IT- und Medienrecht

Durchsuchungs- und Beschlagnahmeanordnung, Polizeivollzugsbeamter am Flughafen, München, Verdacht auf Zugehörigkeit zur Reichsbürgerbewegung

Aktenzeichen  M 19B DA 22.2551

Datum:
19.5.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 13714
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BDG § 27
StPO § 94 ff.

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Durchsuchung
– des Grundstücks und der im Allein- oder Mitgewahrsam des Antragsgegners befindlichen Wohn-, Geschäfts- und Nebenräume an der Anschrift …
– der von ihm genutzten Fahrzeuge
– des ihm persönlich zugewiesenen Schrankes in seiner Dienststelle BPOLI … …
– seines persönlichen Postfachs in der vorgenannten Dienststelle
– seines ihm dienstlich zugewiesenen Y-Laufwerks zur Speicherung persönlicher Daten auf dem allgemein zur Verfügung stehenden Arbeitsplatz-PC in der vorgenannten Dienststelle
– der Protokolldatenauswertung des dienstlichen und persönlich genutzten E-Mail-Postfachs des vom Antragsgegner genutzten, allgemein zur Verfügung stehenden dienstlichen Arbeitsplatz-PCs der vorgenannten Dienststelle sowie
– seiner Person und der ihm gehörenden Sachen wird angeordnet. Dabei dürfen in den durchsuchten Objekten befindliche Behältnisse geöffnet werden.
Die Durchsuchungsanordnung bezieht sich auch auf von den vorgenannten Durchsuchungsobjekten räumlich getrennte Speichermedien, soweit auf sie von den durchsuchten Räumlichkeiten aus zugegriffen werden kann.
Zweck der Durchsuchung ist das Auffinden folgender Gegenstände:
– Fantasiedokumente und Propagandamaterial der Reichsbürgerbewegung
– Unterlagen, Notizen und Bücher, die Hinweise auf die Zugehörigkeit und Aktivität in der Reichsbürgerszene geben
– Gegenstände, die als Kennzeichen verfassungsfeindlicher Organisationen im Sinne von § 86 StGB zu werten sind
– Unterlagen, Notizen und Bücher, die analog § 130 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 StGB die Menschenwürde von Personen einer in § 130 Abs. 1 Nr. 1 StGB genannten Gruppe angreifen
– Unterlagen, Notizen und Bücher, die analog § 131 Abs. 1 StGB grausame oder sonst unmenschliche Gewalttätigkeiten gegen Menschen in einer Art schildern, die eine Verherrlichung oder Verharmlosung solcher Gewalttätigkeiten ausdrückt oder die das Grausame oder Unmenschliche des Vorgangs in einer die Menschenwürde verletzenden Weise darstellt
– elektronische Kommunikations- und Speichermedien (Computer, Datenträger, Mobiltelefone, Tablets, Laptops etc.).
II. Die Beschlagnahme der bei den vorgenannten Durchsuchungen aufgefundenen Beweismittel (Gegenstände, E-Mails, Dateien und Daten) wird angeordnet, sofern sie nicht freiwillig herausgegeben werden.
III. Die Beschlagnahme und Durchsuchung der elektronischen Postfächer des Antragsgegners beim Provider 1& 1 Mail & M2. GmbH @web.de, aller in dem elektronischen Postfach gespeicherten Nachrichten inklusive der Anhänge, insbesondere auch der noch nicht endgültig gelöschten Nachrichten sowie der noch nicht abgesendeten Entwürfe wird angeordnet. Das Postfach ist zu sichern und auszuleiten.
IV. Die Durchsicht der aufgefundenen Papiere, elektronischen Speichermedien und elektronischen Postfächer wird der Antragsgegnerin übertragen.
V. Die Antragstellerin wird mit der Vollstreckung beauftragt.
VI. Die Durchsuchungs- und Beschlagnahmeanordnung unter Nr. I bis III gilt für 6 Monate ab dem Datum des vorliegenden Beschlusses.
