IT- und Medienrecht

Coronavirus, SARS-CoV-2, Unterlassungsanspruch, AGB, Klagebefugnis, Abmahnung, Umsatzsteuer, Zeitpunkt, Marktverhaltensregelung, Absenkung, Unterlassungsantrag, Bindungswirkung, Ablehnung, Anlage, Abmahnkosten, Beurteilung, Sinn und Zweck, kein Anspruch, Rechtsprechung des BGH

Aktenzeichen  37 O 13490/20

Datum:
13.8.2021
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
München I
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

1. Da der Gesetzgeber mit der zum 14.08.2020 durch Gesetz vom 08.08.2020 (BGBl. I S. 1818) in Kraft getretenen Ausnahmeregelung des § 41 Abs. 3a EnWG ausdrücklich klargestellt hat, dass es bei unveränderter Weitergabe von umsatzsteuerlichen Mehr- oder Minderbelastungen, die sich aus einer gesetzlichen Änderung der geltenden Umsatzsteuersätze ergeben (vorliegend infolge der COVID-19-Pandemie), weder einer Unterrichtung nach § 41 Abs. 3 S. 1 EnWG bedarf noch ein Sonderkündigungsrecht nach § 41 Abs. 3 S. 2 EnWG entsteht, scheidet ein Unterlassungsanspruch, für dessen Beurteilung allein die Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung maßgeblich ist, wegen Verstoßes gegen § 3a UWG i. V. m. § 41 Abs. 1, Abs. 3 EnWG aus.
2. Verträge und allgemeine Geschäftsbedingungen wie Allgemeinen Stromlieferungsbedingungen sind aufgrund der Relativität ihrer Bindungswirkung inter partes keine gesetzlichen Vorschriften im Sinne des § 3a UWG.
3. Bei der Äußerung, die vorübergehende Reduzierung der Umsatzsteuer im Rahmen der COVID-19-Pandemie begründe kein Sonderkündigungsrecht nach § 41 Abs. 3 S. 2 EnWG, handelt es sich um eine zum Zeitpunkt der Meinungsäußerung vertretbare, nach Maßgabe von § 5 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 UWG zulässige Rechtsansicht, da die Rechtslage im Hinblick auf vertragliche Leistungsstörungen im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie in Literatur und Rechtsprechung ungeklärt und umstritten war und ist.
4. Eine Abmahnung wegen eines behaupteten Verstoßes gegen §§ 3 Abs. 1, 3a UWG i. V. m. § 41 Abs. 1, Abs. 3 EnWG ist nicht im Sinne von § 13 Abs. 3 UWG berechtigt, wenn im Zeitpunkt der Abmahnung vorhersehbar ist, dass eine in unmittelbaren zeitlichen Zusammehang in Kraft tretende Gesetzesänderung den Verstoß gegen § 3a UWG ausräumt.

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist für die Beklagte gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet. Trotz der Säumnis der Beklagten war nicht zu ihren Lasten im Wege eines Versäumnisurteils zu entscheiden. Die Klage ist vielmehr gem. § 331 Abs. 2 Hs. 2 ZPO abzuweisen, weil das tatsächliche Vorbringen des Klägers den Klageantrag nicht rechtfertigt.
I.
Die Klage ist zulässig.
Das Landgericht München I ist gemäß § 14 Abs. 1, Abs. 2 S. 1 UWG sachlich und örtlich zuständig. Es bestehen ferner keine Zweifel an der Bestimmtheit der Anträge im Sinne von § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Der Unterlassungsantrag ist abstrakt gefasst und lässt unter Bezugnahme auf die Anlagen K 1 und K 3 erkennen, auf welche konkreten Verletzungshandlungen er sich bezieht.
II.
Die Klage ist nicht schlüssig. Der Vortrag des Klägers erfüllt nicht die Voraussetzungen für einen Unterlassungsanspruch nach § 8 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 3 UWG und § 2 Abs. 1 UKlaG. Ein Kostenerstattungsanspruch besteht nicht.
