IT- und Medienrecht

Erfolgreiche Klage gegen Ausgleichszahlung für ungenehmigte Baumfällung – Baumschutzverordnung mangels Bestimmtheit unwirksam

Aktenzeichen  W 4 K 16.81

Datum:
16.8.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayNatSchG BayNatSchG Art. 12 Abs. 2, Abs. 3
GG GG Art. 20 Abs. 3
BV BV Art. 3 Abs. 1

 

Leitsatz

Ein Verstoß gegen das aus Art. 20 Abs. 3 GG herzuleitende Erfordernis hinreichender Bestimmtheit einer Norm bei Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe liegt dann vor, wenn es nicht mehr möglich ist, objektive Kriterien zu gewinnen, die eine willkürliche Handhabung durch die Behörden und Gerichte ausschließen. Aus dem Inhalt der Rechtsvorschrift muss sich mit ausreichender Bestimmtheit ermitteln lassen, was von der pflichtigen Person verlangt wird. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Bescheid der Beklagten vom 14. Dezember 2015 wird aufgehoben.
II. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu vollstreckenden Kosten abwenden, wenn nicht der Kläger vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.
* * *

Gründe

Die zulässige Klage ist begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 14. Dezember 2015 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
1. Die Anordnung der Ausgleichszahlung ist rechtswidrig, da die Beklagte hierfür keine wirksame Rechtsgrundlage geschaffen hat. Die von der Beklagten herangezogene Vorschrift des § 6 Abs. 3 Baumschutzverordnung ist unwirksam.
Zwar ist es nach der Ermächtigungsgrundlage des Art. 12 Abs. 2 und 3 BayNatSchG i.d.F. vom 12.12.2005 möglich, in Baumschutzverordnungen auch Regelungen über Ausgleichszahlungen zu treffen. Jedoch ist die Vorschrift des § 6 Abs. 3 Baumschutzverordnung nicht mit dem Prinzip der Bestimmtheit und Normenklarheit vereinbar.
a) Der Gesetzgeber ist verpflichtet, seine Vorschriften so zu fassen, dass sie den aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG, Art. 3 Abs. 1 Bayerische Verfassung) abgeleiteten Anforderungen der Normenklarheit und Justitiabilität entsprechen (BVerfG, B.v. 12.1.1967 – 1 BvR 169/63 – NJW 1967, 619). Gesetze müssen danach so formuliert sein, dass die davon Betroffenen die Rechtslage erkennen und ihr Verhalten danach einrichten können und dass die Gerichte in der Lage sind, die Anwendung der betreffenden Rechtsvorschrift durch die Verwaltung zu kontrollieren. Gleichwohl darf das Gebot der Bestimmtheit nicht übersteigert werden, weil die Gesetze sonst allzu starr und kasuistisch werden müssten und der Vielgestaltigkeit des Lebens oder der Besonderheit des Einzelfalls nicht mehr gerecht werden können (BayVerfGH, Entscheidung v. 11.11.1997 – Vf. 22-VII-94 – NVwZ-RR 1998, 273/274). Vor diesem Hintergrund sind die Verwendung von unbestimmten Rechtsbegriffen auf der Tatbestandsseite und die Einräumung von Ermessensspielräumen auf der Rechtsfolgenseite nicht durch den Grundsatz der Normklarheit gehindert, sondern können geradezu sinnvoll und notwendig erscheinen. Voraussetzung ist jedoch, dass die unbestimmten Rechtsbegriffe konkretisierbar sind und damit deren Anwendbarkeit vorhersehbar ist. Dies ist dann der Fall, wenn sich mit Hilfe der üblichen Auslegungsmethoden eine zuverlässige Grundlage für die Auslegung und Anwendung der Vorschrift gewinnen lässt (BayVerfGH, Entscheidung v. 24.2.1988 – Vf. 16-VIII-86 – VerfGHE 41, 17/24; BayVerfGH, Entscheidung v. 28.1.2003 – Vf. 10-VII-02 – VerfGHE 56, 1/9; vgl. auch BVerfG, B.v. 24.11.1981 – 2 BvL 4/80 – NJW 1982, 1275; BVerfG, U.v. 17.11.1992 – 1 BvL 8/87 – NJW 1993, 643/645). Mit anderen Worten: Ein Verstoß gegen das aus Art. 20 Abs. 3 GG herzuleitende Erfordernis hinreichender Bestimmtheit einer Norm bei Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe liegt dann vor, wenn es nicht mehr möglich ist, objektive Kriterien zu gewinnen, die eine willkürliche Handhabung durch die Behörden und Gerichte ausschließen. Aus dem Inhalt der Rechtsvorschrift muss sich mit ausreichender Bestimmtheit ermitteln lassen, was von der pflichtigen Person verlangt wird (vgl. BVerwG, B.v. 10.4.2000 – 11 B 61/99 – juris; U.v. 16.6.1994 – 4 C 2/94 – NvWZ 1994, 1099, jeweils m.w.N.).
b) Diesen Maßstäben wird § 6 Abs. 3 der Baumschutzverordnung der Beklagten nicht gerecht (so auch VG München, U.v. 12.10.2009 – M 8 K 09.2953 – juris Rn. 31 ff. zu einer wortgleichen Regelung). Danach kann in den Fällen, in denen eine Ersatzpflanzung nicht möglich oder zumutbar ist, eine Ausgleichszahlung gefordert werden, deren Höhe sich nach den Kosten richtet, die für eine angemessene Ersatzpflanzung auf öffentlichen Grünflächen erforderlich sind. Bei dem verwendeten Kriterium der „Kosten, die für eine angemessene Ersatzpflanzung auf öffentlichen Grünflächen erforderlich sind“ handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff. Die zu berücksichtigenden Kosten einer „angemessenen Ersatzbepflanzung“ sind aber nicht hinreichend bestimmt. Der Verordnungsgeber hat eine Konkretisierung dieses Begriffs in der Verordnung selbst überhaupt nicht vorgenommen.
Dass die Beklagte in ihrer Verwaltungspraxis zur Bestimmung der Höhe der Ausgleichszahlung eine Tabelle („Pflanzqualitäten der Ersatzpflanzungen in Abhängigkeit von der Baumgröße“, Bl. 29 d. Akte) heranzieht, die nach Stammumfang der gefällten Bäume differenziert, begründet keine Konkretisierung des Begriffs der „angemessenen Ersatzpflanzung“, die den Anforderungen an Bestimmtheit und Normenklarheit entspricht (vgl. VG München, a.a.O). Die herangezogene Tabelle ist schon nicht Teil der Baumschutzverordnung, sondern lediglich eine Verwaltungsvorschrift. Der Bestimmtheitsgrundsatz verlangt jedoch – wie oben dargestellt -, dass Rechtsnormen aus sich heraus erkennen lassen, was von der betroffenen Person verlangt wird. Dies ist bezüglich der Höhe der Ausgleichszahlung nicht der Fall. Insofern ist zwar – orientiert man sich an der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts im Abgabenrecht (vgl. BVerwG, B.v. 20.8.1997 – 8 B 169.97- juris Rn. 13) – wohl nicht erforderlich, dass sich die Höhe der Ausgleichszahlung „pfenniggenau“ aus dem Gesetz ergibt. Vielmehr ist grundsätzlich denkbar, dass der Verordnungsgeber im Rahmen auslegungsbedürftiger unbestimmter Rechtsbegriffe Konkretisierungen auch durch Verwaltungsvorschriften vornimmt (BVerwG, a.a.O.; vgl. auch NdsOVG, U.v. 14.12.2011 – 13 LC 114/08 – juris Rn. 46). Jedoch fordert das Bestimmtheitsgebot eine dem jeweiligen Sachzusammenhang angemessene Regelungsdichte, die eine willkürliche Handhabung durch die Behörde ausschließt (BVerfG, B.v. 17.7. 2003 – 2 BvL 1/99 – NVwZ 2003, 1241/1247; BVerwG, B.v. 20.8.1997 – 8 B 170/97 – NVwZ 1998, 408 m.w.N.).
Diesen Anforderungen genügt § 6 Abs. 3 Baumschutzverordnung nicht. Zwar ist die Anknüpfung an die Kosten der Ersatzbepflanzung nicht grundsätzlich zu beanstanden, sondern entspricht der Systematik der Verordnung, da die Ausgleichszahlung gegenüber der Verordnung nach dessen § 6 nachrangig ist. Es fehlt jedoch jeglicher Hinweis, was unter einer „angemessenen Ersatzpflanzung“ im Hinblick auf Qualität und Quantität des beseitigten Baumbestandes zu verstehen ist. Insbesondere fehlen Hinweise zu Anzahl und Größe der Ersatzpflanzen und der Abhängigkeit dieser Parameter zu Quantität und Qualität des beseitigten Baumes. Die Verordnung lässt daher jegliche handhabbaren Kriterien für die Bemessung der Kosten vermissen (vgl. zum Ganzen OVG Berlin-Bbg, U.v. 26.1.2006 – OVG 11 B 12.05 – juris Rn. 18 ff.; OVG NW, U.v. 1.3.1982 – 7 A 1028/81 – NuR1982, 193; VG München, a.a.O.). Dass die Beklagte hierbei auf eine Tabelle zurückgreift, die nach dem Stammumfang der gefällten Bäume gestaffelt ist, lässt sich der Verordnung selbst nicht entnehmen. Eine willkürliche Bemessung der Ausgleichszahlung durch die Beklagte ist daher nicht ausgeschlossen und eine gerichtliche Kontrolle der ordnungsgemäßen Anwendung der Vorschrift des § 6 Abs. 3 Baumschutzverordnung nicht möglich.
Darüber hinaus steht die Praxis der Beklagten sogar in Widerspruch zur Regelung in § 6 Abs. 3 Baumschutzverordnung, soweit die Tabelle die Höhe der Ausgleichszahlung vom Stammumfang der gefällten Bäume abhängig macht. Denn nach § 6 Abs. 3 Baumschutzverordnung richtet sich die Höhe der Ausgleichszahlung „nach den Kosten, die für eine angemessene Ersatzpflanzung erforderlich sind“. Wenn die Beklagte nunmehr in ihrer Verwaltungspraxis zur Bestimmung der Höhe der Ausgleichszahlung allein auf den Stammumfang des gefällten Baumes abstellt, lässt sie diese Maßgabe außer Acht. Denn damit stellt sie bei der Bestimmung der Höhe der Ausgleichszahlung tatsächlich nicht darauf ab, welche Kosten für die Pflanzung eines dem gefällten Baum angemessenen Ersatzes entstünden, sondern erhebt den Umfang des Stammes des entfernten Baumes zum allein maßgeblichen Kriterium. Damit bleibt gerade die Qualität, Art und Zustand des zu ersetzenden Baumes außer Acht und es wird stattdessen allein auf die Quantität des entfernten Baumes abgestellt.
2. Somit besteht für die streitgegenständliche Anordnung der Ausgleichszahlung keine wirksame Rechtsgrundlage. Die Frage, ob die gefällten Bäume auf einer Höhe von 1 m über dem Erdboden einen Stammumfang von mehr als 70 cm aufgewiesen haben und ob diese daher unter die Ausnahme des § 4 Nr. 1 Baumschutzverordnung fallen, war deshalb nicht mehr entscheidungserheblich, weshalb den Beweisanträgen der Parteien in der mündlichen Verhandlung nicht mehr nachzugehen war.
Nach alldem war der Klage mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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