IT- und Medienrecht

Berufung, Sittenwidrigkeit, Marke, Pflichtverletzung, Feststellung, Fahrzeug, Pkw, Bewertung, sittenwidrig, Schriftsatz, Rechtsverletzung, Klage, Betrug, Endurteil, Aussicht auf Erfolg, Gelegenheit zur Stellungnahme, zwei Wochen

Aktenzeichen  21 U 1860/21

Datum:
17.6.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 52557
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Verfahrensgang

31 O 2303/20 2021-03-05 Endurteil LGINGOLSTADT LG Ingolstadt

Tenor

1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung des Klägers gegen das Endurteil des Landgerichts Ingolstadt vom 05.03.2021 (Az. 31 O 2303/20) durch einstimmigen Beschluss als offensichtlich unbegründet zurückzuweisen.
2. Es wird Gelegenheit zur Stellungnahmen binnen zwei Wochen gegeben.

Gründe

I.
Der Kläger begehrt gegen den beklagten Automobilhersteller Schadensersatz u.a. wegen sittenwidriger Schädigung aufgrund Kauf eines Pkws Opel Zafira 1.6 CDTI Euro 6 am 01.08.2016 von der zu einem Kaufpreis von 17.750,00 €. Der Kläger erwarb den Zafira als Ge brauchtfahrzeug mit einem damaligen Kilometerstand von 26.758. Das streitgegenständliche Fahrzeug unterliegt der Schadstoffklasse Euro 6 und war von einem amtlichen Rückruf betroffen.
Mit Endurteil vom 05.03.2021 wies das Landgericht die Klage vollumfänglich ab. Hiergegen richtet sich die vom Kläger vom Schriftsatz vom 07.04.2021 eingelegt und mit Schriftsatz vom 14.06.2021 auch begründete Berufung, mit der er seine erstinstanzlichen Klageanträge vollumfänglich weiterverfolgt.
Die Beklagte hat bis zur Berufungsbegründung nicht Stellung genommen.
II.
Die Voraussetzungen für eine Zurückweisung nach § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO sind gegeben, weil das Rechtsmittel offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, die Fortbildung des Rechts und die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichtes nicht erfordern und auch im Übrigen eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist.
Das Urteil des Landgerichts Ingolstadt vom 10.03.2021 begegnet aus Sicht des Senats keinen rechtlichen Bedenken. Der Prüfungsumfang des Berufungsgerichts bemisst sich nach § 529 ZPO. Demnach sind die vom Gericht der ersten Instanz festgestellten Tatsachen zugrunde zu legen. Berücksichtigungsfähige neue Tatsachen im Sinne des § 529 Abs. 1 Nr. 2 ZPO wurden nicht dargelegt bzw. sind nicht entscheidungserheblich. Auch eine Rechtsverletzung ist im angefochtenen Urteil nicht erkennbar. Hierbei kann zunächst vollumfänglich auf die zwar knappen aber im Ergebnis zutreffenden Gründe des angefochtenen Urteils des Landgerichts verwiesen werden.
Da zwischen den Parteien keine schuldrechtliche Beziehung besteht und der zugunsten der Klagepartei unterstellte Verstoß gegen Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der VO (EG) Nr. 715/2007 eine Haftung des Herstellers nach § 823 Abs. 2 ZPO nicht zu begründen vermag (BGH NJW 2020, 1962 unter Rn. 73 ff.), kann die Klagepartei ihren Schadensersatzanspruch alleine auf den Vorwurf der vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung nach § 826 BGB stützen. Insoweit verkennt die Berufung aber bereits im Ansatz, dass nicht jeder Verstoß eines Fahrzeugherstellers gegen die maßgebliche EU-Vorschrift zur Abgasreduzierung bzw. zur Einhaltung jeweils gültiger Emissionsrichtwert die von § 826 BGB geforderte besondere Verwerflichkeit des Verhaltens des beklagten Automobilherstellers zu rechtfertigen vermag.
1. Sittenwidrig im Sinne der Vorschrift des § 826 BGB ist ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Dafür genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde durch eine Pflichtverletzung einen Vermögensschaden hervorruft (BGH NJW 2020, 1962 Rn. 15). Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zu Tage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann. Zur Feststellung des objektiven Tatbestandes der Sittenwidrigkeit kann es daher auf Kenntnisse, Absichten und Beweggründe des Handelnden ankommen, die Bewertung seines Verhaltens als verwerflich rechtfertigen (BGH a.a.O.). Bei mittelbaren Schädigungen – wie hier – kommt es ferner darauf an, ob der Schädiger das Unwerturteil, sittenwidrig gehandelt zu haben, auch in Bezug auf die Schäden desjenigen trifft, der Ansprüche aus § 826 BGB geltend macht (BGH NJW 2019, 2164 unter Rn. 8). Fallen die erste potentielle schadensursächliche Handlung unter Eintritt des Schadens – wie hier – zeitlich auseinander, ist in die Bewertung eines schädigenden Verhaltens als sittenwidrig das gesamte Verhalten des Schädigers bis zum Eintritt des Schadens bei dem konkreten Geschädigten zugrunde zu legen. Denn im Falle der vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung gemäß § 826 BGB wird das gesetzliche Schuldverhältnis erst mit Eintritt des Schadens (hier der Abschluss des Kaufvertrages am 01.08.2016) bei dem konkret Geschädigten begründet (BGH VI ZR 889/20 vom 09.03.2021 unter Rn. 13).
2. Nach dem Vorgenannten hat das Landgericht Ingolstadt völlig zu Recht angenommen, dass zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses am 19.11.2018 es jedenfalls an der für eine Haftung nach § 826 BGB notwendigen besonderen Verwerflichkeit des Handelns der Beklagten gefehlt hat. Wie der BGH in seiner Entscheidung zum VW „Abgasskandal“ vom 09.03.2021 (Az.: VI ZR 889/20) entschieden hat, war in dem dortigen Verfahren bereits die adhoc Mitteilung der V. AG vom 22.09.2015 objektiv geeignet, das Vertrauen potentieller Käufer von Gebrauchtwagen mit VW-Dieselmotoren des Typs EA189 in eine vorschriftsmäßige Abgastechnik zu zerstören, diesbezügliche Arglosigkeit also zu beseitigen. Aufgrund der Verlautbarung und ihrer als sicher vorherzusehenden medialen Verbreitung war typischerweise nicht mehr damit zu rechnen, dass Käufer von gebrauchten VW-Fahrzeugen mit Dieselmotoren der Baureihe EA189, so BGH, die Erfüllung der maßgeblichen gesetzlichen Vorgaben noch als selbstverständlich voraussetzen würden. Für das bewusste Ausnutzen einer diesbezüglichen Arglosigkeit dieser Käufer war damit kein Raum mehr, hierauf konnte das geänderte Verhalten der dortigen Beklagten (der V. AG) nicht mehr gerichtet sein (BGH a.a.O.). Wie der BGH in der vorgenannten Entscheidung unter Rn. 22 weiter ausgeführt hat, sind die dargestellten Maßnahmen der dortigen Beklagten für das Ergebnis der Sittenwidrigkeitsprüfung auch nicht deshalb irrelevant, weil die Beklagte ihrerseits nicht sichergestellt hat, ob ihre Informationen tatsächlich jeden potentiellen Käufer erreicht und einen Fahrzeugerwerb in Unkenntnis der Abschaltvorrichtung jeden Einzelfall verhindern würden (BGH VI ZR 889/20 vom 09.03.2021 unter Rn. 22).