1. Der Antrag Ziff. 1 ist unschlüssig. Ein Unterlassungsanspruch des Klägers besteht nicht.
a) Ein Unterlassungsanspruch gemäß § 8 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 3 UWG wegen eines Verstoßes gegen §§ 3 Abs. 1, 3a UWG scheidet aus.
aa) Weder der fehlende Hinweis auf ein etwaiges Sonderkündigungsrecht mit Schreiben vom 13.07.2020 (Anlage K 1) noch die Ablehnung eines Sonderkündigungsrechts mit Schreiben vom 24.07.2020 (Anlage K 3) begründen einen Unterlassungsanspruch wegen eines Verstoßes gegen die Vorschrift des § 41 Abs. 1, Abs. 3 EnWG. Gemäß § 41 Abs. 3 EnWG haben Lieferanten Letztverbraucher rechtzeitig, in jedem Fall jedoch vor Ablauf der normalen Abrechnungsperiode auf transparente und verständliche Weise über eine beabsichtigte Änderung der Vertragsbedingungen und über ihre Rücktrittsrechte zu unterrichten (Satz 1). Eine einseitige Änderung der Vertragsbedingungen durch den Lieferanten begründet ein Sonderkündigungsrecht des Letztverbrauchers (Satz 2).
Es bedarf vorliegend keiner Entscheidung, ob ein Sonderkündigungsrecht bei der streitgegenständlichen, vorübergehenden Preisanpassung infolge der vorläufigen Reduzierung der Umsatzsteuer im Rahmen der COVID-19-Pandemie im Hinblick auf den Sinn und der Zweck der Regelung bereits tatbestandsmäßig ausnahmsweise nicht besteht. Denn der Gesetzgeber hat mit der zum 14.08.2020 durch Gesetz vom 08.08.2020 (BGBl. I S. 1818) in Kraft getretenen Ausnahmeregelung des § 41 Abs. 3a EnWG ausdrücklich klargestellt, dass es bei unveränderter Weitergabe von umsatzsteuerlichen Mehr- oder Minderbelastungen, die sich aus einer gesetzlichen Änderung der geltenden Umsatzsteuersätze ergeben, weder einer Unterrichtung nach § 41 Abs. 3 S. 1 EnWG bedarf noch ein Sonderkündigungsrecht nach § 41 Abs. 3 S. 2 EnWG entsteht. Hierdurch soll eine möglichst unbürokratische und unmittelbare Weitergabe der befristeten Senkung der Umsatzsteuer als Durchlaufposten an die Letztverbraucher ermöglicht werden und entsprechende negative Folgen der kurzfristig beschlossenen gesetzlichen Umsatzsteueranpassung sollen vermieden werden (BT-Drs. 19/20714, S. 205).
Da für die Beurteilung des in die Zukunft gerichteten Unterlassungsanspruchs die Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung maßgeblich ist und der Unterlassungsanspruch daher erfordert, dass das zu untersagende Verhalten auch am Tag des Urteils noch verboten ist (BGH, Urt. v. 06.05.1999, Az.: I ZR 199/96 = GRUR 1999, 923, 925 – Tele-Info-CD; Urt. v. 25.10.2001, Az.: I ZR 29/99 = GRUR 2002, 717, 719 – Klagebefugnis einer Anwaltskammer; Köhler/Bornkamm/Feddersen/Bornkamm, 39. Aufl. 2021, § 8 Rn. 1.9), ist vorliegend unerheblich, dass sich die streitgegenständlichen Schreiben der Beklagten vom 13.07. und 24.07.2020 vor Inkrafttreten des § 41 Abs. 3a EnWG ereigneten. Die unterbliebene Unterrichtung bzw. die Verneinung eines Sonderkündigungsrechts ist daher jedenfalls zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung gemäß § 41 Abs. 3a EnWG rechtmäßig gewesen.
