Insolvenzrecht

Widerruf einer Zuwendung wegen Zweckverfehlung, Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Zuwendungsempfängers, konkrete Gefährdung des Zuwendungszwecks der Sicherung und ständigen Besetzung von Dauerarbeitsplätzen bis zum Ablauf der Bindungsfrist, Ermessensausfall bezüglich des Absehens von der Geltendmachung des Zinsanspruchs

Aktenzeichen  AN 4 K 20.00518

Datum:
15.2.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 6859
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayVwVfG Art. 49 Abs. 2a S. 1 Nr. 1
BayVwVfG Art. 49a Abs. 3 S. 2

 

Leitsatz

Tenor

1. Der Bescheid der Regierung von … vom 19. März 2020 wird aufgehoben, soweit in Ziffer 2 die Zinsforderung in Höhe von 27.344,58 EUR gegenüber der Klägerin geltend gemacht wird.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

A.
Die Klage gegen den Widerrufsbescheid vom 19. März 2020 ist zwar zulässig (I.), hat in der Sache aber nur hinsichtlich der Zinsforderung Erfolg (II.).
I. Die Anfechtungsklage (§ 42 Abs. 1 Var. 1 VwGO) ist zulässig.
1. Die Klägerin ist trotz der vor Klageerhebung erfolgten Eröffnung des Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen prozessführungsbefugt. Hat das Insolvenzgericht wie vorliegend im Beschluss über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Eigenverwaltung angeordnet, ist der Schuldner gemäß § 270 Abs. 1 Satz 1 InsO berechtigt, unter Aufsicht eines Sachwalters die Insolvenzmasse zu verwalten und über sie zu verfügen. Die Prozessführungsbefugnis betreffend sämtlicher Rechte und Pflichten der Insolvenzmasse verbleibt im Fall der Eigenverwaltung beim Insolvenzschuldner (Andres in ders./Leithaus, InsO, 4. Aufl. 2018, § 270 Rn. 12; Hofmann in ders., Eigenverwaltung, 2. Aufl. 2016, C.I.3.c Rn. 196). Ob die Zustimmung des Sachwalters zur Bevollmächtigung des Prozessbevollmächtigten und Klageerhebung gemäß § 275 Abs. 1 Satz 1 InsO erforderlich war, kann dahinstehen, denn zum einen wurde diese laut Klägerin erteilt, zum anderen würde ihr Fehlen die Wirksamkeit der Rechtshandlungen der Insolvenzschuldnerin gegenüber Dritten unberührt lassen (Andres in ders./Leithaus, InsO, 4. Aufl. 2018, § 275 Rn. 2; Plaßmeier/Ellers in BeckOK, 26. Ed., Stand: 15.07.2021, § 275 Rn. 13). Auch ob darüber hinaus gemäß § 276 Satz 1 i.V.m. § 160 Abs. 2 Nr. 3 InsO die Zustimmung der Gläubigerversammlung zur Klageerhebung erforderlich war und vorlag, ist vorliegend nicht zu prüfen, da ein eventueller Verstoß gegen § 276 Satz 1 InsO die Wirksamkeit der Rechtshandlung der Insolvenzschuldnerin nicht berührt (§ 276 Satz 2 i.V.m. § 164 InsO).
2. Die Klägerin wird im Gerichtsverfahren wirksam durch einen Rechtsanwalt als Bevollmächtigten vertreten (§ 67 Abs. 2 Satz 1 VwGO).
a) Zum Zeitpunkt der Klageerhebung am 23. April 2020 war die Prozessvollmacht wirksam erteilt worden. Die Wirksamkeit der Vollmachtserteilung setzt, da es sich um eine Prozesshandlung handelt, die Prozessfähigkeit des Vollmachtgebers gemäß § 62 VwGO voraus (Schenk in Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, 41. EL Juli 2021, § 67 VwGO Rn. 89; Czybulka/Siegel in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 67 VwGO Rn. 65). Die Klägerin als Personengesellschaft in der Rechtform der Kommanditgesellschaft ist als solche nicht prozessfähig. Für sie handeln gemäß § 62 Abs. 3 VwGO ihre gesetzlichen Vertreter. Die gesetzliche Vertreterin der Klägerin ist ihre Komplementärin, die … Verwaltungs GmbH (§ 161 Abs. 2, § 125 Abs. 1, § 170 HGB), welche wiederum durch ihre einzelvertretungsberechtigten Geschäftsführer Herrn … und Herrn … vertreten wird (§ 35 Abs. 1 Satz 1 GmbHG). Folglich durfte Herr … als einzelvertretungsberechtigter Geschäftsführer der Komplementär-GmbH die Prozessvollmacht vom 5. März 2020 mit Wirkung für die Klägerin unterzeichnen. Die bereits vor Klageerhebung erfolgte Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Klägerin ändert an der Wirksamkeit dieser Handlung nichts, da die Klägerin aufgrund der angeordneten Eigenverwaltung gemäß § 270 Abs. 1 Satz 1 InsO nach wie vor berechtigt ist, unter Aufsicht des Sachwalters die Insolvenzmasse zu verwalten und über sie zu verfügen und damit auch, einem Rechtsanwalt Vollmacht zur Führung eines Klageverfahrens zu erteilen, mit dem eine Inanspruchnahme der Insolvenzmasse durch Dritte abgewehrt werden soll.
b) Der Umstand, dass nach Klageerhebung mit Beschluss des Amtsgerichts … vom 9. Juli 2020 über das Vermögen der Komplementär-GmbH das Insolvenzverfahren eröffnet und eine Insolvenzverwalterin bestellt wurde, führt gemäß § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 86 Halbs. 1 ZPO nicht zur Aufhebung der wirksam erteilten Prozessvollmacht.
Im Ergebnis kann damit dahinstehen, welche Auswirkungen die spätere Eröffnung des Regelinsolvenzverfahrens über das Vermögen der Komplementär-GmbH auf die Befugnis der Geschäftsführer der Komplementär-GmbH hat, als Vertreter der Komplementär-GmbH die Vertretung der Klägerin zu besorgen und damit letztlich für die Klägerin Prozesshandlungen vorzunehmen, denn eine Veränderung in der gesetzlichen Vertretung der Klägerin führt gemäß § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 86 Halbs. 1 ZPO nicht zur Aufhebung der ursprünglich wirksam erteilten Prozessvollmacht.
