Insolvenzrecht

Pfändungsgrenze bei Elterngeldanspruch des unterhaltsberechtigten Ehepartners

Aktenzeichen  34 T 1673/21

Datum:
7.7.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
JurBüro – 2021, 498
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Landshut
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BEEG § 2 Abs. 4 S. 1, § 10 Abs. 1
ZPO § 850c Abs. 4

 

Leitsatz

Der Bezug von (Mindest-)Elterngeld durch den Ehepartner, dem der Schuldner unterhaltsberechtigt ist, ist bei der Berechnung des pfändungsfreien Einkommens zu berücksichtigen. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

2 M 1275/20 2021-05-26 AGERDING AG Erding

Tenor

1. Auf die sofortige Beschwerde der Gläubigerin hin wird der Beschluss des Amtsgerichts – vom 26.05.2021 in Ziffer 1. letzter Absatz dahingehend abgeändert, dass der nach der Tabelle zu § 850c Abs. 3 ZPO unpfändbare Teil des Arbeitseinkommens des Schuldners wegen der teilweise zu berücksichtigenden gesetzlichen Unterhaltspflicht gegenüber seiner Ehefrau – um weitere 92,50 € monatlich zu erhöhen ist, wobei der sich hieraus ergebende Gesamtbetrag den Betrag nicht übersteigen darf, der sich in Anwendung der Tabelle zu § 850c Abs. 3 ZPO bei voller Berücksichtigung der Ehefrau des Schuldners als unterhaltsberechtigter Person als unpfändbarer Betrag ergeben würde.
2. Der Schuldner trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
3. Der Beschluss wird mit Rechtskraft wirksam
4. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe

I.
Auf Antrag der Gläubigerin hat das Amtsgericht – am 03.09.2020 einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss erlassen, mit welchem unter anderem das Arbeitseinkommen des Schuldners gepfändet wird.
Am 06.04.2021 beantragte die Gläubigerin, dass die Ehefrau des Schuldners wegen eigenen Einkommens nach § 850c Abs. 4 ZPO bei der Bestimmung des unpfändbaren Teils des Arbeitseinkommens teilweise unberücksichtigt bleiben soll (Bl. 24). Der Schuldner hat beantragt, diesen Antrag insgesamt abzulehnen, da seine Ehefrau 509 Euro Elterngeld erhalte und sie zudem in einem sehr teuren Landkreis wohnen wobei ein Umzug wegen eines negativen Schufascore nicht möglich sei (Bl. 32/34). Die Gläubigerin hat hierauf erwidert, dass die Ehefrau des Schuldners in der Lage sein, den zugestandenen Bedarf in Höhe von 601,50 Euro in Höhe von 509,00 Euro selbst zu decken, so dass diese bei der Berechnung des pfandfreien Betrages zu 84% unberücksichtigt bleiben müssen (Bl. 36/37).
Mit Beschluss vom 26.05.2021, der Gläubigerin zugestellt am 31.05.2021, hat das Amtsgericht – den Pfändungs- und Überweisungsbeschluss vom 03.09.2020 dahingehend abgeändert, dass die Ehefrau des Schuldners bei der Berechnung des unpfändbaren Einkommens nach § 850c Abs. 4 ZPO nur teilweise zu berücksichtigen ist dergestalt, dass die Unterhaltspflicht des Schuldners der Ehefrau gegenüber bei der Feststellung des nach der Tabelle nach § 850c Abs. 3 ZPO pfändbaren Betrages nicht berücksichtigt wird, stattdessen der nach Tabelle unpfändbare Teil des Arbeitseinkommens des Schuldners wegen der teilweisen gesetzlichen Unterhaltspflicht gegenüber der Ehefrau um 392,50 € zu erhöhen ist. Wegen der Einzelheiten, insbesondere der Begründung, wird auf den Beschluss vom 26.05.2021 Bezug genommen (Bl. 38/40).
Hiergegen wendet sich die Gläubigerin mit sofortiger Beschwerde vom 02.06.2021, eingegangen beim Amtsgericht – am 10.06.2021 (Bl. 42/44), welcher das Amtsgericht – mit Beschluss vom 11.06.2021 nicht abgeholfen hat (Bl. 45/46).
II.
Die nach §§ 793, 567 Abs. 1 Nr. 1, 569 Abs. 1 S. 1 ZPO zulässige sofortige Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg.
1. Nach § 850c Abs. 4 ZPO kann das Vollstreckungsgericht auf Antrag des Gläubigers nach billigem Ermessen bestimmen, dass eine Person, welcher der Schuldner aufgrund gesetzlicher Verpflichtung Unterhalt gewährt, bei der Berechnung des unpfändbaren Teils des Arbeitseinkommens ganz oder teilweise unberücksichtigt bleibt, wenn diese eigene Einkünfte hat. Hierunter fallen grundsätzlich alle Arten von Einnahmen, gleich worauf diese beruhen, wobei im Rahmen der Ermessensausübung keine starren Regelungen bestehen, sondern auf die Umstände des Einzelfalles abzustellen ist (vgl. BeckOK ZPO/Riedel, 40. Ed. 1.3.2021, ZPO § 850c Rn. 24; BGH NJW-RR 2005, 1239). Die Ermessensentscheidung hat unter Einbeziehung der wesentlichen Umstände des Einzelfalles zu erfolgen, lässt aber im Einzelfall auch eine Orientierung an den nach den sozialhilferechtlichen Regelungen zur Existenzsicherung geltenden Sätzen – mit entsprechender Anpassung – zu:
„Im Rahmen seiner Ermessensentscheidung hat das Vollstreckungsgericht zu erwägen, ob die eigenen Einkünfte des Unterhaltsberechtigten, die ihm für seinen Lebensunterhalt zur Verfügung stehen, dergestalt zu berücksichtigen sind, dass dem Schuldner für den damit bereits gedeckten Bedarf des Unterhaltsberechtigten ein pfändbarer Einkommensbetrag nicht verbleiben muss. An die Überprüfung dürfen keine überspannten Anforderungen gestellt werden, um das Vollstreckungsverfahren nicht unpraktikabel zu machen. Zu berücksichtigen ist einerseits, dass Einkünfte des Angehörigen auch nicht mittelbar zur Tilgung von Verbindlichkeiten des Schuldners dienen sollen. Andererseits muss ein vom Schuldner abhängiger Unterhaltsberechtigter gewisse Abstriche von seiner Lebensführung hinnehmen, wenn der Unterhaltsverpflichtete Schulden zu tilgen hat. Bei der Ermessensentscheidung hat das Gericht zu gewärtigen, dass der Grundfreibetrag des § 850c I ZPO regelmäßig auch dazu dient, zu einem erheblichen Teil die Wohnungsmiete und andere Grundkosten des Haushalts abzudecken. Diese Kosten erhöhen sich bei mehreren Personen nicht proportional zur Personenzahl. Lebt der Unterhaltsberechtigte mit dem Schuldner in einem Haushalt, ist es daher nicht gerechtfertigt, dass sich das Gericht bei seiner Ermessensentscheidung nach § 850c IV ZPO einseitig am Grundfreibetrag des § 850c I 1 ZPO ausrichtet, wie es das BeschwGer. in schematischer Weise getan hat. In derartigen Fällen kommt in Betracht, bei der Berechnung des Freibetrags des Unterhaltsberechtigten die nach den sozialrechtlichen Regelungen die Existenzsicherung gewährleistenden Sätze heranzuziehen. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass die Regelungen über die Pfändungsfreigrenzen dem Schuldner und seinen Unterhaltsberechtigten nicht nur das Existenzminimum sichern wollen, sondern eine deutlich darüber liegende Teilhabe am Arbeitseinkommen erhalten bleiben muss. Bei einer Orientierung an den sozialrechtlichen Regelungen wird daher im Rahmen der Ermessensausübung ein Zuschlag in tatrichterlicher Würdigung aller Umstände des Einzelfalls vorzunehmen sein. Regelmäßig wird es nicht zu beanstanden sein, wenn das Vollstreckungsgericht diesen Zuschlag in einer Größenordnung von 30-50% annimmt.“ (BGH a.a.O.).
