Handels- und Gesellschaftsrecht

Rücktritt vom Pauschalreisevertrag

Aktenzeichen  158 C 15394/20

Datum:
23.6.2021
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 36683
Gerichtsart:
AG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 651h Abs. 1 S. 1
BGB § 349

 

Leitsatz

Der bloße Nichtantritt der Reise (“no-show”) ist auch vor dem Hintergrund der weltweit auftretenden Corona-Pandemie nicht als konkludente Rücktrittserklärung vom Pauschalreisevertrag gem. § 651h Abs. 1 S. 1 BGB zu werten.

Gründe

Die zulässige Klage ist nicht begründet.
I.
1. Der Klägerin steht der geltend gemachte Rückzahlungsanspruch unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zu, insbesondere besteht kein Rückzahlungsanspruch aus §§ 651h Abs. 1 Satz 2, 346 ff. BGB, da der Reisevertrag zwischen den Parteien und damit der Anspruch der Beklagten auf Zahlung des vereinbarten Reisepreises (§ 651a Abs. 1 Satz 2 BGB) fortbestand. Die Klägerin ist nicht gemäß § 651h Abs. 1 Satz 1 BGB vor Reisebeginn von dem mit der Beklagten abgeschlossenen Reisevertrag zurückgetreten.
Die Klägerin hat vorliegend unstreitig zu keinem Zeitpunkt vor Reisebeginn den Rücktritt vom Reisevertrag gegenüber der Beklagten erklärt. Der Rücktritt nach § 651h Abs. 1 Satz 1 BGB ist ein Gestaltungsrecht. Er erfolgt analog § 349 BGB durch formfreie Willenserklärung gegenüber dem Reiseveranstalter und ist an keine weiteren Voraussetzungen gebunden, kann also auch konkludent erklärt werden. Damit ist jedes Verhalten des Reisenden, aus dem ersichtlich wird, dass er an dem ursprünglich geschlossenen Reisevertrag nicht mehr festhalten will, als Rücktritt nach dieser Vorschrift auszulegen (BeckOK BGB/Geib, 58. Ed. 1.5.2021, BGB § 651h Rn. 5). Dies gilt allerdings nicht, sofern der Reisende lediglich zum Reiseantritt nicht erscheint, denn einem solchen Verhalten ist ohne das Hinzutreten weiterer Umstände aus der Sicht eines objektiven Empfängers der eindeutige Wille des Reisenden zum Rücktritt vom Reisevertrag nicht zu entnehmen (ausführlich hierzu LG Frankfurt, Urteil vom 30. August 2007 – 2-24 S 39/07 -, juris). Insofern fehlt es bereits an einer Willenserklärung des Reisenden auf Beendigung des Reisevertrages. Die gegenteilige Ansicht, die den Nichtantritt der Reise ohne weiteres als stillschweigenden Rücktritt wertet (MüKoBGB/Tonner, 8. Aufl. 2020, BGB § 651h Rn. 11 m.w.N.) vermag nicht zu überzeugen. Zwar mag in einem so genannten „no show“ zuweilen der Ausdruck des Willens liegen, von der Reise Abstand zu nehmen. Ein solcher Wille ist jedoch keineswegs zu unterstellen und vermag daher auch dann, wenn er wirklich vorliegt, keine Auflösung des Reisevertrags zeitigen. Das bloße Nichterscheinen eines Reisenden kann vielfältige Ursachen haben; naheliegender als die Absicht zum Rücktritt ist eine schlichte Verspätung. Allerdings kann es auch in diesem Fall dem Interesse des Reisenden entsprechen, der Vertragsbindung gegen die Verpflichtung zur Zahlung der Entschädigung zu entgehen; ein Reisender, der sich verspätet hat, kann jedoch ebenso gut daran interessiert sein, die Reiseleistung zumindest teilweise noch in Anspruch zu nehmen. Mit seinem bloßen Nichterscheinen ist daher aus der Sicht des Reiseveranstalters kein bestimmter Erklärungswert verknüpft, der es rechtfertigte, einen konkludenten Rücktritt anzunehmen (BeckOGK/Harke, 1.5.2021, BGB § 651h Rn. 12, vgl. auch NK-BGB/Mark Niehuus, 4. Aufl. 2021, BGB § 651h Rn. 5). Vorliegend wurde von der Klagepartei zu den Ursachen des Nichterscheinens der Klägerin zum Reiseantritt nicht explizit vorgetragen, insbesondere wurde nicht vorgetragen, dass der Nichtantritt der Reise von einem Rücktrittswillen der Klägerin getragen gewesen sei. Trägt aber nicht einmal die Klagepartei als darlegungsbelastete Partei vor, dass zum Zeitpunkt des Nichtantritts der Reise ein Rücktrittswille des Reisenden vorgelegen habe, so ist nicht ersichtlich, wieso die Beklagte in diesem Kontext von einem Rücktrittswillen der Klägerin hätte ausgehen sollen. Eine andere Beurteilung des Erklärungswertes des Nichtantritts der Reise durch die Klägerin ergibt sich vorliegend auch nicht aufgrund des weltweiten Auftretens der Corona-Pandemie oder der Ausrufung des staatlichen Alarmzustandes durch die spanische Regierung. Es ist gerichtsbekannt, dass Mitte März 2020 unzählige Reisende die von ihnen vor Bekanntwerden der Pandemie gebuchten Pauschalreisen trotz der geschilderten Umstände angetreten haben. Aus Sicht der Beklagten stellte sich der Nichtantritt der Reise durch die Klägerin auch vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie und der weltweiten Entwicklung daher nicht ohne jeden Zweifel als Rücktritt vom Reisevertrag dar. Da für die Beklagte vorliegend keine weiteren Anhaltspunkte für einen Rücktritt der Klägerin vorgelegen haben, stellt das bloße Nichterscheinen der Klägerin zum Abflug gerade keine konkludente Rücktrittserklärung im Sinne von § 651h Abs. 1 Satz 1 BGB dar. Hätte die Klägerin wirksam zurücktreten wollen, hätte sie die Beklagte daher vor Reisebeginn schriftlich oder telefonisch von ihrem Rücktrittswunsch in Kenntnis setzen müssen, wie sie dies auch ohne weiteres nach Ablauf des Reisezeitraums mit Schreiben vom 02.06.2020, vorgelegt als Anlage K4, getan hat. Aus diesem nachträglich erklärten „Rücktritt“ können die auf § 651h Abs. 1 Satz 2 BGB gestützten Zahlungsansprüche indes nicht abgeleitet werden.
Nachdem es bereits an einem Rücktritt der Klägerin vom Reisevertrag fehlt, kommt es auf die Frage des Vorliegens unvermeidbarer, außergewöhnlicher Umstände am Bestimmungsort im Sinne des § 651h Abs. 3 BGB vorliegend nicht an.
2. Der geltend gemachte Anspruch auf Nebenkosten teilt das Schicksal der Hauptforderung.
II.
Die Kostenentscheidung folgt § 91 ZPO.
Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Verkündet am 23.06.2021 Urkundsbeamter der Geschäftsstelle


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