§ 86 ZPO soll im Interesse der Prozesswirtschaftlichkeit und zum Schutz des Prozessgegners die Fortführung eines einmal begonnenen Prozesses ohne Verzögerungen ermöglichen (BGH, U.v. 8.2.1993 – II ZR 62/92 – BGHZ 121, 263 – juris Rn. 10; Beck in Anders/Gehle, ZPO, 80. Aufl. 2022, § 86 Rn. 2; Weth in Musielak/Voit, ZPO, 18. Aufl. 2021, § 86 Rn. 1). Die einmal erteilte Prozessvollmacht besteht auch nach einem Wechsel des gesetzlichen Vertreters fort (BGH, U.v. 31.3.2008 – II ZR 308/06 – juris Rn. 7; Weth in Musielak/Voit, ZPO, 18. Aufl. 2021, § 86 Rn. 9; Toussaint in MüKO, ZPO, 6. Aufl. 2020, § 86 Rn. 5). Mithin hat der möglicherweise durch die Insolvenzverfahrenseröffnung über das Vermögen der Komplementär-GmbH eingetretene Wechsel in der Vertretung der Komplementär-GmbH (von den Geschäftsführern auf die Insolvenzverwalterin), die wiederum die Klägerin vertritt, nicht zu einer Aufhebung der dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin ursprünglich wirksam erteilten Prozessvollmacht geführt. Die Fortgeltung der Prozessvollmacht hat zur Folge, dass das Verfahren nicht gemäß § 241 Abs. 1 ZPO kraft Gesetzes unterbrochen wurde (§ 246 Abs. 1 Halbs. 1 ZPO). Der Prozessbevollmächtigte musste auch nicht gemäß § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 86 Halbs. 2 ZPO eine Vollmacht des Nachfolgers im Rechtsstreit beibringen, da mangels Antrags des Prozessbevollmächtigten der Klägerin keine Aussetzung des Verfahrens angeordnet wurde (§ 246 Abs. 1 Halbs. 2 ZPO).
II. Die Klage ist hinsichtlich des Widerrufs des Zuwendungsbescheides vom 8. November 2017 (1.) sowie der Geltendmachung des Erstattungsanspruchs (2.) unbegründet, da der Bescheid der Regierung von … vom 19. März 2020 insoweit rechtmäßig ist und die Klägerin nicht in ihren Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Hingegen hat die Klage hinsichtlich der geltend gemachten Zinsforderung Erfolg, da hier ein nicht zu heilender Ermessensausfall vorliegt (3.).
1. Der Widerruf des Zuwendungsbescheides vom 8. November 2017 mit Wirkung für die Vergangenheit in voller Höhe (Ziffer 1 des Bescheides) ist rechtmäßig.
a) Nach Art. 49 Abs. 2a Satz 1 Nr. 1 BayVwVfG kann ein rechtmäßiger Verwaltungsakt, der eine einmalige oder laufende Geldleistung oder teilbare Sachleistung zur Erfüllung eines bestimmten Zweckes gewährt oder hierfür Voraussetzung ist, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise auch mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen werden, wenn die Leistung nicht, nicht alsbald nach der Erbringung oder nicht mehr für den in dem Verwaltungsakt bestimmten Zweck verwendet wird. Der Widerruf ist gemäß Art. 49 Abs. 2a Satz 2 i.V.m. Art. 48 Abs. 4 BayVwVfG nur innerhalb eines Jahres seit dem Zeitpunkt der Kenntnisnahme der Behörde von den Tatsachen, welche den Widerruf rechtfertigen, zulässig.
Maßgeblich für die gerichtliche Überprüfung der Rechtmäßigkeit des Widerrufs eines Zuwendungsbescheides ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung (BayVGH, B.v. 25.1.2021 – 6 ZB 20.2162 – juris Rn. 17; B.v. 28.9.2015 – 22 ZB 15.1018 – juris Rn. 19; OVG MV, B.v. 24.3.2009 – 2 L 181/07 – juris Rn. 5). Vorliegend ist maßgeblicher Entscheidungszeitpunkt somit der Erlass des Widerrufsbescheides am 19. März 2020.
b) Der Widerruf erfolgte formell rechtmäßig.
Die gemäß Art. 28 Abs. 1 BayVwVfG erforderliche Anhörung wurde gemäß Art. 45 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 BayVwVfG vor Abschluss der letzten Tatsacheninstanz des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens nachgeholt.
Der Beklagte hörte die Klägerin mit Schreiben vom 5. Februar 2020 zum beabsichtigten Widerruf des Zuwendungsbescheides an und setzte ihr eine Frist zur Stellungnahme bis 15. Februar 2020. Zwar ist bis zum Fristablauf keine Stellungnahme der Klägerin beim Beklagten eingegangen, jedoch äußerte die Klägerin in der E-Mail vom 11. März 2020 und damit vor Erlass des streitgegenständlichen Bescheides, dass ihr sehr an der Weiterführung des Geschäftsbetriebes mit einem neuen starken Partner gelegen sei und es das Hauptziel sei, das gesetzte Arbeitsplatzziel mittelfristig zu erreichen bzw. sogar zu übertreffen. Auch ein nach Fristablauf eingegangenes Vorbringen der Beteiligten muss von der Behörde berücksichtigt werden (Herrmann in BeckOK, VwVfG, 54. Ed., Stand: 01.01.2022, § 28 Rn. 20).
Die fragliche Aussage der Klägerin fand sich in zwei Absätzen in der Mitte der E-Mail vom 11. März 2020, die mit dem Betreff „Verwendungsnachweis“ betitelt war und in der es zu Beginn und zu Ende um die Einreichung des Verwendungsnachweises ging. Auch wenn für den Beklagten nicht auf den ersten Blick erkennbar gewesen sein sollte, dass es sich hierbei um eine Stellungnahme zum beabsichtigten Widerruf handelte, enthielten die zwei fraglichen Passagen der E-Mail Informationen, die zumindest möglicherweise entscheidungserheblich für die Frage der Verfehlung des Zuwendungszwecks und damit der Widerrufsvoraussetzungen sind. Insofern hätten diese Informationen vom Beklagten bei der Widerrufsentscheidung berücksichtigt werden müssen, denn die Anhörungspflicht verlangt auch, dass die Behörde ein etwaiges Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis nimmt und bei ihrer Entscheidung in Erwägung zieht (BVerfG, B.v. 2.12.1969 – 2 BvR 320/69 – juris Rn. 9; BVerwG, U.v. 17.8.1982 – 1 C 22.81 – juris Rn. 18; Herrmann in BeckOK, VwVfG, 54. Ed., Stand: 01.01.2022, § 28 Rn. 45; Kallerhoff/Mayen in Stelkens/Bonks/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 28 Rn. 38). Der Beklagte hat dies jedoch offenbar nicht getan, da er im streitgegenständlichen Bescheid ausführte, dass die Klägerin von der Gelegenheit zur Stellungnahme bis 15. Februar 2020 keinen Gebrauch gemacht habe und auch sonst keine Stellungnahme der Klägerin erwähnt wird.
Dieser Anhörungsfehler wurde jedoch gemäß Art. 45 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 BayVwVfG geheilt, indem der Beklagte im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht das bereits vor Erlass des streitgegenständlichen Bescheides eingegangene Vorbringen der Klägerin nachträglich gewürdigt hat. Eine Heilung gemäß Art. 45 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 BayVwVfG setzt voraus, dass die Behörde die vorgebrachten Argumente des Beteiligten erkennbar zum Anlass nimmt, die getroffene Entscheidung kritisch zu überdenken (BVerwG, U.v. 17.12.2015 – 7 C 5.14 – BVerwGE 153, 367 – juris Rn. 17; BayVGH, B.v. 13.11.2017 – 15 ZB 16.1885 – juris Rn. 9; Schemmer in BeckOK, VwVfG, 54. Ed., Stand: 01.01.2022, § 45 Rn. 42.1). In der mündlichen Verhandlung führte der Sachbearbeiter der Regierung zur E-Mail der Klägerin vom 11. März 2020 ergänzend aus, dass die bloße Ankündigung eines Investors für eine andere förderrechtliche Beurteilung nicht ausreiche. Hierzu sei ein Übertragungsbescheid erforderlich, in dem sich der Investor verpflichte, in die Haftung aus dem Zuwendungsbescheid einzutreten. Die Beklagtenvertreterin erklärte, dass sich nie ein Investor gemeldet habe, der bereit gewesen sei, in den Zuwendungsbescheid einzusteigen. Mit diesem Vorbringen des Beklagten in der mündlichen Verhandlung hat dieser den von der Klägerin in der E-Mail vom 11. März 2020 vorgebrachten Einwand, dass eine Weiterführung des Geschäftsbetriebes mit einem neuen starken Partner und eine Erreichung des Arbeitsplatzzieles beabsichtigt sei, hinreichend gewürdigt. Der Beklagte hat nachvollziehbar dargelegt, dass diese bloße Ankündigung eines Investors nicht ausreiche, um von einem Widerruf des Zuwendungsbescheides abzusehen. Hierfür sei vielmehr ein Eintritt des Investors in die Rechten und Pflichten des Zuwendungsbescheides durch Erlass eines Übertragungsbescheides erforderlich. Zu diesem Zwecke habe sich im konkreten Fall nie ein Investor bei der Regierung gemeldet.
c) Die Voraussetzungen für den Widerruf des Zuwendungsbescheides gemäß Art. 49a Abs. 2a Satz 1 Nr. 1 Var. 3, Satz 2 i.V.m. Art. 48 Abs. 4 BayVwVfG lagen vor.
aa) Bei dem Zuwendungsbescheid handelt es sich um einen rechtmäßigen Verwaltungsakt, mit dem eine einmalige Geldleistung in Höhe von 600.000,00 EUR zur Erfüllung eines bestimmten Zweckes gewährt wurde (Art. 49 Abs. 2a Satz 1 BayVwVfG).
bb) Der Zuwendungsbescheid konnte gemäß Art. 49 Abs. 2a Satz 1 Nr. 1 Var. 3 BayVwVfG widerrufen werden, da die Zuwendung bereits mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Klägerin nicht mehr für den im Zuwendungsbescheid bestimmten Zuwendungszweck der Sicherung und ständigen Besetzung der Dauerarbeitsplätze (1) verwendet wurde. Bereits mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Klägerin war nicht mehr von einer Sicherung, sondern vielmehr von einer konkreten Gefährdung der Dauerarbeitsplätze auszugehen (2).
(1) Zweck der Förderung war nach Ziffer 5 des Zuwendungsbescheides vom 8. November 2017 insbesondere, dass durch die mitfinanzierten Maßnahmen in der Betriebsstätte … insgesamt 29,5 Dauerarbeitsplätze gesichert und drei geschaffen werden und ständig besetzt sind, wobei als Dauerarbeitsplätze in diesem Sinne nur Arbeitsplätze gelten, die von vorneherein auf Dauer angelegt und während der Bindungsfrist ständig besetzt sind oder zumindest dem Arbeitsmarkt tatsächlich dauerhaft angeboten werden. Die Bindungsfrist endet fünf Jahre nach Ablauf des Durchführungszeitraums (Ziffer 4 des Zuwendungsbescheides). Der Durchführungszeitraum endete am 30. November 2019 (Ziffer 1 des Zuwendungsbescheides). Zweck der Zuwendung war somit die Sicherung von 29,5 und die Schaffung von drei Dauerarbeitsplätzen und die ständige, d.h. bis zum Ablauf der Bindungsfrist am 30. November 2024 erfolgende Besetzung dieser Arbeitsplätze.
(2) Bereits mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Klägerin war nicht mehr von einer Sicherung, sondern vielmehr von einer konkreten Gefährdung der zu diesem Zeitpunkt im Unternehmen der Klägerin bestehenden Dauerarbeitsplätze auszugehen.
