Handels- und Gesellschaftsrecht

IX ZR 206/20

Aktenzeichen  IX ZR 206/20

Datum:
2.12.2021
Gerichtsart:
BGH
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:BGH:2021:021221UIXZR206.20.0
Normen:
§ 253 ZPO
§ 133 BGB
§ 157 BGB
§ 109 Abs 1 S 2 InsO
Spruchkörper:
9. Zivilsenat

Leitsatz

1. Eine Zahlungsklage des Insolvenzverwalters gegen den Schuldner persönlich, mittels derer eine nach Verfahrenseröffnung eingetretene Masseverkürzung rückgängig gemacht werden soll, richtet sich bei interessengerechter Auslegung gegen das insolvenzfreie Vermögen des Schuldners.
2. Die Wirkungen der Enthaftungserklärung des Verwalters erstrecken sich regelmäßig auch auf ein vom Schuldner eingegangenes Untermietverhältnis, das den angemieteten Wohnraum betrifft.

Verfahrensgang

vorgehend KG Berlin, 29. September 2020, Az: 14 U 1036/20, Urteilvorgehend LG Berlin, 24. März 2020, Az: 7 O 285/18

Tenor

Die Revision gegen das Urteil des 14. Zivilsenats des Kammergerichts vom 29. September 2020 wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand

1
Die Klägerin ist Verwalterin in dem am 14. Juli 2017 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen des Beklagten. Der Beklagte hatte bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens eine Wohnung angemietet und von dieser einen Teil untervermietet. Die Untervermietung erfolgte zur Verminderung der aus der Anmietung erwachsenden Kosten, nachdem sich der Beklagte von seiner Ehefrau getrennt hatte. Die nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens in der Zeit von August 2017 bis Oktober 2018 gezahlten Untermieten gelangten nicht zur Masse; sie wurden über die Mutter des Beklagten an die Hauptvermieterin weitergeleitet.
2
Die Klägerin, die mit Wirkung vom 1. November 2017 die Enthaftungserklärung nach § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO abgegeben hat, hat den Beklagten auf Zahlung in Höhe der seit Verfahrenseröffnung geschuldeten Untermieten in Anspruch genommen. Das Landgericht hat der Klage im Wesentlichen stattgegeben. Nur hinsichtlich eines Teils der Untermiete für Oktober 2018 hat es die Klage abgewiesen, weil es sich nicht von dessen Entrichtung durch den Untermieter überzeugen konnte. Im Verfahren über die Berufung des Beklagten hat die Klägerin hilfsweise die Feststellung begehrt, dass ihr gegen den Beklagten ein Zahlungsanspruch in der vom Landgericht ausgeurteilten Höhe zustehe. Das Berufungsgericht hat (nur) den Hilfsantrag für zulässig gehalten, diesen aber als unbegründet abgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision möchte die Klägerin die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils erreichen, hilfsweise die im Berufungsrechtszug begehrte Feststellung.

Entscheidungsgründe

3
Die zulässige Revision hat keinen Erfolg.
I.
4
Die Revision ist unbeschränkt zugelassen. Insbesondere hat das Berufungsgericht die Zulassung nicht auf die Begründetheit der hilfsweise erhobenen Feststellungsklage beschränkt. Der Entscheidungssatz des angefochtenen Urteils enthält keine Beschränkung der Zulassung. Zwar ist anerkannt, dass sich die Beschränkung der Zulassung auch ausschließlich aus den Gründen des angefochtenen Urteils ergeben kann. Eine derartige Beschränkung muss sich den Gründen jedoch klar und eindeutig entnehmen lassen (etwa BGH, Urteil vom 18. Januar 2007 – IX ZR 176/05, ZIP 2007, 541 Rn. 13). Der Umstand allein, dass sich die Begründung der Zulassungsentscheidung auf Fragen bezieht, die das Berufungsgericht im Rahmen der Begründetheit der Feststellungsklage erörtert hat, reicht nicht aus.
II.