bb) Ein Verstoß gegen § 3a UWG scheidet auch aus, soweit der Kläger einen Rechtsbruch darin verwirklicht sieht, dass die Beklagte mit ihrem Verhalten gegen Ziff. 6. 2. 2 ihrer Allgemeinen Stromlieferungsbedingungen verstoßen soll. § 3a UWG setzt einen Verstoß gegen eine Marktverhaltensvorschrift voraus. Gesetzliche Vorschrift i. S. d. § 3a UWG ist jede Rechtsnorm (Art. 2 EGBGB), die in Deutschland Geltung besitzt (BGH, Urt. v. 21.07.2005, Az.: I ZR 170/02 = GRUR 2005, 960, 961 – Friedhofsruhe; Köhler/Bornkamm/Feddersen/Köhler, 39. Aufl. 2021, § 3a Rn. 1.52). Verträge und allgemeine Geschäftsbedingungen wie die vorliegenden Allgemeinen Stromlieferungsbedingungen sind aufgrund der Relativität ihrer Bindungswirkung inter partes keine gesetzlichen Vorschriften im Sinne des § 3a UWG (OLG München, Urt. v. 10.10.2019, Az.: 29 U 4666/18 = GRUR-RR 2020, 170, 171 Rn. 26 – Sofortüberweisung; Köhler/Bornkamm/Feddersen/Köhler, 39. Aufl. 2021, § 3a Rn. 1.57).
Auch kommt ein Verstoß der Beklagten gegen § 3a UWG i.V. m. §§ 307 ff. BGB nicht in Betracht, da keine Anhaltspunkte für eine Unwirksamkeit der Allgemeinen Stromlieferungsbedingungen bestehen.
b) Der Kläger kann sich nicht auf einen Unterlassungsanspruch gemäß § 8 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 3 UWG wegen eines Verstoßes gegen §§ 3 Abs. 1, 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 7 UWG stützen. Die streitgegenständlichen Schreiben der Beklagten, in denen ein Sonderkündigungsrecht der Letztverbraucher verneint wird, sind nicht irreführend im Sinne von § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 7 UWG.
aa) Nach § 5 Abs. 1 S. 1 UWG handelt unlauter, wer eine irreführende geschäftliche Handlung vornimmt, die geeignet ist, den Verbraucher zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte. Eine geschäftliche Handlung ist gem. § 5 Abs. 1 S. 2 UWG irreführend, wenn sie unwahre Angaben (Alt. 1) oder sonstige zur Täuschung geeignete Angaben über – nachfolgend im Einzelnen aufgezählte – Umstände enthält (Alt. 2). Nach § 5 Abs. 1 S. 2 Fall 2 Nr. 7 UWG ist eine geschäftliche Handlung demnach irreführend, wenn sie sonstige zur Täuschung geeignete Angaben über Rechte des Verbrauchers enthält. Der Begriff der Rechte des Verbrauchers hat eine weite Bedeutung (vgl. Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 39. Aufl. 2021, § 5 UWG Rn. 8.4). Erfasst werden nicht nur Angaben über die Existenz bestimmter Rechte, sondern auch über deren Inhalt, Umfang und Dauer sowie etwaige Voraussetzungen für die Geltendmachung (BGH, Urt. v. 25.04.2019, Az.: I ZR 93/17 = GRUR 2019, 754, 756 Rn. 24 – Prämiensparverträge).
bb) Eine Irreführung durch unwahre Angabe i. S. v. § 5 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 UWG scheidet vorliegend aus.
Unwahre Angaben können nur Tatsachenbehauptungen darstellen, die dem Beweis zugänglich sind. Bei Rechtsansichten handelt es sich grundsätzlich um Meinungsäußerungen, da diesen die Subsumtion eines Sachverhalts unter einschlägige Rechtsnormen zugrunde liegt, die regelmäßig auch wertende Elemente zum Gegenstand hat (BGH, Urt. v. 25.04.2019, Az.: I ZR 93/17 = GRUR 2019, 754, 756 Rn. 38 f. – Prämiensparverträge). Eine Rechtsansicht kann ausnahmsweise eine Tatsachenbehauptung darstellen, wenn mit dieser zum Ausdruck gebracht wird, eine Rechtsfrage sei in einer bestimmten Weise durch Rechtsnormen geregelt oder von der Rechtsprechung entschieden (vgl. BGH, Urt. v. 23.04.2020, Az.: I ZR 85/19 = GRUR 2020, 886, 889 Rn. 38, 39 – Preisänderungsregelung).
