Insolvenzrecht

Erkrankung, Berufung, Gutachten, Betreuung, Attest, Depression, Umzug, Herausgabe, Demenz, Diagnose, Schuldner, Wohnung, Mietwohnung, Betreuer, psychische Erkrankung, psychiatrische Gutachten, ins Blaue hinein

Aktenzeichen  12 T 4785/21

Datum:
20.12.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 51162
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
München II
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Verfahrensgang

730 M 2075/21 2021-12-14 Bes AGSTARNBERG AG Starnberg

Tenor

1. Die sofortige Beschwerde des Schuldners gegen den Beschluss des Amtsgerichts Starnberg vom 14.12.2021, Az. 730 M 2075/21, wird zurückgewiesen.
2. Der Schuldner trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
3. Der Beschwerdewert wird auf 12.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe

1. Der Schuldner wurde durch Urteil des Amtsgerichts Starnberg vom 12.02.2020 (6 C 1072/19) zur Räumung und Herausgabe der Mietwohnung in der S. straße 36 in He./B. verurteilt. Es wurde ihm eine Räumungsfrist bis 31.05.2020 gewährt. Die Berufung des Schuldners hat das Landgericht München II durch Endurteil vom 13.04.2021 (12 S 703/20) zurückgewiesen und dem Schuldner eine Räumungsfrist bis 30.09.2021 eingeräumt.
Die Gläubigerin stellte mit Schriftsatz vom 30.09.2021 einen Räumungs- und Vollstreckungsauftrag bei der zuständigen Gerichtsvollzieherin. Diese bestimmte durch Verfügung vom 26.11.2021 Termin zur Räumung auf Dienstag, 21.12.2021, 08.00 Uhr. Diese Terminsbestimmung ist dem Schuldner am 26.11.2021 zugestellt worden.
Durch Beschluss vom 02.12.2021 errichtete das Amtsgericht – Abteilung für Betreuungssachen – Starnberg (XVI 264/21) für den Schuldner eine Betreuung mit dem Aufgabenkreis: Geltendmachung von Rechten des Betreuten gegenüber seinem Bevollmächtigten und bestellte Rechtsanwalt H2. L. zum Betreuer.
Mit Schriftsatz vom 29.11.2021, beim Amtsgericht eingegangen am 01.12.2021, ließ der Schuldner einen Antrag auf Vollstreckungsschutz stellen und beantragte, die Zwangsvollstreckung aus dem Räumungstitel gemäß Endurteil des Landgerichts München II vom 13.04.2021 in Verbindung mit dem Endurteil des Amtsgerichts Starnberg vom 12.02.2020 hinsichtlich des Räumungsanspruchs zeitlich unbefristet zu untersagen. Gleichzeitig ließ er den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragen. Zur Begründung führte der Schuldner aus, dass sich sein Gesundheitszustand verschlechtere. Es bestehe aufgrund einer psychischen Erkrankung eine deutlich verringerte Anpassungsfähigkeit an eine veränderte Umgebung. Angesichts dieser Umstände bestehe die Gefahr, dass der Schuldner in einer neuen Umgebung seine Autonomie verliere und bald zum Pflegefall werde. Schon der Gedanke an die Aufgabe seiner Wohnung versetze ihn in panische Angstzustände und in eine schwere depressive Verstimmung. Im Falle einer Zwangsräumung bestehe eine konkrete Suizidgefahr. Eine Besserung seines psychischen und physischen Zustandes sei nicht in Sicht. In diesem Schriftsatz bezog sich der Schuldner auf einen Arztbericht des Klinikums Gr. vom 14.06.2017 und ein ärztliches Attest vom 27.05.2021.
Durch Beschluss vom 14.12.2021 wies das Amtsgericht den Antrag des Schuldners zurück. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus, dass der Schuldner seit der ersten Wohnungskündigung vom 11.07.2019 längst einen Ersatzwohnraum hätte finden können. Zur gesundheitlichen Situation des Schuldners sei kein aktuelles ärztliches Gutachten bzw. eine Bescheinigung vorgelegt worden, aus der sich ergäbe, dass der Schuldner umzugsunfähig sei. Eine anstehende augenärztliche bzw. zahnärztliche Behandlung stehe einer Zwangsräumung nicht im Wege. Auch eine beginnende Demenz stelle keinen Grund hierfür dar. Dieser Beschluss ist dem Schuldnervertreter am 14.12.2021 zugestellt worden.
