IT- und Medienrecht

Entschädigung wegen Benachteiligung nach dem AGG

Aktenzeichen  122 C 5020/18

Datum:
10.10.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 56177
Gerichtsart:
AG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
AGG § 1, § 19 Abs. 1 Nr. 1
ZPO § 91, § 130 a,§ 139 Abs. 2, § 224 Abs. 2, § 296 a S. 1

 

Leitsatz

Grundsätzlich bezieht sich der Schutz des AGG i.a. auf eine Benachteiligung, die an das konkrete Lebensalter anknüpft. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 1.000,00 € festgesetzt.

Gründe

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet, ein Anspruch nach dem AGG besteht nicht.
Der Kläger trug vor, er sei am Einlass abgewiesen worden und auf seine Nachfrage nach dem Grund sei ihm sein zu hohes Alter genannt worden. Ein weiterer Mitarbeiter habe dann nach seinem Alter gefragt, woraufhin er sein Alter mit 44 Jahren genannt habe. Der Mitarbeiter habe dann die Abweisung bestätigt.
Es ist fraglich, ob hierbei überhaupt eine Diskriminierung wegen des Alters erfolgte, da die Abweisung zunächst nicht aufgrund des tatsächlichen Alters des Klägers erfolgte, sondern aufgrund seines ersten optischen Erscheinens. Die Beklagte räumte auch insoweit ein, dass eine Abweisung erfolgte, da der Kläger optisch nicht in die junge Zielgruppe gepasst habe, auch wegen seines älteren Aussehens.
Grundsätzlich bezieht sich der Schutz des AGG nur auf eine Benachteiligung, die an das konkrete Lebensalter anknüpft (Armbrüster in: Erman, BGB, 15. Aufl. 2017, § 1 AGG, Rn 13). Fraglich ist daher, ob eine Benachteiligung, die an das Aussehen wegen des Alters anknüpft, überhaupt unter den Schutz des AGG fällt.
Dies muss jedoch vorliegend nicht entschieden werden, da auch bei der Annahme, dass eine Benachteiligung nach dem Alter erfolgte, ein Entschädigungsanspruch nicht besteht.
Gemäß § 19 Abs. 1 Nr. 1 AGG ist eine Benachteiligung aus Gründen des Alters bei der Begründung zivilrechtlicher Schuldverhältnisse, die typischerweise ohne Ansehen der Person zu vergleichbaren Bedingungen in einer Vielzahl von Fällen zustande kommen (Massengeschäfte) oder bei denen das Ansehen der Person eine nachrangige Bedeutung hat und die zu vergleichbaren Bedingungen in einer Vielzahl von Fällen zustande kommen, unzulässig. Der Kläger trug trotz Hinweis des Gerichts nicht ausreichend vor, dass es sich bei dem Einlass zu der Veranstaltung „Isarrauschen“ um ein derartiges Massengeschäft handelte. Die Darlegungen in dem Schriftsatz des Klägers vom 11.07.2018 sind gemäß § 296 a S. 1 ZPO nicht zu berücksichtigen, da der Schriftsatz nach Schluss der mündlichen Verhandlung und nach Ablauf der nachgelassenen Schriftsatzfrist einging. Zwar hatte der Kläger eine Verlängerung der Schriftsatzfrist beantragt. Gemäß § 224 Abs. 2 ZPO können richterliche Fristen auf Antrag verlängert werden, wenn erhebliche Gründe glaubhaft gemacht werden. Die Entscheidung über den Antrag ist eine Ermessensentscheidung, bei der das Gebot der Verfahrensbeschleunigung und die Rücksichtnahme auf Interessen der Gegenseite zu berücksichtigen sind (Feskorn in Zöller, ZPO, 32. Auflage, § 224 Rn. 6). Der Antrag wurde vorliegend zu Recht abgelehnt, da die Schriftsatzfrist in Absprache mit dem Kläger in der mündlichen Verhandlung bereits für vier Wochen gewährt worden war und bereits in der darauffolgenden Woche für den Kläger erkennbar der Termin zur Verkündung einer Entscheidung festgesetzt worden war. Daher hätte eine Fristverlängerung eine Verlegung der Entscheidungsverkündung nach sich gezogen, was gegen das Gebot der Verfahrensbeschleunigung verstoßen hätte. Da der Kläger den Antrag zwei Tage vor Ablauf der vierwöchigen Frist nur mit einer derzeitigen Arbeitsüberlastung begründete, was nicht erklärt, weshalb der Schriftsatz nicht bereits während der bereits laufenden Schriftsatzfrist gefertigt wurde, war im Hinblick auf die mit der Verlängerung erforderlichen Verlegung der Entscheidungsverkündung der Antrag zu Recht abzulehnen. Der Kläger durfte bei dieser Sachlage auch nicht darauf vertrauen, dass ihm nach Gewährung einer bereits längeren Schriftsatzfrist von vier Wochen und anstehendem Termin zur Verkündung einer Entscheidung die Frist antragsgemäß verlängert werden wird. Dennoch reichte der Kläger den Schriftsatz erst nach Ablauf der Frist ein. Eine Entscheidung aufgrund des Verkündungstermins am 20.06.2018 konnte vor Einreichung seines Schriftsatzes nur deshalb nicht erfolgen, da der Termin wegen des vom Kläger unbegründeten Befangenheitsantrags verlegt werden musste.
