Handels- und Gesellschaftsrecht

Inhaltskontrolle, Provision, Absenkung, Handelsvertreter, Unternehmer, Auslegung, Vertriebsvertrag, Verkauf, Entgelt, Klage, Zusatzvereinbarung, Unwirksamkeit, Vereinbarung, Zahlung, Sinn und Zweck

Aktenzeichen  23 U 1704/20

Datum:
16.12.2021
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 48724
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

1. Eine von einem Kraftstoffunternehmen einem Tankstellenpächter, der für das Unternehmen als Handelsvertreter tätig ist, gestellte Allgemeine Geschäftsbedingung, durch die dem Pächter bei Kartenzahlungen von Kunden eine Disagiolast auferlegt wird, die der Unternehmer dem Pächter von der Provision abzieht, unterliegt grundsätzlich der Inhaltskontrolle gemäß § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB.
2. Eine solche Regelung ist gemäß § 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB unwirksam, wenn die Disagiolast prozentual an den getätigten Umsatz pro 100 Liter Kraftstoff und damit an den Kraftstoffpreis pro Liter gekoppelt ist, die dem Pächter zustehende Provision demgegenüber umsatzunabhängig allein von der verkauften Kraftstoffmenge abhängig ist, so dass bei mit der Zeit steigenden Kraftstoffpreisen eine erhebliche Absenkung der an den Pächter ausbezahlten Provision, möglicherweise gar auf (oder sogar unter) Null droht. In diesem Fall liegt eine strukturelle Gefährdung des Äquivalenzinteresses durch die Disparität der Bemessungsgrundlage für das Entgelt des Handelsvertreters einerseits und dessen Kostenbeteiligung andererseits vor.

Verfahrensgang

0 HK O 1745/19 2020-03-09 Endurteil LGMUENCHENI LG München I

Tenor

1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Endurteil des Landgerichts München I, Az. 10 HK O 1745/19, vom 09.03.2020 dahingehend abgeändert, dass die Beklagte verurteilt wird, an die Klägerin 36.915,49 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus einem Betrag von 12.750,41 € ab dem 01.01.2016 bis zum 15.12.2018, aus einem Betrag von 11.937,78 € ab dem 01.01.2017 bis zum 15.12.2018, aus einem Betrag von 12.227,30 € ab dem 01.01.2018 bis zum 15.12.2018, sowie Zinsen in Höhe von 9 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus einem Betrag von 36.915,49 € ab 16.12.2018 zu zahlen.
2. Von den Kosten der ersten Instanz trägt die Klägerin 32% und die Beklagte 68%. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Beklagte.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer Regelung in ihrem Vertriebsvertrag, durch die die Klägerin als Tankstellenpächterin und Handelsvertreterin mit Kosten belastet wird, wenn Kunden mit Kredit- oder EC-Karten zahlen, wobei diese Kosten von der Beklagten als Prinzipalin von der Provision der Klägerin in Abzug gebracht werden.
Die Beklagte ist eine Kraftstofffirma. Die Klägerin ist Pächterin der Autobahntankstelle H. Süd.
Bezüglich dieser Tankstelle schloss die Beklagte mit der Klägerin am 21.06./15.09.2006 einen Vertriebsvertrag, der auf einem zwischen der Beklagten und der Autobahn Tank & Rast bestehenden BAT-Vertrag basierte (Anlage K1).
Durch den Vertriebsvertrag übernahm es die Klägerin, im Namen und für Rechnung der Beklagten als deren Handelsvertreter Kraft- und Schmierstoffe der Beklagten an der Tankstelle H. Süd zu verkaufen (§ 2 a Vertriebsvertrag).