Mit Schriftsatz vom 14.12.2021, der zumindest am 15.12.2021 beim Amtsgericht Starnberg einging, ließ der Schuldner gegen den Beschluss vom 14.12.2021 Beschwerde einlegen. Er wiederholt seinen Vortrag aus dem Vollstreckungsschutzantrag.
Dem Gericht lag auch das psychiatrische Gutachten des Sachverständigen Dr. med. M2. K. vom 22.07.2021 aus dem Betreuungsverfahren XVII 264/21, Amtsgericht Starnberg, vor.
2. Die statthafte und auch im Übrigen zulässige sofortige Beschwerde des Schuldners ist nicht begründet.
Zutreffend hat das Amtsgericht den Antrag auf Gewährung von Räumungsschutz gemäß § 765 a Abs. 1 ZPO zurückgewiesen, da dessen Voraussetzungen schon nach dem Vortrag des Schuldners und nach den von ihm vorgelegten Unterlagen nicht vorliegen.
Der Vollstreckungsschutzantrag nach § 765 a Abs. 1 Satz 1 ZPO ist dann begründet, wenn die konkrete Vollstreckungsmaßnahme wegen ganz besonderer Umstände für den Schuldner eine Härte bedeutet, die mit den guten Sitten nicht vereinbar ist. Voraussetzung hierfür ist, dass das Vorgehen des Gläubigers nach Abwägung der beiderseitigen Belange zu einem untragbaren Ergebnis führen würde. Hierbei hat bereits das Vollstreckungsgericht, aber auch das Beschwerdegericht, die verfassungsrechtlichen Vorgaben durch die Grundrechte des Schuldners in jedem Fall zu beachten.
Aus den vorgelegten Attesten ergeben sich eine ganze Reihe von physischen Beeinträchtigungen des Schuldners in seiner Gesundheit. Jedoch ergibt sich hieraus kein einziger Anhaltspunkt dafür, dass der Schuldner nicht in der Lage wäre, die Wohnung zu wechseln. Nicht er selbst muss den Umzug durchführen. Hierfür stehen Umzugsfirmen zur Verfügung.
Aus den vorgelegten Attesten des Schuldners ergeben sich keinerlei hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass der Schuldner an einer wesentlichen psychischen Erkrankung leiden würde. Aus dem ärztlichen Bericht der Neurologischen Klinik und Poliklinik in Gr. vom 14.06.2017 ergibt sich für eine wesentliche psychische Erkrankung keinerlei Anhaltspunkt. Der Schuldner wurde damals wegen eines Schädelhirntraumas vom 10.06.2017 in das Klinikum verbracht.
Aus dem ärztlichen Attest vom 27.05.2021 des Allgemeinarztes Ch. St. ergibt sich gleichfalls keine psychische Erkrankung. Das Attest referiert nur zusätzlich eine Schädelprellung nach einem Sturzereignis im Mai 2019. Weitere Diagnosen mit tatsächlichem Hintergrund enthält das ärztliche Attest nicht.
Aus dem psychiatrischen Gutachten des Sachverständigen Dr. med. M2. K. vom 22.07.2021 aus dem Betreuungsverfahren ergibt sich, dass der Schuldner an einem beginnenden demenziellen Syndrom mit deutlich wahnhafter Komponente und einer Persönlichkeitsstörung leidet. Diese Leiden seien chronisch und progredient.
Zumindest ergibt sich aus dem psychiatrischen Gutachten, das relativ zeitnah zum Räumungstermin – am 22.07.2021 – erstattet worden ist, dass eine schwere Depression, wie der Schuldner sie nunmehr behauptet, die auch zu einem Suizid führen könnte, noch nicht einmal ansatzweise darin beschrieben ist. Weder die Diagnose Depression, aber schon gar nicht die Schlussfolgerung einer Suizidgefahr bei Räumung kann der Schuldner mit Tatsachen untermauern. Deswegen musste das Amtsgericht, aber auch das Beschwerdegericht kein Gutachten zu dieser Frage erholen. Es handelt sich um Behauptungen, die lediglich ins Blaue hinein aufgestellt worden sind.
Unter Abwägung aller Belange zwischen Gläubiger und Schuldner kommt auch das Beschwerdegericht zu dem eindeutigen Ergebnis, dass Anhaltspunkte für ganz besondere Umstände, die auf Grund der Räumung für den Schuldner eintreten würden, nicht bestehen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Der Beschwerdewert wurde gemäß §§ 3 ZPO, 41 Abs. 1 GKG anhand des geschätzten jährlichen Kaltmietwerts festgesetzt.


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