Handels- und Gesellschaftsrecht

Pauschalreisevertrag: Anspruch des vor Reisebeginn zurückgetretenen Reisenden auf Auskunft über die maßgeblichen Umstände für die Angemessenheit der vom Reiseveranstalter geforderten Entschädigung

Aktenzeichen  X ZR 109/20

Datum:
18.1.2022
Gerichtsart:
BGH
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:BGH:2022:180122UXZR109.20.0
Normen:
§ 242 BGB
§ 651h Abs 1 S 3 BGB
§ 651h Abs 2 S 3 BGB
Spruchkörper:
10. Zivilsenat

Leitsatz

1. Die Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich der Umstände, die für die Angemessenheit einer auf der Grundlage von § 651h Abs. 1 Satz 3 BGB geforderten Entschädigung maßgeblich sind, obliegt dem Reiseveranstalter (Bestätigung von BGH, Urteil vom 3. November 2015 –  X ZR 122/13, NJW 2016, 1508 Rn. 13 und Urteil vom 9. Dezember 2014 – X ZR 13/14, RRa 2015, 144 Rn. 31).
2. Einem Reisenden, der vor Reisebeginn vom Vertrag zurückgetreten ist und die Erstattung des bereits gezahlten Reisepreises begehrt, steht gegen den Reiseveranstalter auch aus § 651h Abs. 2 Satz 3 BGB kein einklagbarer Anspruch auf Auskunft über die genannten Umstände zu.

Verfahrensgang

vorgehend LG München I, 11. November 2020, Az: 14 S 1155/20vorgehend AG München, 30. Dezember 2019, Az: 231 C 13527/19

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil der 14. Zivilkammer des Landgerichts München I vom 11. November 2020 unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Berufung gegen die Abweisung der Zahlungsklage zurückgewiesen worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand

1
Die Klägerin begehrt die teilweise Erstattung der Vergütung für eine Pauschalreise aus übergegangenem Recht eines Versicherungsnehmers.
2
Der Versicherungsnehmer schloss im Juli 2008 mit der Beklagten für sich und seine Begleitung einen Vertrag über eine Pauschalreise zu einem Preis von 1.296 Euro. Er entrichtete eine Anzahlung in Höhe von 518,40 Euro. Mehr als 30 Tage vor Antritt der Reise erklärte er den Rücktritt vom Reisevertrag. Die Beklagte behielt eine pauschale Entschädigung in Höhe von 518,00 Euro ein. Die Klägerin zahlte diesen Betrag aufgrund der bei ihr abgeschlossenen Reiserücktrittsversicherung an den Versicherungsnehmer.
3
Die Klägerin begehrt im Wege der Stufenklage Auskunft und Rechnungslegung über die Höhe der ersparten Aufwendungen und der durch anderweite Verwendung der Reiseleistungen erzielten Erlöse, Vorlage der Verträge mit Leistungsträgern, hilfsweise dazu die eidesstattliche Versicherung der Richtigkeit der erteilten Auskünfte, sowie die Zahlung des sich aus der Auskunft ergebenen Betrags.
4
Das Amtsgericht hat die Klage wegen fehlender Aktivlegitimation abgewiesen. Die Berufung der Klägerin ist erfolglos geblieben. Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter.

