Insolvenzrecht

Kosten eines vorinsolvenzlichen selbständigen Beweisverfahrens als Masseverbindlichkeit

Aktenzeichen  11 W 641/16

Datum:
15.4.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
NJOZ – 2017, 230
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
InsO InsO § 55 Abs. 1 Nr. 1
ZPO ZPO § 104

 

Leitsatz

1. Erhebt der Insolvenzverwalter nach vorinsolvenzlichem Abschluss eines selbständigen Beweisverfahrens die Klage zur Hauptsache, übernimmt er das Kostenrisiko auch im Blick auf die Kosten des selbständigen Beweisverfahrens; der entsprechende Kostenerstattungsanspruch ist eine Masseverbindlichkeit. (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Frage, ob ein prozessualer Kostenerstattungsanspruch als Masseverbindlichkeit oder Insolvenzforderung zu behandeln ist, kann nicht in das Kostenfestsetzungsverfahren verlagert werden. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

24 O 1407/12 2016-01-07 Bes LGMUENCHENI LG München I

Tenor

I.
Die sofortige Beschwerde wird zurückgewiesen.
II.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III.
Der Wert der Beschwerde beträgt 9.139,71 EUR.

Gründe

I. Nach der Kostenregelung im Vergleich vom 06.03.2015 haben von den Kosten des selbstständigen Beweisverfahrens der Kläger 98% und der Beklagte 2% zu tragen, wobei der Vergleich nach dessen Ziffer III. kein Präjudiz für die zwischen den Parteien streitige Frage sein soll, ob es sich bei den Kosten des selbstständigen Beweisverfahrens um Masseverbindlichkeiten oder eine Insolvenzforderung handelt.
Die Rechtspflegerin hat mit Beschluss vom 07.01.2016 die von der Klagepartei an die Beklagtenpartei zu erstattenden Kosten auf 13.642,81 € festgesetzt. In diesem Betrag sind für das selbstständige Beweisverfahren Gerichtskosten in Höhe von 3.534,11 € und außergerichtliche Kosten in Höhe von 5.605,60 € enthalten.
Gegen die Berücksichtigung der Kosten des selbstständigen Beweisverfahrens wendet sich der Kläger mit seiner sofortigen Beschwerde vom 14.01.2016. Zur Begründung wird mit Schriftsatz vom 12.02.2016 ausgeführt, die Berücksichtigung der Kosten des selbstständigen Beweisverfahrens sei zu Unrecht erfolgt. Diese Kosten hätten nicht die Qualität einer Masseverbindlichkeit, denn der dem Beklagten grundsätzlich im Zusammenhang mit dem Jahre vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens abgeschlossenen selbstständigen Beweisverfahren entstandene Kostenerstattungsanspruch sei als bloße Insolvenzforderung zu qualifizieren, deren Verfolgung nicht dem Kostenfestsetzungsverfahren gemäß den §§ 104 ff. ZPO unterliege, sondern den Vorschriften der Insolvenzordnung. Sie seien also durch Forderungsanmeldung zur Insolvenztabelle gemäß den §§ 174 ff. InsO geltend zu machen. Der Festsetzung im Kostenfestsetzungsverfahren fehle das Rechtsschutzbedürfnis. Der Hinweis der Rechtspflegerin auf den Inhalt des Vergleichs sei unzutreffend, da in diesem festgehalten worden sei, dass eine Qualifizierung der Kosten als Masseverbindlichkeiten gerade nicht vorgenommen werden sollte.
Vorsorglich und hilfsweise hat der Kläger eigene außergerichtliche Kosten des selbstständigen Beweisverfahrens in Höhe von 6.830,60 € zur Nachfestsetzung angemeldet und die Zulassung der Rechtsbeschwerde beantragt.
II. Die sofortige Beschwerde ist zulässig (§§ 104 Abs. 3, 567, 569 ZPO).
Das Rechtsmittel des Klägers bleibt jedoch in der Sache ohne Erfolg. Die Rechtspflegerin hat zu Recht die gerichtlichen und außergerichtlichen Kosten des selbstständigen Beweisverfahrens als Masseverbindlichkeiten beim Kostenausgleich berücksichtigt.
