Handels- und Gesellschaftsrecht

Schadensersatz wegen Diebstahls von Navigationsgeräten während eines Eisenbahntransports von Neufahrzeugen

Aktenzeichen  15 HK O 4347/15

Datum:
17.10.2016
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 128837
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
München I
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
HGB § 425, § 439, § 449 Abs. 1
BGB § 134, § 242, § 307, § 389, § 398
VVG § 86

 

Leitsatz

1. Ist in einem Transportvertrag individuell vereinbart, dass der Auftraggeber bei einem Schadenseintritt “in jedem Fall zunächst den Schadensverursacher in Anspruch nehmen” werde, kann der Auftraggeber nicht unmittelbar den von ihm beauftragten Eisenbahnfrachtführer in Anspruch nehmen, wenn dieser seinerseits – vertragskonform – mit dem Transport ein Eisenbahnverkehrsunternehmen beauftragt hat und der Verlust oder die Beschädigung der Ware dort eingetreten ist. (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein Eisenbahnverkehrsunternehmen wird als Unterfrachtführer tätig, wenn der eigentliche Eisenbahnfrachtführer einen Zug mit beladenen Waggons zusammenstellt, den das Eisenbahnverkehrsunternehmen sodann mit seiner Lok an einen vom Hauptauftraggeber benannten Empfänger zu befördern hat. (redaktioneller Leitsatz)
3. Lässt der Hauptauftraggeber die ihm aus dem Unterfrachtvertragsverhältnis zedierten Ansprüche verjähren, haftet er dem von ihm beauftragten Frachtführer seinerseits – in zur Aufrechnung berechtigender Weise – auf Schadensersatz wegen Verstoßes gegen seine Schutzpflichten zur Geltendmachung und Wahrung dieser Ansprüche. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits, sowie die Kosten der Streithelfer zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
4. Der Streitwert wird auf 1.810.171,72 € festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet. Dabei kann es offen bleiben, ob die Klägerin aktivlegitimiert ist aufgrund des Forderungsüberganges nach § 86 VVG oder aufgrund der erfolgten Abtretung gemäß § 398 ff. BGB.
Die Klägerin hat keinen Anspruch aus § 425 HGB wegen der vertraglichen Haftungsbegrenzung nach § 2 2.1 Rahmenvertrag vom 07.07.2006 (Anlage K 1). Die Beklagte hat entweder daraus ein fortdauerndes Leistungsverweigerungsrecht oder ein möglicher Schadensersatzanspruch ist wegen erfolgter Aufrechnung mit einem kongruenten gegenläufigen Schadensersatzanspruch erloschen, § 389 BGB.
Grundsätzlich ist die Beklagte vertraglicher Eisenbahnfrachtführer der Versicherungsnehmern der Klägerin, der … AG (Rahmenvertrag K 1). Die Beklagte führte aber die hier streitgegenständlichen Transporte nicht selbst aus, sondern bediente sich eines Eisenbahnverkehrsunternehmens (EVU) nämlich der Firma … AG. Die Beklagte hat in § 2 2.1 Satz 2 die Ersatzansprüche gegen den Schadensverursacher erfüllungshalber abgetreten. Damit ist vereinbart, dass die Beklagte nur subsidiär für mögliche Transportschäden haftet, Primär hat die Klägerin aus der abgetretenen Forderung Befriedigung bei dem Unterfrachtführer, des tatsächlich beauftragten EVU zu suchen, wie in Satz 2 ganz deutlich ausformuliert ist.
1. Die Klausel des § 2 2.1 Rahmenvertrag ist nicht unwirksam gemäß § 307 BGB. Bei dem Rahmenvertrag handelt es sich erkennbar um eine Individualvereinbarung und nicht um vorformulierte für eine Vielzahl von Verträgen verwendete Vertragsbedingungen. Dies ergibt sich sowohl aus der Formulierung des Vertragswerkes als auch aus der Aussage des Zeugen … in seiner Beweisaufnahme. Der Zeuge … sagte bei seiner Einvernahme aus, dass er den Vertrag wie auch aus den Vertragskürzeln zu entnehmen ist, seinerzeit für die … Group AG ausgehandelt und abgeschlossen hat. Von dem Vorliegen einer Individualvereinbarung abgesehen, ist auch unstreitig, dass der Vertrag von der … AG der Beklagten vorgelegt wurde und es ist in Literatur und Rechtsprechung völlig unstreitig, dass sich der Verwender von Vertragsklauseln nicht auf unwirksame Klauseln darin berufen kann.
Auch ist die Klausel nicht nach § 134 BGB unwirksam weil sie im Widerspruch der gesetzlichen Haftung nach §§ 425 ff. HGB steht, § 449 Abs. 1 HGB. Denn durch die Klausel ist keine entgegen der gesetzlichen Forderung bestehende Haftungseinschränkung oder gar Haftungsausschluss des Frachtführers vereinbart, sondern die gesetzliche Haftung bleibt bestehen. Durch die Vorausabtretung ist die … AG nur verpflichtet, zunächst bei einem Dritten, hier dem Unterfrachtführer, an den sie sich die gesetzlichen vertraglichen Ansprüche abtreten ließ, Anspruchsbefriedigung zu suchen. Wenn dort keine Realisierung möglich ist, kann die … AG selbstverständlich den Schaden bei der Beklagten weiter geltend machen. Die Beklagte als Frachtführer steht nach wie vor in der Verantwortung für Transportschäden, nur eben nicht an erster Stelle, sondern an zweiter Stelle. Dies ergibt sich aus dem Rechtsinstituts der Anspruchsabtretung erfüllungshalber.
Die Klausel in § 2 2.1 ist daher nach Auffassung des Gerichts nicht rechtswidrig sondern lässt die gesetzliche Haftung grundsätzlich unberührt.
Die Klägerin hätte daher als Rechtsnachfolgerin der … AG gemäß § 398 ff. BGB zunächst den Unterfrachtführer, d.h. den tatsächlichen Frachtführer, der die hier streitgegenständlichen Transporte durchgeführt hat, in Anspruch nehmen müssen. Dieses hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 22.01.2016 (Anlage K 31 und K 32) getan. Beide Streithelfer haben aber die Inanspruchnahme wegen Verjährungeintritts gemäß § 439 HGB berechtigt zurückgewiesen.
2. Die Streithelferin zu 1) ist auch tatsächlich Unterfrachtführer für die hier streitgegenständlichen Transporte im Februar 2014 bzw. April 2014. Bei der Tätigkeit der Streithelferin zu 1) handelt es sich nicht um reines Trucking bzw. um einen Lohnfuhrvertrag, sondern es handelt sich tatsächlich um einen Unterfrachtvertrag zwischen der Beklagten und der Firma … AG. Der BGH hat in seinem Beschluss vom 04.04.2016 (Az. I ZR 102/15) festgestellt, dass ein Transportvertrag dann vorliegt, wenn der Auftragnehmer verpflichtet ist, den Transporterfolg herbeizuführen. Dann wird er zum Frachtführer. Im vorliegenden Fall war die Streithelferin zu 1) verpflichtet, den Zug mit der Transportware zum Warenempfänger die Firma … nach Cuxhaven bzw. Bremerhaven zu verbringen. Dies ergibt sich aus den Anweisungen für die streitgegenständlichen Transporttage (Anlage zum Sitzungsprotokoll vom 18.07.2016), die der Zeuge … bei seiner persönlichen Einvernahme mitbrachte und wie sie auch vom Zeugen … bestätigt wurden. Die Beklagte und die Streithelferin zu 1) trugen überzeugend vor, dass die Streithelferin zu 1 von der Beklagten den jeweils einzelnen Transportauftrag erhielt und die Benachrichtigung, sobald ein Waggonzug von der … AG gebildet, d.h. die entsprechenden Waggons beladen waren und zur Abfahrt bereitstanden. Die Streithelferin zu 1) wurde dann von der Beklagten – unter Benachrichtigung der … AG – dann tatsächlich beauftragt, diesen Zug mit ihrer Lok an die Empfängerin in Bremerhaven bzw. Cuxhaven zu befördern. Daraus ergibt sich für das Gericht unzweifelhaft, dass die Firma …. AG Unterfrachtführerin der Beklagten für die hier streitgegenständlichen Transporte gewesen ist.
3. Der Einwand der Klägerin, dass sich die Beklagte aus § 242 BGB, aus dem Grundsatz nach Treu und Glauben nicht auf den Unterfrachtführer … AG berufen dürfte, verfängt nicht. Denn tatsächlich ist bereits im Rahmenvertrag sowohl in § 1 wie auch in § 3.1 und § 4 die Einbindung von EVU’s bei den Transporten der Beklagten genannt. Sowohl der Zeuge … als auch der Zeuge … die beide bei der … AG beschäftigt waren, führten in ihrer Zeugeneinvernahme aus, dass die … AG wusste, dass die Firma … die Beklagte kein EVU-Unternehmen ist und selbst keine EVU-Leistungen erbringen konnte. Daraus ergibt sich zwangsläufig, dass die Beklagte ein anderes EVU-Unternehmen mit dem tatsächlichen Transport auf der Schiene beauftragen musste und auch tatsächlich hat. Auch hat die Streithelferin zu 1) unwidersprochen vorgetragen, dass es jeweils zwischen der … AG und ihr Absprachen betreffend