Entscheidungsgründe

5
Die zulässige Revision der Klägerin ist nur hinsichtlich des Zahlungsanspruchs begründet.
6
I. Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:
7
Der mit dem Hauptantrag verfolgte Ersatzanspruch sei auf die Klägerin nicht übergegangen. Die Klägerin könne daher einen Anspruch auf Erstattung des an den Versicherungsnehmer geleisteten Betrags nach den Vorschriften der ungerechtfertigten Bereicherung aus übergegangenem Recht nicht geltend machen.
8
II. Dies hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
9
Ein dem Reisenden zustehender Rückzahlungsanspruch ist in Höhe der erbrachten Versicherungsleistungen gemäß § 86 Abs. 1 VVG auf die Klägerin übergegangen.
10
Wie der Bundesgerichtshof nach Erlass des Berufungsurteils entschieden hat, findet § 86 Abs. 1 Satz 1 VVG auf eine Reiserücktrittskostenversicherung Anwendung (BGH, Urteil vom 21. April 2021 – IV ZR 169/20, NJW 2021, 2118 Rn. 10 ff.). Zu den übergangsfähigen Ansprüchen zählen entgegen der Auffassung der Beklagten auch solche aus ungerechtfertigter Bereicherung (Rn. 14 ff.). Ob die Klägerin im Verhältnis zur Versicherungsnehmerin zu der erbrachten Leistung verpflichtet war, ist unerheblich (Rn. 18).
11
III. Hinsichtlich der Ansprüche auf Auskunft, Vorlage von Belegen und Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung erweist sich die angefochtene Entscheidung aus anderen Gründen als im Ergebnis zutreffend (§ 561 ZPO).
12
1. Der Klägerin steht kein Anspruch auf Auskunft und Rechnungslegung zu.
13
a) Nach § 651h Abs. 1 Satz 2 BGB verliert der Reiseveranstalter bei Rücktritt des Reisenden vor Reisebeginn den Anspruch auf den Reisepreis. Ob dem Reisenden, der die Vergütung bereits gezahlt hat, hieraus lediglich ein Erstattungsanspruch aus § 812 Abs. 1 Satz 2 Fall 1 BGB oder ein Rückzahlungsanspruch aus § 346 Abs. 1 BGB erwächst, kann dahingestellt bleiben. Beide Vorschriften führen im Streitfall zu demselben Ergebnis.
14
b) Nach § 651h Abs. 1 Satz 3 BGB kann der Reiseveranstalter in der genannten Konstellation eine angemessene Entschädigung verlangen.
15
Die Höhe der Entschädigung kann nach Maßgabe von § 651h Abs. 2 Satz 1 BGB im Vertrag pauschal festgelegt werden. Anderenfalls bestimmt sich die Höhe der Entschädigung gemäß § 651h Abs. 2 Satz 2 BGB nach dem Reisepreis unter Abzug des Wertes der vom Reiseveranstalter ersparten Aufwendungen sowie dessen, was er durch anderweitige Verwendung der Reiseleistungen erwerben kann.
16
Die Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich der für die Höhe der Entschädigung maßgeblichen Umstände oblag schon nach der früher geltenden, weitgehend inhaltsgleichen Regelung in § 651i Abs. 2 und 3 BGB aF dem Reiseveranstalter (vgl. zuletzt BGH, Urteil vom 18. Januar 2022 – X ZR 125/20, Rn. 21 ff.). Die Neuregelung in § 651h BGB hat insoweit nicht zu einer Änderung geführt (BT-Drucks. 18/10822 S. 60 und S. 75).
17
c) Nach § 651h Abs. 3 Satz 3 BGB ist der Reiseveranstalter auf Verlangen des Reisenden verpflichtet, die Höhe der Entschädigung zu begründen. Hieraus ergibt sich für den Reisenden kein einklagbarer Anspruch auf Auskunft.
18
aa) Die in § 651h Abs. 3 Satz 3 BGB vorgesehene Begründungspflicht lehnt sich an die schon nach altem Recht bestehende Darlegungs- und Beweislast an. Zusätzlicher Erfüllungsaufwand soll dem Reiseveranstalter durch die Neuregelung nicht entstehen (BT-Drucks. 18/10822 S. 60).
19
Dem ist zu entnehmen, dass den Reiseveranstalter bei einem Verstoß gegen die Begründungspflicht vergleichbare, aber keine weitergehenden Rechtsfolgen treffen sollen als dann, wenn er seiner Darlegungs- und Beweislast im Rechtsstreit nicht gerecht wird.
20
Eine Verletzung der Begründungspflicht hat mithin zur Folge, dass dem Reisenden in einem Rechtsstreit der Anspruch auf Rückzahlung des geleisteten Reisepreises zuzusprechen ist, soweit der Reiseveranstalter seiner Begründungspflicht und seiner damit korrespondierenden Darlegungs- und Beweislast nicht nachkommt. Wenn der Reiseveranstalter vorprozessual eine vom Reisenden verlangte Begründung verweigert oder diese unvollständig oder unzutreffend erteilt, ist er zudem gemäß § 280 Abs. 1 BGB zur Tragung von unnötig entstandenen Prozesskosten verpflichtet.
21
Weitergehende Leistungsansprüche stehen dem Reisenden hingegen auch nach neuem Recht nicht zu.
22
bb) Aus dem Unionsrecht ergeben sich keine weitergehenden Anforderungen.
23
Die Regelung in § 651h BGB geht auf Art. 12 Abs. 1 Satz der Richtlinie (EU) 2015/2302 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2015 über Pauschalreisen und verbundene Reiseleistungen (ABl. L 326 S. 1) zurück.
24
(1) Art. 12 Abs. 1 Satz 4 der Richtlinie sieht vor, dass der Reiseveranstalter auf Ersuchen des Reisenden die Höhe der Rücktrittsgebühren begründet.
25
Eine solche Verpflichtung sieht § 651h Abs. 3 Satz 3 BGB vor.
26
(2) Nach Erwägungsgrund 47 der Richtlinie sind die Mitgliedstaaten gehalten, für den Fall eines Verstoßes gegen nationale Vorschriften zur Umsetzung der Richtlinie Sanktionen vorzusehen, die wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sind.
27
Diesen Vorgaben wird die oben aufgezeigte Regelung gerecht.
28
Die Begründungspflicht hat den Zweck, den Reisenden in die Lage zu versetzen, die Berechtigung der vom Reiseveranstalter geltend gemachten Rücktrittsgebühr überprüfen zu können. Diesem Zweck ist angemessen Rechnung getragen, wenn der Reiseveranstalter solche Ansprüche nur insoweit mit Erfolg gerichtlich durchsetzen kann, als er seiner Begründungspflicht genügt und das Bestehen der Anspruchsvoraussetzungen erforderlichenfalls beweist, und gegebenenfalls Mehrkosten tragen muss, die dem Reisenden aufgrund einer Verletzung der Begründungspflicht entstanden sind. Ein darüber hinausgehender Anspruch auf Erfüllung der Begründungspflicht brächte dem Reisenden demgegenüber keine nennenswerten Vorteile.
29
d) Vor diesem Hintergrund kommt ein Auskunftsanspruch auf der Grundlage von § 242 BGB ebenfalls nicht in Betracht.
30
Nach der früheren Rechtslage steht dem Reisenden ein solcher Anspruch nicht zu (BGH, Urteil vom 18. Januar 2022 – X ZR 88/20, Rn. 18 ff.). Die dafür maßgeblichen Erwägungen gelten für das neue Recht in gleicher Weise.
31
2. Mangels eines Anspruchs auf Auskunft kann die Klägerin auch nicht die Vorlage von Belegen oder die Abgabe einer Versicherung an Eides Statt verlangen.
32
IV. Hinsichtlich des Zahlungsanspruchs ist die Sache hingegen zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 ZPO).
33
Im wieder eröffneten Berufungsverfahren wird die Klägerin Gelegenheit zur Bezifferung ihres Rückzahlungsanspruchs und die Beklagte Gelegenheit zu ergänzendem Vortrag zu den für die Berechnung der pauschalen oder konkreten Entschädigung maßgeblichen Umständen haben. Sollte die Beklagte insoweit nichts Relevantes darlegen, ist der Zahlungsanspruch in Höhe der von der Beklagten erbrachten Leistung begründet.
34
V. Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst, weil der Senat nicht über den gesamten in die Revisionsinstanz gelangten Streitgegenstand abschließend entscheiden kann.
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