(a) Dauerarbeitsplätze sind nicht erst dann gefährdet, wenn der Zuwendungsempfänger die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis verliert (was vorliegend mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens noch nicht der Fall war, da im Rahmen der Eigenverwaltung der Insolvenzschuldner weiterhin verwaltungs- und verfügungsbefugt ist, § 270 Abs. 1 Satz 1 InsO) oder wenn die Arbeitsplätze tatsächlich abgebaut werden, sondern bereits dann, wenn durch eine drastische Verschlechterung der finanziellen Verhältnisse sowie der Vermögenssituation des Zuwendungsempfängers als Arbeitgeber eine konkrete Gefährdung eingetreten ist. Jede erhebliche Verschlechterung der finanziellen Verhältnisse eines Betriebes, die nicht nur kurzfristig ist, sondern dazu führt, dass der Betrieb nicht mehr zu den „normalen“ Bedingungen fortgeführt wird, stellt eine konkrete Gefährdung der Arbeitsplätze dar (VG Augsburg, U.v. 20.3.2018 – Au 3 K 15.1380 – juris Rn. 26 f.; VG Bayreuth, U.v. 15.11.2017 – B 4 K 16.620 – juris Rn. 27; VG Regensburg, U.v. 12.2.2015 – RN 7 K 14.34 – juris Rn. 20; VG Würzburg, U.v. 25.1.2012 – W 6 K 11.411 – juris Rn. 51). Eine solche drastische Verschlechterung der finanziellen Situation der Klägerin wurde durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens offenbar, die laut Beschluss des Amtsgerichts … vom 1. Februar 2020 wegen Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung erfolgte.
Mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens stand fest, dass das Vermögen der Klägerin inklusive des durch die streitgegenständliche Zuwendung mitfinanzierten Betriebsgebäudes samt Ausstattung und der mitfinanzierten Maschinen nicht mehr für die Sicherung und ständige Besetzung der Dauerarbeitsplätze verwendet wird, sondern für das im Insolvenzverfahren vorrangige Ziel der Befriedigung der Gläubiger. Das Insolvenzverfahren dient gemäß § 1 InsO dazu, die Gläubiger eines Schuldners gemeinschaftlich zu befriedigen, indem das Vermögen des Schuldners verwertet und der Erlös verteilt oder in einem Insolvenzplan eine abweichende Regelung insbesondere zum Erhalt des Unternehmens getroffen wird. Vorrangiges Ziel des Insolvenzverfahrens ist mithin die Befriedigung der Gläubiger. Zwar kommt neben der Liquidation des Schuldnervermögens auch eine Übereinkunft der Beteiligten in Form eines Insolvenzplans mit Fortführung des Unternehmens in Betracht, dennoch bleibt nach der Gesetzesbegründung das einheitliche Hauptziel die bestmögliche Befriedigung der Gläubiger. Dieses Ziel ist in erster Linie maßgeblich für die Entscheidungen, die innerhalb des Verfahrens zu treffen sind (BT-Drs. 12/2443, S 108). Das durch die streitgegenständliche Zuwendung mitfinanzierte Betriebsgebäude der Klägerin in … samt Ausstattung sowie die mitfinanzierten Maschinen (vgl. Ziffer 1 des Zuwendungsbescheides) gehören zur Insolvenzmasse (§ 35 InsO) und dienen damit vorrangig der Gläubigerbefriedigung, unabhängig davon, in welcher Art und Weise diese erreicht werden soll. Der mit der Zuwendung verfolgte Zweck der Arbeitsplatzsicherung hat daneben keine eigenständige Bedeutung mehr. Der Beklagte muss es aber nicht hinnehmen, dass die Zuwendung bei einem Zuwendungsempfänger verbleibt und zumindest für einen nicht unerheblichen Teil auch zu einem Zweck verwendet wird, der den vorgegebenen Zweckbestimmungen nicht entspricht (VG Bayreuth, U.v. 15.11.2017 – B 4 K 16.620 – juris Rn. 29; VG Würzburg, U.v. 25.1.2012 – W 6 K 11.411 – juris Rn. 53).
(b) Der Einschätzung, dass bereits die Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu einer konkreten Gefährdung der Dauerarbeitsplätze führt, steht auch nicht entgegen, dass ein Insolvenzverfahren theoretisch auch zur Sanierung des Unternehmens führen kann.
Die Insolvenzordnung sieht drei Möglichkeiten der Unternehmens(träger) sanierung vor: Die Fortführung des Unternehmens auf der Grundlage eines Insolvenzplans, die Übertragung des Unternehmens im Wege des Asset Deals auf einen neuen Rechtsträger (übertragende Sanierung) oder die Eigenverwaltung (vgl. Rattunde: Strukturen, Möglichkeiten und Erfahrungen der Sanierung mit dem Insolvenzverfahren oder während des Insolvenzverfahrens, ZIP 2003, 2103/2105 f.; Ganter/Bruns in MüKo, InsO, 4. Aufl. 2019, § 1 Rn. 90). Jedoch ist auch bei diesen Sanierungsmöglichkeiten nicht sichergestellt, dass alle Dauerarbeitsplätze bis zum Ablauf der fünfjährigen Bindungsfrist, von der vorliegend bei Insolvenzverfahrenseröffnung erst zwei Monate verstrichen waren, erhalten bleiben und damit der Zuwendungszweck erreicht wird. Da in einer Vielzahl mittelständischer Insolvenzen gerade die Personalkosten mitursächlich für die Insolvenz des Unternehmens sind, sind Insolvenzverwalter und Erwerber an einer Neuorganisation des Personalapparates interessiert, was in aller Regel mit einem Personalabbau verbunden ist (Hölzle: Sanierende Übertragung – Besonderheiten des Unternehmenskaufs in Krise und Insolvenz, DStR 2004, 1433/1437; Meyer in Röger, Insolvenzarbeitsrecht, 1. Aufl. 2018, § 8 Handlungsschwerpunkte Rn. 206). Das Insolvenzarbeitsrecht ermöglicht sogar einen Personalabbau unter vereinfachten Bedingungen und bietet damit die Möglichkeit, ein Unternehmen innerhalb kurzer Zeit durch Abbau wesentlicher Teile des Personals zu sanieren (Rattunde, ZIP 2003, 2103/2107). Der Insolvenzschuldner kann ab Eröffnung des Insolvenzverfahrens auch nicht mehr (allein) darüber entscheiden, welche konkreten Maßnahmen zur Sanierung des Unternehmens getroffen werden und kann mithin auch nicht mehr sicherstellen, dass diese nicht mit einem Arbeitsplatzabbau verbunden sind. Durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens geht die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen auf den Insolvenzverwalter über (§ 80 Abs. 1 InsO). Selbst wenn – wie vorliegend – die Eigenverwaltung angeordnet wird und daher die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis beim Insolvenzschuldner verbleibt (§ 270 Abs. 1 Satz 1 InsO), kann dieser nicht alleine entscheiden, sondern untersteht zum einen der Aufsicht des Sachwalters (§ 270 Abs. 1 Satz 1 InsO) und ist zum anderen zur Vornahme von Rechtshandlungen, die für das Insolvenzverfahren von besonderer Bedeutung sind, auf die Zustimmung des Gläubigerausschusses angewiesen (§ 276 Satz 1 InsO). Im Übrigen kann die Gläubigerversammlung jederzeit mit der erforderlichen Mehrheit die Aufhebung der Anordnung der Eigenverwaltung beantragen (§ 272 Abs. 1 Nr. 1 InsO) mit der Folge, dass doch ein Insolvenzverwalter eingesetzt wird und dieser die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis erlangt.