der einzelnen Transporte gegeben hat. Dies ergibt sich aus den Transportberichten, die in der Beweisaufnahme vorgelegt wurden. Auch kann die Klägerin nicht damit gehört werden, dass der Adressat, Herr … bei der … AG kein gesetzlicher Vertreter der … AG sei. Denn es kommt nicht darauf an, ob der gesetzliche Vertreter der … AG die einzelnen Transportzüge mit Abfahrtszeiten und Nummern kennt, sondern allgemein die Durchführung der Transportleistungen durch den Unterfrachtführer nämlich eines EVU-Unternehmens wie hier die Firma … AG. Dieses ist, wie oben ausgeführt, durch den Rahmenvertrag bereits festgelegt worden.
Der Zeuge … der die tatsächliche Abwicklung von Transportschäden durch die Firma … GmbH einer 100%-igen Tochter der … AG durchführt und abwickelt, führte aus, dass er nicht wusste, dass nicht die Firma … Altmann selbst die Transportleistungen erbringt sondern diese einen Unterfrachtführer einsetzt. Der Zeuge führte aus, dass bei Schäden auf der Straße jeweils die Firma …, d.h. die Beklagte in Anspruch genommen wurde, was kein Widerspruch ist. Bei den zwei im Jahre 2014 vorgenommenen Schäden, die bei einem Schienentransport verursacht wurden, hat die Beklagte ebenfalls die geltend gemachten Schadensersatzansprüche abgelehnt. Dem Zeugen ist allerdings zuzugestehen, dass bei diesen Ablehnungen die Beklagte nicht auf den Rahmenvertrag und die genaue Klausel wie hier § 2 hingewiesen hat. Allerdings ist die Unkenntnis des Zeugen über die einzelnen Klauseln des Rahmenvertrages nicht der Beklagten anzulasten, sondern es liegt allein im Verantwortungsbereich der Schadensabwicklerin, hier der … Wirtschaftsagentur, sich über die zugrunde liegenden Transportnahmenverträge zu informieren und entsprechende vereinbarte Klauseln zu beachten.
Auch sieht das Gericht keinen Verstoß gegen § 242 BGB – dem Vertrauensgrundsatz – darin, dass die Beklagte nicht von Anfang an, d.h. bereits bei der ursprünglichen Inanspruchnahme der Beklagten, nicht auf diese Klausel im Rahmenvertrag Hingewiesen hat, sondern diese erst mit der Klageerwiderung im Rechtsstreit einführte. Denn unstreitig hat die Klägerin bereits den Rahmenvertrag vom 07.07.2006, hier Anlage K 1, im vollständigen Umfang vorliegen gehabt, so dass die Klägerin auch unschwer den entsprechenden § 2 zur Kenntnis hätte nehmen können.
Zusammenfassend sieht das Gericht daher eine vertragliche Pflicht der Klägerin zunächst im unverjährten Zeit aus den voraus abgetretenen Ansprüchen gegen den tatsächlichen Unterfrachtführer vorzugehen. Denn der Beklagten droht vollständiger Anspruchsverlust, obwohl die geltend gemachten Schäden keinesfalls in ihrer Obhut verursacht wurden. Denn ihr vertraglicher Haftungsanspruch aus dem Frachtvertrag gegen der Unterfrachtführer, die Streithelferin zu 1) den sie voraus abgetreten hat, kann nicht mehr verwirklicht werden, auch bei einer Rückabtretung, nachdem zwischenzeitlich gemäß § 439 HGB Verjährung eingetreten ist. Die Versicherungsnehmerin der Klägerin, die … AG, hat daher gegen ihre Schutzpflichten zur Geltendmachung und Wahrung der voraus abgetretenen, aus dem Unterfrachtvertrag herrührenden Schadensersatzpflicht verstoßen (übergegangen auf die Klägerin gem. § 407 BGB). Einen möglichen Schadensersatzanspruch der Klägerin aus den streitgegenständlichen Transporten gegen die Beklagte steht somit ein gleichwertiger kongruenter Schadensersatz der Beklagten gegen die Klägerin in gleicher Höhe entgegen, weil die Klägerin die aus dem Unterfrachtvertragsverhältnis zedierten Ansprüche hatte verjähren lassen. Eine entsprechende Aufrechnungserklärung ist durch die Beklagte erfolgt und ist als rechtsvernichtender Einwand anzusehen (wie hier im Ergebnis BGH NJW 2001, 517 und BGH NJW 1996, 1961, BGH vom 29.03.2007 III ZR 68/06).
Insgesamt ist daher die Klage unbegründet, ohne dass es auf die tatsächlichen schadensbegründenden Umstände eines möglichen Transportschadens ankäme.
Kosten: §§ 91, 101, 74 ZPO.
Vorläufige Vollstreckbarkeit: § 709 Satz 1 ZPO.


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