Handels- und Gesellschaftsrecht

Schadensersatz, Berufung, Schadensersatzanspruch, Fahrzeug, Annahmeverzug, Rechtsanwaltskosten, Ablehnung, Zulassung, Rechtsverfolgungskosten, Berufungsverfahren, Zahlung, Haftung, Auslegung, Nutzungsersatz, Darlegungs und Beweislast, Rechtsprechung des BGH

Aktenzeichen  19 U 914/21

Datum:
9.8.2021
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 25336
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Verfahrensgang

35 O 8816/20 2021-01-18 Urt LGMUENCHENI LG München I

Tenor

I. Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Landgerichts München I vom 18.01.2021, Az.: 35 O 8816/20 in Ziffern 1, 2, 4 wie folgt abgeändert:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 21.324,49 € zu zahlen Zug-um-Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs der Marke VW … 1.6 TDI mit der Fahrzeugidentifikationsnummer (FIN) WVWZZZ..ZDM… nebst zwei Fahrzeugschlüsseln, Kfz-Schein, Kfz-Brief und Serviceheft.
2. Ziffern 2 und 4 werden aufgehoben und die Klage abgewiesen.
II. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
III. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Beklagte.
IV. Dieses Urteil sowie das Urteil des Landgerichts München I, soweit es aufrechterhalten wird, sind vorläufig vollstreckbar.
V. Die Beklagte kann die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils vollstreckbaren Betrages abwenden, sofern nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
VI. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf bis zu 22.000,00 € festgesetzt.