Darüber hinaus ist die Wahrscheinlichkeit einer erfolgreichen Sanierung des Unternehmens im Insolvenzverfahren relativ gering. Von den 19.352 im Jahr 2010 eröffneten und bis zum Jahresende 2017 beendeten Insolvenzverfahren von Unternehmen wurden 941 saniert (Statistisches Bundesamt, Unternehmen und Arbeitsstätten, Beendete Insolvenzverfahren und Restschuldbefreiung 2017, Fachserie 2 Reihe 4.1.1, 27.3.2019, S. 11), was einem Anteil von 4,9% entspricht. In den 18.368 im Jahr 2011 eröffneten und bis zum Jahresende 2018 beendeten Unternehmensinsolvenzverfahren wurden 828 Unternehmen saniert (Statistisches Bundesamt, Unternehmen und Arbeitsstätten, Beendete Insolvenzverfahren und Restschuldbefreiung 2018, Fachserie 2 Reihe 4.1.1, 31.3.2020, S. 10), was einem Anteil von 4,5% entspricht.
Angesichts der Ungewissheiten, ob eine Sanierung überhaupt gelingt und ob diese mit einem Personalabbau verbunden ist, war die Sicherung der Dauerarbeitsplätze für weitere 4 Jahre und 10 Monate schon bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Klägerin nicht mehr verlässlich gewährleistet.
(c) Die Argumentation des Prozessbevollmächtigten der Klägerin, dass die vorhandenen Arbeitsplätze bei einer Übertragung der geförderten Betriebsstätte auf einen Investor als auf Dauer gesichert angesehen werden könnten, da der Investor in die Rechtsstellung des Arbeitgebers eintrete, und der Widerruf frühestens dann erfolgen könne, wenn die Zuwendung durch den Investor nicht mehr für den vorgesehenen Zweck verwendet werde, überzeugt nicht.
Ein Investor, auf den der Betrieb der Klägerin im Insolvenzverfahren übertragen wird, ist zunächst ein außerhalb des Zuwendungsverhältnisses stehender Dritter, der anders als die Klägerin nicht an den Zuwendungszweck der Sicherung und ständigen Besetzung der Dauerarbeitsplätze gebunden ist. Dies wäre nur der Fall, wenn er in die Rechte und Pflichten aus dem Zuwendungsverhältnis eintritt. Ein solcher Eintritt ist grundsätzlich möglich, wenn der Investor die erforderlichen subjektiven Fördervoraussetzungen erfüllt. So müsste es sich bei dem übernehmenden Unternehmen beispielsweise um ein kleines oder mittleres Unternehmen (KMU) im Sinne des Anhangs I zur Allgemeinen Gruppenfreistellungsverordnung (AGVO) handeln (Ziffer 2.1 der Richtlinie zur Durchführung des bayerischen regionalen Förderprogramms für die gewerbliche Wirtschaft [BRF] vom 1.7.2014 [AllMBl. S. 376], i.d.F. d. Bek. vom 1.7.2014). Vorliegend war eine solche Übernahme der Verpflichtungen aus dem Zuwendungsbescheid durch einen Investor im Zeitpunkt des Widerrufs der Zuwendung weder konkret angekündigt noch absehbar. Ohne einen solchen Eintritt in das Zuwendungsverhältnis ist der Übernehmer des geförderten Betriebes aber nicht an das Arbeitsplatzziel gebunden und es steht ihm – im arbeitsrechtlich zulässigen Rahmen – jederzeit frei, bis zum Ablauf der Bindungsfrist am 30. November 2024 Dauerarbeitsplätze abzubauen.
Dem Beklagten ist es auch nicht zumutbar, ohne Eintritt des Investors in das Zuwendungsverhältnis von einem Widerruf der Zuwendung zunächst abzusehen und abzuwarten, ob der Investor innerhalb der fünfjährigen Bindungsfrist die Dauerarbeitsplätze tatsächlich abbaut, um erst dann die Zuwendung zu widerrufen. Der Beklagte müsste selbst ständig nachprüfen, ob die Dauerarbeitsplätze beim Investor noch vorhanden sind, denn den Investor treffen mangels Übernahme der Verpflichtungen aus dem Zuwendungsbescheid im Gegensatz zur Klägerin (vgl. Ziffer 4 BNZW) keine Mitteilungspflichten gegenüber dem Beklagten. Des Weiteren bestünde die konkrete Gefahr, dass zum Zeitpunkt des Arbeitsplatzabbaus durch den Investor das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Klägerin bereits beendet und die Klägerin als Personengesellschaft wegen Vermögenslosigkeit vollbeendet, sprich erloschen ist. Dann wäre ein Widerruf der Zuwendung gegenüber der Klägerin mangels Existenz der Klägerin gar nicht mehr möglich und die Zuwendung unwiederbringlich und vollständig verloren.
cc) Die Widerrufsfrist des Art. 49 Abs. 2a Satz 2 i.V.m. Art. 48 Abs. 4 BayVwVfG von einem Jahr wurde gewahrt. Der Beklagte erfuhr am 5. Februar 2020 durch das Schreiben des Sachwalters von der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Klägerin und erließ den streitgegenständlichen Widerrufsbescheid am 19. März 2020.
d) Bei der Widerrufsentscheidung gemäß Art. 49 Abs. 2a Satz 1 BayVwVfG handelt es sich um eine Ermessensentscheidung, die das Gericht gemäß § 114 Satz 1 VwGO nur daraufhin zu überprüfen hat, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten worden sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist. Die Beklagte konnte die Ermessenserwägungen auch noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ergänzen (§ 114 Satz 2 VwGO). Sowohl die grundsätzliche Entscheidung für den Widerruf (aa) als auch die Entscheidung für den vollständigen Widerruf der Zuwendung (bb) lassen keine Ermessensfehler erkennen.
aa) Die grundsätzliche Entscheidung des Beklagten für den Widerruf der Zuwendung erfolgte ermessensfehlerfrei.
