es fiel ihm schwer, eigene Gefühle und Gedanken zu benennen und andere Personen zu beschreiben. Fragen nach Handlungsmotiven konnte der Kläger nicht oder nur sehr vereinfacht und nicht logisch nachvollziehbar darstellen. Eine ihm gestellte Rechenaufgabe hinsichtlich der zu erwartenden Milchmenge bei 19 Kühen mit je 20 Litern konnte der Kläger nicht richtig berechnen. Als er statt 380 Liter 150 Liter angab. Als Ergebnis der testpsychologischen Untersuchung des Beklagten durch die Sachverständige D. P2. Dr. phil. E. Y. und die forensische Psychologin K F zeigte sich beim Kläger ein unterdurchschnittlicher Intelligenzquotient von 59 bzw. im Bereich von 56 – 64. In der testpsychologischen Untersuchung zeigten sich die Einschränkungen durchgängig durch alle Tests hindurch, was noch am ehesten mit einer angeborenen Intelligenzminderung vereinbar ist.
b. Die Intelligenzminderung ist beim Beklagten so ausgeprägt, dass sie zu einer deutlichen Beeinträchtigung seiner schulischen, beruflichen und sozialen Entwicklung geführt hat. Somit lässt sie sich einer nicht nur vorübergehenden krankhaften Störung der Geistestätigkeit im Sinn des § 104 Nr. 2 BGB zuordnen. Die Erkrankung des Beklagten hat auch zu einer Beeinträchtigung seiner freien Willensbildung zu den streitgegenständlichen Zeitpunkten geführt. In der Regel ist unterhalb eines IQ von 60 eine Geschäftsunfähigkeit anzunehmen, wobei nach Cording (2014) für die freie Willensbildung neben der quantitativ bestimmten kognitiven Leistungsfähigkeit auch andere qualitative Faktoren zu berücksichtigen sind. Bei Patienten mit Intelligenzminderung spielt die Verfügbarkeit eigener Lernerfahrungen zur Abschätzung von Handlungskonsequenzen sowie die Einsichtsfähigkeit in die eigenen Grenzen mit dementsprechend vorsichtigem Handeln eine wichtige Rolle. Für die freie Willensbildung muss es einem solchen Menschen zudem möglich sein, sich Gründe für und gegen eine Entscheidung zu vergegenwärtigen und diese gegeneinander abzuwägen, sich aus eigenen Überlegungen und unabhängig von Einflüssen Dritter ein Urteil bilden zu können, Informationen zu verarbeiten und Zusammenhänge zu erfassen. Der Beklagte hatte bereits Schwierigkeiten mit einfachen Rechnungen, die seine tägliche Lebensrealität betreffen. Er konnte keinen logischen Zusammenhang zwischen den getätigten Grundstücksverkäufen, dem laufenden Rechtsstreit und der gutachterlichen Untersuchung herstellen und versuchte auch nicht, sich dies weiter zu erschließen. Die Grundstücksverkäufe sah er inzwischen zwar als fehlerhaft an, jedoch konnte er nicht darlegen, worin dieser Fehler bestand und was er bei den Verkäufen hätte berücksichtigen müssen. Der Beklagte war bis ins mittlere Erwachsenenalter von seiner Mutter und nach deren Tod durch Nachbarn und seinen Stiefbruder in fast allen Lebensbereichen unterstützt worden. Auf dem Hof verrichtete er praktische Arbeiten, die seine intellektuelle Leistungsfähigkeit nicht überstiegen. Hierdurch war der Beklagte bis zum Jahr 2002 kaum an eigene Grenzen gestoßen und musste nicht lernen, sich in überforderten Situationen selbst Hilfe zu suchen und vorsichtig zu handeln. In Bezug auf die getätigten Verkäufe war der Beklagte nicht in der Lage, sich Argumente für und gegen die Verkaufsentscheidung zu vergegenwärtigen, diese gegeneinander abzuwägen und die Konsequenzen seiner Entscheidung abzusehen. Er konnte nicht ausreichend über Lernerfahrungen verfügen, um sich in Bezug auf die getätigten Geschäfte Hilfe zu suchen. Ohne spezifische Förderung betroffener Patienten ist bei den primären Intelligenzminderungen nach Ausführungen des Sachverständigen von einem gleichbleibenden Verlauf auszugehen. In den vom Kläger zu 1) behaupteten Unterstützungsleistungen zugunsten des Beklagten ist keine Inanspruchnahme von Hilfe durch den Beklagten zu sehen, die ihm die notwendigen Lernerfahrungen vermittelt hätte. Für den Beklagten waren das die ersten Grundstücksgeschäfte. Argumente für und gegen einen Verkauf konnte er nicht abwägen. Das gilt auch für die Inanspruchnahme