Handels- und Gesellschaftsrecht

Zivilrechtsweg für Zahlungsanspruch des Leistungserbringers gegen den Jugendhilfeträger eröffnet

Aktenzeichen  M 18 K 16.2812

Datum:
11.10.2017
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 150155
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 40 Abs. 1 S. 1
GVG § 17a Abs. 2
SGB VIII § 77, § 78b

 

Leitsatz

Die Bewilligung der Kostenübernahme durch den Jugendhilfeträger stellt einen Schuldbeitritt zum privatrechtlichen Vertrag zwischen dem leistungsberechtigten Hilfeempfänger und dem Leistungserbringer dar, durch den der Leistungserbringer einen unmittelbaren Zahlungsanspruch gegen den Jugendhilfeträger erwirbt. Für hieraus folgende Rechtsstreitigkeiten ist der Zivilrechtsweg eröffnet. Dies gilt auch dann, wenn Leistungs- und Entgeltvereinbarungen abgeschlossen wurden. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Verwaltungsrechtsweg ist unzulässig.
II. Der Rechtsstreit wird an das Landgericht München I verwiesen.

Gründe

I.
Die Klägerin ist eine Trägerin der freien Jugendhilfe und betreibt verschiedene Einrichtungen, darunter die Einrichtung … … (intensive sozialpädagogische stationäre Einzelbetreuung).
Ab 1. August 2007 wurde für die Einrichtung … … Mädchen, ab dem 1. Januar 2008 für die Einrichtung … … Jungen zwischen der Klägerin und der Kommission Kinder- und Jugendhilfe München eine Leistungsvereinbarung geschlossen. Zwischen der Entgeltkommission München und der Klägerin wurde für diese Einrichtung am 4. Dezember 2008 weiter eine Entgeltvereinbarung nach § 78b SGB VIII mit einem Vereinbarungszeitraum vom 1. Dezember 2008 bis zum 30. November 2009 geschlossen; diese Vereinbarung enthält die Regelung, dass Grundlage des Entgelts die Leistung gemäß der Leistungsbeschreibungen vom 24. Dezember 2008 und die nach Anlage 6.1 beschriebenen Qualitätsanforderungen des Rahmenvertrages sind. Mangels nachfolgender Vereinbarung gilt die Entgeltvereinbarung vom 4. Dezember 2008 im streitgegenständlichen Zeitraum fort, § 78d Abs. 2 Satz 4 SGB VIII.
Mit Schriftsatz vom … Juni 2016 erhoben die Bevollmächtigten der Klägerin für diese Klage gegen die Beklagte auf Zahlung einer Gesamtsumme von 28.687 EUR. Die Klagesumme setzt sich aus 7 Einzelbeträgen zusammen. Jeder dieser Einzelbeträge ist einem Hilfeberechtigten, für den die Beklagte durch Bescheid Jugendhilfeleistungen bewilligt hatte, zugeordnet. Der Klage liegt zugrunde, dass die Beklagte die in den Bewilligungsbescheiden genannten Tagessätze nicht vollständig, sondern gekürzt an die Klägerin ausgezahlt hat. Die Kürzung durch die Beklagte erfolgte, da nach ihrer Ansicht nicht die gemäß Leistungsvereinbarung und Entgeltkalkulation erforderliche Leistung erbracht worden sei, da die Leitungsstelle nicht vollständig besetzt gewesen sei.
Mit Schriftsatz vom … September 2017 reduzierte die Klägerin die Klagesumme auf 5.730,87 EUR. Die Beklagte hatte die Differenz zwischenzeitlich gezahlt. Insoweit erklärt die Klägerin den Rechtsstreit für erledigt.
Mit Schreiben vom 2. Oktober 2017 gab das Gericht unter Hinweis auf aktuelle Rechtsprechung den Parteien die Möglichkeit, sich zur Frage der Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs zu äußern.
Mit Schriftsatz vom 4. Oktober 2017 brachten die Bevollmächtigten der Beklagten dazu vor, die genannten Entscheidungen seien nicht einschlägig, da sich der dortige Sachverhalt maßgeblich vom vorliegenden Sachverhalt unterscheide. Anders als in den genannten Entscheidungen handele es sich vorliegend um Rechtsstreitigkeiten über die Geltendmachung von Ansprüchen, die durch § 78b bzw. § 77 SGB VIII geregelt seien und insoweit dem Leistungserbringer gegenüber dem Träger der öffentlichen Jugendhilfe in Verbindung mit der erbrachten Leistung einen eigenständigen Anspruch aufgrund dieser Vereinbarungen gewährten. Insoweit handele es sich eindeutig um öffentlichrechtliche Verträge. Rechte und Pflichten aus öffentlichrechtlichen Verträgen unterlägen dem Verwaltungsrechtsweg.
Die Vertreter der Klägerin beantragten mit Schriftsatz vom … Oktober 2017, den Rechtsstreit an das Landgericht München I zu verweisen. Der Zivilrechtsweg sei eröffnet. Die Beklagte sei den privatrechtlichen Verträgen zwischen der Klägerin und den Hilfeempfängern durch Schuldbeitritt beigetreten. Die Klägerin habe keinen eigenständigen Anspruch gegen die Beklagte aus den nach §§ 77, 78b SGB VIII getroffenen Leistungs- und Entgeltvereinbarungen. Der Anspruch gegen die Beklagte entstehe erst mit dem Schuldbeitritt der Beklagten zu den Betreuungsverträgen.
Die Frage der Rechtswegeröffnung wurde in der mündlichen Verhandlung am 11. Oktober 2017 mit den Parteien erörtert.