§ 2 b des Vertriebsvertrages regelt auszugsweise das Folgende:
„Die Kraftstofffirma zahlt dem Tankstellenpächter für den Verkauf von Kraftstoffen an der in § 1 genannten Autobahntankstelle folgende Provisionen / Auslieferungsvergütungen:
für Ottokraftstoffe:
€ 1,84 je 100 Liter als Provision bei einem Absatz bis 2 Mio. Liter je Kalenderjahr
€ 1,07 je 100 Liter als Provision bei einem Absatz über 2 Mio. Liter je Kalenderjahr für die 2 Mio. Liter übersteigenden Mengen für Dieselkraftstoffe:
€ 1,41 je 100 Liter als Provision im Bargeschäft bei einem Absatz bis 2 Mio. Liter je Kalenderjahr
€ 0,88 je 100 Liter als Provision im Bargeschäft bei einem Absatz über 2 Mio. Liter je Kalenderjahr für die 2 Mio. Liter übersteigenden Mengen
€ 1,25 je 100 Liter als Auslieferungsvergütung im Rahmen der Kreditsystemverfahren bei einem Absatz bis 2 Mio. Liter je Kalenderjahr
€ 0,72 je 100 Liter als Auslieferungsvergütung im Rahmen der Kreditsystemverfahren bei einem Absatz über 2 Mio. Liter je Kalenderjahr für die 2 Mio. Liter übersteigenden Mengen (…)“
Am 21.06./10.07.2006 schlossen die Parteien eine Zusatzvereinbarung, bestehend aus von der Beklagten gestellten Allgemeinen Geschäftsbedingungen, für die Abwicklung des bargeldlosen Zahlungsverkehrs (Anlage K2).
Ziffer 9 der Vereinbarung lautet auszugsweise:
„9. (…) Jeweils am Monatsende erhält Partner eine Gutschrift über alle getätigten Kartenumsätze einschließlich folgender von ihm zu tragenden anteiligen Gebühren- und Disagiobelastungen im Kreditkartengeschäft für die im Wege der Kundenselbstbedienung getätigten Gesamtumsätze.
a) (…)
b) bei Eurocard, Visa, Diners, American Express eine Disagiobelastung von 0,63% netto.
c) Im EC-Geschäft/electronic-cash mittels Euroscheckkarte erfolgt eine Gebührenbelastung von 0,10% netto.
Sollten sich die von A. zu tragenden Belastungen (…) ändern, ist A. zu einer der Billigkeit entsprechenden Anpassung der Kostenbeteiligungen des Partners berechtigt.“
In den Jahren 2016 und 2017 zog die Beklagte, gestützt auf Ziffer 9 der Zusatzvereinbarung, von dem Provisionsanspruch der Klägerin insgesamt 36.915,49 € brutto für den Einsatz von Zahlungskarten ab (LGU Seite 2).
Die Klägerin begehrt mit ihrer Klage die Auszahlung dieses Betrages. Sie behauptet, dass für sie die Bezahlung mit Karten einen größeren Aufwand verursache als Barzahlungen. Die Klägerin meint, dass die Regelung in Ziffer. 9 der Zusatzvereinbarung unwirksam sei. Sie unterliege der ABG-Kontrolle und sei gemäß § 307 BGB unwirksam, weil sie die Klägerin unangemessen benachteilige.
Nachdem die Klägerin zunächst Klage auf Zahlung von 54.252,79 € erhoben hatte, hat sie die Klage teilweise zurückgenommen und in erster Instanz zuletzt beantragt,
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 36.915,49 € nebst 5 Prozentpunkten Zinsen über Basiszins von 12.750,41 € ab dem 01.01.2016 bis zum 15.12.2018 und von 11.937,78 € ab dem 01.01.2017 bis zum 15.12.2018 und von 12.227,30 € vom 01.01.2018 bis zum 15.12.2018 und 9 Prozentpunkte über Basiszins ab 16.12.2018 von 36.915,49 € zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte ist der Ansicht, dass Ziffer 9 der Zusatzvereinbarung wirksam sei. Sie verstoße nicht gegen § 86a HGB. Ferner sei die Klausel nicht kontrollfähig im Sinne des § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB. Abgesehen davon benachteilige die Klausel die Klägerin auch nicht unangemessen gemäß § 307 Abs. 1, 2 BGB.
