IT- und Medienrecht

Begriff der Untätigkeit des zuständigen örtlichen Trägers, Keine Untätigkeit bei ablehnender Sachentscheidung

Aktenzeichen  RN 4 K 20.242

Datum:
25.5.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 24520
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Regensburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
SGB VIII §§ 89 c Abs. 1 S. 2, 89 d
SGB VIII § 86 d

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Kläger trägt die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen, die dieser selbst trägt. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar.
III. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet

Gründe

Über die Klage kann ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entschieden werden, da die Beteiligten ihr Einverständnis dazu erklärt haben (§ 101 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO)).
I. Die Klage ist zulässig aber nicht begründet. Dem Kläger steht der geltend gemachte Anspruch gegen den Beklagten nicht zu. Er kann sich nicht auf § 89 c Abs. 1 Satz 2 SGB VIII stützen, wonach Kosten, die ein örtlicher Träger im Rahmen seiner Verpflichtung nach § 86 d SGB VIII aufgewendet hat, von dem örtlichen Träger zu erstatten sind, dessen Zuständigkeit durch den gewöhnlichen Aufenthalt nach §§ 86, 86 a und 86 b SGB VIII begründet wird.
§ 86 d SGB VIII verpflichtet den örtlichen Träger, in dessen Bereich sich das Kind, der Jugendliche oder der junge Volljährige tatsächlich aufhält, für den Fall vorläufig zum Tätigwerden, dass entweder die örtliche Zuständigkeit nicht feststeht oder der zuständige örtliche Träger nicht tätig wird. Zweck der Regelung dieser Norm ist es, Verzögerungen von Jugendhilfeleistungen aufgrund von Zuständigkeitsunklarheiten oder -streitigkeiten zu verhindern (Eschelbach in Münder/Meysen/Trencz, Frankfurter Kommentar SGB VIII, 8. Aufl. 2019, § 86 d, Rn. 1.) und auszuschließen, dass allein durch das Verweisen der einen auf die andere Behörde und umgekehrt, eine materielle Entscheidung über die Hilfegewährung nicht ergeht (VG Düsseldorf, U.v. 16.7.2007, 19 K 5276/04 – juris Rn. 28).
Diese der ratio legis zugrundeliegende Konstellation ist vorliegend nicht gegeben, weil zum Zeitpunkt der Entscheidung des Klägers, A. Jugendhilfeleistungen zu gewähren, also am 27.9.2017, die Zuständigkeit zwischen Kläger und Beklagtem gerade nicht streitig war. Vielmehr gingen damals beide übereinstimmend davon aus, dass der Beklagte zuständiger Jugendhilfeträger war.
Ein Tätigwerden des Klägers kann nach der Überzeugung des Gerichts insbesondere auch nicht auf die zweite Alternative des § 86 d SGB VIII, also auf ein “Nicht tätig werden” des zuständigen örtlichen Trägers gestützt werden. Zwar spielt es keine Rolle, ob der zuständige Träger pflichtwidrig untätig bleibt oder aus vertretbaren Gründen nicht tätig wird (Kunkel/Kepert in Kunkel/Kepert/Pattar, Sozialgesetzbuch VIII, 7. Aufl. 2018, § 86 d, Rn. 6), eine Untätigkeit liegt aber jedenfalls dann nicht vor, wenn der örtlich zuständige Träger seine Zuständigkeit bereits bejaht und eine Entscheidung in der Sache getroffen hat, denn § 86 d SGB VIII stellt keine Rechtsgrundlage dar, um die Entscheidung des zuständigen Jugendamts, die auch in der Ablehnung einer begehrten Leistung bestehen kann, zu unterlaufen (vgl. Eschelbach in Münder/Meysen/Trencz, a.a.O.).
Vorliegend hat der Beklagte bereits in seiner Antwort auf die Anfrage des Klägers vom 19.4.2017 darauf verwiesen, dass nach dem Ergebnis des Hilfeplangesprächs vom 19.1.2017 keine wesentlichen Fortschritte bei A. erkennbar seien. Er hat somit nicht ansatzweise seine Zuständigkeit bestritten, sondern lediglich eine andere Sachentscheidung getroffen. Dasselbe folgt aus der sozialpädagogischen Stellungnahme des Beklagten vom 22.5.2017, in welcher ausgeführt wird, dass A. in der Lage sei, sein Leben eigenständig zu bestreiten und eine (weitere) Jugendhilfeleistung als nicht notwendig und vor allem als nicht geeignet und nicht sinnvoll angesehen wird.
Unerheblich ist aus Sicht des Gerichts in diesem Zusammenhang, ob und in welcher Form der Beklagte seine ablehnende Entscheidung A. mitgeteilt hat. Denn § 86 d SGB VIII ist eine Norm, die das Verhältnis zwischen verschiedenen Jugendhilfeträgern zum Gegenstand hat. In diesem Verhältnis hat der Beklagte seine (eine weitere Leistung ablehnende) Sachentscheidung unmissverständlich und klar zum Ausdruck gebracht. In derartigen Fällen, in denen – wie hier dem Kläger – die materiellen Ablehnungsgründe dem Jugendhilfeträger, in dessen Bereich sich der Betroffene tatsächlich aufhält, bekannt sind, wäre der Betroffene darauf hinzuweisen gewesen, die möglichen Rechtsmittel geltend zu machen (ebenso VG Düsseldorf, U.v. 16.7.2007, a.a.O.). In Kenntnis der inhaltlich abweichenden Entscheidung des zuständigen Trägers dem Kläger Jugendhilfeleistungen zu gewähren und diese dann vom Beklagten wieder einzufordern, würde vor diesem Hintergrund in letzter Konsequenz dazu führen, dass jede ablehnende inhaltliche Entscheidung eines zuständigen Jugendhilfeträgers von einem anderen Träger im Nachhinein auf dessen Kosten ausgehebelt werden könnte.
Ein anderes Ergebnis folgt auch nicht daraus, dass zwischen den Beteiligten streitig war, ob das Geburtsdatum von A. auf den …1998 oder auf den …1999 zu datieren war. Denn zum einen betrifft auch die Alterseinschätzung die inhaltliche Sachbehandlung und allenfalls mittelbar die Zuständigkeit, so dass eine andere Auffassung einen anderen Jugendhilfeträger nicht berechtigt, die Sachentscheidung des zuständigen Trägers zu unterlaufen. Zum anderen spielt die Alterseinschätzung auch deshalb im Ergebnis keine Rolle, weil zum Zeitpunkt der Bewilligungsentscheidung am 27.9.2017 auch nach dem vom Kläger zugrunde gelegten Geburtsdatum A. volljährig war, so dass in der Folge ab dem 1.9.2017 die Leistungen als Hilfe für junge Volljährige gewährt wurden. Für einen Rückgriff auf den Beklagten verbleibt daher in der vorliegenden Konstellation kein Raum.
II. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 188 Satz 2, 2. Halbs. VwGO. Es entsprach nicht der Billigkeit, dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen aufzuerlegen, da dieser keinen Antrag gestellt und sich somit keinem Prozesskostenrisiko ausgesetzt hat (§§ 162 Abs. 3, 154 Abs. 3 VwGO).
III. Der Ausspruch über die sofortige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 167 VwGO, 708 ff. ZPO.


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