IT- und Medienrecht

4 U 201/21

Aktenzeichen  4 U 201/21

Datum:
31.3.2022
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
OLG Zweibrücken 4. Zivilsenat
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:POLGZWE:2022:0331.4U201.21.00
Normen:
Spruchkörper:
undefined

Verfahrensgang

vorgehend LG Frankenthal, 28. Oktober 2021, 2 HK O 23/21

Tenor

1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil der 2. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Frankenthal (Pfalz) vom 28.10.2021, Az. 2 HK O 23/21, geändert:
Die Beklagte wird verurteilt, es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung zu verhängenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000 EUR, ersatzweise Ordnungshaft, oder einer Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr für Biozidprodukte, wie die Produkte „…”, „…”, „…”, „…”, „…” und „…” zu werben, wenn dies geschieht wie aus dem Screenshot zum Internetauftritt gemäß Anlage K3 ersichtlich.
2. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung aus dem Unterlassungsgebot gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 20.000,00 € und die Vollstreckung wegen der Kosten durch Leistung einer Sicherheit in Höhe von 110 % des insoweit vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger wegen der Unterlassungsvollstreckung Sicherheit in Höhe von 20.000,00 € und wegen der Vollstreckung im Kostenpunkt Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
5. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird entsprechend der Wertangabe in der Klageschrift auf 50.000,00 € festgesetzt.