Die Behörde hat in Ausübung ihres Ermessens eine Abwägung der Interessen des Beklagten an einer Rückforderung der Zuwendung und den Interessen der Klägerin vorgenommen und ist zu dem Ergebnis gelangt, dass aufgrund des eröffneten Insolvenzverfahrens der Zuwendungszweck nicht mehr erfüllt werden könne und deshalb das Interesse der öffentlichen Hand an der Rückforderung des Zuschusses überwiege. Der Grundsatz der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit der Haushaltsführung spreche für eine Zuführung dieser fehlgeleiteten Fördermittel zu anderen Fördervorhaben. Gründe, warum anders verfahren werden sollte, seien nach Abwägung aller Umstände nicht erkennbar (vgl. Ziffer 4 der Begründung des Widerrufsbescheides). Im verwaltungsgerichtlichen Verfahren führte der Beklagte ergänzend aus, dass nach Teil 2 Buchst. A Ziffer 4.2.2 Abs. 2 des Koordinierungsrahmens der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ (GRW) ab 1. Januar 2020 bei einer Insolvenz grundsätzlich nicht auf eine Rückforderung gewährter Fördermittel in voller Höhe verzichtet werden könne. Hintergrund dieser Regelung sei, dass bei einer Insolvenz im Regelfall zunächst die Insolvenzmasse zur Befriedigung der berechtigten Forderungen herangezogen werde, ein Zurücktreten des Staates hinter weiteren Gläubigern aber nicht mit dem Haushaltsrecht vereinbar sei.
Diese Ermessenserwägungen des Beklagten sind rechtlich nicht zu beanstanden.
Nach den Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit im Umgang mit öffentlichen Mitteln (Art. 7 Abs. 1 Satz 1 BayHO) kann bei der Verfehlung des mit der Zuwendung gewährten Zwecks im Regelfall das Ermessen nur durch eine Entscheidung für den Widerruf fehlerfrei ausgeübt werden. Diese Haushaltsgrundsätze überwiegen im allgemeinen das Interesse des Begünstigten, die Zuwendung behalten zu dürfen und verbieten einen großzügigen Verzicht auf den Widerruf von Subventionen (BVerwG, U.v. 16.6.1997 – 3 C 22.96 – BVerwGE 105, 55 – juris Rn. 16; U.v. 26.2.2015 – 3 C 8.14 – BVerwGE 151, 302 – juris Rn. 17; BayVGH, B.v. 28.9.2015 – 22 ZB 15.1018 – juris Rn. 18). Besondere Gründe, die ein ausnahmsweises Absehen vom Widerruf rechtfertigen würden, lagen zum maßgeblichen Zeitpunkt des Bescheidserlasses nicht vor.
Der Beklagte hat seiner Ermessensentscheidung zwar ursprünglich nicht den Vortrag der Klägerin in der E-Mail vom 11. März 2020 zugrunde gelegt, laut dem es Hauptziel im Zusammenhang mit der geplanten übertragenden Finanzierung und Weiterführung des Geschäftsbetriebs mit einem neuen starken Partner sei, die geschaffenen räumlichen und technischen Voraussetzungen so zu nutzen, dass das gesetzte Arbeitsplatzziel mittelfristig erreicht oder sogar übertroffen werde. Er hat jedoch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren seine Ermessenserwägungen dahingehend ergänzt (§ 114 Satz 2 VwGO), dass die bloße Ankündigung eines Investors ohne Übertragungsbescheid, in dem der Investor in die Haftung aus dem Zuwendungsbescheid eintrete, für eine andere förderrechtliche Beurteilung nicht ausreiche. Ein Investor, der dazu bereit gewesen sei, habe sich bei der Regierung nicht gemeldet. Diese ergänzten Ermessenserwägungen sind nicht zu beanstanden. Die Klägerin brachte in der fraglichen Passage der E-Mail lediglich eine vage Absichtsbekundung zum Ausdruck, die weder hinsichtlich der Person des Investors, noch des Zeitpunkts der Übertragung des Unternehmens, noch der Bereitschaft des Investors zur Übernahme der Verpflichtungen aus dem Zuwendungsbescheid, noch der beabsichtigten Vorgehensweise zum Erreichen oder Übertreffen des Arbeitsplatzzieles konkretisiert war. Dass derart unsubstantiierte rein subjektive Vorstellungen der Klägerin zu keiner anderen Ermessensentscheidung geführt haben, begegnet keinen rechtlichen Bedenken.
Soweit der Prozessbevollmächtigte der Klägerin vorträgt, dass die Behörde im Rahmen der Ermessensentscheidung hätte berücksichtigen müssen, dass dem Zuwendungszweck auch dann Rechnung getragen werde, wenn die Durchführung des Vorhabens bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens abgeschlossen sei, verkennt er, dass die Durchführung des Vorhabens, sprich Neubau und Ausstattung eines Betriebsgebäudes in … (Ziffer 1 des Zuwendungsbescheides), nicht dem Zuwendungszweck, sprich Sicherung bzw. Schaffung und dauerhafte Besetzung der Dauerarbeitsplätze (Ziffer 5 des Zuwendungsbescheides), entspricht. Allein durch die abgeschlossene Errichtung des neuen Betriebsgebäudes in … wurde der Zuwendungszweck, die Sicherung und dauerhafte Besetzung der Arbeitsplätze während der fünfjährigen (!) Bindungsfrist, noch nicht erreicht.
bb) Auch die Entscheidung für den vollständigen Widerruf der Zuwendung und nicht lediglich einen Teilwiderruf in Anwendung des pro-rata-temporis-Grundsatzes wegen der zeitweisen Erreichung des Zuwendungszwecks weist keine Ermessensfehler auf.
