IT- und Medienrecht

falsche Bezeichnung des Beklagten, Kreisumlage, verfassungsrechtliche Verfahrensanforderungen, Ermittlung des Finanzbedarfs der kreisangehörigen Gemeinden, absoluter Verfahrensfehler, Nichtigkeit der Haushaltssatzung

Aktenzeichen  W 2 K 21.92

Datum:
24.3.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 12377
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GG Art. 28 Abs. 2

 

Leitsatz

Tenor

I.Der Bescheid des Beklagten vom 2. Juli 2015 wird aufgehoben, soweit die darin gegenüber dem Kläger festgesetzte Kreisumlage für das Haushaltsjahr 2015 den Betrag von 912.918,00 EUR übersteigt. 
II.Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. 
III.Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu vollstreckenden Kosten abwenden, wenn nicht der Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

1. Die Klage hat Erfolg.
1.1. Sie ist zulässig, insbesondere fristgerecht erhoben.
Zwar wurde bei Klageerhebung der Freistaat Bayern, vertreten durch das Landratsamt M., als Beklagter benannt. Jedoch war nicht eindeutig, dass die Klage ursprünglich tatsächlich gegen den Freistaat Bayern gerichtet sein sollte. Angefochten wurde der Kreisumlagebescheid des Landratsamts M. vom 2. Juli 2015, der der Klage beigefügt wurde. Damit war in der Klageschrift die Behörde angegeben, die den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat, was nach § 78 Abs. 1 Nr. 1 VwGO zur Bezeichnung des Beklagten genügt. Die Klageschrift erweist sich daher als auslegungsbedürftig (vgl. hierzu BVerwG, B.v. 8.8.2019 – 3 B 41/18 – juris). Unter Berücksichtigung des Gesichtspunktes als Auslegungshilfe, dass die Klage im Zweifel nicht gegen den falschen, sondern gegen den richtigen Beklagten gerichtet sein soll, und des Fehlens anderer aussagekräftiger Umstände, wurde die Klage bei sachgerechter Auslagerung von vornherein gegen den Beklagten und nicht, wie angegebenen, gegen den Freistaat Bayern erhoben (vgl. hierzu BVerwG, B.v. 8.8.2019 – 3 B 41/18 – juris).
Im Übrigen wäre auch ein Beklagtenwechsel durch Klageumstellung gem. § 91 Abs. 1 VwGO als sachdienlich anzusehen. Denn der Beklagte hatte vorliegend durch die Zustellung der Klageschrift an das Landratsamt M. von Anfang an Kenntnis von der Klage.
1.2. Die Klage ist auch begründet.
Der Bescheid des Landratsamts M. vom 2. Juli 2015 ist im verfahrensrechtlich relevanten Umfang rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Es fehlt an einer wirksamen Ermächtigungsgrundlage für die streitgegenständliche Kreisumlagefestsetzung. § 4 Abs. 3 der Haushaltssatzung des Beklagten für das Jahr 2015 ist mit Art. 28 Abs. 2 GG nicht vereinbar und verstößt damit gegen höherrangiges Recht. Der Beklagte ist seinen verfassungsrechtlich gebotenen Ermittlungspflichten bei der Festsetzung der Kreisumlage nicht nachgekommen.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts verpflichtet Art. 28 Abs. 2 Satz 1 und 3 GG den Landkreis, zur Wahrung des Grundsatzes der Gleichrangigkeit der finanziellen Interessen der kommunalen Gebietskörperschaften vor der Festlegung der Höhe des Kreisumlagesatzes nicht nur seinen eigenen Finanzbedarf, sondern auch den gleichrangigen Finanzbedarf der umlagepflichtigen Gemeinden zu ermitteln und in die Entscheidung über die Festsetzung des Umlagesatzes einzustellen sowie dies in geeigneter Form – etwa im Wege einer Begründung der Ansätze seiner Haushaltssatzung – offenzulegen, um den Gemeinden und gegebenenfalls den Gerichten eine Überprüfung zu ermöglichen (BVerwG, U.v. 29.5.2019 – 10 C 6/18 – juris).