eines Maklers. Zudem ist nach den Ausführungen des Sachverständigen eine Inanspruchnahme einer Hilfeleistung nur dann sinnvoll, wenn der Hilfegeber nur sehr begrenzt ein Eigeninteresse hat. Dies war beim Kläger zu 1) offensichtlich nicht der Fall. Auch das von den Klägern behauptete Durchlesen des Vertragstextes zusammen mit dem Beklagten und das Erklären in einfachen Worten ändert hieran nichts. Hinzu kommt, dass der Beklagte seine eigene Hilflosigkeit hat erkennen können und deswegen Hilfe in Anspruch genommen hat oder ihm deswegen Hilfe angeboten wurde. Dies ist offensichtlich – auch nach dem Vortrag der Kläger, die eine Hilflosigkeit des Klägers nicht erkannt haben – nicht der Fall. Die Kläger tragen auch nicht vor, welche Argumente der Beklagte wie abgewogen haben soll. Er wurde vielmehr schlicht von Dritten beeinflusst. Auch die auf die Frage des Sachverständigen, ob der Beklagte Geld für die Universität spenden wolle, abgegebene Antwort des Beklagten, er würde dies schon gern tun, müsse aber erst noch seine Frau fragen, steht den Feststellungen des Sachverständigen nicht entgegen. Es geht hier nicht um das Tätigen einer Spende, sondern um den Verkauf von Grundstücken.
Da sich zudem eine sekundäre Hirnschädigung im Jahr 2013/2014 mit nachfolgenden Auswirkungen auf die kognitive Leistungsfähigkeit des Beklagten aus psychiatrischer Sicht nicht plausibel nachvollziehen lässt, bestand die aktuelle Psychopathologie des Beklagten in gleicher Form zu den gutachtensrelevanten Zeitpunkten. Auch die von den Klägern aufgezeigte Verschlechterung der Testergebnisse des Beklagten in den MMST-Tests ist nach den Ausführungen des Sachverständigen nicht relevant. Denn der psychopathologische Befund, der für den Sachverständigen nicht ausschlaggebend war und der sich aus der Lebensgeschichte des Beklagten ergibt, hat sich nicht wesentlich geändert.
c. Die testpsychologische Begutachtung des Beklagten durch die Sachverständige F. (Gutachten vom 10.05.2016) ergab beim Beklagten eine geminderten intellektuelle Leistungsfähigkeit im Bereich der geistigen Behinderung. Die intellektuelle Leistungsfähigkeit des Beklagten in der durchgeführten Untersuchung fiel unterdurchschnittlich aus und lag mit einem Gesamt-IQ von 59 im Bereich der geistigen Behinderung im Sinne einer leichten Intelligenzminderung (WAIS-IV). Der Gesamtwert von 59 ergibt sich aus der Berechnung der durchgeführten Untertests und ist wiederum ein Standardwert, der sich ergibt aus der Simulation der Rohwerte. Dass der tatsächliche Wert der Probanden zwischen 56 und 64 liegen kann, hängt damit zusammen, dass aufgrund von testtheoretischen Modellen ein Konfidenzintervall angegeben werden muss. Der IQ-Wert von 59 basiert auf der Simulation der Rohwerte der einzelnen Untertests. Dies ist somit ein Standardwert. Da Ergebnisse von Leistungstests unterschiedlichen Schwankungen unterliegen können, kann der wahre Wert des IQs des Beklagten nicht angegeben werden, sondern muss mit einer Wahrscheinlichkeit von 95% im angegebenen Konfidenzintervall angegeben werden. Die Intelligenzminderung, wie sei beim Beklagten vorliegt, also in einer angeborenen oder sehr früh erworbenen Form, ist eine Erkrankung, die ohne Schwankungen verläuft. Aufgrund dieser fehlenden Schwankungen lassen sich sehr gute Rückschlüsse ziehen auf einen Zustand, der schon mehrere Jahre zurückliegt. Der Beklagte hat zumindest keine ausreichende Einsicht in die eigenen kognitiven Einschränkungen.
d. Die beim Beklagten festgestellten Marklagerveränderungen sind im Prinzip zunächst einmal nichts anderes als kleine Einblutungen oder Durchblutungsstörungen, bedingt durch eine Eiweißeinlagerung in den Gefäßen. Anhaltspunkte für einen weiteren kognitiven Abbau beim Beklagten sind nicht vorhanden. Nicht auszuschließen ist jedoch, dass neben den bereits vorhandenen kognitiven Defiziten des Beklagten ein weiterer kognitiver Abbau stattfand. Die konkreten Marklagerläsionen im Gehirn des Beklagten wären jedenfalls keine weitere Ursache für einen solchen kognitiven Leistungsabbau.
