Handels- und Gesellschaftsrecht

Zahlungsanspruch aus Gesamtschuldnerschaft wegen Steuerschulden bei grenzüberschreitender Gestellung von Arbeitskräften

Aktenzeichen  23 U 1788/17

Datum:
28.9.2017
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 130113
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
ZPO § 256 Abs. 1, § 533, § 540 Abs. 1 S. 2
EuGVVO Art. 4 Abs. 1, Art. 26 Abs. 1 S. 1, Art. 63 Abs. 1
BGB § 195, § 199, § 286 Abs. 1, Abs. 2, § 288 Abs. 1, § 291, § 421 S. 1, § 426 Abs. 1 S. 1
AO § 44
EStG-Österreich § 98 Nr. 3, § 99 Abs. 1 Nr. 5, § 100 Abs. 2 S. 2

 

Leitsatz

1 Eine Gesamtschuldnerschaft ist auch in den Fällen möglich, in denen es sich jeweils im Außenverhältnis gegenüber dem Gläubiger um öffentlich-rechtliche Pflichten handelt (ebenso BGH BeckRS 2015, 00033). (Rn. 9) (red. LS Andy Schmidt)
2 Aus dem hier nicht unmittelbar anwendbaren § 44 AO lässt sich der allgemeine Grundsatz ableiten, dass im deutschen Recht Haftungs- und Steuerschuldner als Gesamtschuldner anzusehen sind. (Rn. 12) (red. LS Andy Schmidt)
3 Der Anspruch nach § 426 Abs. 1 BGB unterliegt der dreijährigen Regelverjährung nach §§ 195, 199 BGB und entsteht bereits mit der Begründung des Gesamtschuldverhältnisses. (Rn. 17) (red. LS Andy Schmidt)