In welcher Weise der Landkreis seinen Ermittlungspflichten nachkommt, ist weder verfassungsrechtlich noch landesrechtlich in Bayern im Einzelnen vorgegeben. Nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs kommt dem Landkreis ein weites Verfahrensermessen zu (BayVGH, B.v. 14.12.2018 – 4 BV 17.2488 – juris). Er kann sich die notwendigen Informationen wahlweise durch Anhörung der Gemeinden oder durch Rückgriff auf bereits vorhandenes bzw. regelmäßig erhobenes Datenmaterial verschaffen. Für die erforderliche Querschnittsbetrachtung bedarf es aggregierter und konsolidierter Daten zur Haushalts- und Finanzsituation aller kreisangehörigen Gemeinden, anhand derer sich im Rahmen einer landkreisweiten Gesamtschau die Entwicklung des gemeindlichen Finanzbedarfs sowohl in den zurückliegenden Jahren als auch in absehbarer Zukunft generell einschätzen lässt. Die entsprechenden Informationen können beispielsweise den Haushaltssatzungen der Gemeinden mit den darin enthaltenen Festsetzungen (Art. 63 Abs. 2 GO) und der jährlich fortgeschriebenen fünfjährigen Finanzplanung (Art. 70 GO) entnommen werden (BayVGH, B.v. 14.12.2018 – 4 BV 17.2488 – juris).
Den ermittelten Finanzbedarf der Mitgliedsgemeinden hat der Landkreis den zur Entscheidung über die Kreisumlage berufenen Kreisgremien vor der Beschlussfassung in geeigneter Weise (z. B. tabellarisch) aufbereitet zur Verfügung zu stellen. Eine rein verwaltungsinterne Ermittlung und Bewertung des Finanzbedarfs der Mitgliedsgemeinden genügt nicht (BayVGH, B.v. 14.12.2018 – 4 BV 17.2488 – juris). Ebenso wenig reichen formlose Vorgespräche mit den Fraktionsvorsitzenden im Kreistag oder die Vorstellung des Haushaltsentwurfs auf der Bürgermeisterdienstbesprechung aus, um dem Kreistag die notwendige fundierte Entscheidungsgrundlage zu verschaffen (BayVGH, B.v. 14.12.2018 – 4 BV 17.2488 – juris).
Diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen hat der Beklagte vorliegend nicht entsprochen. Er hat es vor der Festsetzung der streitgegenständlichen Kreisumlage versäumt, neben seinem eigenen Finanzbedarf auch den Finanzbedarf der Mitgliedsgemeinden zu ermitteln und in seine Entscheidung über die Festsetzung des Umlagesatzes einzustellen. Unterlagen, die die Ermittlung des Finanzbedarfs der kreisangehörigen Gemeinden belegen könnten, hat der Beklagte nicht vorgelegt. Aggregierte und konsolidierte Daten zur Haushalts- und Finanzsituation aller kreisangehörigen Gemeinden waren weder Bestandteil der Beschlussvorlage zur Haushaltssatzung 2015 noch Inhalt sonstiger dem Kreistag zur Verfügung gestellter Unterlagen. Eine gesicherte Daten- und Informationsgrundlage über den Finanzbedarf der Mitgliedsgemeinden war daher im Zeitpunkt der Beschlussfassung des Kreistages über die Haushaltssatzung für das Jahr 2015 nicht vorhanden.
Dies stellt einen absoluten Verfahrensfehler dar, der die Nichtigkeit der Haushaltsatzung zur Folge hat (vgl. (BayVGH, B.v. 14.12.2018 – 4 BV 17.2488 – juris). Bei den dargelegten verfassungsrechtlichen Verfahrensanforderungen für die Festsetzung der Kreisumlage handelt es sich nicht um eine bloße Obliegenheit des Landkreises als Satzungsgeber, sondern um eine selbstständige Verfahrenspflicht, die im Zeitpunkt der Beschlussfassung des Kreistages über die Haushaltssatzung erfüllt sein muss (BayVGH, B.v. 14.12.2018 – 4 BV 17.2488 – juris). Abweichend von dem Grundsatz, dass der Satzungsgeber – ebenso wie der Gesetzgeber – von Verfassungs wegen „nur“ eine wirksame Norm schuldet, stellt die Erfüllung der genannten Verfahrenspflicht eine Rechtmäßigkeitsvoraussetzung für die Satzung dar. Die prozeduralen Anforderungen an den Satzungserlass tragen zu einer erhöhten Rationalität und Transparenz des kommunalen Entscheidungsprozesses bei; sie bieten damit einen notwendigen Ausgleich für die eingeschränkte gerichtliche Kontrolldichte bei der materiell-rechtlichen Prüfung der Haushaltssatzung am Maßstab der verfassungsgebotenen finanziellen Mindestausstattung der Gemeinden (BayVGH, B.v. 14.12.2018 – 4 BV 17.2488 – juris).
Die Festsetzung der Kreisumlage erweist sich daher mangels wirksamer Rechtsgrundlage im verfahrensrechtlich relevanten Umfang als materiell rechtswidrig. Inwieweit darüber hinaus die materiell-rechtlichen Einwände gegen die Haushaltssatzung durchdringen, kann offen bleiben.
2. Der Klage war deshalb mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.


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