5
Das Berufungsgericht hat den auf Zahlung gerichteten Hauptantrag der Klägerin für unzulässig gehalten. Es fehle an einem Rechtsschutzinteresse, weil mit der vollstreckbaren Ausfertigung des Eröffnungsbeschlusses bereits ein Vollstreckungstitel vorliege (§ 148 Abs. 2 Satz 1 InsO). Der hilfsweise gestellte Feststellungsantrag sei hingegen zulässig. Die Klägerin sei prozessführungsbefugt. Das Prozessgericht sei für den Streit über die Massezugehörigkeit der geltend gemachten Forderung zuständig. Dem Rechtsschutzinteresse der Klägerin stünden auch nicht die derzeit fehlenden Vollstreckungsmöglichkeiten entgegen. Ausreichend sei die von der Klägerin dargelegte Möglichkeit einer künftigen Vollstreckung in das freie Vermögen des Beklagten auf der Grundlage einer Nachtragsverteilung (§ 203 InsO) nach Erteilung der Restschuldbefreiung.
6
Die Feststellungsklage sei unbegründet. Die bis zum Eintritt der Wirkungen der Enthaftungserklärung der Klägerin nach § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO vereinnahmten Untermietzahlungen für die Monate August, September und Oktober 2017 stünden der Masse nicht zu. Das folge daraus, dass die Masse in entsprechender Höhe von einer Masseverbindlichkeit – dem Anspruch der Hauptvermieterin auf Entrichtung der Miete für die genannten Monate – befreit worden sei. Auch für den Zeitraum nach Eintritt der Wirkungen der Enthaftungserklärung stehe der Klägerin kein Anspruch zu. Die Enthaftungserklärung nach § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO habe freigabeähnliche Wirkungen. Die Erklärung habe wie die Regelung in § 35 Abs. 2 Satz 1 InsO eine allgemeine Überleitung des Mietverhältnisses von der Masse auf den Schuldner zur Folge. Die Wirkung der Erklärung umfasse insbesondere das Recht des Schuldners zum Gebrauch der Mietsache (§ 535 Abs. 1 Satz 2 BGB). Der vereinnahmte Untermietzins sei als Surrogat des Rechts zum Gebrauch der Mietsache dem insolvenzfreien Vermögen des Beklagten zuzuordnen. Das gelte insbesondere, weil der Beklagte einen Teil der gemieteten Wohnung weiterhin selbst nutze.
III.
7
Das hält rechtlicher Prüfung stand.
8
1. Das Berufungsgericht hat allerdings nur im Ergebnis richtig entschieden. Der Ansatz des Rechtsschutzbegehrens der Klägerin ist ein anderer als der, den das Berufungsgericht seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat.
9
Die Parteien streiten bei interessengerechter Würdigung des mit der Klage verfolgten Ziels nicht um die Frage, ob ein Vermögensgegenstand zur Masse gehört. Die Klägerin begehrt nicht die Herausgabe eines bestimmten Geldbetrags, sondern Zahlung, hilfsweise die Feststellung, dass der Beklagte ihr zur Zahlung verpflichtet ist. Ein Streit um die Zugehörigkeit eines Gegenstands zur Masse könnte vor diesem Hintergrund in entsprechender Auslegung der Anträge der Klägerin allenfalls dann anzunehmen sein, wenn sich die von den Anträgen erfassten Gelder zugriffsfähig im Vermögen des Beklagten befänden. Das ist nicht der Fall. Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass die von dem Untermieter gezahlten Gelder an die Hauptvermieterin der Wohnung geflossen sind. Vor diesem Hintergrund könnte die Klage nur Erfolg haben, wenn der Beklagte zur Erstattung der an die Hauptvermieterin geflossenen Untermietzahlungen verpflichtet wäre. Das setzt einen materiell-rechtlichen Anspruch voraus sowie die Befugnis der Klägerin, diesen Anspruch geltend zu machen.