3. Diese Grundsätze sind entgegen der Berufung auf den hier vorliegenden Fall bei einem Kauf im August 2016 in Übereinstimmung mit dem zwar knappen aber zutreffenden Gründen des angefochtenen Teils vollumfänglich zu übertragen. Zwar ist der Berufung zuzugeben, dass die Beklagte bis heute das Vorliegen einer unzulässigen Abschaltvorrichtung bestreitet. Allerdings lässt sich aus dem Schreiben der Beklagten an den Kläger vom 17.01.2020 (Anlage R 1) nicht zwingend entnehmen, dass in dem klägerischen Fahrzeug eine unzulässige Abschaltvorrichtung verbaut ist und der Rückruf explizit wegen einer solchen Applikation erfolgt. Aus der Liste der betroffenen Fahrzeugvarianten des Kraftfahrt-Bundesamtes (KBA) geht gerade nicht hervor, dass der streitgegenständliche Pkw von einem verpflichtenden Rückruf wegen einer unzulässigen Abschaltvorrichtung betroffen ist. Von der als offenkundig (§ 292 ZPO) anzusehenden Liste der betroffenen Fahrzeugmodelle sind lediglich 4 Modelle der Beklagten aufgeführt, handelt es allerdings nicht um solche der Marke Opel Zafira, sondern ausschließlich um solche Opel Vauxhall. Damit steht bereits nicht fest, dass der streitgegenständliche Pkw des Klägers von einem verpflichteten Rückruf wegen einer unzulässigen Abschaltvorrichtung betroffen ist, jedenfalls ist der diesbezügliche Rückrufbescheid nicht bestandskräftig.
4. Unabhängig hiervon hat das Landgericht die Klageabweisung aber auch aus anderen Gründen zutreffend begründet. Aus den von der Beklagten vorgelegten Unterlagen, die halt der Kläger nicht bestreitet, ergibt sich, dass die Beklagte bereits vor dem Kauf des streitgegenständlichen Pkws am 01.08.2016 an die Öffentlichkeit ging und in mehreren Presseerklärungen im April und Mai 2016 (Anlagenkonvolut B 8) die Öffentlichkeit und damit auch potentielle Käufer betroffener Fahrzeugmodelle informierte. Wie der Bundesgerichtshof ausgeführt hat, war auch in diesem Fall aufgrund ihrer als sicher vorherzusehenden medialen Verbreitung typischerweise nicht mehr damit zu rechnen, dass auch Käufer von gebrauchten Opel-Fahrzeugen mit Dieselmotoren die Erfüllung der maßgeblichen gesetzlichen Abgasvorgaben noch als selbstverständlich voraussetzen würden. Vorliegend kommt hinzu, dass die Beklagte darüber hinaus bereits vor dem streitgegenständlichen Kauf, nämlich am 25.04.2016, die Öffentlichkeit und dem Servicenetz der Beklagten angeschlossenen Opel-Partner über ein freiwilliges Software-Update gerade auch für das hier streitgegenständliche Modell, einen Opel Zafira 1.6 CDTI, informierte und weitere Informationen zur operativen Handhabung explizit ankündigte. Auch wenn die Beklagte weiterhin das Vorliegen einer unzulässigen Abschaltvorrichtung bestreitet, hat sie jedenfalls vor dem hier maßgeblichen Kaufvertragsentschluss des Klägers Maßnahmen zur Beseitigung etwaiger unzulässiger Vorrichtungen getroffen und die Öffentlichkeit informiert. Damit ist nach dem oben Genannten in der Gesamtschau zum Zeitpunkt des Kaufvertragsabschlusses nicht mehr objektiv tatbestandlich vorliegenden Sittenwidrigkeit gemäß § 826 BGB auszugehen. Auf die Frage des Rückrufbescheids vom 17.10.2018 sowie die Gründe hierfür kommt es nach alledem nicht mehr maßgeblich an.
5. Da der Kläger den streitgegenständlichen Pkw als Gebrauchtfahrzeug von einem Dritten und nicht von der Beklagten erwarb, scheidet ein Betrug nach §§ 823 Abs. 2, 263 StGB schon tatbestandlich mangels Stoffgleichheit zwischen den vom Kläger eventuell erlittenen Vermögensschadens wie der Beklagte erstrebten aus.
III.
Nach alledem ist die Berufung ohne Aussicht auf Erfolg. Gelegenheit zur Stellungnahme binnen zwei Wochen wird gegeben. Eine Berufungsrücknahme wird nahegelegt.


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