Verfahrensgang

1 HK O 4388/16 2017-04-21 Urt LGTRAUNSTEIN LG Traunstein

Tenor

I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Traunstein, Az. 1 HK O 4388/16 vom 21.04.2017 abgeändert wie folgt:
„a. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 12.331,09 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 26.01.2017 zu bezahlen.“
b. Es wird festgestellt, dass die Beklagte gegenüber der Klägerin in voller Höhe ausgleichspflichtig ist, soweit die Klägerin als Haftungsschuldnerin in Zukunft von österreichischen Finanzbehörden verpflichtet wird, weitere € 2.466,22 als von der Beklagten gemäß §§ 99,100 österreichischem Einkommensteuergesetz geschuldete Abzugsteuer für die grenzüberschreitende Arbeitskräfteüberlassung aus dem Arbeitnehmerüberlassungsvertrag zwischen der Klägerin und der Beklagten vom 11.10.2012 zu bezahlen.
II. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen und bleibt die Klage abgewiesen.
III. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
V. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.
Das Landgericht, auf dessen tatsächliche Feststellungen nach § 540 Abs. 1 Satz 2 ZPO Bezug genommen wird, hat die Klage abgewiesen.
Dagegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Berufung und beantragt zuletzt,
unter Abänderung des am 21.04.2017 verkündeten Urteils des Landgerichts Traunstein, Az. 1 HK O 4388/16, die Beklagte zu verurteilen,
a) an die Klägerin 12.331,09 Euro nebst Zinsen in Höhe von 8% über dem Basiszinssatz seit 18.05.2016 zu bezahlen sowie
b) festzustellen, dass die Beklagte gegenüber der Klägerin in voller Höhe ausgleichspflichtig ist, soweit die Klägerin als Haftungsschuldnerin in Zukunft von österreichischen Finanzbehörden verpflichtet wird, weitere € 2.466,22 als von der Beklagten gemäß §§ 99,100 österreichischem Einkommensteuergesetz geschuldete Abzugssteuer für die grenzüberschreitende Arbeitskräfteüberlassung aus dem Vertrag Anlage K3 zu bezahlen.
Die Beklage beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
II.
Die zulässige Berufung hat im Wesentlichen Erfolg. Zurückzuweisen war die Berufung nur teilweise bezüglich Zinshöhe und Zinsbeginn.
1. Der Senat ist nach Art. 4 Abs. 1, Art. 63 Abs. 1 EuGVVO international zuständig, da die Beklagte in Deutschland ihren Sitz hat. Zudem hat sich die Beklagte rügelos eingelassen, Art. 26 Abs. 1 Satz 1 EuGVVO.
2. Der Klägerin steht ein Zahlungsanspruch in Höhe von 12.331,09 Euro aus § 426 Abs. 1 BGB gegen die Beklagte zu.
2.1. Auf einen etwaigen Ausgleichsanspruch ist deutsches Recht anwendbar. Unstreitig haben die Parteien in Ziff. 12 des Arbeitnehmerüberlassungsvertrags i.V.m. Ziff. 12 der Allgemeinen Vertragsbedingungen die Anwendbarkeit deutschen Rechts vereinbart. Die Parteien haben im Rechtsstreit auch ihren Willen hinreichend deutlich zum Ausdruck gebracht, das streitige Rechtsverhältnis insgesamt der deutschen Rechtsordnung zu unterwerfen, einschließlich etwaiger Ausgleichsansprüche (vgl. zu einer derart umfassenden Rechtswahl BGH, Urteil vom 18.11.2014, KZR 15/12, juris Tz. 27).
2.2. Die Klägerin und die Beklagte sind nach deutschem Recht Gesamtschuldner i.S. § 421 BGB.
2.2.1. Eine Gesamtschuldnerschaft ist auch dann möglich, wenn es sich jeweils im Außenverhältnis gegenüber dem Gläubiger um öffentlich-rechtliche Pflichten handelt (BGH, Urteil vom 18.11.2014, KZR 15/12, juris Tz. 31).
2.2.2. Die Klägerin und die Beklagte schulden jeweils eine Leistung in der Weise, dass jeder die ganze Leistung zu bewirken verpflichtet ist, der Gläubiger diese aber nur einmal fordern kann, § 421 Satz 1 BGB. Gemäß § 98 Ziff. 3 EStG-Österreich unterliegen die Einkünfte aus der Gestellung von Arbeitskräften zur inländischen Arbeitsausübung der beschränkten Einkommensteuerpflicht, auch wenn keine inländische Betriebsstätte unterhalten wird. Nach § 99 Abs. 1 Ziff. 5 EStG-Österreich wird diese Steuer durch Steuerabzug erhoben. Schuldner der Abzugsteuer ist der Empfänger der Einkünfte gemäß § 100 Abs. 2 Satz 1 EStG-Österreich, vorliegend also die Beklagte. Der Schuldner dieser Einkünfte, hier also die Klägerin, haftet für die Einbehaltung und Abfuhr dieser Steuerabzugsbeträge, § 100 Abs. 2 Satz 2 EStG-Österreich.
2.2.3. Eine Gesamtschuld i.S. § 421 BGB setzt ferner eine Gleichstufigkeit zwischen den jeweiligen Verpflichtungen voraus. Daran fehlt es, wenn sich aus der rechtlichen Ausgestaltung einer der in Frage kommenden Verpflichtungen im Außenverhältnis zum Gläubiger ergibt, dass diese nur für die Liquidität einer der anderen Verpflichtungen begründet wurde, mithin ihr Leistungszweck gegenüber dieser anderen Verpflichtung sich als vorläufig und / oder subsidiär und somit nachrangig darstellt (BGH NJW 2007, S. 1208, 1210).
Vorliegend sind die Haftungsschuld der Klägerin und die Steuerschuld der Beklagten gleichstufig im vorgenannten Sinn. Weder ist die Haftung der Klägerin vorläufig, noch ist der österreichische Fiskus gezwungen, vorab die Steuerschuld bei der Beklagten einzufordern. Zudem lässt sich aus dem – hier nicht unmittelbar anwendbaren – § 44 AO jedenfalls der allgemeine Grundsatz ersehen, dass im deutschen Recht Haftungs- und Steuerschuldner als Gesamtschuldner anzusehen sind (so BGH DStR 2012, S. 527, 530 m.w.N; Drüen in Tipke/Kruse, AO, 149. Lieferung 2017, § 44 AO Rz. 11 und Rz. 5; a.A. Koenig, AO, 3. Aufl, § 44 Rz. 7).