II.
Der Verwaltungsrechtsweg ist für die vorliegende Streitigkeit nicht eröffnet. Nach Anhörung der Parteien – in der mündlichen Verhandlung – war der Rechtsstreit daher nach § 17a Abs. 2 Satz 1 GVG an das Landgericht München I zu verweisen.
Nach § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO ist der Verwaltungsrechtsweg in allen öffentlichrechtlichen Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art eröffnet, soweit die Streitigkeiten nicht durch Bundesgesetz einem anderen Gericht ausdrücklich zugewiesen sind. Eine solche Streitigkeit ist vorliegend jedoch nicht gegeben, sondern vielmehr eine zivilrechtliche.
Mit der Klage macht die Klägerin Ansprüche im Rahmen von sozialrechtlichen bzw. jugendhilferechtlichen Dreiecksverhältnissen geltend.
Im jugendrechtlichen Dreiecksverhältnis zwischen dem Jugendhilfeträger, dem Leistungsberechtigten und dem Leistungserbringer liegt zwischen dem leistungsberechtigten Hilfeempfänger und dem Leistungserbringer regelmäßig ein privatrechtlicher Vertrag vor, dem der Jugendhilfeträger durch Bewilligung der Kostenübernahme im Rahmen der bewilligten Maßnahme als weiterer Schuldner beitritt. Durch diesen Schuldbeitritt mittels privatrechtsgestaltenden Verwaltungsakt, durch den der Leistungserbringer zugleich einen unmittelbaren Zahlungsanspruch gegen den Jugendhilfeträger erwirbt, wandelt sich die zivilrechtliche Schuld aus dem zwischen dem Hilfeempfänger und dem Leistungserbringer geschlossenen (Dienst-)Vertrag nicht in eine öffentlichrechtliche um. Denn ein Schuldbeitritt teilt seinem Wesen nach die Rechtsnatur der Forderung des Gläubigers, zu der er erklärt wird. (vgl. BGH v. 31.3.2016, III ZR 267/15 – juris, Rn. 20 ff.; BayVGH v. 21.4.2017 12 ZB 17.1 – juris, Rn. 2).
Auf einen solchen Schuldbeitritt ist auch die klägerische Forderung gegründet, es ist also der Zivilrechtsweg eröffnet.
An dieser Einschätzung ändert auch die ab 1. August 2007 bzw. ab 1. Januar 2008 geschlossenen Leistungsvereinbarungen und die Entgeltvereinbarung nach § 78b SGB VIII nichts (a.A. wohl OVG NRW v. 16.9.2011, 12 A 2308/10 – juris, Rn. 29 ff., ohne jedoch die Frage weiter zu problematisieren).
Zwar handelt es sich bei Vereinbarungen nach § 78b SGB VIII um öffentlichrechtliche Verträge. Gegenstand dieser Vereinbarungen ist aber nicht die Beschaffung von Dienstleistungen gegen ein Entgelt, sondern die Klärung der Bedingungen für die Leistungsabwicklung im sozialrechtlichen Dreiecksverhältnis im Einzelfall (vgl. Wiesner, SGB VIII, 5. Auflage 2015, § 78b, Rn. 7). Eine Vereinbarung nach § 78b SGB VIII führt also nicht dazu, dass der Anspruch des Leistungserbringers gegen den Jugendhilfeträger aus den jugendhilferechtlichen Dreiecksverhältnis herausverlagert wird. Der Anspruch des Leistungserbringers resultiert also nicht aus dem öffentlichrechtlichen Vertrag, sondern weiterhin aus dem Schuldbeitritt im sozialrechtlichen Dreiecksverhältnis. Die Vereinbarungen beeinflussen („überlagern“) lediglich das privatrechtliche Erfüllungsverhältnis als zivilrechtliche Seite des sozialrechtlichen Dreiecks (vgl. BGH v. 31.3.2016 a.a.O. Rn. 18, zu Vereinbarungen nach § 75 Abs. 3 SGB XII). Diese Beeinflussung ändert nichts daran, dass der Schuldbeitritt des Jugendhilfeträgers zum zivilrechtlichen Vertragsverhältnis zwischen Hilfeberechtigten und Leistungserbringer Grundlage des geltend gemachten Anspruchs des Leistungserbringers gegen den Jugendhilfeträger bleibt.
Auch die von der Beklagten im Schriftsatz ihrer Bevollmächtigten vom 4. Oktober 2017 genannten höchstrichterlichen Entscheidungen (BGH v. 12.11.1991 BGHZ 116, 339; BVerwG v. 30.9.1993 BVerwG 94, 202) rechtfertigen nicht die Annahme der Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs, da sie keinen vergleichbaren Sachverhalt behandeln. Die beiden Entscheidungen betreffen die Klassifizierung von Pflegesatzvereinbarungen im Sinne von § 93 Abs. 2 BSHG als öffentlichrechtliche Verträge. Zur hier maßgeblichen Rechtsfigur des sozialrechtlichen Dreiecksverhältnisses verhalten sich diese Entscheidungen indessen nicht. Letzteres gilt gleichermaßen für die von der Beklagten in der mündlichen Verhandlung genannten Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts (v. 19.5.1994, BVerwGE 96, 71) sowie des BayVGH (v. 14.9.2017, 12 CE 17.433 – bislang nicht veröffentlich).
Nach alledem ist für die vorliegende Streitigkeit nicht der Verwaltungsrechtsweg, sondern der Rechtsweg zu den Zivilgerichten eröffnet. Zuständig ist das Landgericht München I.


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