Insolvenzrecht

Insolvenzanfechtung – zur Berechnung der Anfechtungsfristen bei mehreren Insolvenzanträgen

Aktenzeichen  31 O 1165/19

Datum:
9.9.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 23494
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Regensburg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
HGB § 128, § 161 Abs. 2
InsO § 130, § 131 Abs. 1, § 133 Abs. 1, § 139 Abs. 2, § 140

 

Leitsatz

1. Die Bestimmung des § 139 Abs. 2 InsO zur Berechnung der Anfechtungsfristen im Falle mehrerer Anträge auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens ist einschränkend auszulegen und gilt nur innerhalb derselben Insolvenz des Schuldners. Ist der Insolvenzgrund behoben und erst später erneut eingetreten, kann der erste Antrag nicht mehr ausschlaggebend sein (Verweis auf BGH BeckRS 2008, 864). (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein wirksam für erledigt erklärter Insolvenzantrag kann ebenso wie ein einseitig zulässig zurückgenommener Insolvenzantrag nicht mehr Grundlage einer Anfechtung sein (Verweis auf BGH BeckRS 2002, 38). (Rn. 32) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Wirkung von Indizien, die auf eine Kenntnis des Anfechtungsgegners vom Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners hindeuten, ist umso schwächer, je länger die Handlung vor der Verfahrenseröffnung liegt. Sie ist deutlich eingeschränkt, wenn die Rechtshandlung mehr als dreieinhalb Jahre vor der Verfahrenseröffnung vorgenommen wurde.  (Rn. 49 – 50) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 1.400.- EUR abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten.