Nach dieser Maßgabe scheidet vorliegend eine Irreführung durch unwahre Angaben aus. Die Äußerungen der Beklagten, die vorübergehende Reduzierung der Umsatzsteuer im Rahmen der COVID-19-Pandemie begründe kein Sonderkündigungsrecht, stellen keine Tatsachenbehauptungen, sondern Meinungsäußerungen dar. Die Äußerungen konnten von einem informierten, verständigen und angemessen aufmerksamen Durchschnittsverbraucher (vgl.: BGH, Urt. v. 05.11.2015, Az.: I ZR 182/14 = GRUR 2016, 521 Rn. 10 – Durchgestrichener Preis II) nicht als Behauptung einer bereits seitens der Rechtsprechung entschiedenen oder eindeutig geklärten Rechtslage verstanden werden.
Zum Zeitpunkt der streitgegenständlichen Schreiben vor Inkrafttreten der Vorschrift des § 41 Abs. 3a EnWG war rechtlich ungeklärt, ob § 41 Abs. 3 EnWG für den Fall der lediglich vorübergehenden Reduzierung der Mehrwertsteuer ein Sonderkündigungsrecht vorsieht oder nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift und der vorläufigen Umsatzsteuersenkung einschränkend auszulegen ist. Der Gesetzgeber hat diese Rechtsfrage mit der klarstellenden Regelung des § 41 Abs. 3a EnWG beantwortet. Zum Zeitpunkt der Äußerung war die von der Beklagten geäußerte Rechtsansicht daher mindestens vertretbar, zum maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung entsprach sie sogar der gesetzlichen Regelung des § 41 Abs. 3a EnWG (vgl. die Ausführungen oben).
Entsprechendes gilt auch, soweit die Beklagte die Mindestvertragsinhalte nach § 41 Abs. 1 EnWG in ihren Allgemeinen Stromlieferungsbedingungen wiedergegeben hat und in Ziff. 6. 1. 1. 1., 6. 2. 2 ein Sonderkündigungsrecht für den Fall einer Preisänderung wegen einer Umsatzsteueränderung geregelt hat. Zwar sehen die Allgemeinen Stromlieferungsbedingungen eine ausdrückliche Einschränkung entsprechend der Regelung des § 41 Abs. 3a EnWG nicht vor und mit Inkrafttreten des § 41 Abs. 3a EnWG ging entgegen der Auffassung der Beklagten keine unmittelbare Änderung der Allgemeinen Stromlieferungsbedingungen qua lege einher. Denn es steht der Beklagten im Rahmen der Privatautonomie grundsätzlich frei, den Letztverbrauchern weitergehende Rechte einzuräumen als gesetzlich vorgesehen, oder aber ihre Allgemeinen Stromlieferungsbedingungen an die jeweils geltende Gesetzeslage anzupassen (§ 311 Abs. 1 BGB). Dem trägt die Beklagte auch in Ziff. 6. 2. 2 der Allgemeinen Stromlieferungsbedingungen Rechnung, wonach weitere vertragliche und gesetzliche Kündigungsrechte von der Regelung in den AGB unberührt bleiben sollen. Gleichwohl erscheint der Standpunkt der Beklagten, wonach Ziff. 6. 1. 1. 1., 6. 2. 2 der Allgemeinen Stromlieferungsbedingungen nach dem Sinn und Zweck der – vertraglich lediglich deklaratorisch wiedergegebenen – Regelung des § 41 Abs. 3 EnWG sowie der vorübergehenden Umsatzsteuersenkung auszulegen sei, rechtlich nicht unvertretbar. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass die Rechtslage im Hinblick auf vertragliche Leistungsstörungen im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie in Literatur und Rechtsprechung ungeklärt und umstritten ist (vgl. allgemein auch LG Würzburg, Urt. v. 23.10.2020, Az.: 1 HK O 1250/20 = GRUR-RR 2020, 540, 542 Rn. 26; LG München I, Urt. v. 09.06.2021, Az.: 37 O 5667/20 = GRUR-RS 2021, 13329 Rn. 64). Für die Parteien war die COVID-19- Pandemie und die in diesem Zusammenhang erfolgte vorübergehende Senkung der Umsatzsteuer bei Vertragsschluss nicht vorhersehbar. Ferner dürfte die zweimalige Begründung eines Sonderkündigungsrechts innerhalb von sechs Monaten im Hinblick auf die hierdurch entstehenden, letztlich seitens der Letztverbraucher zu tragenden Transaktionskosten – wie auch der Gesetzgeber in der Gesetzesbegründung zu § 41 Abs. 3a EnWG ausführt (BT-Drs. 19/20714 S. 205) – nicht im Interesse der Parteien liegen.