1. Die Kosten eines selbstständigen Beweisverfahrens gehören nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und des Senats zu den Kosten des anschließenden Hauptsacheverfahrens und werden von der dort getroffenen Kostengrundentscheidung mit umfasst, wenn die Parteien und der Streitgegenstand des Beweisverfahrens und des Hauptprozesses identisch sind (BGH, Beschlüssse vom 18.12.2002 – VIII ZB 97/02 = NJW 2003, 1322; vom 24.06.2004 – VII ZB 34/03 = BauR 2004, 1487; vom 22.07.2004 – VII ZB 9/03 = NJW-RR 2004, 1651 = BauR 2004, 1809; vom 21.10.2004 – V ZB 28/04 = NJW 2005, 294; vom 09.02.2006 – VII ZB 59/05 = NJW-RR 2006, 810; vom 12.09.2013 – VII ZB 4/13 = NJW 2013, 3452; vom 27.08.2014 – VII ZB 8/14 = NJW 2014, 3518; Senat NJW-RR 2000, 1237 und OLGR 2005, 444). Dabei gilt als Kostengrundentscheidung im Hauptsacheverfahren auch eine dort in einem Vergleich getroffene Kostenvereinbarung (Senatsbeschlüsse vom 07.20.2010 – 11 W 2137/10 – und vom 28.09.2012 – 11 W 1781/12; OLG Nürnberg JurBüro 1998, 425; Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, RVG, 22. Auflage, Anhang III Rn. 81; Zöller/Herget, ZPO, 31. Auflage, 91 Rn. 13, Stichwort „selbstständiges Beweisverfahren“).
2. Die danach erforderliche Identität der Parteien ist entgegen der Auffassung des Klägers gegeben, obwohl am selbstständigen Beweisverfahren nicht der hiesige Kläger als Insolvenzverwalter, sondern noch die Insolvenzschuldnerin selbst beteiligt war. Der Kläger hat den Hauptsacheprozess als Insolvenzverwalter und damit als gesetzlicher Prozessstandschafter der Insolvenzschuldnerin geführt. Seine Klage steht für die Zwecke der Kostenfestsetzung der Klage der materiellen Rechtsinhaberin gleich (OLG Köln JurBüro 1987, 433; Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, RVG, a. a. O., Anhang III Rn. 52: vgl. auch BGH, Beschluss vom 27.08.2014 – VII ZB 8/14 = NJW 2014, 3518, Tz. 16).
3. Der Rechtsgrund für die Haftung des Klägers als Insolvenzverwalter hinsichtlich der Kosten des selbstständigen Beweisverfahrens ist durch die Klageerhebung im vorliegenden Rechtsstreit, also eine Handlung des Insolvenzverwalters im Sinne von § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO sowie durch die Kostenvereinbarung im Vergleich vom 06.03.2015 gelegt worden und damit nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens.
a) Es ist umstritten, ob für den Fall, dass der Insolvenzverwalter einen bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens bereits anhängigen und nach § 240 ZPO unterbrochenen Rechtsstreit an Stelle des Insolvenzschuldners wieder aufgenommen hat und ihm sodann die gesamten Kosten des Rechtsstreits auferlegt worden sind, alle bis dahin entstandenen Kosten Masseschulden sind oder nur die nach dem Eintritt des Insolvenzverwalters entstandenen Kosten. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und des Senats und fast einhelliger obergerichtlicher Meinung handelt es sich bei einem prozessualen Kostenerstattungsanspruch gegen den Insolvenzverwalter, dem die Kosten des Rechtsstreits auferlegt worden sind, insgesamt um eine Masseverbindlichkeit gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO und zwar unabhängig davon, ob die Kosten des erstattungsberechtigten Prozessgegners vor oder nach der Aufnahme des Rechtsstreits durch den Verwalter entstanden sind (BGH, Beschluss vom 28.09.2006 – IX ZB 312/04 = NJW-RR 2007, 397 = ZinsO 2006, 1214; BGH BRAGOreport 2003, 39; Senat MDR 1999, 1524 = AGS 2000, 161 = ZIP 2000, 31; Kammergericht AnwBl. 2002, 666; OLG Düsseldorf Rpfleger 2001, 272; OLG Koblenz Rpfleger 1991, 335). Diese Auffassung wird damit begründet, dass die Kosten des Rechtsstreits eine Einheit bilden mit der Folge, dass sie von einfachen Insolvenzforderungen in Masseschulden umgewandelt werden (vgl. auch BGH, Urteil vom 29.05.2008 – IX ZR 45/05 = MDR 2008, 1242 = ZIP 2008, 1441). Etwas anderes gilt nach der Rechtsprechung des Senats (angedeutet auch im Beschluss des BGH vom 28.09.2006 – IX ZB 312/04) nur für bereits vor Eintritt des Insolvenzverwalters vollständig abgeschlossene Instanzen, in denen Kostenentscheidungen gegen den Gemeinschuldner ergangen sind (Senat a. a. O.).