10
2. Daraus folgt, dass die Klage dem Hauptantrag nach zulässig ist. Deshalb ist die Bedingung für die Entscheidung über den hilfsweise gestellten Feststellungsantrag nicht eingetreten. Der Zulässigkeit des Feststellungsantrags stünde überdies der Vorrang der Leistungsklage entgegen.
11
a) Der erhobenen Zahlungsklage fehlt nicht das Rechtsschutzbedürfnis.
12
aa) Daran ändert nichts, dass die Klägerin mit einer vollstreckbaren Ausfertigung des Eröffnungsbeschlusses die Herausgabe von Sachen, die sich im Gewahrsam des Schuldners befinden, im Wege der Zwangsvollstreckung durchsetzen kann (§ 148 Abs. 2 Satz 1 InsO).
13
(1) Nach § 148 Abs. 1 InsO ist es die Pflicht des Insolvenzverwalters, nach Eröffnung des Verfahrens das gesamte zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen in Besitz und Verwaltung zu nehmen. Soweit der Schuldner seinen hierauf bezogenen Mitwirkungspflichten nicht nachkommt, bildet gemäß § 148 Abs. 2 Satz 1 InsO die vollsteckbare Ausfertigung des Eröffnungsbeschlusses einen Vollstreckungstitel im Sinne des § 794 Abs. 1 Nr. 3 ZPO gegen den Schuldner (BGH, Urteil vom 3. November 2011 – IX ZR 46/11, NZI 2011, 979 Rn. 6; vom 13. März 2014 – IX ZR 43/12, ZInsO 2014, 824 Rn. 12). Der durch § 148 Abs. 2 Satz 1 InsO eröffnete Vollstreckungszugriff betrifft allerdings nur das vom Insolvenzbeschlag erfasste Vermögen des Schuldners (BGH, Urteil vom 13. März 2014, aaO Rn. 13). Deshalb eröffnet etwa § 148 Abs. 2 Satz 1 InsO keinen Zugriff auf den aus einer freigegebenen selbständigen Tätigkeit erzielten Neuerwerb (vgl. BGH, Urteil vom 13. März 2014, aaO).
14
(2) Bei interessengerechter Würdigung des Rechtsschutzziels der Klägerin bezieht sich ihre Klage auf das nicht vom Insolvenzbeschlag erfasste Vermögen des Beklagten. Dieser Anspruch muss im Klageweg verfolgt werden.
15
Die Parteien streiten nicht um die Zugehörigkeit eines zugriffsfähigen Gegenstands zur Masse. Es geht vielmehr um die Frage, ob der Beklagte zur Erstattung der an die Hauptvermieterin geflossenen Gelder an die Masse verpflichtet ist. Das erfordert einen materiell-rechtlichen Anspruch. Der Sache nach geht es um eine Rückgängigmachung einer infolge der Weiterleitung der Gelder an die Hauptvermieterin eingetretenen Masseverkürzung.
16
Eine Verkürzung der Masse kann nicht durch einen Zugriff auf (andere) Massebestandteile rückgängig gemacht werden. Im Grundsatz bedarf es vielmehr des Zugriffs auf das Vermögen eines Dritten. Soll – wie hier – der Schuldner selbst die Verkürzung der Masse rückgängig machen, muss auf dessen insolvenzfreies Vermögen zugegriffen werden. Nach § 35 Abs. 1 InsO erfasst das Insolvenzverfahren das gesamte Vermögen, das dem Schuldner zur Zeit der Eröffnung des Verfahrens gehört und das er während des Verfahrens erlangt. Die so beschriebene Insolvenzmasse lässt keinen Raum zur Rückgängigmachung einer Masseverkürzung. Das gilt insbesondere auch unter Berücksichtigung des von § 35 Abs. 1 InsO erfassten Neuerwerbs. Da dieser ohnehin zur Masse gehört, gleicht er eine vorangegangene Verkürzung der Masse nicht aus.