Gründe

Die zulässige Klage ist nicht begründet.
I.
Zumindest die Beklagte zu 3) ist vorliegend nicht passivlegitimiert.
Zwar wären die Beklagten zu 2) und 3) als Komplementäre der Beklagten zu 1) gem. §§ 161 Abs. 2, 128 BGB grundsätzlich passivlegitimiert.
Allerdings wurde in der mündlichen Verhandlung klargestellt, dass die Beklagte zu 3) nicht Komplementärin der Beklagten zu 1) ist und von daher aus dem Haftungsverbund ausscheiden muss.
II.
Ein Anspruch nach § 131 Abs. 1 Nr. 2 Inso ist vorliegend nicht gegeben.
Diese Vorschrift nämlich verlangt immer eine Rechtshandlung vor der Antragstellung.
Nachdem der Kläger sich vorliegend auf seinen Antrag vom 20.9.2011 bezieht, kann diese Norm nicht gegeben sein. Abgestellt nämlich wird auf Rechtshandlungen erst im November 2011, also zeitlich nach dem Antrag liegend.
Insoweit kann § 131 Abs. 1 Nr. 2 Inso als Haftungsnorm deshalb nicht in Frage kommen.
III.
Entscheidend vorliegend ist, welcher Insolvenzantrag aus der Vielzahl der vorliegenden Anträge in Betracht kommt.
Zwar statuiert § 139 Abs. 2 Inso, dass bei mehreren Anträgen zumindest der erste zulässige und begründete Antrag von Bedeutung sein kann.
Vorliegend ist jedoch bedeutsam, dass das Insolvenzverfahren der Gemeinschuldnerin gegenüber erst eingeleitet worden ist aufgrund eines Antrages der BKK vom 16.4.2015.
Insoweit aber ist anerkannt, dass die obige Norm Grenzen einhalten muss. Es muss sich dabei immer um dieselbe Insolvenz handeln. Sobald eine Erholung des Schuldners stattgefunden hat, büßt ein früherer Insolvenzantrag die Wirkung der Vorverlagerung nach § 139 Abs. 2 Inso ein.
Die Vorschrift nämlich ist immer einschränkend auszulegen und gilt nur innerhalb derselben Insolvenz des Schuldners. Ist der Insolvenzgrund behoben und erst später erneut eingetreten, kann der erste Antrag nicht mehr ausschlaggebend sein (BGH, NJW-RR 2008, 645).
Vorliegend aber ist entscheidend, dass der Antrag der Beklagten vom 20.9.2011 am 21.11.2011 wieder zurückgenommen worden ist.
Ein wirksam für erledigt erklärter Insolvenzantrag kann ebenso wie ein einseitig zulässig zurückgenommener Insolvenzantrag nicht mehr Grundlage einer Anfechtung sein (BGH, ZIP 2002, 88).
Damit kann es deshalb vorliegend auf den Antrag der Beklagten vom 20.9.2011 nicht mehr ankommen.
Insoweit ist deshalb auch die Problematik der einheitlichen Insolvenz vorliegend nicht mehr von Bedeutung.
Allerdings ist vorliegend festzustellen, dass die Beweislast vorliegend grundsätzlich beim Anfechtungsgegner liegt, zumindest solange eine nachhaltige Erholung nicht mehr zweifelhaft ist. Hier mag jedoch von Bedeutung sein, dass zwischen dem 18.5.2012 und dem 17.2.2015 keine weiteren Anträge gestellt worden sind, weshalb wohl davon ausgegangen werden könnte, dass sich die Liquidität der Gemeinschuldnerin in diesem Zeitraum deutlich verbessert haben kann.
IV.
Auch ein Anspruch aus § 133 Abs. 1 Inso ist vorliegend nicht gegeben.
Dieser verlangt eine Rechtshandlung 10 Jahre vor dem Antrag, was vorliegend auch bei Abheben auf den Antrag der BKK gegeben wäre.
Daneben aber wird ein Gläubigerbenachteiligungsvorsatz der Gemeinschuldnerin verlangt.
Dieser liegt immer dann vor, wenn der Schuldner bei Vornahme der Rechtshandlung die Benachteiligung der Gläubiger gewollt oder sie jedenfalls als mutmaßliche Folge seines Handelns erkannt und gebilligt hat, sei es auch als nur unerwünschte Nebenfolge eines anderen erstrebten Vorteils.
Für den Benachteiligungsvorsatz muss danach immer ein Wollen vorliegen, das vom Gericht festzustellen ist. Nicht erforderlich ist, dass die Gläubigerbenachteiligung Beweggrund, alleiniger oder überwiegender Zweck des Handelns gewesen ist. Motiv oder Anlass der Rechtshandlung kann ein völlig anderer gewesen sein.
Das erforderliche Wollen ist in der Regel aber dann zu bejahen, wenn der Schuldner die Schädigung anderer Gläubiger als notwendige Folge der dem Gläubiger gewährten Befriedigung oder Sicherung vorausgesehen hat.
Dies ist auch immer dann der Fall, wenn der Schuldner um seine Insolvenz weiß.
Daneben bildet die Inkongruenz der jeweiligen Handlung ein Beweisanzeichen für die Benachteiligungsabsicht des Schuldners und die Kenntnis des Gläubigers.
