Handels- und Gesellschaftsrecht

Vertretung der Aktiengesellschaft in Abwicklung bei Anfechtungsklage gegen Beschlüsse der Hauptversammlung

Aktenzeichen  23 U 2693/18

Datum:
9.5.2019
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 8356
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
AktG § 78 Abs. 1 S. 1, § 246 Abs. 2 S. 2, § 268 Abs. 2 S. 1, § 273

 

Leitsatz

1. Eine Berufung ist unzulässig, wenn sie nicht durch einen von der Beklagten bevollmächtigten Rechtsanwalt eingelegt wird. Liegt eine wirksame Prozessvollmacht bei der Einlegung des Rechtsmittels nicht vor, so ist dieses als unzulässig zu verwerfen.  (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Erteilung einer Prozessvollmacht für die Gesellschaft im Beschlussmängelrechtsstreit durch den Abwickler allein ist nicht ausreichend. Nach § 246 Abs. 2 S. 2 AktG wird die Aktiengesellschaft nach dem Prinzip der Doppelvertretung gegenüber der Anfechtungsklage durch Vorstand und Aufsichtsrat vertreten. Dies gilt auch für die Abwicklungsgesellschaft.   (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
3. Nach der Rechtsprechung des BGH kann in Fällen der gesetzlichen Vertretung der Rechtsstreit trotz des Mangels in der Vertretung auch im Rechtsmittelverfahren fortgesetzt werden. Dies gilt jedoch nicht, wenn es um einen Mangel der gewillkürten Vertretung einer Partei im Prozess geht, da die Partei es in der Hand hat, durch Erteilung einer ordnungsgemäßen Vollmacht den Streit darüber, ob eine wirksam erteilte Vollmacht vorgelegen hat, für die Rechtsmittelinstanz von vornherein auszuräumen, ohne insoweit ein Risiko über die Zulässigkeit des Rechtsmittels einzugehen.   (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
4. Da die Prozessführung ein einheitliches Ganzes ist, kann eine nachträgliche Genehmigung nicht auf einen Teil der Prozesshandlungen oder die Vorinstanz beschränkt werden. Der gesetzliche Vertreter muss entscheiden, ob er die bisherige Prozessführung insgesamt genehmigt oder die Folgen der Prozessunfähigkeit geltend macht. Schränkt er die Genehmigung ein, so ist die eingeschränkte Genehmigung unwirksam.  (Rn. 34 – 35) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

5 HK O 4981/16 2019-03-21 ZwU LGMUENCHENI LG München I

Tenor

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Zwischenurteil des Landgerichts München I vom 29.06.2018, Az. 5 HK O 4981/16, wird verworfen.
2. Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
3. Dieses Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleitung in Höhe von 110% des aus diesem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages leisten.
4. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.