b) Dies trifft für das selbstständige Beweisverfahren im vorliegenden Fall nicht zu. Es ist zwar richtig, dass dieses zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 01.06.2011 längst abgeschlossen war und dass ein prozessualer Kostenerstattungsanspruch aufschiebend bedingt bereits mit Eintritt der Rechtshängigkeit entsteht (BGH, Beschluss vom 17.03.2005 – IX ZB 247/03 = MDR 2005, 952 = ZinsO 2005, 430; Hüßtege in Thomas/Putzo, ZPO, 36. Auflage, Vorbem. § 91 Rn. 9; Zöller/Herget, ZPO, a. a. O., vor § 91 Rn. 10). Die aufschiebend bedingte Entstehung des Kostenerstattungsanspruchs gilt jedoch nicht für das selbstständige Beweisverfahren, da dieses weder ein Prozessrechtsverhältnis zwischen den Parteien noch einen eigenen Rechtszug begründet. Das Ergebnis des Beweisverfahrens sagt noch nichts dazu aus, wer letztlich in einem (nachfolgenden) Rechtsstreit obsiegen wird. Infolgedessen ergeht in diesem Verfahren auch keine Kostenentscheidung von Amts wegen nach § 91 ZPO (Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, a. a. O., Anhang III Rn. 85, 86). Über die Kosten eines selbstständigen Beweisverfahrens kann nur im Hauptsacheverfahren oder, wenn der Antragsteller trotz Fristsetzung kein Klageverfahren einleitet, In dem die Berechtigung seiner Ansprüche geprüft werden könnte, in einem Beschluss nach § 494 a Abs. 2 ZPO ergehen. Der zuletzt genannte Fall liegt hier jedoch nicht vor. Der Beklagte hat zu Recht darauf hingewiesen, dass der Kläger in seiner Funktion als Insolvenzverwalter vor der Klageerhebung frei darüber entscheiden konnte, ob er das Risiko einer (teilweisen) Klageabweisung und damit auch einer Belastung mit den (außergerichtlichen) Kosten des selbstständigen Beweisverfahrens eingehen wollte. Mit dem Fall einer bereits abgeschlossenen Instanz eines Rechtsstreits, in der auch bereits eine Kostenentscheidung ergangen ist, kann dies entgegen der vom Kläger zitierten Kommentierung bei Nerlich/Römermann, InsO (§ 55 Rn. 17 a) nicht gleichgestellt werden.
c) Hinzu kommt, dass die abschließende Beantwortung der hier aufgeworfenen Fragen des Insolvenzrechts entgegen der vom Landgericht in einem Hinweis vertretenen Auffassung nicht in das Kostenfestsetzungsverfahren verlagert werden kann (vgl. BGH, Beschluss vom 28.09.2006, a. a. O., Tz. 11). Vielmehr hätte die Aufteilung der Kosten in Masseverbindlichkeiten und Insolvenzforderungen – wenn man ein solches Vorgehen überhaupt für zulässig hält – nur in der Kostengrundentscheidung vorgenommen werden können (Senatsbeschluss vom 15.01.2007 – 11 W 3056/06 und 11 W 3057/06; OLG Düsseldorf a. a. O.; OLG Hamm JurBüro 1990, 1482; OLG Köln JurBüro 1986, 1243; OLG Frankfurt AnwBl. 1983, 569). In der nachfolgenden Verfahrensstufe ist die Differenzierung dagegen grundsätzlich nicht mehr zulässig (BGH a. a. O.).
4. Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
5. Die beantragte Zulassung der Rechtsbeschwerde ist nicht veranlasst, da die Rechtssache entgegen der Auffassung des Klägers keine grundsätzliche Bedeutung auch. Auch erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nicht eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts. Die entscheidungserheblichen Rechtsfragen sind durch die Rechtsprechung des BGH und des Senats hinreichend geklärt. Die vom Kläger zitierten (vermeintlich) abweichenden Entscheidungen anderer Oberlandesgerichte sind zu nicht vergleichbaren Sachverhalten ergangen. Die abweichende Meinung eines Kommentars zur insolvenzrechtlichen Einordnung der Kosten eines abgeschlossenen selbstständigen Beweisverfahrens bietet keinen ausreichenden Anlass für eine Zulassung der Rechtsbeschwerde.
6. Über den im Schriftsatz vom 12.02.2016 hilfsweise gestellten Antrag auf Nachfestsetzung der dem Kläger bzw. der Insolvenzschuldnerin im selbstständigen Beweisverfahren entstandenen Anwaltskosten wird nunmehr das Landgericht zu entscheiden haben.


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