Hierauf kommt es jedoch im Ergebnis nicht an, da auch nach den Darlegungen des Klägers in seinem Schriftsatz vom 11.07.2018 ein Entschädigungsanspruch nicht besteht.
Aufgrund der Darlegungen des Klägers kann nicht von einem Massengeschäft ausgegangen werden. Ein Massengeschäft liegt nur dann vor, wenn es ohne Ansehen der Person geschlossen wird. „Soweit Schuldverhältnisse auf der individuellen Auswahl des Vertragspartners beruhen, stehen sie der Öffentlichkeit nicht „ohne Ansehen der Person“ zur Verfügung. Nur wenn es bei einem Schuldverhältnis auf Merkmale des Vertragspartners typischerweise und vernünftigerweise nicht ankommt, sondern der Anbieter dieses im Rahmen seiner Kapazitäten grundsätzlich mit jeder zahlungswilligen und zahlungsfähigen Person abschließen würde, ist das Geschäft „ohne Ansehen der Person“ i.S.d. § 19 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 1. Wann dies typischerweise der Fall ist, bestimmt sich nach einer allgemeinen, typisierenden Betrachtungsweise. Abzustellen ist also nicht auf den einzelnen Anbieter, sondern auf die Verkehrssitte.“ (MüKoBGB/Thüsing AGG § 19 Rn. 17, 18 beck-online).
Folglich kommt es nicht darauf an, wie die Beklagte das Event deklarierte, sondern ob es nach der Verkehrssitte bei Vertragsabschluss auf Merkmale des Vertragspartners ankam. Des weiteren ist nach dieser Definition zu prüfen, ob es auch vernünftigerweise bei der jeweiligen Vertragsart auf ein Merkmal des Vertragspartners nicht ankommt. Durch diese Einschränkung auf eine vernünftige Betrachtungsweise ist gewährleistet, dass bei der typisierenden Betrachtungsweise nicht Diskriminierungen, die gegebenenfalls in unserer Gesellschaft typisch sind, vom Schutz des AGG ausgenommen werden, nur weil die Verkehrssitte diese Diskriminierung duldet. Hierbei ist nicht nur allgemein zu prüfen, ob es vernünftigerweise auf Merkmale des Vertragspartners nicht ankommt, sondern vor allem auch im Hinblick auf ein bestimmtes Merkmal, hier das Alter des Vertragspartners. Nach der Gesetzesbegründung unterscheidet sich „die sozial verwerfliche Diskriminierung gerade dadurch, dass willkürlich und ohne sachlichen Grund einzelnen Personen der Zugang einer Leistung verwehrt (…) wird, die ansonsten anderen Personen gleichermaßen zur Verfügung steht.“(Deutscher Bundestag, 16. Wahlperiode, Drucksache 16/1780, Zu § 19 Zu Absatz 1).
Nach den Darlegungen des Klägers und den unbestrittenen Darlegungen des Beklagtenvertreters in der mündlichen Verhandlung handelte es sich bei dem Event … um eine Veranstaltung, bei der nach der Verkehrssitte typischerweise mit Ansehen der Person Einlass gewährt wird.
Aufgrund der Darlegungen der Parteien geht das Gericht davon aus, dass es sich bei dem Event … um eine Veranstaltung handelte, bei der junge … Electronic-DJs auflegten, wobei es sich teilweise um ein Open-Air handelte. Die Kapazität auf der … war auf 1.500 Gäste beschränkt. Der Einlass wurde durch Türsteher geregelt. Der Eintritt am Nachmittag war gratis, später war am Einlass ein Eintritt zu zahlen.
Nach diesen Darlegungen geht das Gericht davon aus, dass es sich bei der Veranstaltung um eine Art Disco-Veranstaltung handelte, bei der nach der Verkehrssitte Einlass nur nach Ansehen der Person durch die Türsteher gewährt wird. Dies ist in der Regel bei Veranstaltungen, bei denen DJs einer bestimmten Musikrichtung für eine begrenzte Gästezahl auflegen, der Fall, weshalb bei derartigen Veranstaltungen – wie auch in anderen Clubs wie dem P1 oder dem Berghain wie vom Kläger nicht angezweifelt – nicht jede Person Einlass erhält, auch wenn noch Kapazität zum Einlass besteht, wobei nach dem Auftreten und dem Aussehen der Person entschieden wird. Auch wenn die Veranstaltung als Gratis-Open-Air Konzert beworben wurde, spricht dies nicht für die Einordnung zu einem reinen Konzert, bei dem typischerweise ohne Ansehen der Person im Wege der Vorverkaufs Eintrittskarten verkauft werden. Hiergegen spricht die Ankündigung, dass Electronic-DJs auf der … (kein Konzertsaal, sondern Eventlocation) auflegen, und auch der Titel des Events … weist eher auf eine Feier als ein Konzert hin. Der Kläger und seine Freunde waren auch nicht überrascht, dass der Einlass durch Türsteher kontrolliert wurde, was dafür spricht, dass mit einer Einlassregelung durch Türsteher nach Ansehen der Person zu rechnen war.
Eine Unterscheidung beim Einlass nach dem optischen Alter ist bei solchen Veranstaltungen nicht nur typisch, sondern hält auch einer vernünftigen Betrachtungsweise stand. Dies folgt aus folgenden Überlegungen: Bei derartigen Disco-Veranstaltungen steht nicht allein die Musik im Vordergrund, sondern das gemeinsame Feiern. Das Gelingen einer solchen Veranstaltung hängt damit entscheidend von einer gelingenden Interaktion unter den Gästen ab. Eine solche Veranstaltung zeichnet sich gerade dadurch aus, dass die dargebotene Musik nicht passiv von den Gästen konsumiert wird, sondern dass der Abend durch die Interaktion der Gäste, durch Gespräche und gemeinsames Tanzen, aktiv mitgestaltet wird. Daher haben die Gäste solcher Veranstaltungen regelmäßig eine gewisse Erwartungshaltung an die Publikumsstruktur. Der Veranstalter hat daher ein betriebswirtschaftliches Interesse die Publikumsstruktur entsprechend zu steuern. Anders als bei einem reinen Konzert, bei dem das Musikerleben im Vordergrund steht und es nicht auf einen Kontakt unter den Konzertbesuchern ankommt, entscheidet bei einer Disco-Veranstaltung vor allem auch eine gelingende Interaktion zwischen den Gästen, ob die Besucher sich an der Veranstaltung erfreuen können. Daher ist eine Auswahl der Gäste, um einen gelungen Abend zu gestalten, vernünftig um den Interessen der Gäste und des Veranstalters gerecht zu werden. Nach den unstrittigen Darlegungen zur Zielgruppe dieser Veranstaltung sollte bei der Auswahl der Personen auf ein bestimmtes jüngeres Publikum geachtet werden.
Die Beklagte legte dar, dass sie ein junges Zielpublikum für die Veranstaltung vorgesehen habe, die angemessen, nicht auffallend gekleidet sei. Sie richte auch andere Veranstaltungen, auch für älteres Publikum aus.
Diese Unterscheidung der Gäste nach deren Aussehen, wobei auch das optische Alter eine Rolle spielt, ist eine vernünftige Unterscheidung, die nicht willkürlich und ohne sachlichen Grund erfolgt. Da es bei einer Disko-Veranstaltung auf den – oberflächlichen – Kontakt zwischen den Gästen ankommt und ankommen soll, und bei der Kontaktaufnahme zwischen Unbekannten der erste Eindruck und somit das Aussehen nach Alter, Kleidungsstil und Auftreten eine entscheidende Rolle spielt, ist eine Unterscheidung nach diesen Merkmalen eine im Sinne des AGG vernünftige Unterscheidung. Anders als etwa das – ebenfalls nur im Rahmen des § 19 Abs. 1 Nr. 1 AGG bei einem Massengeschäft – geschützte Merkmal der Religionszugehörigkeit, spielen diese genannten Merkmale des Aussehens bei einem oberflächlichen Kontakt eine Rolle, während die Frage der Religionszugehörigkeit zum Beispiel bei einer Disko-Veranstaltung kein vernünftiges Unterscheidungskriterium beim Einlass bietet, da dieses Merkmal für andere nicht erkennbar ist und es hierauf bei einem oberflächlichen Kontakt beim Tanzen und Feiern unter den Gästen und somit für einen gelungenen Abend für die Gäste und den Veranstalter vernünftigerweise nicht ankommt.
Aufgrund dieser Überlegungen hat das Ansehen der Person auch nicht eine nur nachrangige Bedeutung i.S.d. § 19 Abs. 1 Nr. 1, 2. HS AGG, da es beim Vertragsschluss gerade auf Merkmale der Einlass begehrenden Person ankommt.
Da dem Kläger in München viele weitere ähnliche Veranstaltungen, auch bei der Beklagten, zur Verfügung stehen, bei denen nicht eine bestimmte jüngere Zielgruppe angesprochen werden soll, ist die vorliegende Benachteiligung auch hinnehmbar.
Folglich handelt es sich bei dem Event … nach einer typisierenden und vernünftigen Betrachtungsweise nicht um ein Massengeschäft nach § 19 Abs. 1 Nr. 1 AGG, so dass nur ein Benachteiligungsverbot nach § 19 Abs. 2 AGG bestand. Diese Vorschrift bietet jedoch keinen Schutz vor einer Altersdiskriminierung.
Mangels geschützter Diskriminierung besteht kein Schadenersatzanspruch.
Ein Anspruch auf Nebenforderungen besteht mangels Anspruch auf die Hauptforderung nicht. Darüber hinaus legte der Kläger die von ihm geltend gemachte Nebenforderung in Höhe von 142,80 € nebst Zinsen nicht dar, so dass auch aus diesem Grund ein Anspruch nicht besteht. Ein Hinweis war insoweit nicht erforderlich, § 139 Abs. 2 ZPO.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 708 ZPO.


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