Gründe

I.
Die Berufung ist zulässig und weitgehend unbegründet.
1. Die Berufung erweist sich im Wesentlichen als unbegründet, soweit sie sich gegen die Verurteilung der Beklagten in Ziffer 1 des Ersturteils wendet. Lediglich soweit sich der anzurechnende Nutzungsersatz durch die Weiternutzung des Fahrzeugs nach der letzten mündlichen erstinstanzlichen Verhandlung erhöht hat, ist die Berufung begründet.
1.1. Dem Kläger steht gegenüber der Beklagten als Herstellerin des streitgegenständlichen Fahrzeugs mit dem Motor EA 189 gemäß §§ 826, 31 BGB ein Anspruch auf Rückabwicklung des Kaufvertrages vom 12.12.2012 über den streitgegenständlichen … „…“ 1.6. TDI BMT DS G7 zu. Zur Begründung wird insoweit auf die Ausführungen des BGH im Urteil vom 25.05.2020 – VI ZR 252/19 verwiesen.
1.2. Bei der Rückabwicklung des Kaufvertrages sind die vom Kläger gezogenen Nutzungen in Höhe von 4.824,86 € in Abzug zu bringen.
Der Senat schätzt die Gesamtfahrleistung des streitgegenständlichen … (Erstzulassung 2013) auf 250.000 km (§ 287 ZPO). Diese Schätzung entspricht der Bandbreite der von anderen Gerichten vorgenommenen Schätzung der Gesamtfahrleistung (vgl. hierzu Reinking/Eggert, der Autokauf, 14. Aufl. Rn. 3574; Staudinger/Kaiser, BGB, Neubearbeitung 2012, § 346 Rn. 261; BGH, Urteil vom 127.04.2021 – VI ZR 812/209. Der Kläger ist mit dem Fahrzeug 46.528 km gefahren.
Bei Anwendung der Berechnungsformel (vgl. BGH, Urteil vom 25.05.2020 – VI ZR 252/19)
Nutzungsvorteil =
Bruttokaufpreis × gefahrene km (seit Erwerb)
Zu erwartende Restlaufleistung im Erwerbszeitpunkt
ergibt sich ein abzuziehender Nutzungsersatz von 4.824,86 € (26.149,35 € × 46.128 km : 250.000 km).
Der Schadensersatzanspruch des Klägers beträgt damit 21.324,49 € (26.149,35 € – 4.824,86 €).
1.3. Die von der Beklagten erhobene Einrede der Verjährung (§ 214 BGB) geht ins Leere.
Soweit die Beklagte erneut in der Berufung die Verjährungseinrede erhebt und dazu neu vorträgt, ist dieses Verteidigungsmittel gemäß § 531 Abs. 2 ZPO nicht zuzulassen.
Neue Angriffs- und Verteidigungsmittel sind im Berufungsverfahren dann zulässig, wenn sie einen Gesichtspunkt betreffen, der vom Gericht des ersten Rechtszuges erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten worden ist (Nr. 1), oder wenn sie im ersten Rechtszug wegen eines Verfahrensmangels (Nr. 2) oder ohne eine Nachlässigkeit der Partei (Nr. 3) nicht geltend gemacht worden sind oder, unabhängig von den Zulassungsvoraussetzungen des § 531 BGB, wenn sie unstreitig sind (Großer Senat für Zivilsachen, Beschluss vom 23.06.2008, Gz. GSZ 1/08, NJW 2008, 3434). Danach wäre die erstmals in der Berufungsinstanz erhobene Verjährungseinrede nach der Rechtsprechung des BGH unabhängig von den Voraussetzungen des § 531 II 1 Nrn. 1 bis 3 ZPO zuzulassen, wenn die Erhebung der Verjährungseinrede und die den Verjährungseintritt begründenden tatsächlichen Umstände zwischen den Prozessparteien unstreitig wären (vgl. u.a. BGH, Urt. v. 12.1.2011 – VIII ZR 148/10; BGH, Beschluss vom 23.06.2008 – GSZ 1/08).
Dazu fehlt jedoch jeglicher Vortrag in der Berufung.
Darüberhinaus wäre der Berufung auch bei Zulassung dieses Verteidigungsmittels kein Erfolg beschieden:
Der Beklagten steht die Einrede der Verjährung nicht mehr zu. Der Beklagten ist es wegen des erstinstanzlich erklärten Verzichts verwehrt, sich erneut auf die Einrede der Verjährung zu berufen.
Die Erklärung der Beklagten in der erstinstanzlichen mündlichen Verhandlung, sie halte die Einrede der Verjährung hinsichtlich der deliktischen Ansprüche nicht mehr aufrecht, ist dahingehend auszulegen, dass die Beklagte auf die Einrede der Verjährung insoweit verzichtet hatte.
