Insolvenzrecht

6 O 17571/20

Aktenzeichen  6 O 17571/20

Datum:
13.7.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
ZInsO – 2021, 1817
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
München I
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

1. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 37.207,23 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 24.09.2020 zu zahlen.
2. Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 37.207,23 € festgesetzt.

Gründe

I. Die Klage ist zulässig und begründet. Dem Kläger steht ein Anspruch aus §§ 129 Abs. 1, 130 Abs. 1 Nr. 2 InsO i.V.m. § 143 Abs. 1 InsO in der geltend gemachten Höhe zu.
1. Die Voraussetzungen des § 130 Abs. 1 Nr. 2 InsO sind erfüllt. Bei den Lohnsteuerzahlungen handelte es sich um kongruente Leistungen, die nach dem Eröffnungsantrag und nach Kenntnis des Beklagten vom Eröffnungsantrag vorgenommen wurden.
2. Die Insolvenzanfechtung ist nicht gem. § 2 Abs. 1 Nr. 4 COVInsAG ausgeschlossen, da der Ausschlusstatbestand aufgrund der gebotenen restriktiven teleologischen Auslegung auf den vorliegenden Sachverhalt nicht anzuwenden ist.
a) Zunächst kommt § 2 Abs. 1 Nr. 4 COVInsAG vorliegend schon deswegen nicht zur Anwendung, da die Insolvenzschuldnerin zum Zeitpunkt der streitgegenständlichen Zahlungen bereits einen Eigenantrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens gestellt hatte, und sich somit außerhalb des Schutzbereichs des COVInsAG begeben hatte. Ausweislich der Gesetzesbegründung ist Ziel des COVInsAG, „die Fortführung von Unternehmen zu ermöglichen und zu erleichtern, die infolge der COVID-19-Pandemie insolvent geworden sind oder wirtschaftliche Schwierigkeiten haben. Den betroffenen Unternehmen und ihren organschaftlichen Vertretern soll Zeit gegeben werden, um die notwendigen Vorkehrungen zur Beseitigung der Insolvenzreife zu treffen (…)“ S. 17, eigene Hervorhebungen).
Dieser Schutzzweck passt nicht in Fällen, in denen – wie vorliegend – von der Privilegierung des § 1 COVInsAG kein Gebrauch gemacht wurde und stattdessen Insolvenzantrag gestellt wurde. Wie der Kläger zutreffend ausführt, ist der durch § 2 Abs. 1 Nr. 4 COVInsAG bewirkte Schutz des Anfechtungsgegners nicht selbst Gesetzeszweck, sondern nur Mittel zum eigentlichen und übergeordneten Zweck, den Insolvenzschuldner zu schützen. Entfällt der eigentliche Schutzzweck aufgrund der Tatsache, dass der Insolvenzschuldner sich in das Insolvenzverfahren begibt, muss auch die korrespondierende Privilegierung für den Anfechtungsgegner entfallen.
b) Auch ist der Beklagte vorliegend nicht vom persönlichen Schutzbereich des § 2 Abs. 1 Nr. 4 COVInsAG erfasst. Nach ihrem Wortlaut unterscheidet die Regelung nicht zwischen verschiedenen Arten von Gläubigern. Führt man sich jedoch Sinn und Zweck der Privilegierung vor Augen, wird deutlich, dass diese nach der Vorstellung des Gesetzgebers nur für solche Gläubiger gelten soll, die in einem vertraglichen Verhältnis zum Insolvenzschuldner stehen.
Ausweislich der Gesetzesbegründung soll der Anfechtungsschutz des § 2 Abs. 1 COVInsAG auch der „Aufrechterhaltung von Geschäftsbeziehungen zum Schuldner“ dienen … S. 3, 17). In der Begründung zu § 2 Abs. 1 Nr. 4 COVInsAG führt der Gesetzgeber wie folgt aus:
„Ein Bedürfnis für einen Anfechtungsschutz besteht auch in bestimmten Fällen, in denen kein neuer Kredit im Sinne der Nummer 2 vorliegt. Dies betrifft z.B. Vertragspartner von Dauerschuldverhältnissen wie Vermieter sowie Leasinggeber, aber auch Lieferanten. Wenn solche Vertragspartner befürchten müssten, erhaltene Zahlungen im Falle des Scheiterns der Sanierungsbemühungen des Krisenunternehmens mit anschließender Eröffnung des Insolvenzverfahrens aufgrund einer Anfechtung zurückzahlen zu müssen, wären sie geneigt, die Vertragsbeziehung auf dem schnellsten Wege zu beenden, was wiederum die Sanierungsbemühungen vereiteln würde“ … S. 24, eigene Hervorhebungen).