Gründe


I.
Die Parteien streiten um den Ort der richtigen Gefahrenkennzeichnung von verschiedenen im Sinne der EU-Verordnung 528/2012 als „gefährlich“ eingestuften Biozidprodukten (Desinfektionsmitteln) bei deren Bewerbung auf dem Internetauftritt (…) der damit über einen Online-Shop Handel treibenden Beklagten.
Der Kläger, ein eingetragener Verein zur Wahrung der gewerblichen Interessen seiner Mitglieder, beanstandet die Darstellung der in der Urteilsformel genannten Desinfektionsmittel auf dem Internetauftritt der Beklagten als wettbewerbswidrig, da der für die in Rede stehenden Biozid-Produkte gemäß Art. 72 der vorbezeichneten EU-Verordnung vorgeschriebene Warnhinweis dort nicht bereits auf der Produktübersichtsseite ersichtlich ist, sondern erst auf der jeweiligen Detailseite für die einzelnen beworbenen Produkte.
Nach Art. 72 der Biozid-VO muss in jeder Werbung für Biozid-Produkte ein zwingender Hinweis enthalten sein: „Biozidprodukte vorsichtig verwenden. Vor Gebrauch stets Etikett und Produktinformation lesen “.
Dieser Hinweis findet sich in dem Internetauftritt der Beklagten nicht schon auf der Produktübersichtsseite, aus der heraus für den Kunden bereits ein Bestellvorgang für die einzelnen Produkte möglich ist: Nachdem ein Käufer dort die ausgewählte Ware in den (virtuellen) „Warenkorb“ gelegt hat, kann er seine Bestellung über den Button „weiter zur Kasse“ abschließen. Ein Hinweis nach Art. 72 der Biozid-VO findet sich (lediglich) auf der jeweiligen Detailseite zu den einzelnen hier interessierenden Produkten.
Wegen der Einzelheiten des Internetauftritts der Beklagten wird auf die Anlage K3 (Produktübersichtsseite, Blatt 84ff der eAkte erster Instanz) sowie die Anlagen B8 – B13 (Detailseiten, Blatt 339ff der eAkte erster Instanz) verwiesen.
Das Landgericht Frankenthal (Pfalz) hat mit dem angefochtenen Urteil der 2. Kammer für Handelssachen vom 28.10.2021, auf das zur weiteren Sachdarstellung und wegen der Entscheidungsgründe Bezug genommen wird, die Unterlassungsklage abgewiesen. Es handele sich bei der von dem Kläger beanstandeten Produktübersichtsseite der Beklagten nicht um Werbung i. S. v. Art. 72 der Biozid-VO. Die Übersichtsseite präsentiere nicht nur Biozid-Produkte, sondern auch sonstige Desinfektionsmittel und liste diese, ohne erkennbare Systematik in der Reihenfolge hintereinander mittels Bezeichnung des Produktes, Nennung des Markennamens, der Packungsgröße und des Herstellers und der Artikelnummer auf. Es werde auf der Übersichtsseite kein bestimmtes Produkt besonders hervorgehoben. Der Umstand, dass der interessierte Nutzer auch ohne vorherige Kenntnisnahme des Warnhinweises ein Biozid-Produkt in den virtuellen Warenkorb legen könne, sei vergleichbar mit der Situation eines Kunden, der in einem realen Ladenlokal auf der Suche nach einem Handdesinfektionsmittel gleichsam „blind“ in ein Regal greife, dort ein Produkt auswähle und dieses ohne näheres Betrachten der darauf angebrachten Produktinformation an der Kasse bezahle.
Mit seiner dagegen eingelegten Berufung rügt der Kläger die Rechtsauffassung des Landgerichts zur Biozid-VO. Die Erteilung des darin vorgeschriebenen Gefahrenhinweises erst auf den Detailseiten zu den einzelnen Produkten reiche nicht aus. Irrig sei weiter auch die Rechtsauffassung des Erstgerichts, es läge keine Werbung der Beklagten vor.
Der Kläger beantragt,
das angefochtene Urteil abzuändern und
die Beklagte zu verurteilen, es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung zu verhängenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000 EUR, ersatzweise Ordnungshaft, oder einer Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr für Biozidprodukte, wie die Produkte „…”, „…”, „…”, „…”, „…” und „…” zu werben, wenn dies geschieht wie aus dem Screenshot zum Internetauftritt gemäß Anlage K3 ersichtlich.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen,
hilfsweise
die Einräumung einer angemessenen Umstellungsfrist für die im Falle der Stattgabe der Klage etwa erforderlichen Änderungen ihres Online-Shops.
Sie verteidigt das von ihr für zutreffend gehaltene Urteil gegen die Angriffe der Berufung unter Wiederholung ihres erstinstanzlichen Vorbringens.
Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien im Einzelnen wird auf die in beiden Rechtszügen gewechselten Schriftsätze nebst den damit eingereichten Unterlagen verwiesen.
II.
Das verfahrensrechtlich bedenkenfreie und somit zulässige Rechtsmittel des Klägers hat in der Sache Erfolg.
Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Unterlassungsanspruch aus § 8 Abs. 1, § 3 Abs. 1, § 3a UWG i.V.m. Art. 72 BiozidVO.
a. Die mit der Klage beanstandete Online-Präsentation der streitgegenständlichen Biozid-Produkte in dem Internet-Shop der Beklagten (Anlage K3) verstößt gegen den als Marktverhaltensregelung im Sinne des § 3a UWG anzusehenden Art. 72 Biozid-VO.
Bei Art. 72 Biozid-Vo handelt es sich um eine Marktverhaltensregelung, da die Regelung von Gesundheits- und Sicherheitsaspekten auch im Interesse der Verbraucher liegt (BGH, Urteil vom 06. Oktober 2011 – I ZR 117/10 –, Rn. 31, – DELAN, juris; speziell für Art.72 Biozid-VO: KG Berlin, Urteil vom 22. November 2016 – 5 U 89/15 –, Rn. 52, juris; LG Essen, Urteil vom 28. April 2021 – 44 O 42/20 –, Rn. 39, juris); LG Landau in der Pfalz, Urteil vom 20. Dezember 2017 – HK O 55/17 –, Rn. 12, juris; LG München I, Urteil vom 07. September 2020 – 4 HK O 9484/20 –, Rn. 52, juris).