(1) Der Verzicht auf die Einrede der Verjährung ist durch einseitige Erklärung und auch schon vor Eintritt der Verjährung möglich (BGH, Urteil vom 18.09.2007 – XI ZR 447/06). Folge des Verzichts ist, dass die Befugnis des Schuldners, die Einrede der Verjährung zu erheben, ausgeschlossen ist (BGH, Urteil vom 18.09.2007 – XI ZR 447/06 zu einem befristeten Verzicht).
Ob die Beklagte mit ihrer Erklärung, einen Verzicht auf die Einrede der Verjährung erklärt hat oder lediglich den Verjährungseinwand „fallengelassen“ hat, d.h. erklärt hat, den prozessualen Zustand, wiederherzustellen, der vor Erhebung dieser Erklärung bestanden hat, ist nach den für die Auslegung von Willenserklärungen allgemein geltenden Regeln festzustellen (BGH, Urteil vom 29.11.1965 – III ZR 121/55).
(2) Schon der Wortlaut der Erklärung der Beklagten, die Einrede der Verjährung werde hinsichtlich der deliktischen Ansprüche nicht mehr aufrechterhalten, spricht dafür, dass die Beklagte dauerhaft und unbefristet die Einrede der Verjährung nicht mehr erheben wollte.
Berücksichtigt man darüber hinaus den Sach- und Streitstand, bei dem die Erklärung abgegeben wurde, lässt dies nur den Schluss zu, dass die Beklagte zum Ausdruck brachte, sie werde in diesem Rechtsstreit, die Einrede der Verjährung nicht mehr erheben.
Die Erklärung wurde in der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht abgegeben, nachdem der aktuelle Kilometerstand des streitgegenständlichen Fahrzeugs vom Klägervertreter mitgeteilt und von der Beklagten unstreitig gestellt worden war und der Kläger persönlich angehört worden war.
Aufgrund des am 25.05.2020 ergangenen Urteils des BGH – VI 252/19, in dem die Beklagte wegen der Manipulationen beim Motor EA 189 zum Schadensersatz gemäß § 826 BGB verurteilt worden war, war für alle Beteiligten vorliegend klar, dass die Verurteilung der Beklagten inmitten stand. Dass die von der Klagepartei bis dahin gezogenen Nutzungen von 43.112 km nicht zu einem vollständigen Wertverzehr bei dem Fahrzeug führten, bei dem eine Gesamtfahrleistung von jedenfalls 250.000 km zugrunde zu legen ist, war ebenfalls allen Beteiligten klar.
Wenn dann die Beklagte in dieser Situation die Erklärung abgibt, sie halte die Einrede der Verjährung nicht mehr aufrecht, obwohl dies die einzige Möglichkeit ist, eine Verurteilung abzuwenden, kann der Erklärung nur die Bedeutung zukommen, die Einrede werde in diesem Rechtsstreit nicht mehr erhoben. Dafür dass die Beklagte dann in der zweiten Instanz sich erneut auf die Verjährung berufen möchte, gibt es keinen Anhalt.
1.4. Soweit die Beklagte zur Zahlung von Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 03.06.2020 verurteilt wurde, erhebt sie dagegen keine konkreten Einwendungen.
1.5. Soweit das Ersturteil in Ziffer 3 die Feststellung trifft, dass der Anspruch aus einer vorsätzlichen unerlaubten Handlung der Beklagten herrührt, stellt die Berufung dies in ihrer Begründung nicht in Frage.
2. Die Berufung ist begründet, soweit das Erstgericht in Ziffer 2 den Annahmeverzug der Beklagten festgestellt (dazu 2.2.) und in Ziffer 4 die Beklagte zur Freistellung des Klägers von den durch die Beauftragung der Prozessbevollmächtigten des Klägers entstandenen Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung verurteilt hat (dazu 2.1.).
2.1. Dem Kläger steht der geltend gemachte Anspruch auf Freistellung von den Kosten der vorgerichtlichen Rechtsverfolgung nicht zu.
(1) Bei der Beurteilung der Frage, ob und in welchem Umfang der dem Geschädigten zustehende Schadensersatzanspruch auch die Erstattung von Rechtsanwaltskosten umfasst, ist zwischen dem Innenverhältnis des Geschädigten zu dem für ihn tätigen Rechtsanwalt und dem Außenverhältnis des Geschädigten zum Schädiger zu unterscheiden. Voraussetzung für einen Erstattungsanspruch im geltend gemachten Umfang ist grundsätzlich, dass der Geschädigte im Innenverhältnis zur Zahlung der in Rechnung gestellten Kosten verpflichtet ist und dass die konkrete anwaltliche Tätigkeit im Außenverhältnis aus der maßgeblichen Sicht des Geschädigten mit Rücksicht auf seine spezielle Situation zur Wahrnehmung seiner Rechte erforderlich und zweckmäßig war (BGH, Urteil vom 19. Oktober 2010 – VI ZR 237/09, Rz. 15; BGH vom 26. Februar 2013, XI ZR 345/10, Rz. 38 zu VIP; BGH, Urteil vom 22.01.2019 – VI ZR 402/17)