Gründe

II.
1. Die Berufung ist unzulässig, da sie nicht durch einen von der Beklagten bevollmächtigten Rechtsanwalt eingelegt wurde. Eine wirksame Prozessvollmacht ist Prozessvoraussetzung. Liegt sie bei der Einlegung des Rechtsmittels nicht vor, so ist dieses als unzulässig zu verwerfen (BGH, Urteil vom 08.05.1990, VI ZR 321/89, juris Tz. 7).
1.1. Die Berufung wurde mit Schriftsatz der postulationsfähigen Rechtsanwälte Dr. F. vom 06.08.2018 eingelegt, § 78 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Diese waren zum Zeitpunkt der Einlegung der Berufung hierzu nicht bevollmächtigt.
1.2. Zwar reicht es aus, wenn die Beklagte zu einem Zeitpunkt, als sie noch eine prozessfähige Gesellschaft war, einen Rechtsanwalt mit ihrer Vertretung beauftragt, da eine solche Vollmacht gemäß § 86 ZPO durch den Verlust der Prozessfähigkeit des Vollmachtgebers nicht berührt wird, unabhängig davon, ob diese Veränderung vor oder nach dem Eintritt der Rechtshängigkeit stattgefunden hat (BGH, Beschluss vom 06.02.2019, VII ZB 78/17, juris Tz. 23). Die Beklagte hat der Kanzlei Dr. F. am 12.01.2014 oder 12.01.2016 jedoch keine wirksame Prozessvollmacht erteilt, da diese Vollmacht nicht von den gesetzlichen Vertretern der Beklagten erteilt wurde.
1.2.1. Unstreitig befindet sich die Beklagte seit 2001 in Liquidation. Es kann daher dahingestellt bleiben, ob die als Anlage B 3 vorgelegte Vollmacht am 12.01.2016 oder am 12.01.2014 erteilt wurde, da die Beklagte zu beiden Zeitpunkten nach § 268 Abs. 2 Satz 1, § 78 Abs. 1 Satz 1 AktG von ihrem Abwickler vertreten wurde.
1.2.2. Die Erteilung einer Prozessvollmacht durch den Abwickler allein war jedoch vorliegend nicht ausreichend. Nach § 246 Abs. 2 Satz 2 AktG wird die Aktiengesellschaft nach dem Prinzip der Doppelvertretung gegenüber der Anfechtungsklage durch Vorstand und Aufsichtsrat vertreten. Dies gilt auch für die Abwicklungsgesellschaft (BGH, Urteil vom 10.03.1960, II ZR 56/59, NJW 1960, 1006 zur Genossenschaft; Hüffer/Schäfer in MüKo, AktG, 4. Aufl., § 246 Rdnr. 56; Koch in Hüffer/Koch, AktG, 13. Aufl., § 246 Rdnr. 31). Das Erfordernis der Doppelvertretung ist bei allen Prozesshandlungen zu beachten und gilt auch für die Erteilung einer Prozessvollmacht für eine Anfechtungsklage (OLG Hamburg, Beschluss vom 06.02.2003, 11 W 9/03, juris; Koch in Hüffer/Koch, a.a.O., § 246 Rdnr. 31; Hüffer/Schäfer in MüKo, AktG, § 246 Rdnr. 55). Die Vollmacht wurde lediglich von dem damaligen Abwickler unterzeichnet. Zwar kann eine Prozessvollmacht auch formlos erteilt werden (BGH, Beschluss vom 14.06.1995, XII ZB 144/94, juris Tz. 5; Althammer in Zöller, ZPO, 32. Aufl., § 80 Rdnr. 5). Dass ein Mitglied des Aufsichtsrates an der Erteilung der Prozessvollmacht beteiligt war, ist jedoch weder von den Parteien vorgetragen noch sonst ersichtlich.
1.2.3. Ob die Vollmacht wirksam erteilt wurde, ist danach zu beurteilen, wer zum Zeitpunkt der Vollmachtserteilung vertretungsberechtigt war. Es ist damit unerheblich, dass der damalige Abwickler nach Vollmachtserteilung zum aktuell vertretungsberechtigten Nachtragsliquidator bestellt wurde.
1.3. Die Kanzlei Dr. F. war bei Einlegung der Berufung am 06.08.2018 hierzu auch nicht aufgrund der Vollmacht vom 19.03.2019 bevollmächtigt.
1.3.1. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann in Fällen der gesetzlichen Vertretung der Rechtsstreit trotz des Mangels in der Vertretung auch im Rechtsmittelverfahren fortgesetzt werden. Dies gilt jedoch nicht, wenn es um einen Mangel der gewillkürten Vertretung einer Partei im Prozess geht, da die Partei es in der Hand hat, durch Erteilung einer ordnungsgemäßen Vollmacht den Streit darüber, ob eine wirksam erteilte Vollmacht vorgelegen hat, für die Rechtsmittelinstanz von vornherein auszuräumen, ohne insoweit ein Risiko über die Zulässigkeit des Rechtsmittels einzugehen (BGH, a.a.O., juris Tz. 9).
1.3.2. Die Beklagte, vertreten durch ihren mit Beschluss des Amtsgerichts Landshut vom 19.12.2016 bestellten Nachtragsliquidator, hat der Kanzlei Dr. F. am 19.03.2019, somit nach Einlegung der Berufung am 06.08.2019, eine Prozessvollmacht erteilt. Der Nachtragsliquidator war am 19.03.2019 als gesetzlicher Vertreter der Beklagten zur Erteilung der Vollmacht befugt.
1.3.3. Der Nachtragsliquidator als gesetzlicher Vertreter der Beklagten hat die Einlegung der Berufung durch die vollmachtlose Kanzlei Dr. F. nicht wirksam genehmigt.
1.3.3.1. Der Mangel der Vollmacht bei Einlegung eines Rechtsmittels kann durch Genehmigung des Vertretenen, die auch in der Erteilung einer Prozessvollmacht liegen kann, mit rückwirkender Kraft geheilt werden, soweit noch nicht ein das Rechtsmittel als unzulässig verwerfendes Prozessurteil vorliegt (GemS der obersten Gerichtshöfe des Bundes, Beschluss vom 17.04.1984, GmS-OGB 2/83, juris Tz. 13).
1.3.3.2. Eine ausdrückliche Genehmigung der Prozessführung durch den gesetzlichen Vertreter der Beklagten ist nicht erfolgt.
1.3.3.3. Durch Erteilung der Vollmacht am 19.03.2019 wurde die bisherige Prozessführung durch die Kanzlei Dr. F. nicht rückwirkend genehmigt, da die Genehmigung auf die 2. Instanz beschränkt wurde und damit keine wirksame Genehmigung vorliegt.
1.3.3.3.1. Vorliegend wurde die Prozessführung lediglich beschränkt genehmigt.
Die Vollmacht vom 19.03.2019 wurde ausweislich des Vollmachtsformulars erteilt wegen „Berufung gegen das Urteil des LG München I vom 29.06.2018“. Der Beklagtenvertreter hat in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, die Erteilung der Prozessvollmacht solle eine Genehmigung der Prozessführung lediglich für die 2. Instanz darstellen. Anhaltspunkte, die für eine Genehmigung der vollständigen bisherigen Prozessführung sprechen, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Insoweit ist insbesondere zu berücksichtigen, dass die Zustellung der Klageschrift an das Aufsichtsratsmitglied Anna-Maria H. am 26.04.2016 und die Kanzlei Dr. F. am 12.05.2016 unwirksam war, da die Beklagte am 05.04.2016 im Handelsregister gelöscht wurde. Da unstreitig noch verwertbares Vermögen der Beklagten vorhanden war, bestand die Beklagte als Nachgesellschaft fort und war noch parteifähig (BGH, Urteil vom 25.10.2010, II ZR 115/09, juris Tz. 22; Bachmann in Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl. § 262 Rdnr. 92; Koch in MüKo, a.a.O. § 273 Rdnr. 14), jedoch nicht mehr prozessfähig (Koch in Hüffer/Koch, a.a.O., § 273 Rdnr. 9; Bachmann, a.a.O., § 273 Rdnr. 30; Koch in MüKo, a.a.O., § 273 Rdnr. 17). Da die Vollmacht vom 12.01.2014 bzw. 12.01.2016 nicht wirksam war (s. Ziffer 1.2.), konnte diese nicht nach § 86 ZPO fortwirken. Durch eine Genehmigung der gesamten bisherigen Prozessführung würde dieser Zustellungsmangel geheilt. Da die Beklagte mit ihrer Berufung beanstandet, das Landgericht sei fehlerhaft von einer wirksamen Zustellung ausgegangen, ist nicht anzunehmen, dass die Beklagte den Zustellungsmangel durch eine vollständige Genehmigung heilen möchte.
1.3.3.3.2. Da die Prozessführung ein einheitliches Ganzes ist, kann die Genehmigung nicht auf einen Teil der Prozesshandlungen beschränkt werden (RG, Urteil vom 23.02.1925, RGZ 47, 228, 230/231; Lindacher in MüKo ZPO, 5. Aufl., § 52 Rdnr. 42). Der gesetzliche Vertreter muss entscheiden, ob er die bisherige Prozessführung insgesamt genehmigt oder die Folgen der Prozessunfähigkeit geltend macht. Schränkt er die Genehmigung ein, so ist die eingeschränkte Genehmigung unwirksam (RG, a.a.O. BGH, Beschluss vom 19.07.1984, X ZB 20/83, juris Tz. 13).