VII. Die Antragstellerin wird mit der Zustellung dieses Beschlusses an den Antragsgegner beauftragt. Die Zustellung hat spätestens einen Tag nach Durchführung der unter Nr. I bis III genannten Maßnahmen zu erfolgen.

Gründe

I.
Die Antragstellerin begehrt den Erlass einer Durchsuchungs- und Beschlagnahmeanordnung.
1. Der am … November 1971 geborene Antragsgegner steht als Polizeivollzugsbeamter im Dienst der Antragstellerin. Er ist bei der Bundespolizeiinspektion … eingesetzt.
Der Antragsgegner ist verheiratet und Vater eines erwachsenen Sohnes.
2. Die Disziplinarbehörde wurde auf den Antragsgegner aufmerksam, weil in einem gegen einen Kollegen gerichteten Disziplinarverfahren, in dem bereits Durchsuchung und Beschlagnahme angeordnet und durchgeführt worden waren, bei der Auswertung des dienstlichen E-Mail-Postfachs E-Mail-Verkehr mit dem Antragsgegner festgestellt wurde.
Der Antragsgegner hat mindestens im Zeitraum von Dezember 2013 bis Januar 2016 von mindestens einem Kollegen der Bundespolizei auf seinem dienstlichen E-Mail-Postfach Nachrichten mit für die Reichsbürger- und Selbstverwalterszene typischen Inhalten erhalten, nicht beantwortet, allerdings auch keine Gegenstellung bezogen. Hierunter befinden sich:
– eine am 19. Dezember 2013 empfangene E-Mail „Umerziehung“
– eine am 24. November 2015 empfangene E-Mail „Musterschreiben Akzeptanz GEZ-Gebühr nebst eigenen AGBs“
– eine am 14. Januar 2016 empfangene E-Mail zu „…trails“.
Der Antragsgegner gab bei einer Anhörung im Zuge bereits 2020 durchgeführter Verwaltungsermittlungen an, er habe die empfangenen Mails nicht gelesen und diese interessierten ihn auch nicht; er halte ihren Inhalt für „Schwachsinn“. Er habe nie Statements abgegeben, die der Reichsbürgerideologie zuzurechnen seien.
Im Rahmen eines gegen einen Kollegen (POM B.) durchgeführten Disziplinarverfahrens gab dieser bei seiner persönlichen Anhörung am 11. Januar 2022 und in einer undatierten persönlichen Stellungnahme detailliert an, der Antragsgegner sei im Kollegenkreis einer von vier Rädelsführern im Hinblick auf das Vertreten reichsbürgerideologischer Thesen gewesen und habe ihn massiv in diese Richtung hin beeinflusst.
3. Der Präsident der Bundespolizeidirektion München leitete mit Verfügung vom 17. März 2022 ein Disziplinarverfahren gegen den Antragsgegner ein und beauftragte eine Beamtin mit der Aufgabe der Ermittlungsführung. Um den Ermittlungserfolg nicht zu gefährden, erfolgte keine Aushändigung der Einleitungsverfügung an den Antragsgegner.
4. Am 10. Mai 2022 stellte die Bundespolizeidirektion München beim Verwaltungsgericht München den
Antrag auf Anordnung der Durchsuchung des Antragsgegners, seiner Wohnräume und Fahrzeuge sowie privater und dienstlicher elektronischer Speichermedien zum Zweck der Beschlagnahme von Gegenständen und Dateien mit insbesondere reichsbürger-/selbstverwaltertypischen Inhalten.