Die Bemessung des eigenen Bedarfs der Ehefrau des Schuldners mit 601,50 € durch die Gläubigerin und das Vollstreckungsgericht erscheinen vor diesem Hintergrund auch unter Berücksichtigung der Einwände des Schuldners sachgerecht.
2. Das Beschwerdegericht geht davon aus, dass die Ehefrau des Schuldners aufgrund eigener Einkünfte in Höhe von 509,00 Euro in der Lage ist, ihren Bedarf in dieser Höhe selbst zu decken. Die Ehefrau des Schuldners erhält Elterngeld in Höhe von 509,00 Euro monatlich, welches das Amtsgericht – in Höhe von 300,00 Euro aufgrund der Regelung in §§ 10 Abs. 1 BEEG, 54 Abs. 3 Nr. 1 SGB I unzutreffend nicht als eigenes Einkommen der Ehefrau berücksichtigt hat.
a) Ob der Bezug von Elterngeld durch den Ehepartner, dem der Schuldner gesetzlich zum Unterhalt verpflichtet ist, beim Ehepartner als eigene Einkünfte im Sinne von § 850c Abs. 4 ZPO und damit im Rahmen der Ermessensentscheidung zu berücksichtigen ist oder nicht, ist bislang obergerichtlich noch nicht geklärt und wird in der Literatur unterschiedlich bewertet.
Teilweise wird eine Berücksichtigung unter Verweis auf die Regelung zur Unpfändbarkeit in §§ 2 Abs. 4 S. 1, 10 Abs. 1 BEEG, 54 Abs. 3 Nr. 1 SGB I bis zur Höhe von 300 Euro abgelehnt (so: Kindl/Meller-Hannich, Gesamtes Recht der Zwangsvollstreckung, 4. Auflage 2021, ZPO § 850c Rn. 21; wohl auch: Saenger, Zivilprozessordnung, 9. Auflage 2021, ZPO § 850c Rn. 14).
Andere lehnen eine solche pauschale Nichtberücksichtigung ab (so: BeckOK ZPO/Riedel, 40. Ed. 1.3.2021, ZPO § 850c Rn. 24/24.1, der stattdessen eine konkret einzelfallbezogene Ermessensentscheidung befürwortet) oder halten eine generelle Nichtberücksichtigung nur im Anwendungsbereich des § 54 Abs. 3 Nr. 3 SGB I für möglich, da die dort erfassten Geldleistungen dafür bestimmt sind, einen Mehrbedarf abzudecken (so: Rellermeyer in: Stöber/Rellermeyer, Forderungspfändung, 17. Aufl. 2020, Pfändung von Arbeitseinkommen, Rn. C_262, der allerdings bei Kindl/Meller-Hannich, a.a.O. unter Fn. 36 wohl fälschlich als Nachweis für die dort vertretene Ansicht angeführt wird).
Letzterer Ansicht schließt sich die Kammer an. Eine pauschale Nichtberücksichtigung in Anlehnung an § 54 Abs. 3 SGB I trägt dem im Rahmen von § 850c Abs. 4 ZPO vorzunehmenden Interessensausgleich zwischen dem Vollstreckungsinteresse des Gläubigers und dem Interesse des Schuldners und der Personen, denen dieser gesetzlich zum Unterhalt verpflichtet, nicht ausreichend Rechnung. Letztlich geht es nicht um eine Pfändung beim Unterhaltsberechtigten, sondern um die Wertungsfrage, inwieweit eigene Einkünfte des Unterhaltsberechtigten zu berücksichtigen sind. Dabei ist zu berücksichtigen, dass das Elterngeld eine Doppelnatur hat: Es dient zum einen als konkreter Einkommensersatz und andererseits einkommensunabhängig der Familienförderung (BeckOK ArbR/Röhl, 60. Ed. 1.6.2021, BEEG § 10 Rn. 1). Der gesetzlichen Regelung in §§ 2 Abs. 4 S. 1, 10 Abs. 1 BEEG kann dabei auch mit Blick auf die zu wahrende Einheit der Rechtsordnung nicht entnommen werden, dass dies im Rahmen des § 850c Abs. 4 ZPO zwingend eine Nichtberücksichtigung des anrechnungsfreien Mindestelterngeldes in Höhe von 300 Euro zur Folge haben würden. Denn eine Anrechnung des Elterngeldmindestbetrages findet grundsätzlich auch in voller Höhe auf Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II und SGB XII statt, § 10 Abs. 5 S. 1 BEEG (vgl. auch BSG, Urteil vom 26.07.2016 – B 4 KG 2/14 R). In Anbetracht dessen erscheint es zulässig, nicht nur den Teil des Elterngeldes, welcher Einkommensersatz der unterhaltsberechtigten Person ist, als eigene Einnahmen im Rahmen des § 850c Abs. 4 ZPO zu berücksichtigen, sondern auch das Mindestelterngeld in Höhe von 300,00 Euro, selbst wenn dies nach dem Willen des Gesetzgebers auch der Familienförderung dient.
b) Hiernach verbleibt bei der Ehefrau des Schuldners ein ungedeckter Bedarf in Höhe von 92,50 Euro. In dieser Höhe ist der dem Schuldner pfandfrei zu belassende Teil des Arbeitseinkommens zu erhöhen. Da nach § 850c Abs. 4 Hs. 2 im Falle der teilweisen Berücksichtigung eine Bezugnahme auf die Tabelle nach § 850c Abs. 3 S. 2 ZPO nicht erfolgen soll, war der Pfändungs- und Überweisungsbeschluss dahingehend abzuändern, dass die Ehefrau des Schuldners nicht als unterhaltsberechtigte Person nach der Tabelle zu berücksichtigen ist, sondern anteilig in bezifferter Höhe (vgl. Zöller/Herget ZPO, 33. Auflage 2020, § 850c Rn. 17).
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.
Die Rechtsbeschwerde wird nach §§ 574 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, Abs. 3 ZPO wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtsfrage zugelassen, ob der Bezug von Elterngeld durch den gesetzlich unterhaltsberechtigten Angehörigen des Schuldners im Rahmen der Abwägungsentscheidung nach § 850c Abs. 4 ZPO in voller Höhe Berücksichtigung finden kann, oder ob jedenfalls in Höhe des Mindestelterngeldes eine Nichtberücksichtigung geboten ist.


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