Mit Endurteil vom 09.03.2020 hat das Landgericht, auf dessen tatsächliche Feststellungen nach § 540 Abs. 1 ZPO Bezug genommen wird, die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat das Landgericht angeführt, dass Ziff. 9 der Zusatzvereinbarung wirksam sei. § 86a Abs. 1 HGB sei nicht einschlägig. Die Vereinbarung sei auch nicht gemäß § 307 BGB unwirksam. Zwar unterliege die Klausel der Inhaltskontrolle, da es sich um eine Preis- bzw. Preisnebenvereinbarung handele. Jedoch weiche die Bestimmung nicht von einem gesetzlichen Leitbild unangemessen ab. Wegen der Einzelheiten wird auf das landgerichtliche Urteil Bezug genommen.
Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Berufung und beantragt zuletzt,
das am 9.3.2020 verkündete Urteil des Landgerichts München I, Az. 10 HK O 1745/19, abzuändern und die Beklagte und Berufungsbeklagte zu verurteilen, an die Klägerin 36.915,49 € nebst 5 Prozentpunkten Zinsen über dem Basiszinssatz von 12.750,41 € ab dem 1. Januar 2016 bis zum 15.12.2018 und von 11.937,78 € ab dem 1. Januar 2017 bis zum 15.12.2018 und von 12.227,30 € vom 1.1.2018 bis zum 15.12.2018 und 9 Prozentpunkten über Basiszins von 36.915,49 € € (sic) ab dem 16.12.2018 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt Berufungszurückweisung.
Die Beklagte verteidigt das erstinstanzliche Urteil unter Wiederholung und Vertiefung ihrer vor dem Landgericht vorgebrachten Argumente.
Ergänzend wird auf die gewechselten Schriftsätze der Parteien und das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 02.12.2021 Bezug genommen.
II.
Die zulässige Berufung der Klägerin hat Erfolg. Die Klage ist zulässig und begründet.
1. Die Klägerin hat einen noch bestehenden Anspruch gegen die Beklagte auf Provisionszahlung in Höhe von 36.915,49 € brutto aus dem Vertriebsvertrag. Die Beklagte dufte die Provision nicht in dieser Höhe nach Ziff. 9 der Zusatzvereinbarung kürzen. Die Vereinbarung ist entgegen der Ansicht des Landgerichts unwirksam.
1.1 Zwar ergibt sich die Unwirksamkeit nicht schon aus § 86a Abs. 1, 3 HGB.
Nach § 86a Abs. 1 HGB hat der Unternehmer dem Handelsvertreter die zur Ausübung seiner Tätigkeit erforderlichen Unterlagen, wie Muster, Zeichnungen, Preislisten, Werbedrucksachen, Geschäftsbedingungen, zur Verfügung zu stellen. Die Aufzählung ist nur beispielhaft (BGH NJW 2017, 662 Tz. 19, NJW 2011, 2423 Tz. 20). Der Unternehmer hat dem Handelsvertreter in weiter Auslegung des § 86a Abs. 1 HGB allgemein solche Sachen kostenfrei zur Verfügung zu stellen, auf die der Handelsverteter zur Vermittlung oder zum Abschluss der den Gegenstand des Handelsvertretervertrages bildenden Verträge angewiesen ist (BGH NJW 2017, 662 Tz. 19 f.; NJW 2011, 2423 Tz. 24). Voraussetzung ist, dass die Unterlagen spezifisch aus der Sphäre des Unternehmers stammen (BGH NJW 2017, 662 Tz. 19; NJW 2011, 2423 Tz. 20, 25; OLG Hamm ZVertriebsR 2021, 193 Tz. 47; EBJS/Löwisch, HGB, 4. Aufl. 2020, § 86a Rn. 28).