Die insoweit angeführte Begründung, dass die Eröffnung des Insolvenzverfahrens im ersten Jahr der fünfjährigen Bindungsfrist erfolgt sei, beruht nicht auf sachfremden Erwägungen. Tatsächlich waren zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Klägerin am 1. Februar 2020 erst zwei Monate der fünfjährigen Bindungsfrist verstrichen. Dem Vortrag des Prozessbevollmächtigten der Klägerin, dass eine Rückforderung der kompletten Zuwendungssumme unverhältnismäßig sei, da das gesteckte Arbeitsplatzziel zumindest teilweise erreicht worden sei, indem die vorhandenen 29,5 Dauerarbeitsplätze gesichert worden seien und lediglich die drei neuen Arbeitsplätze nicht hätten geschaffen werden können, ist entgegenzuhalten, dass das Zuwendungsziel der Sicherung und ständige Besetzung der Dauerarbeitsplätze für einen Zeitraum von fünf Jahren nach Ablauf des Durchführungszeitraums am 30. November 2019 – unabhängig von der Anzahl der Dauerarbeitsplätze – gerade nicht erreicht wurde, da bereits zwei Monate nach Ablauf des Durchführungszeitraums mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Arbeitsplätze nicht mehr gesichert, sondern konkret gefährdet waren.
e) Nach Art. 49 Abs. 2a Satz 1 BayVwVfG durfte der Widerruf des Zuwendungsbescheides wegen Zweckverfehlung mit Wirkung für die Vergangenheit erfolgen. Insofern bedarf es keiner Prüfung mehr, ob der Widerruf auch auf den in Ziffer 6 des Zuwendungsbescheides enthaltenen Widerrufsvorbehalts gemäß Art. 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Alt. 2 BayVwVfG gestützt werden konnte und ob in diesem Fall der Widerruf über den Wortlaut der Vorschrift hinaus nicht nur mit Wirkung für die Zukunft, sondern auch mit Wirkung für die Vergangenheit erfolgen konnte.
2. Die Geltendmachung des Erstattungsanspruchs in Höhe von 600.000,00 EUR (Ziffer 2 des Bescheides) begegnet ebenfalls keinen rechtlichen Bedenken.
Nach Art. 49a Abs. 1 Satz 1 BayVwVfG sind bereits erbrachte Leistungen zu erstatten, soweit ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit widerrufen worden ist. Vorliegend wurde der Zuwendungsbescheid gemäß Art. 49 Abs. 2a Satz 1 BayVwVfG mit Wirkung für die Vergangenheit widerrufen, sodass die bereits am 31. November 2017 (538.000,00 EUR) und 30. Januar 2018 (62.000,00 EUR) ausbezahlten Zuwendungen zu erstatten sind. Soweit der Prozessbevollmächtigte in der mündlichen Verhandlung auf Art. 49a Abs. 2 BayVwVfG verwiesen und einen Wegfall der Bereicherung gemäß § 818 Abs. 3 BGB angesprochen hat, ist nicht ansatzweise erkennbar, inwiefern die Klägerin nicht mehr bereichert sein sollte.
Der Erstattungsanspruch entsteht bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen ipso iure, ohne dass es insoweit der Festsetzung durch schriftlichen Verwaltungsakt gemäß Art. 49a Abs. 1 Satz 2 BayVwVfG bedarf (Suerbaum in Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, 2. Aufl. 2019, § 49a Rn. 39). Art. 49a Abs. 1 Satz 2 BayVwVfG begründet für die Behörde die Möglichkeit, die Rückforderung durch Verwaltungsakt selbst zu betreiben, ohne auf eine gerichtliche Klage angewiesen zu sein (Sachs in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 49a Rn. 34). Die Behörde kann mithin grundsätzlich einen Leistungsbescheid erlassen und diesen ggf. vollstrecken. Ab Eröffnung des Insolvenzverfahrens sind jedoch die Besonderheiten des Insolvenzverfahrens zu berücksichtigen. Insolvenzgläubiger können ihre Forderungen nur nach den Vorschriften über das Insolvenzverfahren verfolgen (§ 87 InsO), sprich durch Anmeldung ihrer Forderungen zur Tabelle (§ 174 InsO). Dementsprechend hat der Beklagte in Ziffer 2 des streitgegenständlichen Bescheides auch kein Leistungsgebot ausgesprochen, mit dem die Zahlung des Erstattungsbetrages verlangt wird und aus dem ggf. vollstreckt werden könnte, sondern die Geltendmachung durch Anmeldung zur Insolvenztabelle verfügt (vgl. VG Regensburg, U.v. 12.2.2015 – RN 7 K 14.34 – juris Rn. 25; VG Frankfurt, B.v. 19.2.2012 – 1 K 3190/11.F – juris Rn. 3).
3. Die Geltendmachung der Zinsforderung in Höhe von 27.344,58 EUR (Ziffer 2 des Bescheides) ist hingegen rechtswidrig, da der Beklagte sein Ermessen gemäß Art. 49a Abs. 3 Satz 1 BayVwVfG nicht ausgeübt hat.
Nach Art. 49a Abs. 3 Satz 1 BayVwVfG ist der zu erstattende Betrag vom Eintritt der Unwirksamkeit des Verwaltungsakts an mit drei Prozentpunkten über dem Basiszinssatz jährlich zu verzinsen. Nach Art. 49 Abs. 3 Satz 2 BayVwVfG kann von der Geltendmachung des Zinsanspruchs insbesondere dann abgesehen werden, wenn der Begünstigte die Umstände, die zum Widerruf des Verwaltungsakts geführt haben, nicht zu vertreten hat und den zu erstattenden Betrag innerhalb der von der Behörde festgesetzten Frist leistet. Der Erstattungsschuldner hat ein subjektives Recht auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über das Absehen von der Geltendmachung des Zinsanspruchs auch bei Nichtvorliegen des Regelbeispiels (OVG RhPf, U.v. 11.2.2011 – 2 A 10895/10 – juris Rn. 49; Falkenbach in BeckOK, VwVfG, 54. Ed. Stand: 01.01.2022, § 49a Rn. 38.1; Sachs in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 49a Rn. 80). Insofern kommen auch andere Gründe in Betracht, von der Geltendmachung des Zinsanspruchs abzusehen.