e. Anhand des Gesamteindrucks und der Befunde der weiteren angewandten psychodiagnostischen Verfahren waren deutliche Schwierigkeiten beim Beklagten erkennbar, komplexere Aufgabenstellungen zu bearbeiten. Es waren bei ihm deutliche Tendenzen zur Überforderung erkennbar. In zwei projektiven Verfahren war der Beklagte nicht in der Lage, seine Gedanken zu verbalisieren oder so zu verschriftlichen, dass eine Interpretation möglich war. In der Zusammenschau kann anhand der vorliegenden Befunde und unabhängig vom exakten Testwert des Gesamt-IQ festgehalten werden, dass eine Geschäftsfähigkeit des Beklagten vor dem Hintergrund der psychologischen Diagnostik anzuzweifeln ist.
f. Auf der Basis des psychischen Befundes und des Gesamteindrucks während der Testsituation ergab sich ein konsistentes Bild bezüglich des Leistungsvermögens, welches deutlich eingeschränkt erschien. Aufgrund der eingeschränkten intellektuellen Ressourcen wäre ein zuverlässiges Instruktionsverständnis durch den Beklagten und eine valide Interpretation der Befunde nicht sicher gewährleistet gewesen, womit auf die Durchführung eines solchen Verfahrens zur Beschwerdevalidierung verzichtet wurde. Ein Ausschluss willentlicher Beeinflussung des Testergebnisses ist zwar nicht mit vollständiger Sicherheit möglich, dennoch ergaben sich im Rahmen der (test-)psychologischen Begutachtung aufgrund der konsistenten Befunde, die zudem mit der Verhaltensbeobachtung übereinstimmen, keine Anhaltspunkte für Aggravations- oder gar Simulationsversuche.
g. In der neurologischen Untersuchung des Beklagten waren keine Auffälligkeiten festzustellen hinsichtlich einer Alkoholabhängigkeit. Die grobe Überprüfung seiner kognitiven Funktionen ergab Beeinträchtigungen insbesondere der Konzentration, des Abstraktionsvermögens und der Rechenfähigkeit. Das Langzeitgedächtnis erschien intakt und die Merkfähigkeit war nur leichtgradig beeinträchtigt, sodass der Beklagte sich zwei von drei Begriffen für einige Minuten merken konnte. In der testpsychologischen Untersuchung zeigten sich durchgehend eingeschränkte Leistungen, ohne dabei spezifische Stärken und Schwächen erkennen zu lassen. Bei einer durch Alkoholmissbrauch erworbenen Beeinträchtigung wäre zu erwarten, dass insbesondere die Merkfähigkeit betroffen ist und sich ein inhomogenes Leistungsbild zeigt, was auf den Beklagten jedoch nicht zutrifft. Die von ihm aufgewiesenen Einbußen weisen auf eine angeborene oder in früher Kindheit erworbene Intelligenzminderung hin. Auf eine Verifizierung der Angaben des Beklagten zu seinem Alkoholkonsum kam es daher nicht an.
h. In Zusammenschau mit den weiteren testpsychologischen Befunden spricht die Homogenität der Beeinträchtigungen beim Beklagten eher gegen eine demenzielle Entwicklung und vielmehr für eine angeborene oder früh erworbene Intelligenzminderung. Anhand der klinischen Untersuchung des Beklagten ergab sich kein Hinweis auf das Vorliegen eines Neuroborreliose, die mit motorischen und sensiblen Ausfällen, Gangstörung, Krampfanfällen, Ausfällen von Hemmnervenfunktionen und Muskelzuckungen einhergehen würde. Auf die Durchführung einer Borrelien-Serologie wurde deshalb verzichtet.
i. Die gutachterliche Beurteilung, dass beim Beklagten eine angeborene oder früh erworbene Intelligenzminderung vorliegt, basiert auf der klinischen Untersuchung und den testpsychologischen Befunden und nicht auf den Angaben des Beklagten über seine Familie. Deshalb ändert sich unter der Annahme, bei den übrigen Familienangehörigen des Beklagten liege keine geistige Schwäche vor, am Gutachtensergebnis nichts.
j. Aufgrund des mehrfach angeführten kognitiven Leistungsprofiles des Beklagten, seine auffällig schlechten Schulleistungen und fehlender Hinweise auf eine zwischenzeitlich erworbene organische Erkrankung, die geeignet wäre, solche Defizite zu verursachen, ist aus psychiatrischer Sicht davon auszugehen, dass der Beklagte seit seiner Kindheit/Jugend an einer Intelligenzminderung leidet und deren Ausprägungsgrad sich seitdem nicht wesentlich verändert hat.