Dabei ist auch zu prüfen, ob vertretbare sachliche Gründe für eine rein außergerichtliche Geltendmachung bestanden haben oder ob dadurch lediglich Mehrkosten verursacht worden sind (vgl. BGH, Urteil vom 4. Dezember 2007 – VI ZR 277/06, Rz. 17). Ist der Gläubiger bekanntermaßen zahlungsunwillig und erscheint der Versuch einer außergerichtlichen Forderungsdurchsetzung auch nicht aus sonstigen Gründen erfolgversprechend, sind die dadurch verursachten Kosten nicht zweckmäßig. Insoweit kommt es allerdings auf die (Gesamt-)Umstände des Einzelfalls an, deren Würdigung dem Tatrichter obliegt (vgl. BGH vom 8. Mai 2012 – XI ZR 262/10, WM 2012, 1337 Rn. 70). (BGH vom 26. Februar 2013, XI ZR 345/10, Rz. 38 zu VIP).
Hierbei handelt es sich um echte, vom Geschädigten darzulegende und zu beweisende Anspruchsvoraussetzungen und nicht lediglich um im Rahmen des § 254 BGB bedeutsame, die Ersatzpflicht beschränkende und damit in die Darlegungs- und Beweislast des Schädigers fallenden Umstände (BGH, Urteil vom 27. Juli 2010 – VI ZR 261/09, Rz. 26).
(2) Der Kläger bestritt die erstinstanzlichen Ausführungen der Beklagten, dem Klägervertreter sei die ablehnende Rechtsansicht der Beklagten im Zeitpunkt der außergerichtlichen Geltendmachung des Anspruchs aufgrund der umfassenden Presseberichterstattung bekannt gewesen und eine höchstrichterliche Klärung der relevanten Rechtsfragen habe noch ausgestanden, nicht. Vielmehr bestätigte der Kläger letztlich diese Behauptungen in seiner Berufungserwiderung. Er führte aus, die Beklagte habe sich nämlich in der Öffentlichkeit und nicht zuletzt in vielen individuell versandten Schreiben einer vollständigen und geeigneten Nacherfüllung in Form der Neulieferung verweigert (…). Die Beklagte habe mehrmals deutlich gemacht, dass eine über das ungeeignete Update hinausgehende Erfüllung nicht zu erwarten sei (BE Seite 35).
(3) Die Berufung rügt daher zu Recht, bei verständiger Betrachtung sei von vorneherein nicht damit zu rechnen gewesen sei, dass die Beklagte durch Einschaltung eines Rechtsanwalts zur freiwilligen Zahlung zu bewegen sei.
Soweit der Kläger meint, bereits ein fehlendes vorgerichtliches sofortiges Anerkenntnis oder berechtigte Zweifel an Leistungsbereitschaft und -vermögen, mithin erst recht eine mehrfach geäußerte Verweigerung, begründeten die Annahme einer erforderlichen Einschaltung, irrt er sich.
2.2. Die Berufung greift auch, soweit sie ausführt, die Klagepartei habe der Beklagten das Fahrzeug nicht in einer den Annahmeverzug begründenden Weise angeboten, da die Klagepartei von der Beklagten die Zahlung eines deutlich überhöhten Betrages verlangt und damit kein zur Begründung eines Annahmeverzuges geeignetes Angebot abgegeben habe (BB Seite 29).
Dies ist zutreffend. Der Kläger legte bei der Berechnung des Nutzungsersatzes noch in der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht eine Gesamtfahrleistung von 300.000 km zugrunde, obwohl von einer Gesamtfahrleistung von 250.000 km auszugehen ist. Damit hat er den von ihm zu leistenden Nutzungsersatz zu hoch bemessen und sein Angebot auf Rückgabe des Fahrzeugs von einer unberechtigt zu hohen Forderung abhängig gemacht (vgl. dazu BGH, Urteil vom 02.02.2021 – VI ZR 449/20).
II.
1. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 92 Abs. 2, 97 ZPO.
2. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711, 713, 544 Abs. 2 Nr. 1 ZPO.
III.
Der Streitwert wird gemäß § 3 ZPO auf bis zu 22.000,00 € festgesetzt.


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