17
bb) Das Rechtsschutzbedürfnis für die von der Klägerin erhobene Leistungsklage fehlt auch nicht, weil eine Vollstreckung in das insolvenzfreie Vermögen des Beklagten von vornherein ausgeschlossen wäre (vgl. BGH, Urteil vom 10. November 2010 – XII ZR 37/09, FamRZ 2011, 97 Rn. 19). Insolvenzfreies Vermögen des Beklagten, auf das mit dem begehrten Leistungstitel zugegriffen werden könnte, entsteht spätestens mit der Aufhebung oder Einstellung des Insolvenzverfahrens. Insolvenzfreies Vermögen kann auch schon während des laufenden Insolvenzverfahrens entstehen, wenn der Verwalter einzelne Bestandteile der Masse oder die selbständige Tätigkeit des Schuldners (§ 35 Abs. 2 Satz 1 InsO) freigibt oder dem Schuldner im laufenden Verfahren die Restschuldbefreiung erteilt wird (§ 300a InsO).
18
b) Die Klägerin ist auch prozessführungsbefugt. Sie macht den Zahlungsanspruch als Insolvenzverwalterin über das Vermögen des Beklagten und damit als Partei kraft Amtes zur Anreicherung der von ihr verwalteten Masse geltend. Ob die Klägerin dazu berechtigt ist, richtet sich nach der im Rahmen der Begründetheit der Klage zu prüfenden Sachbefugnis.
19
3. Die Leistungsklage der Klägerin ist unbegründet. Es fehlt jedenfalls an einem materiell-rechtlichen Anspruch, der eine Verurteilung des Beklagten zu der begehrten Zahlung rechtfertigen könnte.
20
a) Die Befugnis der Klägerin zur Geltendmachung des mit der Klage verfolgten Anspruchs ist zweifelhaft. Bei dem Anspruch könnte es sich um ein Recht der Masse handeln. In diesem Fall ergäbe sich die Sachbefugnis der Klägerin aus § 80 Abs. 1 InsO. Es könnte sich aber auch um eine insolvenzfreie Neuforderung der von der Masseverkürzung betroffenen Gläubiger handeln (vgl. BGH, Urteil vom 21. Oktober 2021 – IX ZR 265/20, ZIP 2022, 42 Rn. 22, zVb in BGHZ). Eine (gesetzliche) Befugnis der Klägerin zur Geltendmachung eines solchen Anspruchs könnte in diesem Fall nur aus § 92 InsO folgen. Der Senat kann die Frage der Sachbefugnis offenlassen.
21
b) Es fehlt jedenfalls an einem Anspruch gegen den Beklagten. Insbesondere die Voraussetzungen des § 816 Abs. 2 BGB liegen nicht vor. Dass die Vor-aussetzungen einer anderen Anspruchsgrundlage verwirklicht sein könnten, ist nicht ersichtlich.
22
aa) Der Beklagte ist nicht zur Erstattung der bis zum Eintritt der Wirkungen der Enthaftungserklärung der Klägerin vereinnahmten Untermieten verpflichtet.
23
(1) § 816 Abs. 2 BGB setzt eine Leistung an einen Nichtberechtigten voraus, die dem Berechtigten gegenüber wirksam ist. Ob diese Voraussetzungen vorliegen, kann offenbleiben. Von einer (unterstellten) Pflicht zur Erstattung der Untermieten ist der Beklagte durch die erfolgte Weiterleitung der Gelder an die Hauptvermieterin frei geworden.
24
(a) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann der Verwalter einen Drittschuldner nicht nach Maßgabe von § 82 InsO auf (erneute) Zahlung in Anspruch nehmen, wenn die Masse durch die Leistung des Drittschuldners von einer Masseverbindlichkeit entlastet wird, die anderenfalls der Verwalter in voller Höhe beglichen hätte (BGH, Urteil vom 8. Juli 2021 – IX ZR 121/20, ZInsO 2021, 2195 Rn. 42; vgl. auch BGH, Urteil vom 12. März 1986 – VIII ZR 64/85, ZIP 1986, 583, 586 zu § 8 Abs. 1 KO). In diesem Fall wird durch die Leistung des Drittschuldners die Vermögenslage hergestellt, die anderenfalls der Insolvenzverwalter hätte herstellen müssen. Nicht anders ist die Lage, wenn der Schuldner in den Leistungsvorgang eingeschaltet wird und es zu der Entlastung der Masse erst durch sein Zutun kommt. In einem solchen Fall erlangt deshalb auch der Schuldner Befreiung von einem etwaigen Erstattungsanspruch.