cc) Ferner kommt auch eine Irreführung durch sonstige zur Täuschung geeignete Angaben i. S. v. § 5 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 UWG nicht in Betracht.
Aussagen über die Rechtslage werden nur in bestimmten Fällen als zur Täuschung geeignete Meinungsäußerung erfasst. Vertritt ein Unternehmen im Rahmen der Rechtsdurchsetzung oder -verteidigung für die betroffenen Verkehrskreise erkennbar eine bestimmte Rechtsansicht, so handelt es sich um eine Meinungsäußerung, die deshalb grundsätzlich selbst dann nicht wettbewerbswidrig ist, wenn sie sich als unrichtig erweist (vgl. BGH, Urt. v. 03.05.2007, Az.: I ZR 19/05 = GRUR 2007, 978 Rn. 30 – Rechtsberatung durch Haftpflichtversicherer; BGH, Urt. v. 25.04.2019, Az.: I ZR 93/17 = GRUR 2019, 754, 756 Rn. 30 – Prämiensparverträge). Das folgt aus der Überlegung, dass es dem Unternehmer bei der Rechtsverfolgung oder der Rechtsverteidigung unbenommen bleiben muss, eine bestimmte Rechtsansicht zu vertreten. Ob diese Rechtsansicht richtig ist, kann nicht im Wettbewerbsprozess, sondern muss in dem Rechtsverhältnis geprüft und entschieden werden, auf das sich diese Rechtsansicht bezieht (BGH, Urt. v. 25.04.2019, Az.: I ZR 93/17 = GRUR 2019, 754, 756 Rn. 31 – Prämiensparverträge).
Vor diesem Hintergrund stellen die streitgegenständlichen Äußerungen der Beklagten in den Schreiben vom 13.07. und 24.07.2020 keine zur Täuschung geeignete Meinungsäußerung dar. Für die angesprochenen Verkehrskreise war vorliegend ersichtlich, dass die Beklagte im Rahmen der Korrespondenz mit den Verbrauchern eine Rechtsansicht vertritt. Die Beklagte verwies als Argument ausdrücklich darauf, dass die Änderung der Umsatzsteuer lediglich temporär und nicht generell sei. Auf die Richtigkeit der – bisher höchstrichterlich ungeklärten – Rechtsansicht kommt es im Wettbewerbsprozess nicht an.
c) Auch scheidet ein Unterlassungsanspruch gemäß § 2 Abs. 1 UKlaG aus, da – wie bereits ausgeführt – zum maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung kein Verstoß der Beklagten gegen Verbraucherschutzgesetze im Sinne des § 2 Abs. 2 UKlaG vorliegt. Soweit der Kläger einen Verstoß der Beklagten gegen ihre eigenen Allgemeinen Lieferungsbedingungen geltend macht, handelt es sich dabei nicht um ein „Verbraucherschutzgesetz“ im Sinne der Vorschrift (vgl. entsprechend oben die Ausführungen zu § 3a UWG).