2.3. Aufgrund der konkreten Ausgestaltung im Innenverhältnis der Parteien kann die Klägerin in vollem Umfang – und nicht nur anteilig, wie in § 426 Abs. 1 Satz 1 BGB als Regelfall vorgesehen – von der Beklagten Ausgleich verlangen.
Die Klägerin hat die gesamte Abzugsteuer in Höhe von 12.331,09 Euro unstreitig an den österreichischen Fiskus gezahlt, wodurch auch die Beklagte von ihrer Verpflichtung zur Zahlung der Steuer frei wurde. Steuerschuldnerin in vollem Umfang war jedoch die Beklagte. Die Beklagte führt selbst aus, die Klägerin hätte von den Rechnungen der Klägerin 20%, also insgesamt 12.331,09 Euro, einbehalten müssen, um damit die Abzugsteuer an den österreichischen Fiskus abzuführen (Schriftsatz vom 20.02.2017, S. 2, Bl. 13 d.A.). Somit geht auch die Beklagte davon aus, dass ihr im Verhältnis zur Klägerin nur 80% der Rechnungsbeträge zustehen. Im Übrigen hätte es allein die Beklagte in der Hand gehabt, durch Beantragung eines Befreiungsbescheids beim Finanzamt Bruck Eisenstadt Oberwart die Abzugsteuer zu vermeiden.
Ob sich die Klägerin möglicherweise nach Art. 27 Abs. 1 Satz 2 des Abkommens zwischen der Republik Österreich und der Bundesrepublik Deutschland zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern von Einkommen und Vermögen die Abzugsteuer wieder erstatten lassen kann, ist letztlich ohne Belang.
2.4. Der Anspruch ist nicht verjährt.
Der Anspruch nach § 426 Abs. 1 BGB unterliegt der dreijährigen Regelverjährung nach §§ 195, 199 BGB und entsteht bereits mit der Begründung des Gesamtschuldverhältnisses (BGH NJW-RR 2006, S. 1718; BGH, NJW 2010, S. 60, 61). Er besteht zunächst als Mitwirkungs- und Befreiungsanspruch und wandelt sich mit der Befriedigung des Gläubigers in einen Zahlungsanspruch um (BGH NJW 2010, S. 60, 61). Die Verjährung beginnt indessen nach § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB erst, wenn der Ausgleichsberechtigte Kenntnis aller Umstände hat, die einen Ausgleichsanspruch begründen. Dazu gehören Kenntnisse von den Umständen, die einen Anspruch des Gläubigers gegen den Ausgleichsverpflichteten begründen, von denjenigen, die einen Anspruch des Gläubigers gegen ihn selbst begründen, sowie von denjenigen, die das Gesamtschuldverhältnis begründen und im Innenverhältnis zu einer Ausgleichspflicht führen (BGH NJW 2010, S. 60, 62).
Vorliegend wusste die Klägerin zwar bereits 2012 bzw. 2013, dass sie selbst die Abzugsteuer nicht entrichtet hat. Indessen erfuhr die Klägerin erst mit Erlass der Haftungsbescheide durch das Finanzamt (Anlagen K 6 a und K 6 b) im Jahr 2016, dass auch die Beklagte ihre Steuerschuld nicht erfüllt hatte und damit eine Gesamtschuld zwischen Klägerin und Beklagter bestand. Auch eine grob fahrlässige Unkenntnis der Klägerin hiervon sieht der Senat nicht.
Die Verjährungsfrist begann daher erst am 31.12.2016.
3. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Prozesszinsen nach §§ 288 Abs. 1, 291 BGB ab Rechtshängigkeit in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz.
Im Übrigen verbleibt es bei der Klageabweisung durch das Landgericht. Die Voraussetzungen für einen Verzug nach § 286 Abs. 1, 2 BGB, insbesondere eine Mahnung nach Fälligkeit, hat die Klägerin nicht vorgetragen. Vielmehr hat sie lediglich dargetan, sie habe mit dem Schreiben vom 18.05.2016 die Zahlung „fällig gestellt“ (Klageschrift S. 5, Bl. 5 d.A).
Der Zinssatz beträgt nur fünf Prozentpunkte über dem Basiszinssatz. § 288 Abs. 2 BGB ist nicht anwendbar, da es sich nicht um eine Entgeltforderung handelt. Eine Entgeltforderung ist ein Anspruch als Gegenleistung für die Lieferung von Gütern oder Erbringung von Dienstleistungen (BGH NJW 2010, S. 3226 Rz. 12 f). Vorliegend ist der Anspruch der Klägerin nicht Gegenleistung für die von der Beklagten erbrachte Leistung (Arbeitnehmerüberlassung), sondern Ausgleich für die von der Klägerin als Gesamtschuldnerin an den österreichischen Fiskus bezahlte Steuer.
4. Der zuletzt gestellte Feststellungsantrag der Klägerin ist zulässig und begründet.
4.1. Die in zweiter Instanz erklärte Klageänderung ist nach § 533 ZPO zulässig, insbesondere erachtet sie der Senat für sachdienlich i.S. § 533 Ziff. 1 ZPO.
4.2. Der Feststellungsantrag ist zulässig. Da der zugrundeliegende Anspruch nach § 426 Abs. 1 BGB bereits mit der Begründung des Gesamtschuldverhältnisses entsteht und ggf. Verjährung droht (s. oben Ziff. 2.4), besteht ein Feststellungsinteresse gemäß § 256 Abs. 1 ZPO.
4.3. Der Feststellungsantrag ist begründet. Die Klägerin wurde vom österreichischen Fiskus bereits als Haftungsschuldnerin auf die Zahlung von mindestens weiteren 2.466,22 Euro in Anspruch genommen. Wenn die Klägerin nach dem Ergebnis des insoweit angestrengten Verfahrens in Österreich diesen Betrag ebenfalls an den österreichischen Fiskus zu zahlen hat, kann sie aus den oben Ziff. 2 dargestellten Gründen von der Beklagten nach § 426 Abs. 1 BGB Ausgleich verlangen.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 91 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit aus § 708 Nr. 11, § 713 ZPO. Die Revision war nach § 543 Abs. 2 ZPO nicht zuzulassen.


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