Dagegen trägt der Handelsvertreter nach § 87d HGB – soweit nicht ein Aufwendungsersatz durch den Unternehmer handelsüblich ist – die in seinem regelmäßigen Geschäftsbetrieb entstehenden Aufwendungen grundsätzlich selbst; hierzu gehören die eigene Büroausstattung und alle sonstigen Kosten des eigenen Betriebs und der Repräsentation gegenüber den Kunden (BGH NJW 2017, 662 Tz. 20; NJW 2011, 2423 Tz. 25).
Nach diesen Grundsätzen stellen die vorliegend vereinbarten Kostenbelastungen bzw. Provisionsabzüge für Kartenzahlungen durch Kunden kein Entgelt für eine von der Beklagten zur Verfügung zu stellende Unterlage im Sinne des § 86a Abs. 1 HGB dar.
Die Abwicklung von Zahlungen mittels Karten ist kein Umstand, der spezifisch aus der Sphäre des Unternehmers stammt (OLG Hamm ZVertriebsR 2021, 193 Tz. 49). Sie betrifft das Inkasso des Kaufpreises aus dem Agenturgeschäft, das grundsätzlich Teil der Abschlusstätigkeit des Tankstellpächters ist (BGH NJW-RR 2002, 1548, 1552 f.). Die zu der Entgegennahme der Kartenzahlungen erforderliche Zahlungsdienstleistung stammt von den Zahlungsdienstanbietern und also von dritter Seite. Dass diese mit der Beklagten – produktunspezifisch – einen entsprechenden Zahlungsdienstevertrag gemäß § 675f Abs. 1 BGB abgeschlossen haben (sog. Aquisitionsvertrag, Palandt/Sprau, BGB, 80. Aufl. 2021, § 675f Rn. 57f iVm Rn. 53), ändert nichts daran, dass die Zahlungsdienstleistung von ihnen und nicht von der Beklagten erbracht wird. Es sind die Kartenunternehmen, die die Zahlung auf den Karteneinsatz des Kunden hin zusagen (Palandt/Sprau, aaO, § 675f Rn. 57). Hierin liegt ein relevanter Unterschied zu den von dem Unternehmer an den Handelsvertreter übermittelten Preisdaten, bezüglich derer der BGH das Vorliegen einer Unterlage im Sinne des § 86a Abs. 1 HGB bejaht hat (BGH NJW 2017, 662 Tz. 23): Diese werden von dem Unternehmer festgesetzt, kommen mithin unmittelbar aus seinem Herrschaftsbereich.
Diese Sichtweise ist auch mit Sinn und Zweck des § 86a Abs. 1 HGB vereinbar. Danach soll der Handelsvertreter nicht verpflichtet sein oder werden können, auch im Falle erfolgloser Absatzbemühungen für die überlassenen Unterlagen ein Entgelt an den Unternehmer zu zahlen und so letztlich einen Teil des unternehmerischen Risikos des Prinzipals zu tragen (BGH NJW 2011, 2423 Tz. 19). Diese Gefahr droht hier nicht, weil die für die Kostenlast maßgebliche Dienstleistung der Kartenunternehmen von vornherein nur zum Zuge kommt, wenn der Kunde einen Vertrag geschlossen hat, die Absatzbemühungen der Klägerin mithin erfolgreich waren.
1.2. Ziffer 9 der Zusatzvereinbarung ist jedoch wegen unangemessener Benachteiligung der Klägerin gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1, Absatz 2 BGB unwirksam.
1.2.1. Es handelt sich unstreitig um von der Beklagten gestellte Allgemeine Geschäftsbedingungen gemäß § 305 Abs. 1 BGB.
1.2.2. Ziffer 9 der Zusatzvereinbarung unterliegt der AGB-Inhaltskontrolle gemäß § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB.
1.2.2.1. Nach § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB gilt die Inhaltskontrolle gemäß §§ 307 Abs. 1, 2, 308, 309 BGB nur für Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, durch die von Rechtsvorschriften abweichende oder diese ergänzende Regelungen vereinbart werden.
Danach sind solche Klauseln nicht in diesem Sinne kontrollfähig, die unmittelbar den Preis der vertraglichen Hauptleistung oder das Entgelt für eine rechtlich nicht geregelte, zusätzlich angebotene Sonderleistung bestimmen (BGH NJW 2019, 47 Tz. 14). Dagegen findet eine Kontrolle statt bei einer Preisnebenabrede, die zwar mittelbare Auswirkungen auf Preis und Leistung hat, an deren Stelle aber im Falle ihrer Unwirksamkeit dispositives Gesetzesrecht treten kann (BGH NJW 2019, 47 Tz. 15; NJW-RR 2004, 1206).
Kontrollfähig ist demgemäß eine Abrede, die die Höhe der Provision nur mittelbar über die Einbeziehung von Bemessungsgrundlagen regelt (BGH NJW-RR 2004, 1206, 1207). Im Falle von deren Unwirksamkeit würde nämlich an deren Stelle die dispositive Regelung des § 87b Abs. 2 HGB treten (BGH NJW-RR 2004, 1206).
1.2.2.2. Nach diesen Grundsätzen stellt Ziffer 9 der Zusatzvereinbarung eine der AGB-Inhaltskontrolle unterliegende Preisnebenabrede dar, da sie mittelbar die Höhe der Provision über die Einbeziehung von Bemessungsgrundlagen regelt.
Die Vertragsbestimmung wirkt sich mittelbar insoweit auf die von der Klägerin verdiente Handelsvertreterprovision aus, als diese im Falle einer Kartenzahlung eines Kunden niedriger ist als bei einer Barzahlung. Indem die Beklagte die bei den Kartenzahlungen gemäß Ziff. 9 der Zusatzvereinbarung anfallenden Disagio- bzw. Gebührenbelastungen von der Provision der Klägerin unmittelbar in Abzug bringt (LGU Seite 2), verringert sich die an die Klägerin ausbezahlte Provision bei einer Kartenzahlung entsprechend. Bemessungsgrundlage der Provision der Klägerin ist also nicht mehr länger nur die Menge des verkauften Kraftstoffs gemäß § 2 b des Vertriebsvertrages, sondern darüber hinaus auch die Art der Zahlung durch den Kunden. Hierin liegt eine (weitere) Abweichung von § 87b Abs. 2 Satz 1 HGB, wonach das Entgelt des Dritten maßgeblich ist, nicht die Art der Zahlung (und die verkaufte Menge).
1.2.3. Ziffer 9 der Zusatzvereinbarung benachteiligt die Klägerin vorliegend unangemessen gemäß § 307 Abs. 1, 2 BGB.
1.2.3.1. Die Unwirksamkeit folgt allerdings noch nicht allein aus dem Umstand, dass die Bemessung der Provision unter anderem nach der Art der Bezahlung von § 87b Abs. 2 Satz 1 HGB abweicht. Die Norm bestimmt die Provisionsbasis anhand der Bestandteile des von einem Dritten oder dem Unternehmer zu leistenden Entgelts nur für den Fall, dass eine anders lautende Parteivereinbarung fehlt (BGH NJW-RR 2004, 1206, 1207). § 87b Abs. 2 Satz 1 HGB hat also nur Auffangfunktion, keinen Leitbildcharakter im Sinne des § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB (OLG Hamm ZVertriebsR 2021, 193 Tz. 44; Baumbach/Hopt/Hopt, HGB, 40. Aufl. 2021, § 87b Rn. 18; offen gelassen von BGH NJW-RR 2004, 1206, 1207).
1.2.3.2. Entgegen der Ansicht des Klägervertreters verstößt die Klausel auch nicht gegen einen Leitgedanken des Handelsvertreterrechts, dass der Handelsvertreter grundsätzlich nicht die Zwischen- und Vorfinanzierungskosten tragen müsse.
Zwar ist dem Klägervertreter darin Recht zu geben, dass es nicht zu den typischen Pflichten des Handelsvertreters gehört, dem Unternehmer gegenüber für Verkaufserlöse in Vorlage zu treten (BGH NJW-RR 2006, 339 Tz. 9). Eine solche Überbürdung der Vorfinanzierung belastet den Handelsvertreter grundsätzlich unangemessen (BGH aaO Tz. 8). Hier geht es aber nicht darum, dass der Handelsvertreter eine Vorfinanzierung übernimmt, sondern das Kreditkartenunternehmen. Dass der Handelsvertreter an den Kosten beteiligt wird, die dem Prinzipal entstehen, damit das Kreditkartenunternehmen dies tut, führt nicht zu einer Vorfinanzierung durch den Handelsvertreter.
1.2.3.3. Aus den gleichen Erwägungen ist die Bestimmung ferner nicht mit einem sich aus § 86b HGB ergebenden Leitgedanken unvereinbar. Nach § 86b Abs. 1 Satz 1 HGB kann ein Handelsvertreter eine besondere Vergütung (Delkredereprovision) beanspruchen, wenn er sich verpflichtet, für die Erfüllung der Verbindlichkeit aus einem Geschäft einzustehen. Eine derartige Ausfallhaftung mag vorliegend unter Umständen das Kartenunternehmen übernommen haben, nicht jedoch die Klägerin.
1.2.3.4. Ziffer 9 der Zusatzvereinbarung ist jedoch unwirksam, weil wesentliche Rechte, die sich aus der Natur des Vertrags ergeben, so eingeschränkt werden, dass die Erreichung des Vertragszwecks gefährdet ist gemäß § 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB.
Der typische Zweck des Handelsvertretervertrages gemäß § 84 Abs. 1 HGB liegt darin, entgeltlich für den Prinzipal Geschäfte, hier vor allem Kraftstoffverträge, zu vermitteln (vgl. BGH NJW-RR 2004, 1206, 1207).
Das Recht der Klägerin auf ein angemessenes Entgelt für geleistete Vermittlungsarbeit wird durch Ziffer 9 der Zusatzvereinbarung gefährdet.
Gemäß der Zusatzvereinbarung schuldet die Klägerin bei einem Kreditkarteneinsatz pro verkaufter 100 Liter Kraftstoff ein Disagio von 0,63% (Ziff. 9 b der Zusatzvereinbarung), im Falle der Zahlung mittels EC-Karte 0,10% (Ziff. 9 c der Zusatzvereinbarung). Wie sich aus der Eingangsformulierung der Ziff. 9 Zusatzvereinbarung ergibt (Anlage K2 Seite 3 unten), werden diese Prozentsätze auf den getätigten Gesamtumsatz bezogen. Demgegenüber werden für die Provision zugunsten der Klägerin in § 2 b des Vertriebsvertrags fixe, umsatzunabhängige Werte festgelegt (zwischen 0,88 € und 1,84 € pro 100 Liter Kraftstoff, danach differenzierend, ob Diesel oder Ottokraftstoff verkauft wurde, sowie ob eine Absatzmenge von 2 Mio. Liter pro Jahr überschritten war).
Diese Paarung von fixen Beträgen für die Provision mit umsatzabhängigen Werten für die Kostenbelastung führt dazu, dass ein über die Zeit (allein schon inflationsbedingt erwartbar) steigender Kraftstoffpreis eine höhere Disagio- bzw. Gebührenlast der Klägerin auslöst, die immer mehr die fest bleibende Provision der Klägerin aufzehrt. Selbst wenn man unterstellt, dass ursprünglich, im Moment des Vertragsschlusses die fixe Provision und die auf den damals aktuellen Kraftstoffpreis bezogene Kostenlast zueinander in einem ausgewogenen Äquivalenzverhältnis gestanden hätten, war es von vornherein in der Klausel angelegt, dass eine solche angemessene Äquivalenz durch spätere Steigerungen des Kraftstoffpreises zulasten der Klägerin verloren geht, indem die Beklagte zwei Berechnungsmethoden (rein absatzbezogen einerseits, absatz- und umsatzbezogen andererseits) einseitig und unter Ausblendung der berechtigten Interessen der Klägerin zu eigenen Gunsten kombiniert.
Die Provision könnte auf diese Weise unter dem Strich in bestimmten Konstellationen sogar ganz entfallen, der Saldo zulasten der Klägerin gar negativ werden. Konkret würde z.B. bereits bei einem Dieselpreis von 1,40 € / l für 100 Liter Diesel, die mit Kreditkarte gezahlt werden, eine Disagiolast in Höhe von 0,63% von 1,40 € / l x 100 l = rund 0,88 € entstehen. Dies entspricht der Provision, die die Klägerin für diese Menge Diesel verdienen würde, wenn die Absatzmenge von 2 Mio. Liter im Jahr überschritten ist. Im Ergebnis würde die Klägerin für solche von ihr vermittelten Geschäfte überhaupt keine Provision mehr erhalten.
Die Unangemessenheit der Klausel gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 2 BGB entfällt nicht dadurch, dass die Beklagte gemäß Ziffer 9 (am Ende) der Zusatzvereinbarung im Falle der Änderung der von der Beklagten zu tragenden Belastungen zu einer der Billigkeit entsprechenden Anpassung der Kostenbeteiligungen des Partners berechtigt ist. Erstens enthält diese Bestimmung lediglich ein Recht der Beklagten, jedoch keinen Anspruch der Klägerin. Zweitens knüpft die Befugnis der Beklagten an die Änderung der von ihr zu tragenden Belastung. Hier geht es dagegen um eine Änderung der Disagiobelastung der Klägerin wegen erhöhter Kraftstoffpreise bei gleichzeitig gleichbleibender (Ausgangs-)Provision.
2. Der Zinsausspruch ergibt sich für die Zeit bis zum 15.01.2018 aus §§ 353, 352 HGB. Die streitgegenständlichen Provisionsforderungen stellen jeweils Geldforderungen dar, die ihren Rechtsgrund in einem beiderseitigen Handelsgeschäft der Parteien gemäß § 343 HGB haben und zu den aus dem Tenor ersichtlichen Zeitpunkten fällig waren. Die Zinshöhe beträgt gemäß § 352 Abs. 1 Satz 1 grundsätzlich 5 Prozent pro Jahr. Gemäß § 308 Abs. 1 BGB waren der Klägerin indes die Zinsen lediglich wie beantragt in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zuzusprechen. Dieser war im hier relevanten Zeitraum zwischen dem 01.01.2016 und dem 15.12.2018 durchgehend negativ.
Für die Zeit ab dem 16.01.2018 folgt der Zinsanspruch aus §§ 288 Abs. 1, 2, 286 BGB. Nach unbestrittenem Klägervortrag hat die Klägerin die Beklagte mit Schreiben vom 06.12.2018 zum 15.12.2018 gemahnt (Schriftsatz vom 08.08.2019 Seite 9, Bl. 19 der Akte).
3. Die Kostenentscheidung beruht für die Kosten der ersten Instanz auf §§ 92 Abs. 1, 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO, für die Kosten des Berufungsverfahrens auf § 91 ZPO.
4. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit fußt auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
5. Die Revision war nicht nach § 543 Abs. 2 ZPO zuzulassen. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung ohne grundsätzliche Bedeutung. Auch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert die Entscheidung des Revisionsgerichts nicht. Das OLG Hamm hat in seiner Entscheidung vom 08.02.2021 (Az. 18 U 59/20) zwar die Kontrollfähigkeit einer ähnlichen Klausel gemäß § 307 Abs. 3 BGB in Abrede gestellt; diese Erwägung war für die Entscheidung aber letztlich nicht tragend, da das Gericht zugleich auch noch eine Unangemessenheit der Klausel im Sinne des § 307 BGB verneint hat (OLG Hamm ZVertriebsR 2021, 193 Tz. 42 ff.). Anders als vorliegend spielte dabei die hier streitentscheidende Problematik der Kombination von Festprovision mit umsatzabhängiger Kostenlast keine Rolle.


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