Zur Begründung wurde der unter 2. dargestellte Sachverhalt geschildert und ausgeführt, hierdurch sei belegt, dass der Antragsgegner schuldhaft seine politische Treuepflicht (§ 60 Abs. 1 Satz 3 Bundesbeamtengesetz – BBG) und seine Pflicht zu achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten (§ 61 Abs. 1 Satz 3 BBG) verletzt habe. Durch seine verbreiteten Ansichten habe er gezeigt, dass er Reichsbürger-/Selbstverwaltergedankengut nicht nur toleriere, sondern auch weiter verbreite. Ein Polizeivollzugsbeamter, der sich mit derartigen Äußerungen an Gesprächen mit Kollegen beteilige, zeige eine unzureichende Dienstauffassung und charakterliche Eignungsmängel und beeinträchtige daher das Vertrauen der Bürger in die Beamtenschaft insgesamt. Der Antragsgegner habe es einerseits unterlassen, hinsichtlich des erhaltenen Materials eindeutig Stellung beziehen, und habe andererseits das eigene, die freiheitliche demokratische Grundordnung ablehnende Gedankengut an einen jungen, unerfahrenen Kollegen weitergegeben.
Die Beteiligung des Antragsgegners im gerichtlichen Verfahren unterblieb, weil sie den Zweck der Anordnungen gefährdet hätte.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der vorgelegten Behördenakte und der Gerichtsakte verwiesen, insbesondere im Hinblick auf den Inhalt der vom Antragsgegner empfangenen E-Mails und die Äußerungen des Zeugen POM B..
II.
Dem Antrag auf Erlass einer Durchsuchungs- und Beschlagnahmeanordnung wird entsprochen.
Nach § 27 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 Bundesdisziplinargesetz (BDG) kann das Gericht auf Antrag durch Beschluss Beschlagnahmen und Durchsuchungen anordnen. Zuständig für die Anordnung ist nach § 46 Abs. 1 Satz 2 BDG der oder die Vorsitzende der Disziplinarkammer ohne Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter. Das entsprechende Ersuchen darf nach § 27 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 i.V.m. § 25 Abs. 3 BDG nur von dem Dienstvorgesetzten, seinem allgemeinen Vertreter oder einem beauftragten Beschäftigen gestellt werden, der die Befähigung zum Richteramt hat. Die Anordnung darf nach § 27 Abs. 1 Satz 2 BDG nur getroffen werden, wenn der Beamte des Dienstvergehens dringend verdächtig ist und die Maßnahme zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Disziplinarmaßnahme nicht außer Verhältnis steht. Die Bestimmungen der Strafprozessordnung (StPO) über Beschlagnahmen und Durchsuchungen gelten nach § 27 Abs. 1 Satz 3 BDG entsprechend.
Die Regelung des § 27 Abs. 1 BDG ist anwendbar (1.). Im vorliegenden Fall ist sowohl ein dringender Tatverdacht (2.) als auch die Verhältnismäßigkeit der begehrten Anordnung (3.) gegeben. Die angeordneten Maßnahmen sind nach der StPO zulässig (4.). Weiter ist die Durchsuchungs- und Beschlagnahmeanordnung hinreichend bestimmt formuliert (5.). Von einer Zustellung des Antrags und einer Anhörung des Antragsgegners konnte abgesehen werden (6.).
1. § 27 Abs. 1 BDG ist hier anwendbar. Gegen den Antragsgegner wurde mit Verfügung vom 17. März 2022 ein Disziplinarverfahren eingeleitet. Die nach § 20 Abs. 1 Satz 1 BDG vorgeschriebene Unterrichtung, Belehrung und Anhörung über die Einleitung konnten vorerst unterbleiben, weil sie nicht ohne Gefährdung der Aufklärung des Sachverhalts möglich waren (vgl. § 20 Abs. 1 Satz 1 a.E. BDG).
2. Ein dringender Tatverdacht der Zugehörigkeit des Antragsgegners zur sogenannten Reichsbürgerbewegung bzw. seiner Unterstützung von deren Gedankengut ist gegeben. Ein dringender Tatverdacht liegt vor, wenn eine große Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass der Beamte das ihm zur Last gelegte Dienstvergehen begangen hat (BayVGH, B.v. 28.4.2014 – 16b DC 12.2380 – juris Rn. 6).
Die dem Antragsgegner vorgeworfene Nähe zur sogenannten Reichsbürgerbewegung ergibt sich dabei aus den von ihm in der Zeit von Dezember 2013 bis Januar 2016 empfangenen E-Mails mit reichsbürger-/selbstverwaltertypischen Inhalten (Umerziehung, Ablehnung der GEZ-Gebühr nebst privaten AGBs, …trails), deren Empfang und Inhalt er nicht entgegen getreten ist. Hinsichtlich des Schreibens „Akzeptanz“ hat auch der Bayerische Verwaltungsgerichtshof dort eine reichsbürgertypische Argumentation erkannt (B.v. 8.10.2020 – 16b DC 20.1871). Schwerer noch als der Empfang der vorgenannten E-Mails wiegt das dem Antragsgegner vorgeworfene Verhalten innerhalb des Kollegenkreises. Der Zeuge POM B. schildert den Antragsgegner nachvollziehbar, in sich schlüssig und glaubhaft als Meinungsführer hinsichtlich reichsbürgertypischer und verschwörungstheoretischer Inhalte (u.a. Bezeichnung „Personalausweis“, Deutschland-GmbH, Staatsangehörigkeitsausweis).
Das Gericht verkennt dabei nicht, dass es sich bei der sogenannten Reichsbürgerbewegung um keine homogene, streng zusammengehörige oder klar abgrenzbare Gruppe handelt. Vielmehr umfasst die Bewegung mehrere, oft untereinander konkurrierende Gruppierungen in Deutschland, sodass nicht von einer geschlossenen „Reichsbürgerideologie“ oder von einer spezifischen Weltanschauung gesprochen werden kann. Allerdings ist allen Anhängern gemein, dass sie die Existenz der Bundesrepublik Deutschland als legitimer und souveräner Staat bestreiten. Die Anhänger behaupten insbesondere, dass das Deutsche Reich fortbestehe. Die Leugnung der Existenz der Bundesrepublik Deutschland bedingt, dass die „Reichsbürgerideologie“ konsequent das Grundgesetz, die Gesetze und die Legitimität staatlicher Institutionen sowie ihrer Repräsentanten negiert. Sie zweifelt die Rechtsgültigkeit von Verwaltungshandeln, amtlichen Bescheiden und die Zuständigkeit der Verwaltungen an oder ignoriert sie gänzlich, beispielsweise mit der Weigerung, Bußgeldzahlungen zu leisten oder durch das Herstellen eigener Scheindokumente (vgl. BayVGH, B.v. 5.10.2017 – 21 CS 17.1300 – juris Rn. 14; VG Regensburg, U.v. 26.11.2018 – RN 10B DK 17.1988 – S. 17 f., n.v.; VG Trier, U.v. 14.8.2018 – 3 K 2486/18.TR – juris Rn. 67 ff.).
3. Die beantragten Maßnahmen stehen nicht zu der Bedeutung der Sache und zu der zu erwartenden Disziplinarmaßnahme außer Verhältnis. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist dabei in zweierlei Hinsicht zu beachten: Zum einen darf die Maßnahme, um die ersucht wird, nicht zur Bedeutung der Sache, zum anderen darf sie auch nicht zu der zu erwartenden Disziplinarmaßnahme außer Verhältnis stehen (BayVGH, B.v. 28.4.2014 – 16b DC 12.2380 – juris Rn. 12).
3.1. Die beantragten Maßnahmen sind verhältnismäßig.
Die Durchsuchung der im Allein- oder Mitgewahrsam befindlichen Wohnung des Antragsgegners mit Nebenräumen, der von ihm genutzten Fahrzeuge und seiner Dienststelle nach Schriften und elektronischen Kommunikations- und Speichermedien mit reichsbürgertypischen Inhalten und die Beschlagnahme dieser Schriften und Medien sind geeignet, die erforderlichen Beweismittel für die Bestätigung oder Entkräftung des gegen ihn erhobenen Vorwurfs der Nähe zu reichsbürgertypischem Gedankengut zu erlangen. Recherchen oder Meinungskundgaben in diesem Bereich werden mit hoher Wahrscheinlichkeit über schriftliche und elektronische Medien getätigt, so dass deren Beschlagnahme und Auswertung weitere Erkenntnisse verspricht. Da der Antragsgegner mit hoher Wahrscheinlichkeit auch aus dem privaten Bereich heraus agiert haben wird, ist die Durchsuchungs- und Beschlagnahmeanordnung auch auf diesen Bereich zu erstrecken.
Zur Sicherstellung der Verhältnismäßigkeit war die Durchsuchungs- und Beschlagnahmeanordnung zu befristen; die richterliche Prüfung kann die Einhaltung der rechtlichen Grundlagen nicht für unabsehbare Zeit gewährleisten.
3.2. Die Durchsuchungs- und Beschlagnahmeanordnung steht auch zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Disziplinarmaßnahme nicht außer Verhältnis (vgl. § 27 Abs. 1 Satz 3 BDG). Regelmäßig kommen entsprechende Zwangsmaßnahmen nur in Betracht, wenn die Zurückstufung oder die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis zu erwarten ist (BayVGH, B.v. 28.4.2014 – 16b DC 12.2380 – juris Rn. 14 m.w.N.). Dies ist hier der Fall.
Vorliegend wiegt das dem Antragsgegner zur Last gelegte Dienstvergehen schwer. Sollte sich der Vorwurf erhärten, er sei Anhänger der sogenannten Reichsbürgerbewegung oder vertrete zumindest deren Gedankengut, käme allein deswegen die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis in Betracht. Die Grundlagen des Beamtenverhältnisses lassen es nicht zu, Personen mit der Ausübung staatlicher Hoheitsgewalt zu betrauen, die die freiheitlich-demokratische Verfassungsordnung ablehnen (vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2017 – 2 C 25/17 – juris Rn. 91; VG Regensburg, U.v. 26.11.2018 – RN 10 B DK 17.1988 – S. 17 n.v.; VG Trier, U.v. 14.8.2018 – 3 K 2486/18.TR – juris Rn. 53 ff.; OVG Sachsen-Anhalt, U.v. 15.3.2018 – 10 L 9/17 – juris Rn. 56 ff.; VG München, U.v. 8.2.2018 – M 19L DK 17.5914 – n.v.).
Bei der Bemessung der Disziplinarmaßnahme ist zudem zu berücksichtigen, dass der Antragsgegner als Polizeibeamter in der Öffentlichkeit eine besondere Vertrauens- und Garantenstellung genießt (vgl. nur BVerwG, B.v. 2.5.2017 – 2 B 21.16 – juris Rn. 10; U.v. 10.12.2015 – 2 C 50.13 – Ls. 1 und Rn. 35 ff.).
4. Die angeordneten Maßnahmen sind von den Bestimmungen der Strafprozessordnung gedeckt.
Nach § 102 StPO kann die Durchsuchung der Wohnung und anderer Räume, der Person und der ihr gehörenden Sachen angeordnet werden, wenn zu vermuten ist, dass sie zur Auffindung von Beweismitteln führen wird. Hinsichtlich der Durchsuchung der Wohnung ist unerheblich, ob der Antragsgegner Allein- oder Mitinhaber ist (Hegemann in BeckOK StPO, Stand 1.1.2020, § 104 Rn. 8). Nach § 102 StPO ist auch die Durchsuchung der von ihm genutzten Fahrzeuge und der ihm zur Verfügung gestellten dienstlichen Spinde im Flughafen München zulässig.
Die Durchsuchungsanordnung bezieht sich auch auf von diesen Durchsuchungsobjekten räumlich getrennte Speichermedien, soweit auf sie von den durchsuchten Räumlichkeiten aus zugegriffen werden kann (§ 110 Abs. 3 Satz 1 StPO).
Die Zulässigkeit der Beschlagnahme nicht freiwillig herausgegebener Gegenstände ergibt sich aus § 94 Abs. 2 StPO.
Die Beschlagnahme der bei einem Provider befindlichen und sicherzustellenden E-Mails kann nach § 99 StPO analog angeordnet werden. Diese E-Mails sind mit den im Gewahrsam eines Post- oder Telekommunikationsdienstleisters befindlichen Briefsendungen und Telegrammen vergleichbar (BVerfG, B.v. 16.6.2009 – 2 BvR 902.06 – juris; BGH, B.v. 31.3.2009 – 1 StR 76.09 – juris; VG München, B.v. 23.1.2019 – M 13B DA 19.160 – juris Rn. 44). Die Herausgabepflicht ergibt sich zudem allgemein aus § 95 StPO. Auf der Grundlage des vorhandenen dienstlichen E-Mail-Verkehrs des Antragsgegners ist anzunehmen, dass auch sein privater E-Mail-Verkehr reichsbürgertypische Inhalte aufweisen und daher für die Untersuchung von Bedeutung sein wird.
Die Übertragung der Befugnis zur Durchsicht der elektronischen Postfächer auf die Antragstellerin erfolgt in entsprechender Anwendung von § 100 Abs. 3 Satz 2 StPO. Eine Übermittlung der E-Mails zur Durchsicht an das Gericht würde zu einer nicht hinnehmbaren Verzögerung führen. Die Durchsicht von bei der Durchsuchung aufgefundenen Papieren steht nach § 110 Abs. 1 StPO analog ohnehin dem Disziplinarvorgesetzten zu.
5. Die Durchsuchungs- und Beschlagnahmeanordnung ist hinreichend bestimmt ausgestaltet. Da die Ermächtigung der Exekutive, im Wege der Durchsuchung in den grundrechtlich geschützten Bereich des Betroffenen einzugreifen, regelmäßig den Gerichten vorbehalten ist, trifft diese als Kontrollorgan zugleich die Pflicht, durch eine geeignete Formulierung des Durchsuchungsbeschlusses im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren sicherzustellen, dass der Eingriff in die Grundrechte messbar und kontrollierbar bleibt (BayVGH, B.v. 28.4.2014 – 16b DC 12.2380 – juris Rn. 22). Diesen Anforderungen genügen die tenorierten Maßnahmen.
6. Von einer Zustellung des Antrags und einer Anhörung des Antragsgegners vor Erlass des Beschlusses konnte abgesehen werden.
Zwar gebietet Art. 103 Abs. 1 Grundgesetz (GG) grundsätzlich die vorherige Anhörung des Antragsgegners. Die Sicherung gefährdeter Interessen kann jedoch in besonderen Verfahrenslagen einen sofortigen Zugriff notwendig machen, der die vorherige Anhörung ausschließt (BVerfG, B.v. 16.6.1981 – 1 BvR 1094/80 – juris Rn. 52 ff.). In diesen Fällen ist der Betroffene auf eine nachträgliche Anhörung zu verweisen, was § 27 Abs. 1 Satz 3 BDG i.V.m. § 33 Abs. 4 Satz 1 StPO zulässt.
Aus den dargestellten Gründen war die handelnde Behörde mit der Zustellung des Beschlusses an den Antragsgegner zu beauftragen (§ 3 BDG, § 173 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO, § 168 Abs. 2 Zivilprozessordnung – ZPO). Um das nachträgliche rechtliche Gehör umfassend zu gewährleisten, erhält der Antragsgegner neben diesem Beschluss auch die Antragsschrift nebst Anlagen.
Die Kostenentscheidung bleibt, weil es sich um eine unselbständige Nebenentscheidung handelt, dem Hauptsacheverfahren vorbehalten.


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