Dass der Beklagte vorliegend sein Ermessen bezüglich des Absehens von der Geltendmachung des Zinsanspruchs überhaupt erkannt hat, kann weder dem Widerrufsbescheid noch der Behördenakte entnommen werden. Der Bescheid verhält sich hierzu mit keinem Wort.
In der mündlichen Verhandlung führte die Beklagtenvertreterin insoweit aus, dass zwingende Voraussetzung für ein Absehen von der Geltendmachung des Zinsanspruchs die rechtzeitige Zahlung des Erstattungsbetrages sei. Da das Vorliegen dieser Voraussetzung erst nach Ablauf der Frist zur Zahlung des Erstattungsbetrages geprüft werden könne, könne auch erst dann eine Entscheidung über das Absehen von der Geltendmachung des Zinsanspruchs getroffen werden. Damit hat sich der Beklagte einer teilweise vertretenen Ansicht angeschlossen, nach der durch andere Gründe lediglich die erste Voraussetzung des Art. 49a Abs. 3 Satz 2 BayVwVfG („nicht zu vertreten hat“) kompensiert werden könne, es aber in jedem Fall für ein Absehen von der Geltendmachung des Zinsanspruchs der zweiten Voraussetzung (rechtzeitige Zahlung des Erstattungsbetrages) bedürfe, was durch die kumulative Formulierung („und“) deutlich werde (Falkenbach in BeckOK, VwVfG, 54. Ed., Stand: 01.01.2022, § 49a Rn. 37; Schoch in Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, 1. EL August 2021, § 49a Rn. 90, 92).
Die Kammer vermag dieser Ansicht nicht zu folgen, da die Stellung des Wortes „insbesondere“ innerhalb des Satzes gegen eine solche Auslegung des Art. 49a Abs. 3 Satz 2 BayVwVfG spricht. In Art. 49a Abs. 3 Satz 2 BayVwVfG wird das Regelbeispiel durch das vor das Komma gezogene „insbesondere“ eingeleitet, sodann werden nach dem Komma zwei kumulativ („und“) zu erfüllende Kriterien genannt. Das im Gesetz genannte Regelbeispiel ist nur erfüllt, wenn beide nach dem Komma genannten Voraussetzungen, das fehlende Vertretenmüssen (Kriterium A) und die rechtzeitige Erstattung des Rückforderungsbetrages (Kriterium B), erfüllt sind. Dies bedeutet aber nicht, dass in jedem anderen in Betracht kommenden Fall eines Absehens von der Geltendmachung des Zinsanspruchs immer zwingend ebenfalls die rechtzeitige Erstattung vorliegen muss. Indem das Wort „insbesondere“ vor das Komma gezogen wurde, nimmt es Bezug auf beide nachfolgend genannten Kriterien (kann insbesondere abgesehen werden, wenn Kriterium A und Kriterium B erfüllt sind). Wäre etwas Anderes gewollt gewesen, hätte das Wort „insbesondere“ nach dem Komma und damit lediglich unter Bezugnahme auf eines der beiden Kriterien gesetzt werden müssen (kann abgesehen werden, wenn insbesondere Kriterium A und Kriterium B erfüllt sind). Selbst wenn keine der beiden in Art. 49a Abs. 3 Satz 2 BayVwVfG für ein Absehen von der Geltendmachung des Zinsanspruchs aufgeführten Bedingungen erfüllt ist, ist die Anwendung dieser Vorschrift bei Vorliegen überzeugender anderer Gründe nicht ausgeschlossen (VG Bayreuth, U.v. 23.2.2015 – B 5 K 12.999 – juris Rn. 28; VG München, U.v. 13.3.2014 – M 15 K 12.6087 – juris Rn. 50). Der Beklagte ist jedoch davon ausgegangen, nur bei rechtzeitiger Zahlung des Erstattungsanspruchs eine Entscheidung über ein Absehen von der Geltendmachung des Zinsanspruchs treffen zu können, sodass er zu Unrecht vom Nichtvorliegen des Tatbestands der Ermessensnorm ausgegangen ist. Dies hat weiter zur Folge, dass der Beklagte den Zeitpunkt seiner Ermessensentscheidung zwangsläufig auf die Zeit nach Ablauf der Frist zur Zahlung des Erstattungsbetrages verschieben will. Es kann dahinstehen, ob eine solche Aufspaltung des Verfahrens – zunächst Geltendmachung des Zinsanspruchs und später Entscheidung über ein Absehen von der Geltendmachung des Zinsanspruchs – überhaupt zulässig ist und damit eventuell zu einem späteren Zeitpunkt das Ermessen noch hätte ausgeübt werden können. Denn vorliegend wäre es ausgehend von der irrtümlichen Annahme des Beklagten überhaupt nicht mehr zum zweiten Schritt der Ermessensentscheidung nach Art. 49a Abs. 3 Satz 2 BayVwVfG gekommen, da im streitgegenständlichen Bescheid gerade keine Frist zur Zahlung des Rückforderungsbetrages gesetzt wurde, sondern dieser durch Anmeldung zur Insolvenztabelle geltend gemacht werden sollte und am 24. März 2020 auch tatsächlich wurde. Insofern liegt ein nicht zu heilender Ermessensausfall vor.
B.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO. Der Klägerin konnten die Kosten ganz auferlegt werden, da der Beklagte hinsichtlich der nach § 43 Abs. 1 GKG den Streitwert nicht erhöhenden Zinsforderung nur zu einem geringen Teil unterlegen ist. Selbst wenn man im Rahmen der Ermittlung des „geringen Teils“ im Sinne des § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO die Vorschrift des § 43 Abs. 1 GKG außer Betracht lassen würde, würde der Beklagte lediglich zu 4,36% und damit zu einem geringen Teil unterliegen.


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