Entgegen der Rechtsauffassung des Erstgerichts stellt sich die Warenpräsentation auf der Produktübersichtsseite der Beklagten als Werbung im Sinne von Art. 3 Abs. 1 y) Biozid-VO dar. Danach bezeichnet der Ausdruck „Werbung“ für die Zwecke dieser Verordnung ein Mittel zur Förderung des Verkaufs oder der Verwendung von Biozid-Produkten durch gedruckte, elektronische oder andere Medien. Unter den Begriff „Werbung“ sind sonach sämtliche Formen der Online-Veröffentlichung von Biozid-Produkten einzuordnen, wenn durch die Darstellung deren Absatz gefördert werden soll. Bei der Produktübersichtsseite der Online-Apotheke der Beklagten handelt es sich um Werbung. Denn es sind dort für einen potentiellen Kaufinteressenten alle notwendigen Angaben für den Kauf der jeweiligen Ware vorhanden: genaue Warenbezeichnung, Packungsgröße und Preis. Der potentielle Käufer muss nach Aufruf der Übersichtsseite auch nicht weiter auf die Detailseite für einzelne Waren klicken, um seinen Kauf abzuschließen. Eine Veranlassung oder Aufforderung wird ihm dazu nicht gegeben. Der Vergleich mit dem Kunden, der im Ladengeschäft eine Ware aus dem Regal nimmt, greift damit zu kurz. Denn durch die Preisangabe und die Möglichkeit das Produkt sogleich in den „virtuellen“ Warenkorb zu legen, wird die Absatzförderungsabsicht schon der Produktübersichtsseite offenkundig.
So ist eine geschäftliche Entscheidung nach der Definition des § 2 Abs. 1 Nr. 9 UWG jede Entscheidung eines Verbrauchers oder sonstigen Marktteilnehmers darüber, ob, wie und unter welchen Bedingungen er ein Geschäft abschließen, eine Zahlung leisten, eine Ware oder Dienstleistung behalten oder abgeben oder ein vertragliches Recht im Zusammenhang mit einer Ware oder Dienstleistung ausüben will, unabhängig davon, ob der Verbraucher oder sonstige Marktteilnehmer sich entschließt, tätig zu werden. Der Begriff „geschäftliche Entscheidung“ erfasst außer der Entscheidung über den Erwerb oder Nichterwerb auch damit unmittelbar zusammenhängende Entscheidungen wie insbesondere das Betreten eines Geschäfts oder – wie hier – den Zugang zu einem im Internet angebotenen Produkt über eine Übersichtsseite, um sich mit dem Produkt im Detail zu beschäftigen (BGH, GRUR 2019, 746 Rn. 29, mit weiteren Nachweisen, beck-online). Entgegen der Berufungserwiderung (dort S. 3ff, Blatt 76ff der eAkte des Senats) dient damit auch bereits die Übersichtsseite in werbender Weise der Absatzförderung. Die seitens der Beklagten in Bezug genommene Entscheidung des EuGH (GRUR 2011, 1160, 1163 Rn. 47) steht dem nicht entgegen. Denn es geht vorliegend nicht um eine Informationsübermittlung über eine passive Darstellungsplattform. Vielmehr gleicht die Übersichtsseite einem werbenden Schaufenster.
Im Weiteren hält der Senat, worauf in der Verfügung vom 18.02.2022 hingewiesen worden ist, den von dem Kläger eingenommen Rechtsstandpunkt für zutreffend, dass eine – wie bei den hier interessierenden Desinfektionsmitteln – rechtlich gebotene Gefahrenkennzeichnung von Biozid-Produkten im Internet auf der Produktübersichtsseite erfolgen muss, wenn aus dieser heraus – wie im Streitfall – für den Kunden bereits ein „in den Warenkorb legen“ möglich ist, ohne die Gefahrenkennzeichnung zu Gesicht zu bekommen.
b. Ein Verstoß gegen Art. 72 Abs. 1 Biozid-VO ist regelmäßig, so auch hier, geeignet, den Wettbewerb zum Nachteil von Mitbewerbern und Verbrauchern im Sinne des § 3 Abs. 1, § 3a UWG spürbar zu beeinträchtigen. Es handelt sich um eine unionsrechtliche Informationspflicht. Wird sie missachtet, wird dem Verbraucher eine Information vorenthalten, die der Unionsgesetzgeber als wesentlich erachtet, was eine Spürbarkeit der Beeinträchtigung ohne weiteres nach sich zieht. Außerdem ist bei einem Verstoß gegen Bestimmungen, die – wie Art. 72 Abs. 1 Biozid-VO – dem Schutz der Gesundheit der Verbraucher dienen, grundsätzlich von einer spürbaren Beeinträchtigung im Sinne besagter Regelungen auszugehen (KG Berlin, Urteil vom 22. November 2016 – 5 U 89/15 –, Rn. 55, mit weiteren Nachweisen, juris).
III.
Dem Hilfsantrag der Beklagten auf Gewährung einer Umstellungsfrist war nicht zu entsprechen.
Die Gewährung einer solchen Frist kommt unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben (§ 242 BGB) dann in Betracht, wenn der zur Unterlassung verurteilten Partei für den Fall der sofortigen Vollstreckung des titulierten Verbots unverhältnismäßige Nachteile erwachsen würden und die befristete Fortsetzung des angegriffenen Verhaltens für den Verletzten keine unzumutbaren Beeinträchtigungen mit sich bringt (BGH GRUR 1974, 474 – Großhandelshaus; BGH GRUR 1982, 425 – Brillen-Selbstabgabestellen; Bornkamm in: Köhler/Bornkamm, UWG, 35. Aufl., § 8 Rn. 1.72; KG Urt. v. 6.1.2017 – 5 U 137/15, BeckRS 2017, 102966 Rn. 78-84, beck-online).
Diese Voraussetzungen sind hier nicht gegeben.
Zwar musste sich die Beklagte nach der Klageabweisung in erster Instanz nicht unmittelbar darauf einstellen, ihren Online- Shop umzustellen (vgl. hierzu BGH GRUR 1974, 474 – Großhandelshaus). Die – wenn auch nur vorläufig geäußerte – gegenteilige Rechtsauffassung des Berufungsgerichts war ihr jedoch aus den Hinweisen in der Ladungsverfügung vom 18.02.2022 bekannt. Demgegenüber fallen die Interessen des Klägers an der Beendigung der unlauteren Werbung umso stärker ins Gewicht, als er den Anspruch der Allgemeinheit auf Schutz vor irreführender Werbung anführen kann, der gerade im Bereich der gesundheitsrelevanten Werbung von besonderer Bedeutung ist (vgl. Bornkamm in: Köhler/Bornkamm, UWG, 35. Aufl., § 8, Rn. 1.77, 1.79 sowie Bornkamm in: Köhler/Bornkamm, UWG, 35. Aufl., § 5, Rn. 2.215; KG, Urt. v. 06.01.2017 – 5 U 137/15, BeckRS 2017, 102966 Rn. 78-84, beck-online). Hinzu tritt, dass die Beklagte lediglich den an anderer Stelle vorhandenen Hinweis von der jeweiligen Detailseite auf die Produktübersichtsseite „vorziehen“ muss, was mit keinem großen Aufwand verbunden sein dürfte. Zudem wird die Entscheidung des Senats auch nicht unmittelbar rechtskräftig (§§ 544 ZPO, 19 EGZPO).
IV.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO, der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.
V.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen hierfür nach § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen.


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