2. Der Antrag Ziff. 2 ist unschlüssig, da dem Kläger kein Anspruch auf Ersatz der erforderlichen Abmahnkosten gemäß § 5 UKlaG i.V. m. § 13 Abs. 3 UWG zusteht.
a) Soweit der Antrag sich gegen das Schreiben vom 24.07.2020 als konkrete Verletzungshandlung wendet, fehlt es an den Voraussetzungen des § 13 Abs. 2 Nr. 4, Abs. 3 UWG. Inhaltlich bezog sich die Abmahnung vom 23.07.2020 lediglich auf das Schreiben der Beklagten vom 13.07.2020, in dem auf ein etwaiges Sonderkündigungsrecht nicht hingewiesen wurde (Anlage K 1). Das streitgegenständliche Schreiben der Beklagten vom 24.07.2020, welches das Bestehen eines Sonderkündigungsrechts ausdrücklich verneinte, hatte die Abmahnung nicht zum Gegenstand. Auch erfolgte insoweit keine nachträgliche Abmahnung.
b) Im Übrigen war die Abmahnung aber auch nicht berechtigt im Sinne von § 13 Abs. 3 UWG. Berechtigt ist eine Abmahnung nicht bereits dann, wenn sie begründet ist, ihr also ein Unterlassungsanspruch zugrunde liegt, sondern nur dann, wenn sie erforderlich ist, um dem Schuldner einen Weg zu weisen, den Gläubiger ohne Inanspruchnahme der Gerichte klaglos zu stellen (BGH, Urt. v. 21.01.2010, Az.: I ZR 47/09 = GRUR 2010, 354, 355 Rn. 8 – Kräutertee). Die Abmahnung muss daher dem wirklichen oder mutmaßlichen Willen des Schuldners entsprechen (Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 39. Aufl. 2021, § 13 Rn. 99).
Es kann offen bleiben, ob es für die rechtliche Beurteilung der Begründetheit der Abmahnung auf den Zeitpunkt des Zugangs der Abmahnung oder im Hinblick auf den in der Abmahnung geltend gemachten, in die Zukunft gerichteten Unterlassungsanspruch auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung ankommt. Denn im Hinblick auf einen behaupteten Verstoß gegen §§ 3 Abs. 1, 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 7 UWG war die Abmahnung bereits im Zeitpunkt des Zugangs der Abmahnung unbegründet (s. o.).
Hinsichtlich des behaupteten Verstoßes gegen §§ 3 Abs. 1, 3a UWG i.V. m. § 41 Abs. 1, Abs. 3 EnWG war die Abmahnung jedenfalls nicht erforderlich. Im Zeitpunkt der Abmahnung am 23.07.2020 war für Gläubiger und Schuldner zugleich vorhersehbar, dass nur ca. drei Wochen später durch Gesetz vom 08.08.2020 die Ausnahmeregelung des § 41 Abs. 3a EnWG mit Wirkung zum 14.08.2020 in Kraft treten wird, welche den vom Kläger behaupteten Verstoß gegen § 41 Abs. 1, Abs. 3 EnWG ausdrücklich ausräumte. Vor diesem Hintergrund lag die Abmahnung unter Geltendmachung des in die Zukunft gerichteten und spätestens mit Inkrafttreten des § 41 Abs. 3a EnWG unbegründeten Unterlassungsanspruch (s. o.) nicht im Interesse des Schuldners. Diese Beurteilung steht auch im Einklang mit dem erklärten Ziel der Rechtsprechung des BGH, eine missbräuchliche Geltendmachung des Kostenerstattungsanspruchs sowie eine unbillige Belastung des Schuldners mit Kosten zu vermeiden, die zur Erreichung des Ziels einer Streitbeilegung ohne Inanspruchnahme der Gerichte nicht erforderlich sind (BGH, Urt. v. 21.01.2010, Az.: I ZR 47/09 = GRUR 2010, 354, 355 Rn. 9 – Kräutertee; Urt. v. 17.01.2002, Az.: I ZR 241/99 = GRUR 2002, 357, 358 – Missbräuchliche Mehrfachabmahnung).
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 709 S. 1, S. 2 ZPO.


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