Die Genehmigung kann auch nicht auf die Prozesshandlungen einer Instanz beschränkt werden. Entgegen der Ansicht der Beklagten kann daraus, dass eine Prozessvollmacht isoliert für die 2. Instanz erteilt werden kann, nicht geschlossen werden, dass auch die Genehmigung auf die Prozesshandlungen der 2. Instanz beschränkt werden kann. Die 1. und die 2. Instanz bilden ein einheitliches Verfahren. Einer zunächst vollmachtlos vertretenen Partei kann es nicht überlassen bleiben, Prozesshandlungen des vollmachtlosen Vertreters im Berufungsverfahren zu genehmigen und Prozesshandlungen der 1. Instanz von der Genehmigung auszunehmen, wenn sich die in der 2. Instanz vorgenommenen Prozesshandlungen zu ihren Gunsten und die in der 1. Instanz vorgenommenen Prozesshandlungen zu ihren Ungunsten auswirken. Die Rechtssicherheit erfordert, die Genehmigung nur dann als rechtswirksam anzusehen, wenn sie sich auf die gesamte Verfahrensführung des nicht bevollmächtigten Vertreters erstreckt. Soweit die Beklagte in ihrem Schriftsatz vom 25.04.2019 ausführt, sofern die Beklagte sich für die Berufung eines anderen Prozessbevollmächtigten bediene, stünde nicht im Raum, dass die Beauftragung eines neuen Prozessbevollmächtigten, dessen Prozesshandlungen im Nachhinein genehmigt werden müssen, die Wirksamkeit der Prozesshandlungen der Prozessbevollmächtigten aus der 1. Instanz tangiere, ist zu berücksichtigen, dass nur dann kein Raum für eine Genehmigung der Prozesshandlungen des Prozessbevollmächtigten der 1. Instanz ist, sofern dieser ordnungsgemäß bevollmächtigt war. War dieser nicht ordnungsgemäß bevollmächtigt, kann auch bei einem Wechsel des Prozessbevollmächtigten die Genehmigung nur insgesamt erteilt und nicht auf eine Instanz beschränkt werden. Auch aus der Entscheidung des gemeinsamen Senats der Obersten Gerichtshöfe (GemS der obersten Gerichtshöfe des Bundes, Beschluss vom 17.04.1984, GmS-OGB 2/83, juris) ergibt sich nicht, dass die Genehmigung auf die in einer Instanz vorgenommenen Prozesshandlungen beschränkt werden kann. Dort wird lediglich ausgeführt, dass eine rückwirkende Genehmigung dann nicht mehr möglich ist, wenn ein das Rechtsmittel als unzulässig verwerfendes Prozessurteil vorliegt. Es ist auch kein Grund ersichtlich, weshalb der Beklagten ermöglicht werden müsste, lediglich die Prozessführung der 2. Instanz zu genehmigen. Insbesondere findet – entgegen der Ansicht der Beklagten – keine Verkürzung des effektiven Rechtsschutzes statt. Zwar muss es der Beklagten, die sich in der 1. Instanz darauf berufen hat, keine wirksame Prozessvollmacht erteilt zu haben, ermöglicht werden, das mangels Rechtshängigkeit wirkungslose Urteil des Landgerichts mit der Berufung anzufechten, um die formelle Rechtskraft des Urteils zu beseitigen (BGH NJW-RR 2006, 565, 566). Hierfür hätte sie jedoch bereits vor Einlegung der Berufung Vollmacht erteilen können und müssen. Diese Vollmacht wäre ab Erteilung wirksam und die Frage der Beschränkung der Genehmigung auf die in der 2. Instanz vorgenommenen Prozesshandlungen würde sich dann nicht stellen.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Die Kosten sind der Beklagten und nicht deren Prozessbevollmächtigten aufzuerlegen, da die Beklagte wegen der Erteilung der Prozessvollmacht vom 19.03.2019 und der (unwirksamen) Genehmigung der Prozesshandlungen als Veranlasser anzusehen ist (vgl. Althammer in Zöller, ZPO, 32. Aufl., § 88 Rdnr. 11).
3. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10 Satz 1, 711 ZPO.
4. Die Revision war nach § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO nicht zuzulassen, es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung ohne grundsätzliche Bedeutung.
Verkündet am 09.05.2019


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