Von letztem kann vorliegend nicht ausgegangen werden, da die Rechtshandlung, die vorliegend im Raum steht, nicht inkongruent, sondern kongruent gewesen ist.
Im Hinblick auf die Mehrzahl der Insolvenzanträge schon vor Vornahme der Rechtshandlung wie auch die Durchführung von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen wird man wohl zugunsten des beweisbelasteten Klägers noch davon ausgehen können, dass ein derartiger Gläubigerbenachteiligungsvorsatz der Gemeinschuldnerin vorgelegen hat.
Allerdings scheitert es vorliegend an der notwendigen Kenntnis der Beklagten.
Diese nämlich müssten von der vorsätzlichen Benachteiligung des Schuldners positive Kenntnis gehabt haben, wobei ein eigener Benachteiligungsvorsatz des Anfechtungsgegners nicht erforderlich ist.
Kennen müssen reicht grundsätzlich nicht aus. Allerdings ist ausreichend, dass die Beklagten als Anfechtungsgegner Umstände kennen, aus denen sich etwa die Inkongruenz der Handlung ergibt, die dann den Schluss auf eine Kenntnis zulässt (BGH, NJW 2000, 957).
Allerdings ist die Indizwirkung umso schwächer, je länger die Handlung vor der Verfahrenseröffnung liegt.
Insoweit ist bedeutsam, dass die Rechtshandlung sich zutrug im November 2011, die Verfahrenseröffnung jedoch erst am 18.6.2015, damit mehr als dreieinhalb Jahre nach der Rechtshandlung.
Mögliche Indizwirkungen sind von daher bereits deutlich eingeschränkt, zumal der klagende Insolvenzverwalter immer die Beweislast sowohl für den Benachteiligungsvorsatz als auch die übrigen Voraussetzungen der Norm hat (BGH, ZIP 2009, 573).
Zwar wird die Kenntnis des Gläubigerbenachteiligungsvorsatzes gem. § 133 Abs. 1 Satz 2 Inso vermutet, wenn der Anfechtungsgegner wusste, dass die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners drohte und dass die angefochtene Handlung die Gläubiger benachteiligte.
Gerade hiervon kann jedoch nicht ausgegangen werden.
Zwischen der Gemeinschuldnerin und der Beklagten bestand keinerlei regelmäßige Geschäftsbeziehung. Beklagtenseits waren damit keine weiteren Kenntnisse vom geschäftlichen Zustandsbild der Gemeinschuldnerin, deren möglicher Zahlungsunfähigkeit wie auch anderen Gläubigern der Gemeinschuldnerin gegeben.
Entscheidend war beklagtenseits vielmehr der Umstand, dass im November 2011 tatsächlich eine Zahlung auf Forderungen der Beklagten eingegangen ist.
Zwar bedarf es bei der Kenntnis vom Benachteiligungsvorsatz keiner Kenntnis von Einzelheiten, es genügt vielmehr, wenn der Anfechtungsgegner im Allgemeinen um den Benachteiligungsvorsatz gewusst hat (BGH, ZIP 2008, 193).
Auch hiervon kann vorliegend jedoch mit dem oben Dargestellten nicht ausgegangen werden.
Hieran ändert auch der – verspätet – erfolgte Hinweis des Klägers im Schriftsatz vom 28.8.2020 nichts, wenn dort auf den Insolvenzantrag der anwaltlichen Bevollmächtigten der Beklagten verwiesen wird.
Zwar ist dort angegeben, dass die Gemeinschuldnerin immer nur kleinere Teilbeträge geleistet habe. Darüber hinaus sei im Juli 2011 die eidesstattliche Versicherung geleistet worden. Gleichzeitig jedoch wird angegeben, dass die Gemeinschuldnerin weiterhin ihr Gewerbe „M. M. KG“ betreiben würden.
Damit aber konnte von einem Fortgang des Gewerbes der Gemeinschuldnerin ohne Weiteres ausgegangen werden, was gegen eine Kenntnis der Benachteiligungsabsicht spricht.
Ansprüche sind damit nicht gegeben.
V.
Ein Anspruch nach § 130 Inso scheitert ebenfalls.
Ein solcher nach Nr. 1 ist nicht gegeben, da vorliegend keine Handlung vor dem Eröffnungsantrag vorliegt.
Hinsichtlich der Nr. 2 ist zwar eine Handlung nach dem Eröffnungsantrag gegeben. Dieser Antrag aber ist, wie dargestellt, zurückgenommen worden und kann die Anfechtung nicht mehr begründen.
Im Übrigen fehlt es auch an der notwendigen Kenntnis von der Benachteiligungsabsicht.
VI.
Ein Antrag nach § 131 Inso aufgrund der Stellung des richtigen Antrages kommt nicht in Betracht, da die insoweit geltenden Monatsfristen nicht einzuhalten sind.
VII.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO, die hinsichtlich der vorläufigen Vollstreckbarkeit aus § 708 Nr. 11, 711 ZPO.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben