Insolvenzrecht

Rechtliches Interesse eines Dritten an Einsicht in die Insolvenzakte

Aktenzeichen  1513 IN 219/19

Datum:
30.3.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 41090
Gerichtsart:
AG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
ZPO § 299 Abs. 2
InsO § 4

 

Leitsatz

Ein Dritter, gegenüber dem der Insolvenzverwalter vorinsolvenzlich begründete Masseforderungen geltend macht, hat kein rechtliches Interesse an der Einsicht in die Insolvenzakte. (Rn. 5 – 12) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

1513 IN 219/19 2021-03-30 Bes AGMUENCHEN AG München

Tenor

1. Dem Antrag auf Akteneinsicht nach § 299 Abs. 2 ZPO i.V.m. § 4 InsO wird nicht stattgegeben.
2. Die Entscheidung über den Antrag nach § 299 Abs. 1 ZPO i.V.m. § 4 InsO ergeht durch § 299 gesonderten Beschluss.

Gründe

Die Antragstellerin stellte mit Schreiben vom 10.03.2021 sowohl ein Akteneinsichtsgesuch nach § 299 Abs. 1 ZPO i.V.m. § 4 InsO als auch nach § 299 Abs. 2 ZPO i.V.m. § 4 InsO.
Nachdem dem Gericht keine Kenntnisse zur möglichen Gläubigerstellung der Antragstellerin vorlagen, wurde der Insolvenzverwalter zur Stellungnahme aufgefordert. Diese ging am 23.03.2021 ein. Der Insolvenzverwalter hat der Akteneinsicht nicht zugestimmt.
Mit weiterem Schreiben vom 23.05.2021 ergänzte die Antragstellerin ihre Angaben zum Antrag nach § 299 Abs. 2 ZPO i.V.m. § 4 InsO.
Nachdem das Gericht den Antrag nach § 299 Abs. 1 ZPO i.V.m. § 4 InsO mangels Beteiligtenstellung der Antragstellerin mit Beschluss gleichen Datums zurückgewiesen hat, ist sekundär über den Antrag nach § 299 Abs. 2 ZPO i.V.m. § 4 InsO zu entscheiden.
Die Antragstellerin trägt vor, dass sie Akteneinsicht begehrt, weil sie in Erwägung zieht Forderungen zum Verfahren anzumelden und auch selbst von der Antragstellerin in Anspruch genommen wird. Ergänzend macht die Antragstellerin geltend, dass der Insolvenzverwalter über das Vermögen der Schuldnerin der Antragstellerin angekündigt hat, bei Scheitern einer vergleichsweisen Einigung zum 31.03.21 Klage einzureichen. Ein besonderes Interesse an der Akteneinsicht ergäbe sich insbesondere aus der Inanspruchnahme durch den Insolvenzverwalter und die damit einhergehende Berührung der persönlichen Rechte der Antragstellerin. Die Akteneinsicht sei notwendig, damit die Antragstellerin mögliche Ansprüche des Insolvenzverwalters abwehren kann. Es käme zudem eine Anspruchskürzung auf Grund Mitverschuldens der Geschäftsführer in Betracht, wobei Zweifel daran bestünden, dass der Insolvenzverwalter diesen in vollem Umfang nachgehe, da er auf die Kenntnisse der Organe angewiesen sei. Das Gebot der Waffengleichheit und die Tatsache, dass der Geschäftsführer als Organ auch im Insolvenzverfahren stets nach § 299 Abs. 1 ZPO Akteneinsicht beantragen kann, stünden ebenfalls für die Gewährung der Akteneinsicht.
Die Antragstellerin hat weder eine Forderung zum Verfahren angemeldet, noch glaubhaft vorgetragen Inhaberin einer Forderung zu sein, aus der ihr zumindest kraft ihrer materiellrechtlich qualifizierten Stellung als Insolvenzgläubigerin Teilnahmerechte am Insolvenzverfahren erwachsen könnten (BayObLG München, Beschluss v. 24.10.2019 – 1 VA 92/19). In Entsprechung der Prüfung der Teilnahmeberechtigung an Gläubigerversammlungen ohne vorherige Anmeldung einer Forderung wäre hierbei als Mindestmaß, wenn schon nicht die Glaubhaftmachung der Forderung, so zumindest die Nennung der Einzelheiten vorauszusetzen, die auch zur Anmeldung einer Forderung nach § 174 II InsO notwendig wären (Uhlenbruck, InsO, 15. Auflage, Rdnr. 12 zu § 74 InsO). Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass sich die Antragstellerin entsprechend des Schriftsatzes des Insolvenzverwalters vom 22.03.2021 selbst Gegenansprüchen in Höhe von rund … EUR ausgesetzt sieht.
Ein besonderes Geheimhaltungsinteresse am Akteninhalt wird nach überwiegender Rechtsauffassung selbst gegenüber Gläubigern dann anerkannt, wenn aus den Akten ersichtlich ist, dass der Insolvenzverwalter gegen einen Gläubiger einen Anfechtungsprozess vorbereitet oder Schriftstücke einen zwischen dem Antragsteller und dem Insolvenzverwalter bereits schwebenden Rechtsstreit betreffen (Ganter/Bruns Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung 4. Auflage 2019 Rn. 75 zu § 4 InsO, Baumert Braun, Insolvenzordnung 8. Auflage 2020 Rn. 69 zu § 4 InsO). Erst recht muss dies gegenüber Dritten gelten, deren Interessen denen der Gläubigergemeinschaft gegenüberzustellen sind.
Soweit die Antragstellerin vorträgt, dass auch dem Geschäftsführer der Schuldnerin Akteneinsicht jederzeit zustünde und mögliche Organhaftungsansprüche die Forderungen gegen sie selbst mindern könnten, geht dies an der Sachlage im vorliegenden Verfahren weitestgehend vorbei. Herr … wurde am 15.01.2019 als Geschäftsführer der Schuldnerin im Handelsregister eingetragen, am 29.01.2019 stellte die Schuldnerin Insolvenzantrag. Die Antragstellerin wird vom Insolvenzverwalter hingegen für Pflichtverletzungen aus den Jahren 2015-2017 in Anspruch genommen. Soweit hingegen ein ehemaliger Geschäftsführer Antrag auf Akteneinsicht stellen würde, der zeitgleich vom Insolvenzverwalter in Anspruch genommen wird, wäre eine auf Ausforschungsinteresse beruhende Akteneinsicht aus Sicht des Gerichts abzulehnen, (OLG Hamburg, Beschluss vom 19.5.2008 – 2 VA 3/08).
Entsprechend des Beschlusses des Bundesgerichtshofs vom 15.10.2020 – IX AR (VZ) 2/19 setzt eine Akteneinsicht nach § 299 Abs. 2 ZPO voraus, dass persönliche Rechte des Antragstellers durch den Gegenstand des Verfahrens, in dessen Akten Einsicht begehrt wird, berührt werden. Dabei muss sich das rechtliche Interesse aus der Rechtsordnung selbst ergeben und verlangt als Mindestbedingung ein auf Rechtsnormen beruhendes oder durch solche geregeltes gegenwärtiges Verhältnis einer Person zu einer anderen Person oder zu einer Sache (BGH, Beschluss vom 5. April 2006 – IV AR(VZ) 1/06, ZIP 2006, 1154 Rn. 15). Daneben muss das vom Einsichtsgesuch betroffene Verfahren selbst oder zumindest dessen Gegenstand für die rechtlichen Belange des Antragstellers von konkreter rechtlicher Bedeutung sein (OLG Naumburg, ZIP 2010, 1765, 1766; OLG Frankfurt, ZVI 2006, 30, 31). OLG Frankfurt 20. Zivilsenat, 01.02.2007, 20 VA 13/06, 20 VA 14/06. Ein rechtliches Interesse ist regelmäßig gegeben, wenn die erstrebte Kenntnis von dem Inhalt der Akten zur Verfolgung von Rechten oder zur Abwehr von Ansprüchen erforderlich ist (OLG Frankfurt am Main NJW-RR 2004, 1194).
Die Antragstellerin hat plausibel dargelegt, dass etwaige Pflichtverletzungen eines ehemaligen Geschäftsführers zu einer direkten oder, im Rahmen des Gesamtschuldinnenausgleichs, indirekten Minderung der gegen sie selbst geltend gemachten Ansprüche führen könnten. Der Interessenkreis der Antragstellerin würde somit von der Durchsetzung etwaiger Ansprüche gegen ehemalige Organe der Schuldnerin im Rahmen des Insolvenzverfahrens berührt.
Mangels eines entsprechenden Vortrags muss allerdings davon ausgegangen werden, dass die Antragstellerin erst im Wege der Akteneinsicht Anhaltspunkte für ein pflichtwidriges Verhalten der ehemaligen Geschäftsführer der Schuldnerin und die etwaige Durchsetzbarkeit daraus folgender Ansprüche ermitteln will, was für ein Ausforschungsinteresse statt eines konkretisierten, rechtlichen Interesses spricht.
Der Sachverständige ist gehalten bei der Erstellung des Insolvenzgutachtens das Gericht mit möglichst hoher Transparenz über die Höhe und voraussichtliche Einbringlichkeit aller Aktiva der Schuldnerin zu informieren. Auf Grund des gläubigerautonomen Charakters des lediglich parteiöffentlichen Verfahrens stehen diese Informationen anschließend auch allen Verfahrensbeteiligten, insbesondere den Insolvenzgläubigern offen. Es wäre regelmäßig von einem prozesstaktischen Nachteil für die Insolvenzmasse auszugehen, wenn mögliche Prozessgegner von den umfangreichen Auskunftspflichten des Sachverständigen und später Insolvenzverwalters gegenüber dem Gericht und der Gläubigergemeinschaft profitieren würden, die den Verfahrenszweck im Rahmen ihrer Kontrollfunktion gerade sicherstellen sollen. So wird im Insolvenzverfahren die Abwehr einer Forderung des Insolvenzverwalters gerade nicht als hinreichender rechtlicher Bezug für die Gewährung der Akteneinsicht erachtet (Fridgen/Geiwitz/Göpfert, 14. Edition, 2019, § 4 InsO, auch s.o.).
Selbst bei der Annahme eines rechtlichen Interesses der Antragstellerin wäre bei Abwägung der Interessen der Gläubigergemeinschaft im Insolvenzverfahren und den Interessen der Antragstellerin ist vorliegend angesichts der widerstreitenden wirtschaftlichen Interessen denen der Gläubigergemeinschaft Vorzug zu geben. Die Antragstellerin hat lediglich abstrakt eine Reihe von Rechtsnormen vorgetragen, aus denen sich eine Minderung des Anspruchs gegen sie selbst auf Grund etwaiger Forderungen der Masse gegen einen weiteren Dritten ergeben könnte. Dem steht ein bereits konkretisierter Anspruch der Masse gegenüber der Antragstellerin selbst gegenüber. Die Antragstellerin hat ihr Auskunftsersuchen auch nicht auf konkrete Informationen oder Bestandteile des Gutachtens entsprechend ihres Sachvortrags vom 25.03.2021 beschränkt, so dass über die Herausgabe des Gutachtens in seiner Gesamtheit zu entscheiden war.
Die von der Antragstellerin zitierte Entscheidung des Amtsgerichts Göttingen, Beschluss vom 15.04.2015 – 74 IN 31/15 bezieht sich schließlich auf die Herausgabe der Handakte eines ehemaligen Insolvenzverwalters an den nachfolgenden Insolvenzverwalter im vorgenannten Verfahren und ist auf den Antrag eines Dritten nicht anwendbar. Das Insolvenzgericht ist nicht gehalten, eine etwaige Entscheidung des Zivilgerichts nach § 143 ZPO vorwegzunehmen.


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