25
(b) Davon ist im Streitfall auszugehen. Die Mietforderungen der Hauptvermieterin für die Zeit von der Eröffnung des Insolvenzverfahrens bis zum Eintritt der Wirkungen der Enthaftungserklärung gemäß § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO waren Masseverbindlichkeiten (vgl. BGH, Urteil vom 29. Januar 2015 – IX ZR 279/13, BGHZ 204, 83 Rn. 33). Dass die Vermögenslage, die durch die Weiterleitung der Untermiete an die Hauptvermieterin eingetreten ist, nicht auch durch die Klägerin hergestellt worden wäre, ist nicht festgestellt und auch nicht sonst ersichtlich. Die Masse ist deshalb von der Verpflichtung, die bis zum Eintritt der Wirkungen der Enthaftungserklärung geschuldeten Mieten zu begleichen, in Höhe der Untermietzahlungen entlastet worden.
26
(2) Ein gegen den Beklagten gerichteter Anspruch auf Ausgleich von Vorteilen, die er dadurch erlangt haben könnte, dass bis zum Eintritt der Wirkungen der Enthaftungserklärung gemäß § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO die Masse zur Begleichung der Mietforderungen der Hauptvermieterin verpflichtet war (vgl. Jaeger/Jacoby, InsO, 2. Aufl., § 108 Rn. 153 ff; MünchKomm-InsO/Hoffmann, 4. Aufl., § 108 Rn. 97; Uhlenbruck/Wegener, InsO, 15. Aufl., § 108 Rn. 30; Steder, ZIP 1999, 1874, 1879), ist nicht vom Streitgegenstand der vorliegenden Klage erfasst. Die Klägerin verlangt nur die Erstattung der Untermieten. Der Senat muss deshalb nicht klären, ob ein Vorteilsausgleich geboten ist und wie er gegebenenfalls vorzunehmen wäre.
27
bb) Der Beklagte ist nicht zur Erstattung der nach Eintritt der Wirkungen der Enthaftungserklärung vereinnahmten Untermietzahlungen verpflichtet. Es fehlt an der für einen Anspruch aus § 816 Abs. 2 BGB erforderlichen Leistung an einen Nichtberechtigten. Die Erklärung nach § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO hat dazu geführt, dass nicht mehr die Masse, sondern der Beklagte berechtigt im Sinne des § 816 Abs. 2 BGB war.
28
(1) Es liegen zwei Mietverhältnisse vor, die im Ausgangspunkt unabhängig voneinander zu betrachten sind. Der Beklagte hat jeweils vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens die von ihm genutzte Wohnung von der Hauptvermieterin angemietet und einen Teil der Wohnung an den Untermieter untervermietet. Die Untervermietung erfolgte nicht in Gewinnerzielungsabsicht, sondern zur Verminderung der Kosten nach Trennung des Beklagten von seiner Ehefrau. Nach § 108 Abs. 1 InsO bestanden zunächst beide Mietverhältnisse mit Wirkung für die Insolvenzmasse fort (BGH, Urteil vom 29. Januar 2015, aaO Rn. 28). Vor Eintritt der Wirkungen der Enthaftungserklärung stellten die Mietforderungen der Hauptvermieterin Masseverbindlichkeiten dar (BGH, Urteil vom 29. Januar 2015, aaO Rn. 33). Die Forderungen aus dem Untermietverhältnis waren vom Insolvenzbeschlag erfasst und standen der Masse zu.
29
(2) Die Enthaftungserklärung der Klägerin hat gemäß § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO dazu geführt, dass Ansprüche aus dem Hauptmietverhältnis nicht mehr im Insolvenzverfahren über das Vermögen des Beklagten geltend gemacht werden konnten. Der Wirksamkeit der Erklärung steht nicht entgegen, dass der Beklagte die Wohnung teilweise untervermietet hatte. § 553 BGB zeigt, dass die Untervermietung eines Teils der Wohnung der Annahme eines (einheitlichen) Wohnraummietverhältnisses nicht entgegensteht. Die Untervermietung änderte auch nichts daran, dass Lebensmittelpunkt des Beklagten weiterhin die von der Hauptvermieterin angemietete Wohnung war. Die von der Klägerin abgegebene Erklärung erfasste daher das gesamte, einheitlich zu behandelnde Hauptmietverhältnis (vgl. Jaeger/Jacoby, InsO, 2. Aufl., § 109 Rn. 54 f; MünchKomm-InsO/Eckert/Hoffmann, 4. Aufl., § 109 Rn. 49; Uhlenbruck/Wegener, InsO, 15. Aufl., § 109 Rn. 19).
30
(3) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs geht die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis hinsichtlich des Mietverhältnisses mit Wirksamwerden der Enthaftungserklärung in vollem Umfang auf den Schuldner über (BGH, Urteil vom 22. Mai 2014 – IX ZR 136/13, NZI 2014, 614 Rn. 14). Welche Auswirkungen das auf einen den angemieteten Wohnraum betreffenden Untermietvertrag hat, hat der Bundesgerichtshof bisher nicht entschieden. Die Frage ist dahingehend zu beantworten, dass die Enthaftungserklärung regelmäßig auch das Untermietverhältnis erfasst. Dem entspricht es, dass die Wirkung einer Freigabe auch den Erlös aus der Verwertung eines freigegebenen Vermögensgegenstands erfasst (vgl. BGH, Beschluss vom 3. April 2014 – IX ZA 5/14, ZInsO 2014, 1008 Rn. 6).
31
(a) Die Wirkungen der Enthaftungserklärung nach § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO werden einerseits damit begründet, dass die Enthaftungserklärung an die Stelle der Kündigung nach § 109 Abs. 1 Satz 1 InsO tritt (BGH, Urteil vom 9. April 2014 – VIII ZR 107/13, NZI 2014, 452 Rn. 14; vom 22. Mai 2014, aaO Rn. 15). Andererseits wird an die Wirkungen der Freigabe nach § 35 Abs. 2 InsO angeknüpft (BGH, Urteil vom 22. Mai 2014, aaO Rn. 20 ff).
32
Die Freigabe nach § 35 Abs. 2 InsO erstreckt sich auf das Vermögen des Schuldners, das seiner gewerblichen Tätigkeit gewidmet ist, “einschließlich der dazu gehörenden Vertragsverhältnisse” (BT-Drucks. 16/3227, S. 17). Die freigabeähnliche Erklärung nach § 35 Abs. 2 Satz 1 InsO betrifft demnach im Unterschied zu der in § 32 Abs. 3 Satz 1 InsO als zulässig vorausgesetzten echten Freigabe nicht nur einzelne Vermögensgegenstände, sondern eine Gesamtheit von Gegenständen und Werten (BGH, Urteil vom 9. Februar 2012 – IX ZR 75/11, BGHZ 192, 322 Rn. 19). Überträgt man dies auf die Enthaftungserklärung nach § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO, erfasst diese auch ein Untermietverhältnis, wenn man es als dem Hauptmietvertrag zugehörig ansieht.
33
Zu diesem Ergebnis gelangt man nicht mit der Erwägung, dass die Enthaftungserklärung an die Stelle der Kündigung nach § 109 Abs. 1 Satz 1 InsO tritt. Die Kündigung des Hauptmietverhältnisses berührt die Wirksamkeit des Untermietverhältnisses nicht. Zwar kann die Beendigung des Hauptmietverhältnisses zur Rechtsmängelhaftung der Masse führen, weil der Verwalter ohne weiteres nicht mehr zu der dem Untermieter geschuldeten Gebrauchsüberlassung in der Lage ist (vgl. Jaeger/Jacoby, InsO, 2. Aufl., § 108 Rn. 91). Das ändert aber nichts daran, dass der Untermietvertrag trotz Kündigung des Hauptmietverhältnisses fortbesteht.
34
(b) Die besseren Gründe sprechen für die Erstreckung der Enthaftungserklärung nach § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO auf das den angemieteten Wohnraum betreffende Untermietverhältnis.
35
Es trifft zwar zu, dass die Enthaftungserklärung an die Stelle der Kündigung nach § 109 Abs. 1 Satz 1 InsO tritt. Die Wirkungen der Erklärung sind jedoch andere. Während die Kündigung das aus § 535 Abs. 1 Satz 1, § 549 Abs. 1 BGB folgende Gebrauchsrecht beendet, leitet die Enthaftungserklärung dieses Recht von der Masse auf den Schuldner über. Das dient auch dem Zweck, den Schuldner vor Obdachlosigkeit zu bewahren. Auf diese Weise soll § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO auch dem Ziel des Verbraucherinsolvenzverfahrens dienen, dem Schuldner einen wirtschaftlichen Neuanfang zu ermöglichen (vgl. BT-Drucks. 14/5680, S. 27).
36
Das Gebrauchsrecht an der Wohnung ist Voraussetzung für die Untervermietung. Das aus dem Hauptmietverhältnis folgende Recht zur Nutzung der Wohnung und die Untervermietung des Wohnraums sind eng verwoben. Ungeachtet der notwendigen Erlaubnis des Hauptvermieters (§§ 540, 553 BGB) entscheidet allein der Hauptmieter, ob er den Wohnraum untervermietet und zu welchen Bedingungen dies erfolgen soll. Seiner Entscheidung obliegt es auch, ob ein bestehendes Untermietverhältnis fortgesetzt oder beendet werden soll. Aus der engen Verbindung zwischen dem aufgrund der Enthaftungserklärung übergehenden Gebrauchsrecht und der Untervermietung folgt, dass auch ein aufgrund des Gebrauchsrechts begründetes Untermietverhältnis auf den Schuldner übergeht.
37
Auf diese Weise werden die Probleme vermieden, die entstehen, wenn Haupt- und Untermietverhältnis auseinanderfallen (vgl. dazu Jaeger/Jacoby, InsO, 2. Aufl., § 108 Rn. 89 ff; Marotzke, ZInsO 2007, 1, 4 ff). Besteht das Untermietverhältnis trotz Enthaftungserklärung mit Wirkung für die Insolvenzmasse fort und will der Verwalter die Untermieten zur Masse ziehen, bedarf es zumindest einer Nutzungsvereinbarung zwischen Verwalter und Schuldner. Zu einer solchen Vereinbarung wird der Schuldner unentgeltlich kaum bereit sein. Dies zeigt, dass sich die Befriedigungsaussichten der Gläubigergesamtheit regelmäßig nicht verbessern, wenn man das Untermietverhältnis von den Wirkungen der Enthaftungserklärung ausnimmt.
38
Der Insolvenzverwalter kann frei entscheiden, ob er die Enthaftungserklärung nach § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO abgibt oder nicht. Sind die der Masse zustehenden Forderungen aus dem Untermietverhältnis ausnahmsweise höher als die Belastungen aus dem Hauptmietverhältnis, kann er von der Enthaftungserklärung absehen. Mit der Einbeziehung des bestehenden Untermietverhältnisses in die Wirkungen der Erklärung nach § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO ist auch nichts über die rechtliche Behandlung der Situation gesagt, die entsteht, wenn der Schuldner den Wohnraum im Nachhinein gewinnbringend untervermietet. Entgegen der Ansicht der Revision folgt daher aus einer Einbeziehung eines bestehenden Untermietverhältnisses in die Wirkungen der Enthaftungserklärung nicht, dass der Masse Gewinne entgehen, die der Schuldner aus einer Untervermietung erzielt.
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