Schon aus dieser Passage wird deutlich, dass der Gesetzgeber mit der Regelung nur solche Gläubiger privilegieren wollte, die als Vertragspartner in einer freiwilligen Geschäftsbeziehung zum Schuldner stehen. Nur bezüglich dieser Gläubiger macht das Ziel, die Aufrechterhaltung der Geschäftsbeziehungen zu sichern, Sinn. Denn Nicht-Vertragsgläubiger wie etwa Finanzämter, Sozialversicherungsträger und Berufsgenossenschaften müssen nicht zur Aufrechterhaltung der Geschäftsbeziehungen motiviert werden, da sie gezwungenermaßen – von Gesetzes wegen – Gläubiger sind. Auch werden sie in den Erwägungen des Gesetzgebers nicht erwähnt, was wiederum dafür spricht, dass letzterer Nicht-Vertragsgläubiger bei Schaffung der Privilegierung nicht im Blick hatte.
Da die Zahlungen vorliegend an das Finanzamt München erfolgten, ist der persönliche Schutzbereich des § 2 Abs. 1 Nr. 4 COVInsAG nicht eröffnet.
c) Im Ergebnis kommt § 2 Abs. 1 Nr. 4 COVInsAG vorliegend aufgrund einer restriktiven teleologischen Auslegung der Norm nicht zur Anwendung. Vor diesem Hintergrund kann dahinstehen ob – was zwischen den Parteien streitig ist – die Insolvenzreife der Schuldnerin auf den Folgen der COVID-19-Pandemie beruhte.
3. Die insolvenzrechtliche Anfechtbarkeit entfällt auch nicht unter dem Aspekt des Bargeschäftseinwands (§ 142 BGB). Dieser ist auf die Zahlung von Lohnsteuer nicht anzuwenden (BGH, Urteil vom 22.01.2004 – IX ZR 39/03; zuletzt BGH, Beschluss vom 22.10.2015 – IX ZR 74/15).
a) § 142 InsO sieht das Privileg der Unanfechtbarkeit nur für eine Leistung des Schuldners vor, für die unmittelbar eine gleichwertige Gegenleistung in sein Vermögen gelangt. Das Bargeschäftsprivileg schützt den unmittelbaren Leistungsaustausch, in dem zeitnah bewirkte wechselseitige Verpflichtungen aus einem gegenseitigen Vertrag der Anfechtung entzogen werden.
Damit fehlt es für Lohnsteuerzahlungen bereits an einer Vereinbarung („für die“) als auch an einer Gegenleistung (vgl. ebenso Thole, in: InsO, 9. Auflage, § 142, Rn. 5).
Steuern stehen per Definition nicht in einem Gegenseitigkeitsverhältnis zu vertraglichen oder sonstigen Pflichten (anders als z.B. Gebühren). Dies folgt aus der Rechtsnatur von Steuern (vgl. den Steuerbegriff in § 1 Abs. 1 AO), welche der Finanzierung der allgemeinen Staatstätigkeit dienen; der Schuldner erhält vom Staat keine der Zahlung entsprechende Gegenleistung. Steuern können damit sachlogisch keinen Entgeltcharakter haben oder im wechselseitigen Verhältnis zu Leistungspflichten stehen. Dadurch, dass der Arbeitgeber die Lohnsteuer an den Fiskus abführt, erhält der Schuldner keine Gegenleistung.
Der Arbeitgeber führt die Lohnsteuer auch nicht aufgrund eines gegenseitig verpflichtenden Verhältnisses ab, sondern weil er gesetzlich verpflichtet ist, die Lohnsteuer einzubehalten und abzuführen (§§ 38 Abs. 3 Satz 1, 41 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG).
b) Die Leistung der Lohnsteuer an das Finanzamt erfolgt zudem aus dem Vermögen des Arbeitgebers (BGH, Urteil vom 22.01.2004 – IX ZR 39/03). Der Arbeitgeber hat lediglich einen schuldrechtlichen Anspruch auf Leistung des ihm rechtlich zustehenden Arbeitslohns sowie auf Abführung des gesetzlich vorgeschriebenen Anteils an das Finanzamt.
c) Die historische Auslegung, insbesondere die Materialien zur letzten Novelle, geben ebenfalls keinen Anhalt dafür, dass der Gesetzgeber die Bestimmung auch auf die Lohnsteuer anwenden wollte (BR-Drucksache 495/15, dort Seite 15 f.). Vielmehr legt die dortige Argumentation zum Arbeitslohn als Leistung in einem Synallagma nahe, dass der Gesetzgeber eben dieses aufrechterhalten wollte. Die Zahlung von Lohnsteuer ist indes – wie ausgeführt – weder für den Arbeitgeber noch für den Arbeitnehmer eine Leistung in einem „do ut des“-Verhältnis.
II. Der Zinsanspruch ergibt sich aus § 143 Abs. 1 S. 3 InsO i.V.m. §§ 286 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 3, 288 Abs. 1 BGB.
III. Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits gemäß § 91 Abs. 1 ZPO.
IV. Die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 ZPO
V. Der Streitwert wird gemäß §§ 3, 4 Abs. 1 ZPO durch den bezifferten Hauptsacheantrag des Klägers bestimmt.


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