Aktenzeichen 29 U 1661/19
Leitsatz
Nimmt ein Antragsteller einen Accessprovider auf Sperrung des Zugangs zu bestimmten Portalen in Anspruch, weil über diese laufend Urheberrechtsverletzungen begangen werden, dann stellen die Verletzungen der Rechte an den verschiedenen Werken im Hinblick auf die begehrte Maßnahme der Sperrung des Zugangs zu den Portalen kerngleiche Verletzungen dar mit der Folge, dass, wenn der Antragsteller trotz Kenntnis der Möglichkeit, eine Sperrung zu bewirken, eine diesbezügliche einstweilige Verfügung nicht binnen eines Monats beantragt, er zeigt, dass ihm die Angelegenheit nicht dringlich ist. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
37 O 18232/18 2019-02-22 Endurteil LGMUENCHENI LG München I
Tenor
I. Die Berufungen der Antragstellerinnen zu 1), 2), 3), 5) und 6) gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 22.02.2019, Az. 37 O 18232/18, werden zurückgewiesen.
II. Die Antragstellerinnen tragen die Kosten des Berufungsverfahrens.
Gründe
I. Von einem Tatbestand wird gemäß § 540 Abs. 2, § 313 a Abs. 1 Satz 1 ZPO abgesehen.
II. Die zulässige Berufung der Antragstellerinnen zu 1), 2), 3), 5) und 6) – die Antragstellerin zu 4) hat zwischenzeitlich ihren Verfügungsantrag mit Schriftsatz vom 02.05.2019 zurückgenommen – ist unbegründet. Das Urteil des Landgerichts München I vom 22.02.2019, Az. 37 O 18232/18, beruht nicht auf einer Rechtsverletzung; die nach § 529 ZPO zu Grunde zu legenden Tatsachen rechtfertigen keine andere Entscheidung.
1. Der Verfügungsantrag der Antragstellerinnen zu 1), 2), 3), 5) und 6) ist bereits mangels Vorliegens eines Verfügungsgrundes unzulässig. Das Landgericht hat die für den Erlass der beantragten einstweiligen Verfügung erforderliche Dringlichkeit zu Recht verneint. Allein der Umstand, dass die Antragsstellerinnen erst ab dem 21.11.2018 (oder später) Kenntnis davon gehabt haben mögen, dass die in diesem Verfahren angeführten Werke auf den Internetdiensten KINOX.TO, BURNING SERIES und SERIEN STREAM illegal öffentlich zugänglich gemacht worden seien, genügt angesichts dessen, dass den Antragstellerinnen die fraglichen Portale selbst und die dort erfolgende Verletzung von Rechten an Werken aus ihrem jeweiligen Repertoire wie auch die Ausrichtung dieser Portale schon deutlich länger bekannt sind, nicht, um die Verfolgung des mit dem Hauptantrag begehrten Anspruchs im Eilverfahren als zulässig anzusehen.
a) Die nahezu einhellige Meinung behandelt den Verfügungsgrund (§ 936, § 917 ZPO) als Zulässigkeitsvoraussetzung zur Rechtfertigung des Vorgehens im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes. Als Prozessvoraussetzung ist sein Vorliegen von Amts wegen zu prüfen und ist der Disposition der Parteien entzogen. Fehlt dieses besondere Rechtsschutzbedürfnis für die Durchführung eines Eilverfahrens, ist der Antrag als unzulässig abzuweisen (Retzer, in: Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, UWG, 4. Aufl., § 12 Rn. 299 m.w.N.).
b) Da die Dringlichkeitsvermutung des § 12 Abs. 2 UWG bzw. des § 140 Abs. 3 MarkenG für die vorliegend geltend gemachten Ansprüche weder direkt noch analog zur Anwendung kommt, oblag den Antragstellerinnen gem. § 936, § 920 Abs. 2 ZPO die Pflicht, darzutun und glaubhaft zu machen, dass sie auf eine gerichtliche Eilmaßnahme angewiesen sind (Retzer, in: Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, UWG, 4. Aufl., § 12 Rn. 300 m.w.N.). Zudem darf kein dringlichkeitsschädliches Verhalten vorliegen, wobei ein solches anzunehmen ist, wenn es erkennen lässt, dass es dem Antragsteller mit der Durchsetzung seiner Ansprüche nicht eilig ist (st. Rspr., vgl. die Nachweise bei Köhler, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 37. Aufl., § 12 Rn. 3.15), so dass die Durchführung eines Eilverfahrens mit all den damit zu Lasten des Antragsgegners verbundenen Einschränkungen gegenüber einem Klageverfahren einerseits und die mit dem Eilverfahren verbundene Bevorzugung der Sachbehandlung gegenüber anderen beim angerufenen Gericht anhängigen Verfahren andererseits nicht mehr gerechtfertigt erscheint (Senat, WRP 2019, 1375 Rn. 15 – Dringlichkeitsschädliche Sachbehandlung).