k. Der Sachverständige Prof. Dr. med. N1. hat den Beklagten auch selber untersucht. Zunächst hat seine Mitarbeiterin, Frau T., die Akten gelesen und dem Sachverständigen Prof. Dr. N1. referiert. Dieser hat bei einzelnen Sachen nachgefragt. Frau Dr. T. hat dann mit der Untersuchung des Beklagten begonnen. Prof. Dr. N1. hat sich dann an der Untersuchung des Beklagten beteiligt. Er hat die Untersuchung ca. 30 – 45 Minuten vorgenommen. Das Gutachten hat dann Frau Dr. T. verfasst. Prof. Dr. N1. hat das Gutachten durchgelesen, kontrolliert und ggf. korrigiert. An dem ordnungsgemäßen Zustandekommen des Gutachtens gibt es daher keine Zweifel. Der Sachverständige Prof. Dr. N1. durfte sich Hilfspersonen bedienen. Er war auch vom Gericht hierfür ermächtigt worden. Der Sachverständige Prof. Dr. N1. hat sich auch überzeugt, dass die ihm von Frau Dr. T. berichteten Informationen mit seinen Eindrücken übereinstimmen.
l. Die von den Klägern gerügten formalen Fehler des Gutachtens liegen hier nicht vor bzw. führen nicht zu einer Unbrauchbarkeit des Gutachtens. Die Zivilprozessordnung sieht die von den Klägern behauptete Dokumentationspflicht eines Sachverständigen hinsichtlich des Wortlautes seiner Exploration nicht vor. Die Kläger berufen sich auf die Ausführungen des Sachverständigen in dessen Fachbuch. Diese stellen aber keine gesetzlichen Anforderungen an eine Gutachtenserstellung dar.
m. Soweit die Kläger auf die als Anlage K19 vorgelegte schriftliche Stellungnahme ihres Privatsachverständigen Bezug nehmen, war ein Eingehen auf diese Stellungnahme nicht veranlasst. Eine allgemeine Bezugnahme genügt nämlich nicht den Voraussetzungen eines Schriftsatzes gemäß § 130 ZPO. Ein vorbereitender Schriftsatz muss substantiiert auf etwaige Anlagen Bezug nehmen (Musielak/Voit/Stadler, 16. Aufl. 2019, ZPO § 130 Rn. 10).
n. Der von den Klägern gerügte Verstoß gegen § 404a Abs. 4 ZPO liegt nicht vor. Der Sachverständige bzw. seine Mitarbeiterin hat keine Zeugen vernommen oder von Dritten (der Ehefrau des Beklagten) Tatsachen erfragt. Es wurden zunächst die Angaben des Beklagten aufgenommen. Die Mitarbeiterin Tomulescu habe gefragt, ob die Angaben des Beklagten so stimmen. Im Übrigen ist die Gedächtnisstörung des Beklagten vom Sachverständigen anderweitig überprüft worden.
o. Der Sachverständige hat nach eigenen Angaben die Detailschilderungen des Beklagten nicht überprüft. Dies beeinflusst aber nicht seine tatsächlichen Feststellungen.
p. Die von den Klägern gerügten fehlenden neurologischen Feststellungen ändern nichts an den vom Sachverständigen tatsächlich getroffenen Feststellungen, die ausreichend sind.
q. Das Gericht schließt sich daher den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen an und macht sich diese zu eigen. Aufgrund dieser Ausführungen ist das Gericht davon überzeugt, dass der Beklagte geschäftsunfähig ist. Er leidet seit seiner Kindheit/Jugendzeit an einer Intelligenzminderung, die zu einer Geschäftsunfähigkeit führt.
Die vom Beklagten eingegangenen vertraglichen Verpflichtungen waren daher gemäß § 105 BGB unwirksam. Die Klage war daher abzuweisen. Erwägungen von Treu und Glauben sind im Bereich der Geschäftsunfähigkeit ohne Bedeutung. Der Schutz des Geschäftsunfähigen ist absolut.
B. Zur Widerklage
Die Widerklage ist dem Grunde nach gerechtfertigt. Da die streitgegenständlichen Verträge unwirksam sind wegen Geschäftsunfähigkeit des Beklagten, bestehen die geltend gemachten Ansprüche im Rahmen der Widerklage dem Grunde nach. Hinsichtlich der Höhe der geltend gemachten Zug-um-Zug-Leistung ist weiter Beweis zu erheben.
II. Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlussurteil vorbehalten.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben