Handels- und Gesellschaftsrecht

Ladenräume keine Unterlagen iSv § 86a HGB

Aktenzeichen  8 HK O 8967/19

Datum:
8.4.2020
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 15838
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
München I
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
HGB § 86a Abs. 1, § 87d
BGB § 812

 

Leitsatz

Ladenräume sind keine Unterlagen iSv § 86a HGB, die den Handelsvertreter unentgeltlich zur Verfügung gestellt werden müssen. (Rn. 21 – 29) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
4. Der Streitwert wird bis zum 22.01.2020 auf 279.352,38 €, ab diesem Zeitpunkt auf 269.352,38 € festgesetzt.

Gründe

A.
Die Klage erweist sich als unbegründet. Der Klägerin stehen die geltend gemachten Zahlungsansprüche weder gegen die Beklagte zu 1) noch gegen die Beklagte zu 2) zu.
I.
Die Klägerin kann von der Beklagten zu 1) aus keinem denkbaren rechtlichen Gesichtspunkt Zahlung von 269.239,91 € verlangen.
Ein derartiger Anspruch ergibt sich insbesondere schon deshalb nicht aus § 812 BGB, weil die Beklagte zu 1) die streitgegenständlichen Mietzahlungen nicht erhalten hat. Nachdem die Klägerin in der mündlichen Verhandlung ihren ursprünglichen Sachvortrag auf Nachfrage korrigiert hat, ist nicht mehr dargetan, dass die Beklagte zu 1) – was für einen Anspruch aus § 812 BGB erforderlich wäre – die streitgegenständlichen Mieten erhalten hat. Da die Klägerin der Beklagten zu 2) in Reaktion auf das Schreiben vom 14.07.2017 unstreitig das dort erbetene neue SEPA-Lastschriftmandat erteilt hat, ist vielmehr der Vortrag der Beklagtenseite, die Mieten seien an die Beklagte zu 2) bezahlt worden, zum maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung als unstreitig anzusehen, § 138 III ZPO.
II.
Auch gegen die Beklagte zu 2) steht der Klägerin ein Rückzahlungsanspruch nicht zu.
Ein Anspruch aus § 812 BGB scheidet schon deshalb aus, weil die Beklagte zu 2) im Wege der Umwandlung durch Abspaltung zum 30.06.2017 Teile des Vermögens der Beklagten zu 1 übernommen hat und damit u.a. die mit der Beklagten zu 1) geschlossenen Untermietvertragsverhältnisse mit allen Rechten und Pflichten auf die Beklagte zu 2) übergegangen sind. Damit ging auch der Anspruch gegen die Klägerin auf Zahlung der in den Untermietverträgen (Anlagenkonvolut K 3) jeweils vereinbarten Untermiete auf die Beklagte zu 2) über mit der Folge, dass die Zahlungen aufgrund der Untermietverträge und damit nicht ohne Rechtsgrund erfolgten. Die Vereinbarung einer Pflicht zur Zahlung von Untermietzins ist auch nicht unwirksam, insbesondere nicht gemäß § 86 a Abs. 3 HGB. Dies ergibt sich aus Folgendem:
1. § 86 a HGB ist im Verhältnis zwischen der Klägerin und der Beklagten zu 2) nicht anwendbar, da er nur um Verhältnis Handelsvertreter – Unternehmer gilt, die Klägerin jedoch mit der Beklagten zu 2) keinen Handelsvertretervertrag geschlossen hat. Eine Unwirksamkeit nach § 86 a Abs. 3 HGB scheidet schon aus diesem Grund aus.
2. Abgesehen davon würde § 86 a Abs. 3 in Verbindung mit Abs. 1 HGB auch dann nicht zur Nichtigkeit der vereinbarten Untermietzinszahlungspflicht führen, wenn zwischen der Klägerin und der Beklagten zu 2) ein Handelsvertreterverhältnis bestünde. Auch dann hätte die Klägerin keinen Anspruch darauf, dass ihr die Ladenräume unentgeltlich zur Verfügung gestellt werden.
Nach § 86 a Abs. 1 HGB hat der Unternehmer dem Handelsvertreter die zur Ausübung seiner Tätigkeit erforderlichen Unterlagen, wie Muster, Zeichnungen, Preislisten, Werbedrucksachen, Geschäftsbedingungen zur Verfügung zu stellen. Die Ladenräume sind jedoch weder Unterlagen im Sinne dieser Vorschrift noch sind sie erforderlich zur Ausübung der Tätigkeit der Klägerin als Handelsvertreterin.
a. Die Ladenräume sind schon keine Unterlagen im Sinne des § 86 a Abs. 1 HGB.
§ 86 a Abs. 1 HGB nennt die zur Ausübung erforderlichen Unterlagen nur beispielhaft und nicht abschließend. Der Begriff der „Unterlagen“ wird von der Rechtsprechung weit ausgelegt und erfasst auch sonstige Sachen, die der Handelsvertreter speziell zur Anpreisung bei der Kundschaft benötigt, z.B. wurden auch sonstiges Werbematerial, Musterstücke, Musterkollektionen, spezielle Software für den Zugang zu den für die Vermittlung erforderlichen aktuellen Unternehmensdaten, ein Stationscomputersystem beim Tankstellenhalter oder Probestücke von der Rechtsprechung als Unterlagen angesehen (Baumbach/Hopt, HGB, 38. Auflage, 2018, § 86 a HGB, Rn. 5). Nach Ansicht der Kammer sind jedoch Ladenräume vom Begriff der Unterlage auch bei der gebotenen weiten Auslegung nicht mehr umfasst.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem vom Klägervertreter zitierten Urteil BGH NJW 2011, 2423. Dieses Urteil befasst sich vielmehr nur ganz am Rande damit, was eine Unterlage im Sinne des § 86 a Abs. 1 HGB ist, denn die dortigen Streitpunkte (Aufkleber und sonstige Give-Aways, Briefpapier, Visitenkarten, Datenerhebungsbögen, Mandantenordner, vom Unternehmer herausgegebene Zeitschrift und Software) sind ganz klar vom weit auszulegenden Begriff der „Unterlagen“ erfasst, den der BGH in Rn. 20 des Urteils wie folgt definiert: „Von dem Begriff der Unterlagen wird alles erfasst, was dem Handelsvertreter zur Ausübung seiner Vermittlungs- oder Abschlusstätigkeit – insbesondere zur Anpreisung der Waren bei dem Kunden – dient und aus der Sphäre des Unternehmers stammt.“ Den hier problematischen Mietzins für Mieträume behandelt der BGH in dieser Entscheidung nicht.
b. Das vom Klägervertreter zitierte Urteil befasst sich vielmehr im Schwerpunkt damit, unter welchen Voraussetzungen Unterlagen für die Tätigkeit des Handelsvertreters im Sinne des § 86 a Abs. 1 HGB erforderlich sind. Legt man die Ausführungen des BGH, der in diesem Zusammenhang auch von „produktspezifischen Hilfsmitteln“ spricht, zugrunde, dann sind die Ladenräume zudem auch nicht erforderlich im Sinne des § 86 a Abs. 1 HGB. Der BGH führt in seinem Urteil aus, den Begriff der Erforderlichkeit müsse man eng auslegen, denn die eigentliche Vertriebstätigkeit obliege dem Handelsvertreter als selbständigem Unternehmer. Insoweit treffe ihn auch das handelsvertretertypische Risiko, dass sich die von ihm dafür getätigten Aufwendungen nur bei erfolgreicher Vermittlung von Verträgen rentieren. Nach § 87 d HGB trage der Handelsvertreter deshalb folgerichtig die in seinem regelmäßigen Geschäftsbetrieb entstehenden Aufwendungen selbst. Hierzu gehörten die eigene Büroausstattung und alle sonstigen Kosten des eigenen Betriebs.
Bei dem Mietzins für die Shops handelt es danach um Aufwendungen, die im regelmäßigen Geschäftsbetrieb entstehen und die der Handelsvertreter gemäß § 87 d HGB grundsätzlich selbst zu tragen hat. Ein produktspezifisches Hilfsmittel ist der Geschäftsraum des Handelsvertreters nicht. Folgerichtig wird gerade die Miete für Geschäftsräume in den einschlägigen Kommentaren zu § 87 d HGB als Beispiel für vom Handelsvertreter selbst zu tragende Aufwendungen genannt (vgl. z.B. Münchener Kommentar zum HGB, 4. Auflage, 2016, § 87 d HGB, Rn. 12).
Dass der Klägerin die hier streitgegenständlichen Ladenlokale ursprünglich von der Beklagten zu 1) und damit von der Unternehmerin selbst untervermietet wurden und die Klägerin sich in den Handelsvertreterverträgen dazu verpflichtet hat, diese Ladenlokale beizubehalten und ihren Standort nicht ohne vorherige Einwilligung der Beklagten zu 1) zu verlegen, macht die Ladenlokale nicht zu produktspezifischen Hilfsmitteln im Sinne von § 86 a Abs. 1 HGB. Der bloße Umstand, dass die Beklagte zu 1) ersichtlich durch Eigenanmietung und Untervermietung dieser Ladenlokale ihren Handelsvertretern gute Lagen für die Shops sichern wollte, ändert an der allgemeinen Bewertung, dass die Miete für das Ladenlokal vom Handelsvertreter zu tragen ist, nichts. Es ist nicht einzusehen, weshalb allein aufgrund dieses Umstands der Handelsvertreter, der ja von einer guten Lage seines Shops profitiert, von der ihn regelmäßig treffenden Pflicht zur Zahlung des Mietzinses für seine Geschäftsräume befreit werden sollte.
B.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 709 ZPO.


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