c) Dringlichkeitsschädliches Verhalten ist vorliegend zu bejahen.
aa) Wie der Senat bereits in seinem Urteil vom 07.02.2019 (GRUR 2019, 507) entschieden hat, ist bei einem Antrag der hier streitgegenständlichen Art zu berücksichtigen, dass das Begehren der Antragstellerinnen auf die Sperrung des Zugangs zu den antragsgegenständlichen Portalen insgesamt gerichtet ist und die Anträge zwar werksbezogen formuliert sind, die konkret beantragte Maßnahme der DNS-Sperre tatsächlich aber nicht schutzrechtsbezogen wirkt. Die beantragte und zur Verfügung stehende Sperrmaßnahme ist nicht auf ein bestimmtes Schutzrecht ausgerichtet (vgl. BGH GRUR 2018, 1044 Rn. 27 und Rn. 32 – Dead Island), sondern darauf, dass den Kunden der Zugang zu den Portalen insgesamt nicht mehr vermittelt wird und sie somit auf sämtliche Inhalte der Portale nicht mehr zugreifen können. Ist aber die begehrte Sperrmaßnahme nicht schutzrechtsbezogen und ergibt sich der Anspruch auf diese auch nicht (allein) aus der Verletzung eines konkreten Schutzrechts, sondern vielmehr daraus, dass über die Portale eine Vielzahl von Schutzrechten laufend verletzt werden (Verhältnismäßigkeit, vgl. § 7 Abs. 4 Satz 2 TMG), ist auch hinsichtlich der Frage der Dringlichkeit eine auf das einzelne Schutzrecht bezogene Betrachtungsweise nicht angezeigt (vgl. BGH GRUR 2018, 1044 Rn. 27 – Dead Island zu der Frage, ob bei nicht schutzrechtsbezogenen Maßnahmen im Rahmen der Störerhaftung der vorangegangene Hinweis auf eine Rechtsverletzung auf das gleiche Werk bezogen sein muss). Nimmt ein Antragsteller einen Accessprovider auf Sperrung des Zugangs zu bestimmten Portalen in Anspruch, weil über diese laufend Urheberrechtsverletzungen begangen werden, dann stellen die Verletzungen der Rechte an den verschiedenen Werken im Hinblick auf die begehrte Maßnahme der Sperrung des Zugangs zu den Portalen kerngleiche Verletzungen dar mit der Folge, dass, wenn der Antragsteller trotz Kenntnis der Möglichkeit, eine Sperrung zu bewirken, eine diesbezügliche einstweilige Verfügung nicht binnen eines Monats beantragt, er zeigt, dass ihm die Angelegenheit nicht dringlich ist.
bb) Vorliegend war den Antragsstellerinnen unstreitig seit längerem bekannt, dass die antragsgegenständlichen Portale von Kunden der Antragsgegnerin über deren Dienste aufgerufen werden können. Dass andere Werke als die hier antragsgegenständlichen bislang nicht auf den streitgegenständlichen Internetdiensten verfügbar gewesen wären, behaupten die Antragstellerinnen auch nach der in der Berufung angegriffenen landgerichtlichen Entscheidung, die diesen Aspekt auf S. 17 des Urteils hervorhebt, nach wie vor nicht. Vielmehr behaupten sie sogar eine Intensivierung der Rechtsverletzungen, so dass es ihnen vorher bekannte Rechtsverletzungen gegeben haben muss. Dass und aus welchen Gründen die Antragstellerinnen gleichwohl keine Möglichkeit gehabt hätten, die Antragsgegnerin wegen dieser Rechtsverletzungen zuvor auf die hier beantragte DNS-Sperre in Anspruch zu nehmen, ist nicht ersichtlich und machen die für das Vorliegen der die Dringlichkeit begründenden Tatsachen darlegungs- und glaubhaftmachungspflichten Antragstellerinnen nicht geltend, obwohl die Gegenseite die Notwendigkeit entsprechenden Vortrags mehrfach und ausdrücklich betont hat.
cc) Angesichts dessen kann die für den Erlass der begehrten einstweiligen Verfügung im Hauptantrag erforderliche Dringlichkeit nicht angenommen werden. Die seitens der Antragstellerinnen in der Berufung vorgebrachten Argumente zur aus ihrer Sicht bestehenden Notwendigkeit, die Dringlichkeit auch bei dem vorliegend auf § 7 Abs. 4 TMG analog gestützten Antrag werksbezogen zu beurteilen, überzeugen angesichts der oben dargestellten Zielrichtung des Antrags und der mit den daraus resultierenden Folgen für sämtliche auf den betroffenen Plattformen bereitgehaltenen Werke nicht. Auch nicht hinnehmbare Rechtsschutzlücken oder einen Widerspruch zur Durchsetzungsrichtlinie vermag der Senat nicht zu erkennen (weswegen auch eine Vorlage an den EuGH nicht in Betracht kommt), da den Antragstellerinnen weder die Möglichkeit genommen wird, ihre Ansprüche in einem Hauptsacheverfahren zu verfolgen noch grds. den Weg des einstweiligen Rechtsschutzes zu beschreiten. Dieser aber ist – um den berechtigten Interessen beider Parteien und dem Umstand der Erleichterungen, was den Nachweis bestrittener Tatsachen anbelangt, gerecht zu werden – an das Vorliegen eines Verfügungsgrundes geknüpft.
dd) Die Antragstellerinnen können sich demgegenüber nicht auf einen ihnen zukommenden Vertrauensschutz berufen, zumal auch nach dem Vortrag der Antragstellerinnen die Rechtsprechung vor der Senatsentscheidung vom 07.02.2019 nicht ursächlich für die der Dringlichkeit in diesem Verfahren entgegen stehende Untätigkeit war. Allenfalls könnte das Verständnis der Antragsstellerinnen der früheren Rechtsprechung für diese Grund zu der Annahme gewesen sein, frühere Untätigkeit werde ihr nicht entgegen gehalten. Diese Annahme begründet aber gerade keinen Vertrauensschutz, denn ein solcher würde einseitig die Interessen der Antragstellerinnen zu Lasten derer der Antragsgegnerin berücksichtigen – was nicht zuletzt mit dem vom BVerfG betonten Grundsatz der prozessualen Waffengleichheit (vgl. hierzu BVerfG, GRUR 2018, 1288 sowie GRUR 2018, 1291) nicht in Einklang zu bringen wäre.
ee) Schließlich ist das Landgericht auch zu Recht davon ausgegangen, dass durch die Kenntnis des öffentlichen Zugänglichmachens der Serie „Das Boot“ keine Intensivierung vorangegangener Rechtsverletzungen anzunehmen wäre. Hinreichender Sachvortrag, der eine derartige Annahme im Vergleich zu der bisherigen Situation erlauben würde, liegt nicht vor.
2. Auch mit dem Hilfsantrag haben die Antragstellerinnen keinen Erfolg, auch dieser ist mangels Verfügungsgrund unzulässig. Die von der Antragsgegnerin geltend gemachten Zuständigkeitsbedenken teilt der Senat zwar nicht, da der Hilfsantrag allein dem Umstand Rechnung tragen soll, den gleichen zur Entscheidung gestellten Sachverhalt unter anderen rechtlichen Gesichtspunkten zu beurteilen. Zu Recht verweist jedoch die Gegenseite darauf, dass sich ein Antragsteller dringlichkeitsschädlich verhält, wenn er einen im Laufe des Verfügungsverfahrens gestellten Antrag zunächst zurücknimmt, um ihn dann erneut zu stellen. So haben die Antragstellerinnen eben diesen Hilfsantrag ausweislich S. 6 des Protokolls der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht am 18.01.2019 zurückgenommen.
III. Zu den Nebenentscheidungen:
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 97 Abs. 1, § 269 Abs. 3 ZPO.
Für die Zulassung der Revision ist im Streitfall, dem ein Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zugrunde liegt, kein Raum (vgl. § 542 Abs. 2 Satz 1 ZPO).
Einer Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit bedarf es im vorfliegen Fall nicht (Götz, in: MüKoZPO, 5. Aufl., § 708 Rn. 3).